Kein anderes Unternehmen hat die Entwicklung der Informationstechnologie, ihren Markt und ihre Nutzung so beeinflusst wie IBM - im Guten, aber auch im Schlechten.
von Christoph Witte
Zurzeit strotzt IBM wieder vor Solidität und Selbstvertrauen. Das letzte Geschäftsjahr 2010 verlief glänzend, die Zahlen des ersten Quartals 2011 weisen auf ein ebenfalls gutes Jahr 2011 hin. Dabei wird das Geschäft mit Software für die IBM immer bedeutender. Bereits im Jahr 2010 brachte sie es in diesem Geschäftsbereich auf rund 22,5 Milliarden Dollar Umsatz bei einer Bruttomarge von sage und schreibe 86 Prozent.
Damit liegt die Gewinnspanne in diesem Segment mehr als doppelt so hoch wie in jedem anderen Bereich. Nach den Global Technology Services ist Software inzwischen außerdem der zweitgrößte Umsatzträger noch vor den Global Business Services (18,2 Milliarden Dollar) und vor Systems and Technology ( 17,9 Milliarden Dollar). IBM-Chef Samuel Palmisano, der den Jubilar seit 2001 regiert, hat offenbar vor, dieses Geschäft weiter auszubauen. In der im letzten Geschäftsbericht vorgelegten Roadmap soll allein der Bereich analytische Software bis 2015 einen Umsatz von 16 Milliarden Dollar einfahren.
Damit hängt das Wachstumsszenario der IBM vor allem vom Erfolg im Softwarebereich ab. Selbst vom so hochgejazzten Thema Cloud Computing erwarten die Armonker weit weniger. Es soll 2015 "nur" Einnahmen von sieben Milliarden Dollar bringen.
Die relativ neue Liebe zum Thema Software löst unter Branchenkennern und Beobachtern Spekulationen über die Zukunft der IBM aus. Richard Seibt, selbst bis 1998 Manager und Mitglied der Geschäftsführung von IBM Deutschland (Mr. OS/2) ist sicher, dass der Konzern ein Softwareunternehmen wird. Das würden die bereits getätigten und noch geplanten hohen Investitionen in Technologie und Zukäufe belegen.
"Die IBM ist dabei, in der Software Solutions Group vertikale Industry Frameworks aufzubauen, die es erlauben, verschiedene standardisierte Applikationen verschiedener Hersteller ganz einfach miteinander zu verzahnen." Auf diese Weise, so Seibt weiter, entständen branchen- oder sogar kundenspezifische Lösungen, die für die Anwender viel leichter zu handhaben seien als die großen ERP-Monolithen von SAP und Oracle.
"Es werden Appstores für Unternehmen entstehen."
"Die IBM hat damit einen Prozess eingeleitet, der das Zeitalter der Großsoftware von SAP oder Oracle durch kleine Software-Schnellbote ablösen wird. IBM wird die Softwarehersteller im gleichen Maße unter Druck setzen, wie die IT-Anbieter die IBM im Client-Server-Zeitalter unter Druck gesetzt haben", prognostiziert Seibt, der heute dem Verein Open Source Business Foundation vorsteht und verschiedene Startups im Hightech-Sector berät.
In diesen leicht integrierbaren Software-Schnellboten sieht er auch den tieferen Sinn von Cloud Computing. "Es werden Appstores für Unternehmen entstehen." An die große Einnahmequelle Analytics glaubt Seibt dagegen noch nicht: " Da ist viel Hype dabei und man kann noch nicht sagen, was sich da durchsetzt."
