Es gibt viele gute Gründe, ein E-Commerce-System einzuführen. Höhere Erwartungen an Vertrieb und Kommunikation gepaart mit der digitalen Transformation bringen die E-Commerce-Thematik zurzeit flächendeckend in die Chefetagen. Der Marktdruck ist hoch, die Investitionskosten sind grundsätzlich überschaubar; über das Ob ist daher meist schnell entschieden.
Obwohl in erster Linie strategische, vertriebliche oder Marketinggründe hinter dieser Entscheidung stehen, landet das Projekt zur weiteren Beurteilung und Umsetzung, spätestens aber für den technischen Betrieb auf dem Tisch der IT-Abteilung. Hier muss nach dem Ob eine Entscheidung über das Wie herbeigeführt werden. Systemintegration, Plattform-Konzeption und Betriebskosten müssen geplant und budgetiert werden. Jetzt beginnt die eigentliche Arbeit.
1. Gründlichkeit und Weitblick - Die IT-Abteilung als Berater in der Orientierungsphase
Das Projektmanagement für eine E-Commerce-Einführung ist im Normalfall marketing- oder vertriebsnah aufgehängt. Dennoch kommt den IT-Verantwortlichen und ihrem Team eine kritische Rolle in der Phase der Informationssammlung zu. Eine frühzeitige, gründliche Vorbereitung fachlicher Fragen für die sich anschließende Evaluierung ist unerlässlich, denn sie bestimmt den Projektverlauf maßgeblich mit.
Im ersten Schritt ist vor allem das Projektmanagement organisatorisch massiv gefragt. Es muss den Input sämtlicher betroffener Unternehmensbereiche für die Konzeption abholen, grundsätzliche Fragen und Requests sammeln sowie erste Diskussionen moderieren. Da ihm die fachliche Brille fehlt, um Machbarkeit und Konsequenzen der Systemintegration abzuschätzen, wird die IT-Abteilung ab Tag eins des Projekts zum unentbehrlichen Berater für alle Integrationsschritte und Prozessverläufe.
Parallel müssen technische Guidelines für die anstehende Integration entwickelt werden. Ein häufiger Fehler im späteren Projektverlauf ist das Umschwenken auf einen im Moment der Not naheliegenden und auf die Schnelle entworfenen Plan B, der sich langfristig als nicht tragfähig herausstellt. Im ersten Moment kann der Projektverlauf so vielleicht halbwegs gerettet werden, meist wird dafür aber eines - oder sogar mehrere - der strategisch formulierten Ziele geopfert. Das schmerzhafte Ausmaß der Konsequenzen wird oft erst im Nachhinein klar. Dies kann nur mit Hilfe von technischen Guidelines vermieden werden. Beantworten Sie für Ihr Unternehmen möglichst früh die folgenden Fragen:
a. Involvierte Parteien
Wer ist mit der Realisierung und später mit dem Betrieb beauftragt und ab wann?
Welche Anteile werden intern durch die IT-Abteilung umgesetzt?
Was wird durch einen externen Dienstleister realisiert?
Und welche Kriterien sind für dessen Auswahl wichtig?
An welcher Stelle macht die Involvierung des Herstellers Sinn?
Da mit der digitalen Transformation die Business IT zum Blutkreislauf des Unternehmens wird und die Commerce IT zum Herzstück des Vertriebs, ist diese Entscheidung hochpolitisch und kann im letzten Schritt oft nur von der Geschäftsführungsebene getroffen werden.
Die wichtigsten Fragen lauten nämlich eigentlich:
Welches fachliche und Prozesswissen ist existentiell für das Unternehmen und so wertvoll, dass es unter direktem Zugriff intern aufgebaut werden muss, koste es, was es wolle (das heißt Personal, Equipment, Schulung und Monitoring)?
Und welche Themen sind wiederum einer so raschen Entwicklung und großem Wandel unterworfen, dass es betriebswirtschaftlich sogar geboten ist, sich nach Bedarf den jeweiligen State of the Art einzukaufen um zufriedenstellende Ergebnisse zu erzielen?
b. Sicherheit
Security ist ein hochbrisantes und intern häufig umstrittenes Thema, wie jüngste Studien erneut belegen (unter anderem The Great Divide: Security in the Cyber Security in the Corporate Boardroom von VMware und The Economist, 3/2016).
Zur Sicherheitsthematik gibt es wie zu allen inhaltlichen Fragen des eigenen E-Commerce-Projekts keine einfachen, allgemeingültigen Antworten, sondern nur hochindividuelle Lösungen, die zum gesamten Geschäftsmodell passen müssen.
Wie auch immer Ihre Antworten aussehen, Sie müssen berücksichtigen, dass:
Alle Compliance-Auflagen des Unternehmens oder Konzerns erfüllt werden.
Knackpunkte früherer und absehbarer künftiger Security Audits berücksichtigt sind.
Neue Sicherheitslücken, die jedes neue System potentiell mitbringt, transparent gemacht und hinreichend geschlossen sind.
E-Commerce-spezifische Zertifizierungen in ausreichendem Umfang vorhanden sind und regelmäßig überprüft werden.
