"Net Mundial"

Internetgemeinde fordert Schutz der Privatsphäre im Netz

28.04.2014
Die "Net Mundial"-Konferenz will nach den Snowden-Enthüllungen ein klares Zeichen gegen Überwachung setzen: Das Recht auf Privatsphäre soll geschützt werden, forderten die Teilnehmer. Die Umsetzung ist allerdings offen.

Die internationale Konferenz "Net Mundial" hat das Internet als öffentliches Gut verteidigt und sich für den Schutz gegen Überwachung stark gemacht. Die Menschenrechte sollten online ebenso wie offline geschützt werden, forderten Staaten, Unternehmen und Aktivisten (PDF-Link) auf der Konferenz in Brasilien. Auf der "Net Mundial" diskutierten die Teilnehmer zwei Tage lang über die künftige Verwaltung des Internets und die Folgen der Snowden-Enthüllungen.

Das Recht auf Privatsphäre müsse geschützt werden, forderten die Teilnehmer. "Das schließt den Schutz vor willkürlicher oder rechtswidriger Überwachung ein", heißt es in dem Abschlussdokument, das in der Nacht zu Freitag veröffentlicht wurde. Staaten sollten ihre Gesetze zur Überwachung und Sammlung persönlicher Daten überprüfen. Staaten und andere Akteure - etwa Unternehmen - sollten sich beim Sammeln von Daten an die Menschenrechte halten.

Damit reagierten die Konferenzteilnehmer auf die Enthüllungen Edward Snowdens über massenhafte Internet-Überwachung des US-Geheimdienstes NSA. Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff hatte die Konferenz aus Ärger über die NSA-Überwachung einberufen. Die Ergebnisse sind rechtlich nicht bindend. Sie setzen aber ein Signal für künftige Pläne zur Regulierung des Internets.

Ob die Formulierungen gegen Massenüberwachung angemessen sind, wurde unterschiedlich bewertet. "Ursprünglich war nicht klar, ob eine Erwähnung dieses Problems im Dokument überhaupt mehrheitsfähig ist", sagte die Berliner Forscherin Jeanette Hofmann der dpa vor der Verabschiedung des Dokuments. Der Netzaktivist Markus Beckedahl zeigte sich dagegen enttäuscht. Die Konferenz habe die Chance vertan, "deutlichere Worte gegen die Menschenrechtsverletzungen durch Massenüberwachung .. zu finden", schrieb er auf Netzpolitik.org.

Die Bundesregierung begrüßte, dass es im Vorfeld und auf der Konferenz gelungen sei, eine Vielzahl von Akteuren mit ins Boot zu holen und bei der Erarbeitung von Ergebnissen aktiv zu beteiligen. "In einem offenen Diskurs konnten so Leitlinien für die künftige Entwicklung des Internet entwickelt werden", erklärte die Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Zypries (SPD). In das Abschlussdokument der Konferenz seien auch wichtige Leitsätze zum Schutz der Privatsphäre eingegangen, die die Diskussion um die Internet-Governance beeinflussen würden.