"Bei der IBM ging es immer um Daten, um Transport, Speicherung und Vernetzung von Daten"
Rüdiger Spies, Analyst bei IDC und von 1987 bis 1994 ebenfalls bei IBM angestellt, rechnet damit, dass der IT-Hersteller seine Vergangenheit auch zur Zukunft macht: "Bei der IBM ging es immer um Daten, um Transport, Speicherung und Vernetzung von Daten. In Zukunft wird die Datenanalyse und ihre Verwendung in Business-Applikationen stärker im Mittelpunkt stehen." Das Watson-Experiment, in dem IBM im Frühjahr dieses Jahres einen Supercomputer gleichen Namens in der Quiz-Show Jeopardy! gegen zwei menschliche Kontrahenten antreten ließ, hält er für ein wichtiges Signal.
"Angesichts der enormen und weiter exponentiell steigenden Datenmengen werden intelligente Analysesysteme immer wichtiger, die Entscheidungen unterstützen können. IBM setzt auf diese Karte." Und hat offenbar schon Einiges in diesem Feld erreicht; jedenfalls gewann Watson gegen seine menschlichen Kontrahenten.
Ähnlich sieht das Heinz-Paul Bonn, Vizepräsident des Branchenverbandes BITKOM und Gründer des Softwarehauses GUS-Group, das mit der IBM eine langjährige Partnerschaft unterhält. "Die Zukunft der IT ist vertikal. Sie wird ein strategischer Gestaltungsfaktor in allen Branchen. Und wenn Sie sehen, wie die IBM für alle Schlüsselindustrien Modelle aufbaut, um Brücken zwischen der IT und den Kernaufgaben in diesen Industrien zu schlagen, dann ist das schon sehr faszinierend." Die IT werde integraler Bestandteil von Innovationsprozessen in jeder Branche, und das habe die IBM begriffen. Bonn sieht Big Blue derzeit besser auf die neue Rolle der IT vorbereitet als die anderen großen Spieler.
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IBMs Smarter Planet
"Sie sind für mich einer der wenigen globalen IT-Provider, die den IT- und Technologiebegriff immer breiter interpretieren und sich auch entsprechend positionieren. Sie wachsen aus der IT-Abteilung heraus", erklärt PAC -Analyst Stephan Kaiser. IBM gehe davon aus, dass künftig IT-Entscheidungen noch häufiger außerhalb der IT getroffen werden, zum Beispiel im Vertrieb oder in der Produktion.
Mit der 2008 aufgelegten Kampagne "Smarter Planet" zeige die IBM andererseits, welchen Beitrag sie bei der Bewältigungen der großen Herausforderungen wie Energie, Klimawandel, Ernährung, Verkehr oder Gesundheit leisten will, die sie mit eingebetteten Technologien und Services adressiere. Kaiser: "Das ist für mich ein großer Unterschied zu vielen anderen IT-Playern, die ihren Transformationsprozess doch noch sehr viel enger im IT-Umfeld fokussieren."
Andreas Zilch, Vorstand des Research-Unternehmens Experton Group, beurteilt das Software-Szenario des einstigen Mainframe-Konzerns skeptisch: "Insgesamt sehe ich nicht, dass sich IBM zu einer Software Company entwickelt. Die Anstrengungen und Investitionen im BI-Bereich (Business Intelligence) werden nicht die ganze Company umkrempeln." Auch den durch Cloud Computing aufblühenden Markt für Software as a Service hält Zilch nicht unbedingt für eine IBM-Domäne: "Wenn sie da nicht aggressiver agieren, kommen sie unter die Räder. Wer wirklich marktführend im SaaS Markt werden will, muss sein Geschäftsmodell im Software-Bereich komplett ändern."
IBM - die letzten 100 Jahre
"Die Stars der IT-Branche wechseln, aber die IBM ist immer unheimlich stabil gewesen", zieht Zilch eine Bilanz der IBM-Vergangenheit. Dieses Merkmal stellt er vor allen anderen heraus, seien sie technischer oder wirtschaftlicher Natur. Dabei herrscht in der hundertjährigen Existenz der IBM wahrlich kein Mangel an bedeutenden Erfindungen, Richtungsänderungen und Flops.