Der letzte Punkt betrifft insbesondere Fintech-Integrationen (in erster Linie das Payment im Shop) und rechtliche Vorgaben wie EU-Sanktionslisten oder den Verbraucherschutz. Auch das Hosting muss unter diesem Gesichtspunkt erneut unter die Lupe genommen werden, da die neu aufzubauenden oder zu erweiternden Server und der Support für E-Commerce-Erfordernisse robust und zuverlässig angelegt sein müssen.
Generell ist Security kein abschließend behandelbares Thema, sondern ein Prozess der Risikominimierung unter Kosten-Nutzen-Abwägung, der kontinuierlich verfolgt wird. Dafür müssen Ressourcen dauerhaft eingeplant sein.
c. Systemlandschaft
Schon bevor die ersten Lösungsvorschläge geprüft werden, muss intern eine grundsätzliche Vorstellung entwickelt worden sein, wie sich das E-Commerce-System in die Landschaft der Business IT einfügt.
Welche Systeme werden direkt integriert (zum Beispiel: ERP, CRM, PIM, CMS)?
Wo reicht ein indirekter Abgleich (zum Beispiel: BI via CRM)?
Erfolgt die Integration direkt oder über eine Middleware?
Macht es Sinn, eines der bereits laufenden Systeme zusammen mit der E-Commerce-Einführung durch einen optimierten Nachfolger abzulösen?
Soll es eine Spezialanfertigung oder ein Herstellerprodukt mit Support und Gewährleistung sein?
Welche weiteren Systeme müssen mit der E-Commerce-Landschaft kommunizieren und über welche Kanäle?
Insbesondere Payment- und Risikobewertungsdienste können in der Integration aufwändig werden. Aber auch Vermarktungsinstrumente und -plattformen, Produktkonfiguratoren oder mobile Anwendungen müssen von Anfang an Teil des Gesamtkonzepts sein.
Einen großen Einfluss auf das Integrationskonzept haben Überlegungen zu Datenfluss, Datenhaltung und Systemhoheit, die sich direkt aus den Anforderungen der Fachbereiche ergeben, die das Produktmanagement einsammelt und konzeptionell zu vereinigen versucht.
Auch für die IT unbeliebte Vorschläge aus diesen Gremien oder ungern beschrittene Pfade haben in dieser Diskussion durchaus ihre Berechtigung. Es ist damit zu rechnen, dass die Einführung eines E-Commerce-System die Business IT des Unternehmens deutlich verändern wird.
d. Administrationskonzept
Die neue IT-Infrastruktur soll die IT-Ressourcen entlasten, indem die mit den Systemen arbeitenden Teams vieles in Eigenregie bearbeiten können. Das bedeutet zum einen, dass tatsächlich alle Standardprozesse des Tagesgeschäfts ohne Ausnahme automatisiert oder halb-automatisiert durchlaufen können. Die IT steht als Unterstützer und Know-How-Träger im Hintergrund, greift in die Abläufe selbst aber nicht ein; oder besser gesagt: sie muss nicht eingreifen, um zu gewährleisten, dass sie funktionieren.
Entscheidend ist dabei eine hohe Datenqualität. Die Datenbasis ist das höchste Gut der Business IT und ihre gute Qualität muss durch ein transparentes Management, vor allem aber durch eine einfache und wenig fehleranfällige Pflege in den Fachbereichen, optimalerweise automatisiert, garantiert werden können.
So viel wie möglich soll den Fachbereichen im Self-Service zugänglich gemacht werden - was fällt darunter?
So wenig wie nötig soll durch die IT-Abteilung direkt administriert werden - was fällt darunter?
2. Make or Buy? - Kalkulation mit Weitblick in der Evaluierungsphase
Hat das Projektmanagement die Orientierung und Informationssammlung abgeschlossen, wird die Bedarfserhebung Schritt für Schritt validiert. Durch schlüssige Konzepte und Kompromisse können die benötigten Features & Functions und der Integrationsumfang schließlich festgelegt werden. Am Ende dieses Prozesses steht ein eindeutiges Ergebnis zu Konzeption und Systementscheidung mit Realisierungsauftrag.
Im Wesentlichen müssen Sie sich nun für oder gegen ein bestimmtes E-Commerce-System oder eine Kombination aus mehreren Systemen und Drittentwicklungen entscheiden. Dabei liegt dieser Entscheidung eine ganz prägnante Frage, ein regelrechter Management-Klassiker, zugrunde. Die Frage: "Make or Buy?"
IT-Projekte starten heute nicht mehr auf der grünen Wiese. Irgendeine digitale Lösung - und sei sie auch nur provisorisch - ist meist schon da. Nicht nur wegen der bisher bereits investierten Ressourcen erscheint das Fortsetzen plausibel. In der Tat sind eigenentwickelte Teilsysteme in der Anpassung hochflexibel und schonen dank wegfallender Einarbeitungszeit und kurzer Wege beim Setup zunächst das Budget. Eine dicke Rechnung steht allerdings schon mittelfristig ins Haus, wenn man auf Qualität, Sicherheit (Stichwort: Zertifizierungen) und Entwicklungsfortschritt achtet.
