von Heinrich Vaske und
Thomas Cloer
Oracle-Chef Lawrence "Larry" Ellison dürfte der OpenWorld in San Francisco in diesem Jahr etwas nervöser als sonst entgegengeblickt haben. Natürlich ist der Datenbank-Riese nach wie vor eine der allerersten Adressen im weltweiten Softwaremarkt, doch Schlagzeilen machen derzeit andere.
"Oracle muss zeigen, dass sie ihrer breiten Kundenbasis helfen können, innovativer zu werden", brachte es der US-Analyst Ray Wang, CEO von Constellation Research, im Vorfeld der OpenWorld auf den Punkt. Während beispielsweise Salesforce.com derzeit die Early Adopters und Visionäre anspreche, erreiche Oracle eher die Leute, die den Betrieb aufrechterhalten und die IT-Kosten senken müssten. Auf der Hausmesse müsse sich das zweitgrößte Softwarehaus nach Microsoft als Innovationsführer zeigen.
Und tatsächlich demonstrierte Oracle in San Francisco jede Menge Zukunftskonzepte. Ellison nutzte seine erste Keynote - eine zweite soll heute folgen -, um zu erklären, wie jetzt auch Oracle seine Datenbank komplett im Arbeitsspeicher laufen lassen und damit drastisch beschleunigen will. Zuerst hatte der historisch stärker auf Applikationen fokussierte deutsche Erzrivale SAP mit seiner HANA-Plattform diesen Weg eingeschlagen - und dabei auch seine Ambitionen in Oracles Stammgeschäft mit Datenbanksoftware deutlich gemacht. Ellison sprach davon, die hauseigene Datenbanktechnik mit Hilfe von In-Memory-Technologie um den Faktor 100 beschleunigen zu wollen. "Dinge, die früher Stunden dauerten, lassen sich bald in Sekunden erledigen", versprach er in seiner Eröffnungsrede.
Konkret sagte Ellison, dass Abfragen zu Analytics-Zwecken künftig 100mal so schnell vonstattengingen wie bisher und dass sich der Datendurchsatz bei der Transaktionsverarbeitung mit der In-Memory-Option verdopple. Transaktionen liefen besser in einer reihenbasierten Datenbank, Abfragen zu Analysezwecken in einem spaltenorientierten Speicher. Die seit Juni 2013 verfügbare Oracle-Datenbank 12c speichere Daten simultan in beiden Formaten, und die Informationen blieben garantiert konsistent.
Ellison, ganz im Marketing-Modus, versprach in seiner Keynote: "Der Kunde legt fest, wie viel Speicher er braucht. Er sagt uns, welche Partitionen oder Tabellen in den Speicher sollen, und er legt seine Analytics-Indexe fest. Abfragen laufen hundertmal so schnell wie vorher, Updates und Inserts zwei- bis dreimal so schnell."
Der Oracle-Chef betonte auffällig nachdrücklich die Einfachheit dieses Vorgangs sowie die angeblich immensen Vorteile. Nach Meinung von Analysten ist das kein Zufall. Neben SAP arbeiten auch IBM und Microsoft an In-Memory-Technologien - die Konkurrenzsituation spitzt sich zu. Für Oracle gilt es, die Kunden im eigenen Lager zu halten.
Wenig überraschend liefert Oracle auch die geeignete Hardware mit: Ellison präsentierte auf Basis der jüngsten SPARC-Generation die "M6-32"-Big-Memory-Machine mit bis zu 32 Terabyte DRAM-Arbeitsspeicher und doppelt so vielen Rechenkernen wie beim Prozessor-Vorläufer SPARC M5. Für Datenbanken, die im Hauptspeicher residierten, sei die rund drei Millionen Dollar teure Appliance die schnellste ihrer Art, sagte der Oracle-Gründer, der allerdings kein Wort über die traditionell hohen Gebühren für Softwarelizenzen und -wartung verlor.
In einer weiteren Pressekonferenz nahm auch Co-President Mark Hurd Stellung zur neuen In-Memory-Technik. "Ich mag es nicht, wenn Exadata oder unsere In-Memory-Optionen mit SAP HANA verglichen werden", sagte Hurd. HANA müsse programmiert werden. "Was wir präsentieren, hat damit nichts zu tun. Sie müssen nichts neu schreiben!" Die Techniken seien nicht vergleichbar. Die In-Memory-Option der 12c-Datenbank, die sich derzeit in einem "Vor-Beta-Stadium" befinde, werde nutzbar sein, indem man einfach einen Schalter umlege.
Hurd sagte auch, dass In-Memory-Computing für Oracle keinesfalls Neuland sei. Insbesondere im Rahmen der Caching-Software "Times Ten" beschäftige man sich schon seit langem intensiv damit.