Die wechselvolle Geschichte der IBM lässt sich am besten chronologisch darstellen. Das bringt zumindest etwas formale Ordnung in eine keineswegs geradlinige Entwicklung, die die Spin Doctors des Konzerns in der Rückschau natürlich gerne als eine natürliche Folge großer strategischer Entscheidungen wirken lassen wollen. Dabei war oft jede Menge Zufall im Spiel, und die IBM war keineswegs immer der Treiber der Entwicklung. Manchmal reagierte sie nur und manchmal auch das noch zu spät. Und einmal stand sie kurz vor dem Ende.
Die 80-Spalten-Lochkarte (1928) und die Anfänge der IBM
Zwar gab es auch vor dieser von IBM patentierten "Punchcard" schon Lochkarten, aber die Weiterentwicklung der von Herrman Hollerith erfundenen Hollerith-Lochkarte in ein 80-Spalten-System beeinflusste nicht nur die gesamte spätere Software-Entwicklung, sondern verschaffte der IBM auch ihr erstes Monopol im Bereich Tabelliermaschinen, das sie später auf Lochkartendrucker, Lochkartenleser und letztlich auf die digitalen Universalrechner (vulgo Großrechner) ausdehnen konnte. Hollerith übrigens ist einer der Urväter der IBM.
Sein Unternehmen, die Tabulating Machine Company, verschmolz 1911 mit der Computing Scale Corporation und der International Time Recording Company zur Computing Tabulating Recording Corporation, die 1924 in International Business Machines Corporation (IBM) umfirmierte. Der erste Chef der IBM war Thomas J. Watson, der das Unternehmen bis 1955 leitete.
Dem als genialer Verkäufer geltenden Watson Senior wird eine berühmte Fehleinschätzung zugeschrieben, die er 1943 geäußert haben soll, für die es aber keinen Beleg gibt: "Ich glaube, dass es auf der Welt einen Bedarf von vielleicht fünf Computern geben wird."
Gündung des Watson Scientific Computing Laboratory (1945)
Das Forschungslabor wurde 1945 an der Columbia University gegründet. Hier wurden nicht nur legendäre Computerkonzepte entwickelt wie der IBM Selective Sequence Electronic Calculator (SSEC) mit seinen 12500 Röhren und 21400 Schaltrelais oder der erste Supercomputer Naval Ordnance Research Calculator (NORC), der von 1954 bis 1963 der leistungsstärkste Computer der Welt war.
Das Watson Lab war auch der Vorläufer der IBM Research Division, die heute sieben große Forschungseinrichtungen betreibt. Auch das Watson-Experiment entsprang dem Watson Laboratory. Noch wichtiger aber ist, dass die Forschungslabore und Knowledge-Center die IBM zum Patentkrösus gemacht haben. Das Unternehmen meldete allein 2010 knapp 5900 Patente in den USA an und verteidigte damit zum 18. Mal in Folge den Spitzenplatz unter den amerikanischen Patentanmeldern.
Insgesamt hält die IBM über 40000 aktive Patente weltweit. Das ist nicht billig. Big Blue gibt rund sechs Milliarden Dollar pro Jahr für Forschung und Entwicklung aus, doch daraus entstehen auch Einnahmen. Laut dem US-Wirtschaftsmagazin" Businessweek" steckte IBM in den ersten drei Quartalen 2009 rund 5,8 Milliarden Dollar in Forschung und Entwicklung. Die daraus resultierenden Lizenzgebühren von anderen Anbietern beliefen sich auf rund 1,1 Milliarden Dollar.
Consent Decree (1956) - IBM und die Kartellwächter
IBM wurde 1956 auf Anordnung des US-Distriktgerichts New York aufgefordert, seine Tabelliermaschinen und seine "elektronischen Datenverarbeitungsmaschinen" nicht nur zu vermieten, sondern auch zu verkaufen. Dabei durfte es die Käufer nicht schlechter stellen als die Mieter. Außerdem forderte das Gericht den Hersteller auf, Ersatzteile und Informationen an Firmen weiterzugeben, die unabhängig von ihm Wartung für dieses Equipment anboten.