Die Lehren aus der NSA-Affäre -
Viktor Mayer-Schönberger, Professor für Internet Governance and Regulation
"Es geht nicht mehr um das Ausspähen der Gegenwart, sondern um einen Einblick in die Zukunft. Das ist der Kern von Prism. Präsident Obama hat schon recht, wenn er sagt, die von Prism gesammelten Daten seien doch für sich genommen recht harmlos. Er verschweigt freilich, dass sich daraus statistische Vorhersagen gewinnen lassen, die viel tiefere, sensiblere Einblicke gewähren. Wenn uns nun der Staat verdächtigt, nicht für das was wir getan haben, sondern für das was wir – durch Big Data vorhersagt – in der Zukunft tun werden, dann drohen wir einen Grundwert zu verlieren, der weit über die informationelle Selbstbestimmung hinausgeht."
Prof. Dr. Gunter Dueck, Autor und ehemaliger CTO bei IBM
"Ich glaube, die NSA-Unsicherheitsproblematik ist so ungeheuer übergroß, dass wir uns dann lieber doch gar keine Gedanken darum machen wollen, so wie auch nicht um unser ewiges Leben. Das Problem ist übermächtig. Wir sind so klein. Wir haben Angst, uns damit zu befassen, weil genau das zu einer irrsinnig großen Angst führen müsste. Wir haben, um es mit meinem Wort zu sagen, Überangst."
Oliver Peters, Analyst, Experton Group AG
"Lange Zeit sah es so aus, als würden sich die CEOs der großen Diensteanbieter im Internet leise knurrend in ihr Schicksal fügen und den Kampf gegen die Maulkörbe der NSA nur vor Geheimgerichten ausfechten. [...] Insbesondere in Branchen, die große Mengen sensibler Daten von Kunden verwalten, wäre ein Bekanntwerden der Nutzung eines amerikanischen Dienstanbieters der Reputation abträglich. [...] Für die deutschen IT-Dienstleister ist dies eine Chance, mit dem Standort Deutschland sowie hohen Sicherheits- und Datenschutzstandards zu werben."
Dr. Wieland Alge, General Manager, Barracuda Networks
"Die Forderung nach einem deutschen Google oder der öffentlich finanzierten einheimischen Cloud hieße den Bock zum Gärtner zu machen. Denn die meisten Organisationen und Personen müssen sich vor der NSA kaum fürchten. Es sind die Behörden und datengierigen Institutionen in unserer allernächsten Umgebung, die mit unseren Daten mehr anfangen könnten. Die Wahrheit ist: es gibt nur eine Organisation, der wir ganz vertrauen können. Nur eine, deren Interesse es ist, Privatsphäre und Integrität unserer eigenen und der uns anvertrauten Daten zu schützen - nämlich die eigene Organisation. Es liegt an uns, geeignete Schritte zu ergreifen, um uns selber zu schützen. Das ist nicht kompliziert, aber es erfordert einen klaren Willen und Sorgfalt."
James Staten, Analyst, Forrester Research
"Wir denken, dass die US-Cloud-Provider durch die NSA-Enthüllungen bis 2016 rund 180 Milliarden Dollar weniger verdienen werden. [...] Es ist naiv und gefährlich, zu glauben, dass die NSA-Aktionen einzigartig sind. Fast jede entwickelte Nation auf dem Planeten betreibt einen ähnlichen Aufklärungsdienst [...] So gibt es beispielsweise in Deutschland die G 10-Kommission, die ohne richterliche Weisung Telekommunikationsdaten überwachen darf."
Benedikt Heintel, IT Security Consultant, Altran
"Der Skandal um die Spähprogramme hat die Akzeptanz der ausgelagerten Datenverarbeitung insbesondere in den USA aber auch in Deutschland gebremst und für mehr Skepsis gesorgt. Bislang gibt es noch keinen Hinweis darauf, dass bundesdeutsche Geheimdienste deutsche IT-Dienstleister ausspäht, jedoch kann ich nicht ausschließen, dass ausländische Geheimdienste deutsche Firmen anzapfen."
Viktor Mayer-Schönberger, Professor für Internet Governance and Regulation
"Die NSA profitiert von ihren Datenanalysen, für die sie nun am Pranger steht, deutlich weniger als andere US-Sicherheitsbehörden, über die zurzeit niemand redet. Das sind vor allem die Bundespolizei FBI und die Drogenfahnder von der DEA. [...] Es gibt in der NSA eine starke Fraktion, die erkennt, dass der Kurs der aggressiven Datenspionage mittelfristig die USA als informationstechnologische Macht schwächt. Insbesondere auch die NSA selbst."
Aladin Antic, CIO, KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplationen e.V.
"Eine der Lehren muss sein, dass es Datensicherheit nicht mal nebenbei gibt. Ein mehrstufiges Konzept und die Einrichtung zuständiger Stellen bzw. einer entsprechenden Organisation sind unabdingbar. [...] Generell werden im Bereich der schützenswerten Daten in Zukunft vermehrt andere Gesichtspunkte als heute eine Rolle spielen. Insbesondere die Zugriffssicherheit und risikoadjustierte Speicherkonzepte werden über den Erfolg von Anbietern von IT- Dienstleistern entscheiden. Dies gilt auch für die eingesetzte Software z.B. für die Verschlüsselung. Hier besteht für nationale Anbieter eine echte Chance."
ein nicht genannter IT-Verantwortliche einer großen deutschen Online-Versicherung
"Bei uns muss keiner mehr seine Cloud-Konzepte aus der Schublade holen, um sie dem Vorstand vorzulegen. Er kann sie direkt im Papierkorb entsorgen."

In Brasilien hatte sich die versammelte Web-Gemeinschaft sich für den Erhalt eines offenen Netzes ausgesprochen. "Das Internet sollte weiterhin ein weltweit zusammenhängendes, verbundenes, stabiles, nicht aufgeteiltes Netzwerk sein", heißt es in dem Abschlussdokument. Das Internet sei ein weltweites Gut und müsse im öffentlichen Interesse gestaltet werden. Damit wendet sich die Konferenz gegen Bestrebungen einzelner Staaten, national abgegrenzte Netze zu errichten. Die USA sollen zudem ihre bisherige Aufsicht über die Organisation ICANN bis September 2015 abgeben. Wer die Rolle übernehmen soll, blieb offen.

Teilnehmer lobten den Verhandlungsprozess der Konferenz. Zum ersten Mal sei es international gelungen, dass Regierungen, Wirtschaft, Forscher und Vertreter gesellschaftlicher Gruppen "auf gleicher Augenhöhe miteinander diskutieren", sagte Hofmann. Dieses Verfahren solle auch bei künftigen Diskussionen zur Internetregulierung gewählt werden, erklärte Michael Rotert, Vorstandsvorsitzender des Wirtschaftsverbands eco. (dpa/tc)