Igel schleppt den Erfolg der vergangenen Jahre in Deutschland wie eine Eisenkugel mit sich herum: Das Unternehmen ist in vielen vertikalen Märkten und beim Channel bestens für seine hochwertigen, und langlebigen Thin Clients bekannt, wird aber vielfach immer noch "nur" als Thin-Client-Anbieter gesehen. Tatsächlich dominiert Igel den stetig wachsenden Markt für Thin Clients in Deutschland - und das nun schon seit rund 15 Jahren - kann aber inzwischen viel mehr.
Die großen einstigen Mitbewerber, die nicht nur Konkurrenten, sondern auch Partner bei der Marktaufbereitung waren, legen inzwischen den Fokus nicht mehr so stark auf das Segment oder wurden von breiter aufgestellten Firmen übernommen - was denselben Effekt hatte. Der Markt an sich ist dennoch weiterhin überschaubar. Rasches Wachstum lässt sich alleine mit der Hardware nicht erreichen. Und auch als Software-Firma benötigt man, um langfristig zu überleben und von Großkunden ernst genommen zu werden, eine Größe, die man alleine durch das Geschäft im deutschsprachigen Raum kaum erreichen kann.
Nach einem ersten, unglücklichen Anlauf, mit der Hardware in die USA zu expandieren, fasste Igel-CEO Heiko Gloge daher den Entschluss, es noch einmal zu versuchen - und nahm die Sache selber in die Hand. Statt Vertriebsmitarbeiter zu engagieren, begab er sich selbst ins Silicon Valley und baute dort Igel als Software-Firma quasi neu auf. Dafür holte er erfahrene Manager aus der US-Technologiebranche an Bord.
Über den Umweg USA zu Rekordumsätzen
Die wiederum erreichten es, dass Igel in den vergangenen zwei Jahren zahlreiche Technologiepartnerschaften mit weltweit führenden US-Anbieter eingehen konnte oder vertieft hat. Davon profitiert nicht nur das Geschäft von Igel in den USA, sondern mittelfristig überall da, wo Igel und die Technologiepartner gemeinsam auftreten - also auch in Deutschland. Durch den Schritt ist Igel ein großes Stück weit "amerikanisch" geworden.
In Deutschland wäre er aber - zumindest in der kurzen Zeit - nicht möglich gewesen, meint Gloge. Er fürchtet auch nicht, dass dadurch die alten "Igel-Werte" verloren gehen - sondern ist vielmehr optimistisch, dass sich amerikanischer Pragmatismus und amerikanische Visionskraft mit hanseatischen Kaufmannstugenden und deutscher Ingenieurskunst erfolgreich vermählen.
Bisher geht das Konzept auf: Igel steigerte im vergangenen Jahr seinen Gesamtumsatz um rund 35 Prozent auf 150 Millionen Dollar und konnte die Anzahl der verkauften Software-Einheiten nahezu verdoppeln. 2019 wurden laut CEO Jed Ayres 749.000 "Seats" - also Einzelplatzlizenzen der Software und fünf Millionen Thin Clients verkauft. Damit ist die Igel-Software noch der kleinere Teil des Geschäfts, hat aber das deutlich größere Potenzial. Ayres sprach auf der Disrupt 2020 von 100 Millionen Virtual Workspaces, zu denen jährlich 15 Millionen neue hinzukommen, und 150 Millionen x86-Endgeräten. In den zahlreiche renommierte, große Kunden in den USA und ist nun bereit, sein Geschäft auch in Deutschland in diese Richtung zu erweitern.
Neuaufstellung des Channel-Teams bei Igel
Die Grundlagen dafür sind gelegt, indem auch das Führungspersonal hierzulande mit neuen Kräften verstärkt wurde, die die Hinwendung zum Software- und Großkundenvertrieb mit ihrer Erfahrung unterstützen können. Dem Unternehmen ist dabei wichtig, dass bisherige Partner und das Geschäft mit Hardware auch in kleinen Projekten keineswegs über Bord geworfen werden soll. Daher werden zum Beispiel die Geräte nach wie vor in Augsburg entwickelt und in Bremen gefertigt. Aber für das neue Geschäft ist Igel auch offen für neue Partner - beziehungsweise bereit, bestehende Partner mit auf die Reise zu nehmen.
Dafür gab es einige Änderungen in den Verantwortungsbereichen und wurden einige neue Stellen in der Channel-Betreuung geschaffen. Patrizia Fioretti, die seit Januar 2018 das deutsche Channel-Geschäft von Igel führte, ist seit Anfang 2020 als Vice President Channel EMEA für den europäischen Channel verantwortlich. Die Sales-Verantwortung in der Region Central Europe übernahm Armin Recha. Er war zuvor für Territory Sales in Deutschland zuständig.