Übrigens wurden praktisch alle Antitrust-Verfahren gegen die IBM - das erste bereits im Jahr 1936 - entweder niedergeschlagen oder durch Consent Decrees, also nicht anfechtbare richterliche Anordnungen, geregelt. Das längste Antitrust-Verfahren gegen die IBM dauerte 13 Jahre, von 1969 bis 1982. Als Ronald Reagan amerikanischer Präsident wurde, ordnete das amerikanische Justizministerium die Beendigung des Verfahrens an. Auch die europäischen Kartellwächter bissen sich an Big Blue die Zähne aus.
Die IBM /360 (1964) - der erste Universal-Großrechner
Noch heute, 47 Jahre nach ihrer Einführung gilt die /360- Familie als wichtigste "Erfindung" der IBM. Sie war der erste Universal-Großrechner. Die Architektur- und Design-Prinzipien, die ihr Entwickler Gene Amdahl und seine Kollegen damals anlegten, gelten teilweise heute noch und wirken bis in das aktuelle IBM System z nach. Vor der /360 war praktisch jeder Computer ein Unikat, optimiert für bestimmte Aufgaben und Kunden.
Das System /360 dagegen, das zunächst aus sechs verschiedenen, aber kompatiblen Modellen mit mehr als 40 Peripheriegeräten bestand, konnte für alle Arten von Anwendungen eingesetzt werden. Alle Maschinen der /360 nutzen das gleiche Betriebssystem. Die Kompatibilität des Systems erlaubte es Anwendern erstmals, bei größerem Bedarf von kleineren, billigeren Maschinen auf größere Systeme umzusteigen, ohne die Software komplett umschreiben oder sämtliche Peripherie austauschen zu müssen. Mit der /360 führte die IBM die sogenannte Auf- und Abwärtskompatibilität ein.
So konnten über Emulationen ältere Programme auf den Systemen laufen. Bedeutender war aber, dass die Software auch mit den nachfolgenden Systemen /370 (1970) und /390 (1990) kompatibel gehalten wurde. 1964 produzierte die IBM rund 70 Prozent aller Computer. Nach der Einführung der Rechnerfamilie stieg der Marktanteil so weit an, dass in den 70er Jahren die meisten frühen Mitbewerber der IBM aufgegeben hatten und nur fünf Konkurrenten übrig geblieben waren. Zu dieser sogennanten "Bunch"-Gruppe gehörten die Hersteller Burroughs, Univac, NCR Control Data und Honeywell. 1977 stellte die IBM die Unterstützung für die /360 ein.
Zwar sollen nach Angaben der IBM fünf Milliarden Dollar in das Projekt 360 geflossen sein und bis zu 50000 IBMer daran gearbeitet haben; aber der Aufwand hat sich gelohnt. Zum einen etablierte der Konzern den Universalrechner, und zum anderen das Prinzip der Kompatibilität. Damit sanken die Investitionskosten für neue Computer-Ausrüstung gewaltig, was sich in einem sprunghaften Anstieg der Installationen ab Mitte der 60er zeigte. Aber es brachte den Anwenderunternehmen auch den berühmt berüchtigten Lock-in.
Zwar waren Software, Hardware und Peripherie in der Mainframe-Welt der IBM miteinander kompatibel, also austauschbar, aber gegenüber dem Rest der IT-Welt waren sie es nicht. Für den Anwender bedeutete es deshalb immense zusätzliche Kosten, wenn er den Hersteller wechseln wollte. Also hieß es grob vereinfacht: Einmal IBM, immer IBM. Mit der /360 hatte die IBM den märchenhaften Goldesel ins Reich der IT geholt.