Ein Kommentar von SAPs Technikchef Vishal Sikka via E-Mail ließ nicht lange auf sich warten. Darin heißt es süffisant: "Sie haben Recht, das ist nicht vergleichbar mit HANA. Die angekündigte In-Memory-Option von Oracle verfehlt das Thema, weil der Spalten-Speicher read-only ist. Dafür handelt es sich um eine redundante Nachbildung der Daten im Reihen-Speicher. Wir haben es also mit redundantem Speicher zu tun, der fünfmal mehr Platz braucht." Hinzu komme, dass es das Produkt noch gar nicht gebe. "Bitte kommt wieder, wenn die Technik verfügbar ist", ätzte Sikka.
Ähnlich bissig äußerte sich SAP-Sprecher Jim Denver: "Oracle versucht immer noch, Datenbankabfragen schneller zu machen, lässt aber die Chance aus, gleichzeitig das Data Management zu vereinfachen."
HCM-Software erneuert
Doch der Kampf um den Zukunftsmarkt In Memory war nicht das einzige Thema auf der OpenWorld. So kündigte Hurd eine neue Version der hauseigenen HCM-Software (Human Capital Management) an, die das Unternehmen im vergangenen Jahr mit dem Kauf der rund 1,9 Milliarden Dollar teuren Softwareschmiede Taleo erworben hatte.
Auch SAP hatte sich in diesem vermeintlichen Zukunftsmarkt durch die ebenfalls milliardenschwere Übernahme des Spezialisten SuccessFactors verstärkt. Doch Oracle orientiert sich hier offenbar eher am Cloud-Startup Workday (mit dem jetzt Salesforce.com enger zusammenarbeitet). Dessen Mitgründer und CEO David Duffield gehört zu den Lieblingsfeinden von Ellison. Duffield hatte als ehemaliger CEO von Peoplesoft lange der feindlichen Übernahme von Oracle getrotzt und schickt sich nach verlorener Schlacht nun an, im Revier des Softwareriesen zu wildern.
Insofern war es kein Zufall, dass Hurd vor der Presse intensiv auf Workday einging und dessen Versuch, neben dem HCM-Geschäft ein zweites Standbein mit Finance-Software aufzubauen, geißelte. HR-Software müsse mit der Finanzsoftware tief integriert sein, so Hurd. Hier habe Oracle mit seiner ausgereiften Finance-Suite einen großen Vorsprung.
Database-as-a-Service
Im Kerngeschäft mit Datenbanksystemen betonte Oracle die Fähigkeit der seit Juni verfügbaren Version 12c, innerhalb eines Unternehmens eine Vielzahl an Datenbanken unterschiedlicher Ausrichtung und Größe, ganz nach dem Bedarf der User, einrichten zu können. "Unsere Kunden sagen uns, sie möchten Database-as-a-Service haben - und zwar on Premise", erklärte Andy Mendelsohn, Senior Vice President für Datenbank-Techniken, in einer Rede.
Dies sei mit dem neuen "Pluggable"-Feature möglich. Dabei enthalte eine große Container-Datenbank viele eigenständige, angepasste Systeme, was den operativen Overhead deutlich reduziere. Künftig könnten IT-Abteilungen den Anwendern ein ganzes Menü an Datenbank-Optionen anbieten.
Mendelsohn zeigte zudem ein neues Self-Service-Provisioning-System, das die Auswahl und Zuordnung von Datenbanken für End User und Abteilungen stark beschleunige und erleichtere. Die Pluggable-Architektur biete zudem die für Cloud-Umgebungen wichtige Multitenancy-Fähigkeit: Kunden, die eine bestimmte SaaS-Applikation nutzen, könnten demnach einfach eine "Pluggable Database" darunter legen. Mit dieser Technik im Hintergrund werde es für SaaS-Anbieter sehr viel einfacher, neue Applikationen herauszubringen.
Erst vor wenigen Wochen hatten der CEO von Salesforce.com Marc Benioff und Oracle-Boss Ellison gemeinsam angekündigt, ein breites Spektrum an Oracle-Technologie werde auch in Zukunft das Rückgrat der Salesforce-Angebote darstellen.
Big Data im Griff
Auch auf den Megatrend Big Data gab Oracle Antworten. Künftig werde die Big Data Appliance von Oracle auch für das Open-Source-Framework Hadoop die Sicherheitsvorkehrungen bieten, die Unternehmen brauchen. Oracle hat die Maschine mit Kerberos- und LDAP-Authentifizierung ausgestattet und erlaubt in diesem Umfeld nun auch den Einsatz von "Oracle Audit Vault and Database Firewall". Damit lassen sich der Datenbank-Verkehr analysieren, Bedrohungen abwenden, das Compliance-Reporting erleichtern sowie Audits konsolidieren und vorbereiten.
Angekündigt wurden zudem Hadoop-Erweiterungen und die Funktion "Perfect Balance" für die Big Data Appliance. Sie ermöglicht es, Workloads für MapReduce-Jobs zu optimieren. (rb)