Wenn also intern beispielsweise eine Schnittstelle entwickelt und dauerhaft betreut werden soll, muss es ein dezidiertes Produktmanagement geben, das die Software im Einklang mit allen anderen Systemfortschritten und mit professionellem Anspruch weiterentwickelt. Eine Aufstellung allein der dafür benötigten personellen Aufwände zeigt, dass Kosten entstehen, die sehr schnell deutlich über den Lizenz- und Wartungskosten eines vergleichbaren Standardprodukts liegen. Und dabei ist noch nicht einmal berücksichtigt, dass ein Herstellerprodukt zudem regelmäßig neue Features, Wartung und Support bietet.
Beleuchten Sie bei der Beurteilung eines Systems die folgenden Schwerpunkte:
Reifegrad des Systems
Diese Bewertung steht in direktem Bezug zu den oben genannten Sicherheitsüberlegungen. Welche Sicherheitslöcher werden durch das System in die Unternehmens-IT eingeführt und wie können sie geschlossen werden?
Qualität
Welche Qualitätsmerkmale der Software können ausgemacht werden, wie und wann werden diese transparent gemacht und bewertet. Eine transparente Entwicklungsinfrastruktur seitens des Herstellers und Zugang zu Quellcode, geplanten Weiterentwicklungen und dem Arbeitsstand machen die Beurteilung leicht.
Infrastrukturbedarf
Wie ressourcenintensiv ist die Software? Welche Hardwareanschaffungen und Serverumgebungen werden empfohlen? Nach welchen Business Cases kann unterschieden werden? Gibt es Migrationsszenarien in beide Richtungen (wachsen und reduzieren)? Wie kann mit Lastspitzen umgegangen werden?
Updatezyklen und Ressourcenbedarf
Wann und wie häufig ist mit Updates zu rechnen? Wie laufen diese ab und welche Ressourcen müssen dafür eingeplant und budgetiert werden? Sollen diese intern oder extern umgesetzt werden und falls beides, zu welchen Anteilen?
Notfallplan
Ach auf Probleme, die hoffentlich nie auftreten, muss es eine Antwort geben. Für den Fall, dass im Rahmen der Planung oder hinsichtlich interner Ressourcen alle Stricke reißen: Wer kann unterstützen, mit wem können Notfallszenarien besprochen werden?
3. Sauberes Projektmanagement - Realisierungsphase und Plattformbetrieb
Die Entwicklung und das Aufsetzen der unternehmensindividuellen E-Commerce-Lösung zeichnen sich bei guter Vorbereitung durch ein geschicktes Ineinandergreifen von gesamtverantwortlichem Projektmanagement, interner IT und externen Dienstleistern aus.
Die anteilige Involvierung wie auch die Projektlaufzeit variieren stark mit den geplanten Projektumfängen und jeweiligen Gegebenheiten. Oft steht nach zwölf bis sechzehn Wochen bereits das Going-Live ins Haus, viele Projekte ziehen sich jedoch auch über ein Jahr und länger.
Für den sich anschließenden erfolgreichen Betrieb und die kontinuierliche Weiterentwicklung des Systems muss frühzeitig Sorge getragen werden. Bereits vor dem Going-Live müssen:
Alle Teams, die mit den Systemen arbeiten, eine ausführliche Schulung erhalten haben und über geplante künftige Systemänderungen oder Folgeschulungen informiert sein.
Externe Ressourcen, die während des Betriebs oder zu Support- und Updatefällen hinzugezogen werden, budgetiert, klar benannt und beauftragt sein.
Prozesse zu Updates und anderen Wartungsfällen wenigstens in groben Zügen ausgearbeitet sein und regelmäßig aktualisiert und überprüft werden.
Spätestens mit dem Going-Live und der sich anschließenden Phase des Plattformbetriebs geht die Verantwortung für die Infrastruktur vom E-Commerce-Projektmanagement offiziell auf die IT-Abteilung über. Eine saubere Dokumentation und offizielles Handover helfen bei einem störungsfreien Wechsel der Verantwortlichkeit.
4. Nach dem Projekt ist vor dem Projekt - Laufende Optimierung
Wer sich heute mit der Einführung oder Verbesserung einer E-Commerce-Lösung beschäftigt, unternimmt einen wichtigen Schritt zur Erhaltung des Unternehmenswerts und zur Prozessoptimierung. Es liegt in der Natur der Sache, dass dieser Auftrag nie abgeschlossen ist und kontiniuerlich neue Entwicklungszyklen angestoßen werden müssen.
In Zeiten rasanter technologischer Entwicklung und kontinuierlicher struktureller Veränderungen, die zu einem Großteil heute noch nicht absehbar sind, ist regelmäßig mit neuen Projekten zu Aktualisierung oder gar Ablösung bestehender Systeme zu rechnen.
Mit einem kontinuierlichen Projektplan und den richtigen internen und externen Ressourcen, gelingt für jedes E-Commerce-Projekt eine betriebswirtschaftlich sinnvolle, stabile, sichere und nachhaltige Struktur. (haf)