Unbundling (1969) - Hardware und Software werden getrennt verkauft
Den getrennten Verkauf von Hardware, Software und Service begann IBM nicht zuletzt als Reaktion auf die im gleichen Jahr beginnende Antitrust-Untersuchung. Mit dieser Entkopplung führte sie zwei neue, wichtige Geschäftsmodelle ein. Das Softwaregeschäft organisierte sie als Lizenzgeschäft, dessen Einnahmen sich an der Leistungsfähigkeit der beim Kunden installierten Hardware orientierten. Je größer eine Maschine war, desto mehr Lizenzgebühren musste der Kunde zahlen.
Auf diese Weise konnte die IBM für das gleiche Betriebssystem unterschiedliche Preise verlangen - ein sehr profitträchtiges Geschäft. Das Servicegeschäft hatte noch einen zusätzlich positiven Effekt: Es handelte sich um wiederkehrende Einnahmen. Solange ein Unternehmen Hardwarekunde der IBM war, war die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass es auch den Service von dort bezog.
Doch auch auf den Rest der Computerindustrie hatte das Unbundling positive Auswirkungen. Solange sich Anbieter an die von IBM vorgegebenen Standards hielten, konnten sie mitverdienen, indem sie Services und Software unabhängig von der IBM anboten.
RISC Reduced Instruction Set Computer (1975) - die Unix-Workstations kommen
IBM-Forscher John Cocke entwickelte die zugrunde liegende Architektur. IBM präsentierte mit der IBM 801 als erster Hersteller eine RISC-CPU, kommerzialisierte sie aber nicht. Erst als die Konkurrenz sehr erfolgreich Unix basierende RISC-Workstations und später auch Server auf Unix-Basis verkaufte, reagierte die IBM und brachte die RS/6000-Familie (1990) mit dem IBM-eignen Unix-Derivat AIX auf den Markt.
Der späte Einstieg in dieses Segment der Workstations und der Unix-Server machte der IBM über Jahre hinweg schwer zu schaffen. Die alten Abwehrmechanismen der Mainframe-Welt funktionierten hier nicht, andere Hersteller übernahmen die Markt- und Innovationsführung in diesem Segment.
IBM PC (1981) - eine neue Ära in der IT
Der IBM-PC erschien 1981 auf dem Markt. Mit ihm begann eine neue IT-Ära. Die Kernkomponenten des ersten Personal Computers, der als schnelle Reaktion auf das aufblühende Mikrocomputergeschäft (zum Beispiel Apple II) gedacht war, entwickelte die IBM nicht selbst. Aus Zeitgründen wurde die CPU (8088) von Intel und das Betriebssystem (PC-DOS) von einer kleinen 22-Mann starken Company namens Microsoft gekauft.
Dank seines vergleichbar geringen Preises (1565 Dollar), seiner standardisierten Architektur und seiner Erweiterbarkeit über Steckplätze wurde der IBM-PC ein Verkaufsschlager. Doch sein Erfolg sollte sich für die IBM als Pyrrhussieg erweisen. Er entwickelte sich zum sogenannten Industriestandard, der zwar nie offiziell zertifiziert wurde, an den sich aber die aufkeimende PC-Industrie gleichwohl hielt. Damit war erstmals eine weitverbreitete Rechnerarchitektur auf dem Markt, hinter der sich etliche Hersteller versammelten und die nicht von der IBM kontrolliert wurde.
Mit dem PC förderten die Armonker unfreiwillig einen riesigen offenen Computermarkt und bereiteten die späteren Monopole von Microsoft und Intel vor. Alle Versuche, den PC wieder in ein proprietäres System zurückzuverwandeln (PS/2 und OS/2) scheiterten. Für das anfangs sogar mit Microsoft zusammen entwickelte Betriebssystem OS/2 kämpfte die IBM fast zwei Jahrzehnte. Das 1987 angekündigte PC-Betriebssystem wurde bis in die ersten Jahre des neuen Jahrhunderts weiterentwickelt. Erst Ende 2006 stellte IBM den Standardsupport für OS/2 ein.