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Um den Channel in Deutschland kümmert sich seit Anfang 2020 Markus Karli als Team Lead Channel. Karli betreut außerdem die Named Channel Accounts , Max Papesch in der Funktion des Manager Distribution Central Europe die Distributoren in der Region. In der Schweiz übernahm Céline Caraman die Stelle als Regional Sales Managerin für die Westschweiz. Sie kommt von Cisco. Für die neu geschaffene Position des Channel Managers für Österreich und die Schweiz wird noch eine Person gesucht, ebenso wie ein Nachfolger für Dieter Tolksdorf, der seit 2013 Chef von Igel in der Schweiz war, das Unternehmen nun aber Ende März verlässt.
Trend zum "Modern Workplace" hilft Igel
Dabei kommen dem Unternehmen zwei wichtige Entwicklungen im Markt zugute: Microsofts Drang in die Cloud und die zunehmende Rastlosigkeit der Mitarbeiter in Firmen. Microsoft als immer noch wichtigste Kraft bei der Ausgestaltung von Computerarbeitsplätzen ermutigt seine Kunden energisch in die Cloud zu gehen, vor allem durch die Nutzung von Office 365, wo wiederum nach Aussagen vieler Beteiligter Microsoft Teams für Kunden besonders attraktiv ist.
Das sorgt im Verein mit der zunehmenden Popularität cloud-basierender Kollaborations- und Produktivitäts-Tools anderer Anbieter in vielen Fällen für eine Auflösung des klassischen Arbeitsplatz-PCs: Er wird immer unwichtiger, dagegen wird die Möglichkeit des sicheren, einfachen Zugriffs von unterschiedlichen Geräten auf die Anwendungen wichtiger.
Igel profitiert vom Aufschwung der DaaS-Anbieter
Genau hier positioniert sich Igel heute erfolgreich. Rückenwind bekommt der Anbieter durch die enge Zusammenarbeit mit Microsoft beim Windows Virtual Desktop. Auf seiner Ende Januar und Anfang Februar in Nashville und München abgehaltenen Hausmesse stellt Igel zum Beispiel den ersten Linux-Client für Microsoft Virtual Desktop vor und ist laut Scott Manchester, Group Program Manager Microsoft Windows Virtual Desktop, neben Samsung und HP einer der drei Hardware-Partner für diesen Bereich.
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Parallel dazu arbeitet Igel weiterhin eng mit Citrix zusammen - dem klassischen Software-Lieferanten für Thin-Client-und Terminal-Server-Umgebungen. Darüber hinaus wird Igel für AWS, VMware und sogar Nutanix interessant, die ihre Desktop-as-a-Service-Angebote (Amazon Workspaces respektive Horizon Cloud und Nutanix Xi Frame) am Markt positionieren wollen. Der Vorteil von Igel als vergleichsweise kleiner aber mit seinem "Edge OS" feiner Partner ist, dass man sich gegenseitig wirklich ergänzt und nur wenige Überschneidungen hat.
Zudem hilft Igel, die von Firmen in DaaS- oder Cloud-Workspace-Projekten erwünschten Kostensenkungen tatsächlich herbeizuführen. Denn mit dem neuen, software-fokussierten Geschäftsmodell rückt der Verkauf (und damit auch die Evaluierung und Implementierung) von Hardware für Igel in den Hintergrund.
Kunden schätzen an der Igel-Software, dass sie zunächst vorhandene Hardware umwidmen und weiterhin benutzen können - oft sogar wesentlich länger, als wenn sie nichts unternehmen. Sie müssen erst bei echtem Bedarf und dann auch nur da, wo es sinnvoll ist, auf Thin Clients umsteigen. Ein wunder Punkt ist zum Beispiel immer noch der Bereich "mobile Thin Clients". Er kann aber durch die Software umschifft werden, wie Igel versichert.
Vorstoß in den Enterprise-Markt
"Vor allem bei Enterprise Kunden werden Architekturentscheidungen primär von der Software-Seite getroffen", erklärt Igel europäischer Vertriebschef Jörg Kurowski. Mit Igel Edge OS for Cloud Workspaces und der dazugehörigen Universal Management Suite könne man diesbezüglich "nun mitreden". In den USA liefen bereits Testinstallationen bei Großkunden mit mehr als 100.000 Endgeräten. Aber auch in Deutschland nimmt das Geschäft Fahrt auf. So konnte man etwa einen Konzern mit 15.000 Software-Lizenzen als Kunden gewinnen.
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Befürchtungen, das neue Geschäft könnte am Channel vorbeigehen, zerstreut Channel-Chefin Fioretti nachdrücklich: "Igel bekennt sich 100 Prozent zu seinen Partnern. Bei uns findet weiterhin kein Geschäft ohne Partner statt." Dafür habe man schließlich in Deutschland ein erfolgreiches Partnermodell aufgebaut. Das werde nun sukzessive auch in anderen Regionen eingeführt. Wie erfolgreich das war, wird man auf der Disrupt 2021 feststellen können. Der Termin steht schon fest: 2. bis 4. Februar 2021 in München.