AS/400 (1988) - Midrange-Systeme bedrohen den Mainframe
Auch in die Midrange-Welt stieg die IBM nicht unbedingt auf eigene Initiative ein. Als sie 1977 die /34 auf den Markt brachte, war das eine Reaktion auf die inzwischen sehr populär gewordenen Minicomputer zum Beispiel von Digital Equipment (PDP,VAX), Data General, Apollo oder Hewlett-Packard (HP 2000, später 3000). Der späte Einstieg in diesen Markt dürfte ebenfalls dem Einfluss der Mainframe-Fraktion der IBM geschuldet gewesen sein. Die Arroganz dieser Truppe kannte nur wenig Grenzen.
Doch die vergleichsweise leistungsstarken und preiswerten Midrange-Rechner - eine PDP-8 kostete 1964 rund 16.000 Dollar - fanden zum einen neue Kunden, die sich keine IBM-Großrechner leisten wollten, und zum anderen wurden sie in Abteilungen oder Niederlassungen von Großunternehmen eingesetzt, um die IT-Bedürfnisse dieser Einheiten schnell und preiswert sowie unabhängig von der Zentrale zu befriedigen. In der IT setzte in den 70er durch diese preiswerten Systeme eine Dezentralisierung der Datenverarbeitung ein. Die zentrale IT, in der die IBM nach wie vor stark war, verlor zunehmend an Einfluss.
Die /34, /36, /38 und 1988 die legendäre AS/400 waren IBMs Antwort auf die verteilte Datenverarbeitung. Mit der AS/400 gelang es ihr nach dem System /360 noch einmal, ein geschlossenes Rechnersystem aufzubauen. Sie kontrollierte sämtliche Komponenten, das Betriebssystem und über ein großes Partnernetzwerk die Anwendungssoftware für die vergleichsweise einfach zu bedienende und hochintegrierte Plattform. Die AS/400 wurde mit integrierter Datenbank und Office-Anwendungen ausgeliefert.
Louis Gerstner (1993) - wie IBM aus seiner schwersten Krise kam
1987 war IBM mit einem Börsenwert von 106 Milliarden Dollar das am höchsten bewertete Unternehmen der USA. Doch Ende des Jahrzehnts und Anfang der neunziger Jahre stürzte die IBM in die schwerste Krise seiner Geschichte. Der alte Slogan "Nobody gets fired for buying from IBM", galt nicht mehr. Die Mainframes gerieten in den Ruf einer zu teuren, unflexiblen und aussterbenden Rechnerklasse. Doch die IBM machte damals 60 Prozent ihrer Profite mit den Dinos.
Midrange-Systeme und das aufblühende Client-Server-Paradigma machten dem blauen Riesen schwer zu schaffen. Im PC- Workstation- und Unix-Segment galt IBM nicht mehr als führend, kurz: das Unternehmen hatte seine Innovationskraft eingebüßt. Der damalige Chef John Akers musste zehntausende Mitarbeiter entlassen - ein bis dahin völlig unbekanntes Phänomen bei IBM. Der Konzern geriet massiv in die roten Zahlen und wies 1992 einen Verlust von knapp fünf Milliarden Dollar aus. Die Insolvenz drohte. Auf Anraten hochkarätiger Berater begann Akers, die Zerschlagung der IBM vorzubereiten.
Als Louis Gerstner im April 1993 als vielbelächelter Seiteneinsteiger (Cookie-Monster) die IBM übernahm, traf er schnell zwei weitreichende Entscheidungen: Er verhinderte die Zerschlagung der IBM und konzentrierte das Unternehmen auf das Service-Geschäft (siehe auch: Wie Gerstner IBM aus der Krise führte. Gleichzeitig trennte er sich von unprofitablen Geschäftsbereichen und nahm die Auslandstöchter wieder an die kurze Leine.
Die IBM sei mehr als die Summe ihrer Teile, ließ er mehrmals verlauten. Der Manager schaffte es, das große technische Know-how mit den über Jahrzehnte gewachsenen Branchenkenntnissen der IBM so zu kombinieren, dass der Konzern im aufblühenden Service-Geschäft Erfolge feiern konnte. Der starke Trend zum Outsourcing half beim Auf- und Ausbau des Service-Geschäftes.
Gleichzeitig erlaubte Gerstner den Hardware herstellenden Bereichen, ihre Komponenten auch an Konkurrenten zu vertreiben. Auf diese Weise wuchs das "OEM-Geschäft zu einer milliardenschweren Einnahmequelle heran", berichtete Wolfgang Herrmann in der Computerwoche bereits 2002 anlässlich der Inthronisierung von Sam Palmisano, der den Chefsessel am 1. März 2002 von Louis Gerstner übernahm.
Sam Palmisano übernimmt den Chefsessel
Als Palmisano antrat, war das Service-Geschäft mit einem Jahresumsatz von 35 Milliarden Dollar mit Abstand die stärkste Einnahmequelle der IBM. Diese Politik verfolgte der neue CEO weiter. Heute liegt der Serviceanteil am IBM-Geschäft bei mehr als 50 Prozent. Vom Gesamtumsatz, der sich 2010 auf 99,87 Milliarden Dollar belief, entfielen 56,4 Milliarden Dollar auf die beiden Servicebereiche Global Technology Services und Global Business Services mit einer kombinierten Bruttomarge von rund 31 Prozent.
Doch auch Gerstner hätte den Turnaround nicht ohne die riesige installierte Basis der IBM geschafft. Die vielen Tausend Enterprise-Kunden hofften ebenso auf ein Wiedererstarken von Big Blue wie die IBMer selbst. Sie waren in ihren IBM-dominierten RZ-Welten gefangen. Ein Umstieg auf andere zentrale Systeme hätte für sie enorme IT-Investitionen bedeutet; ein Aufwand den sie weder leisten wollten noch konnten.
Lotus-Übernahme (1995) - IBM wird zum Softwareriesen
Die Übernahme von Lotus Software, deren Ruhm auf dem Erfolg des PC-Tabellenkalkulationsprogramms Lotus 1-2-3 basierte, gab der IBM Zugriff auf Web-Technologien, Groupware und Java-basierende Komponenten. IBMs gesamte Collaboration-Strategie fußt heute auf der Weiterentwicklung der Technologien, die sie sich mit Lotus eingekauft hatte.
Gleichzeitig bedeutete der Zukauf von Lotus auch den Beginn einer neuen Akquisitionsstrategie. IBMs frühere Übernahmen waren kleiner, seltener und technologisch nicht so bedeutsam. Doch mit der gelungenen Akquisition des Softwarehauses hatte sie einen zusätzlichen Weg entdeckt, ihre technologischen Lücken zu schließen. So kaufte sie 1996 für über 740 Millionen Dollar, den Systemmanagementspezialisten Tivoli Systems Inc., 1999 folgte mit Sequent Computer Systems die 800 Millionen Dollar teure Übernahme eines Herstellers von Multiprozessorsystemen.
Zwischen 2001 und 2011 übernahm IBM 105 Unternehmen. Die größte Akquisition darunter war mit einem Kaufpreis von 3,5 Milliarden Dollar der Beratungsarm von Pricewaterhouse Coopers. Damit öffnete IBM 2002 die Tür in die strategische IT- und Unternehmensberatung. Diese Übernahme war die letzte strategische Weichenstellung auf IBMs Weg zur Service-Company. Danach erhöhte sich die Akquisitionsgeschwindigkeit weiter und die Übernahmen richteten sich auf andere Ziele. Der Schwerpunkt verlagerte sich auf Software und da auf die Themen Datenmanagement, Datenanalyse, Sicherheit und Integration.
E-Business (1997) - eine Vision für die neue IBM
Die 1997 gestartete Kampagne, die das Wort E-Business als Synonym für digitalisierte Geschäftsprozesse und für E-Commerce etablierte, ist vor allem deshalb so erwähnenswert, weil sie erstmals alle Produkte und Services der IBM in eine Beziehung zu einander stellte. Diese Kampagne wirkte vielleicht sogar noch stärker nach innen als nach außen. Sie gab der IBM wieder einen gemeinsamen Zweck, eine Fahne, hinter der sich die Mitarbeiter versammeln und in die Internetwelt aufbrechen konnten. Sie war der Ersatz für die Vision, die Louis Gerstner sich hartnäckig geweigert hatte, für die IBM zu formulieren.
IBM arbeitete in der Folge intensiv an einem Imagewechsel: vom bösen Saulus mit proprietären Systemen, langfristigen Outsourcing-Verträgen und superteuren Mainframes hin zu einem Paulus, der sich für Standards und offene Systeme einsetzt. Ein Meilenstein auf diesem Weg war eine Ankündigung im Dezember 2000. Gerstner erklärte in New York, die IBM werde im kommenden Jahr eine Milliarde Dollar in Linux investieren.
Gerstner zog damals in absoluter Negation der eigenen Vergangenheit gegen die Konkurrenz vom Leder: Firmen wie Sun oder Microsoft seien die "letzten großen proprietären Spieler". Überraschenderweise nahmen viele Branchenbeoachter und Kunden der IBM das neue Glaubensbekenntnis für bare Münze - und wurden bestätigt. Tatsächlich unterstützte IBM Linux und die Open-Source-Bewegung mit Personal- und Sachleistungen und passte Linux sogar für den Betrieb auf ihren Mainframes an.
Linux und andere Open-Source-Software wurde im Business-Sektor zunehmend als ernsthafte Alternative zu anderen Systemen gesehen. Die IBM mutierte zum "guten Spieler"; auch wenn sich an der sonstigen Politik des Herstellers wenig änderte.
Verkauf der PC-Sparte (2004) - IBM trennt sich von unprofitablen Segmenten
Der Verkauf der PC-Sparte an Lenovo Ende 2004 markiert einerseits den endgültigen Abschied von einem "ungewollten Kind", wie Heinz-Paul Bonn das PC-Geschäft der IBM nennt. Andererseits dokumentiert der Verkauf auch einen Geschäftsstil, den die IBM Zeit ihrer Geschichte pflegte: Produktsegmente, die Commodity wurden, gliederte der Konzern entweder aus oder verkaufte sie.
So wurde beispielsweise das Druckergeschäft in das Unternehmen Lexmark eingebracht (1991), das IBM Global Network an AT&T veräußert, und das Festplattengeschäft an Hitachi (2002) verkauft. Mit der Übernahme des BI-Anbieters Cognos im Jahr 2007 zeigte sich der neueste Ehrgeiz der IBM: Software. (wh)
Jahr |
Ereignis |
1928 |
Patentierung der 80 Spalten Lochkarte |
1945 |
Die Gründung des ersten Forschungslabors, des Watson Scientific Computing Laboratory |
1956 |
Concent Decree |
1964 |
IBM /360 |
1969 |
Unbundling |
1975 |
Erste Risc-Maschine auf Unix-Basis als Urvater der 6150 und der RS/6000 |
1981 |
Der PC |
1988 |
AS/400 |
1993 |
Louis Gerstner |
1995 |
Übernahme von Lotus |
1997 |
Die E-Business-Kampagne |
2000 |
IBM investiert 1 Milliarde Dollar in Linux |
2002 |
Die Übernahme des Consulting-Arms von Pricewaterhouse Coopers |
2004 |
Verkauf des PC-Geschäfts an Lenovo |
2007 |
Übernahme von Cognos (und SPSS 2009) |
2011 |
Der Supercomputer "Watson" gewinnt in der Quizz-Sendung Jeopardy! gegen zwei menschliche Ratefüchse |