HPE kauft Juniper für 40 Dollar pro Aktie - insgesamt also rund 14 Milliarden Dollar. Die Kaufabsicht war kurz vor der offiziellen Bekanntgabe bereits durchgesickert. Mit der Übernahme stärkt HPE sein Netzwerkgeschäft deutlich. Von einem "Angriff auf Cisco" zu sprechen, wäre jedoch vermessen. Dazu ist der Abstand im Markt einfach zu groß - auch wenn die beiden technisch der Nummer eins in einigen Segmenten durchaus am Zeug flicken können.
Zum Beispiel sehen Analysten wie Gartner sowohl Juniper als auch HPE in einigen Bereichen, darunter Enterprise-WLAN und Enterprise-Netzwerke, in Bezug auf weiche Faktoren wie Vision und Umsetzungsfähigkeit vor Cisco. Der Branchenprimus kommt aktuell jedoch nahezu durchgängig auf den doppelten oder dreifachen Marktanteil - einen Vorsprung also, der nicht so schnell aufzuholen ist.
So entfallen auf Cisco etwa im Bereich Ethernet-Switches gemessen am Umsatz rund 40 Prozent des Marktes, auf HPE knapp 8 Prozent. Im Marktsegment Enterprise-WLAN ist das Verhältnis mit 43 zu 12 Prozent nahezu ebenso groß. Es geht also bei der Transaktion - je nach Teilsegment - in der Praxis mittelfristig eher darum, die Position als Nummer zwei zu festigen - oder sie überhaupt erst zu erreichen.
"HPE wird eine neue Firma"
Dennoch gibt sich HPE-Chef Antonio Neri natürlich kämpferisch und erklärt in der Pressekonferenz zur Übernahme: "Wir wollen Nummer eins in allem sein, was wir tun." Gleichzeitig will er jedoch das Netzwerkgeschäft eigentlich gar nicht mehr als eigene Sparte verstanden wissen. Denn Neri erklärt auch: "Mit der Übernahme von Juniper wird HPE eine neue Firma. Das Netzwerkgeschäft wird zentral für alles, was wir sonst noch tun werden."
Das wird sich selbstverständlich nicht direkt im Umsatzanteil niederschlagen, es soll aber unterstreichen, dass im "Edge-to-Cloud"-Ansatz des Unternehmens der Netzwerkbereich als verbindendes Element eine tragende Rolle spielt. Er soll also nicht mehr wie früher teilweise als fünftes Rad am Wagen mitlaufen und beim Top-Management um Aufmerksamkeit, personelle Ausstattung und Marketing-Ressourcen betteln müssen. Dass der bisherige Juniper-CEO Rami Rahim den Bereich bei HPE leiten wird spricht dafür, dass HPE es mit der Aufwertung ernst meint.
Juniper passt zum AI-Ansatz von HPE
HPE habe einen AI-getriebenen Ansatz für alles, was es tue, erklärt Neri gegenüber der Presse. Erneut, denn ähnliche Aussagen zur Mitfahrt auf dem KI-Zug hatte er bereits 2023 mehrfach getroffen und HPE hatte dazu auch mehrfach Produkte vorgestellt. Nun sollen die Anstrengungen mit dem Kauf von Juniper noch intensiviert werden.
Juniper hatte sich in dieser Hinsicht 2019 mit dem Kauf von Mist Systems wesentlich verstärkt. Das Unternehmen war auf den ersten Blick eigentlich ein WLAN-Anbieter, zeichnete sich aber vor allem durch seine Fähigkeiten bei der Ortsbestimmung von funk-fähigen Geräten (WLAN und Bluetooth) im Innenbereich und die hochgradige Automatisierung der Netzwerkverwaltung aus. Insbesonders letztere hat Juniper für weitere Produkte und Bereiche übernommen und weiterentwickelt - und dafür von Partnern, Kunden und Analysten viel Lob bekommen.
Unklarheiten bei Überschneidungen
Währen der Pressekonferenz betonten Neri und Rahim mehrmals, wie gering die Überschneidungen im Produktportfolio und wie komplementär beide Firmen in Bezug auf Marktsegmente, Technologie und Zielgruppen seien. Als Beispiele nannten die Firmenchefs das Security-Portfolio, bei dem Juniper im On-Premises-Bereich stärker ist, HPE dagegen im Cloud-Bereich, sowie Netzwerkausrüstung für 5G, wo sich beide gut ergänzten. Auf das "Brot- und Buttergeschäft" im Campus-Bereich und im Rechenzentrum gingen sie nicht ein. Hier dürften beide im Alltag doch oft Wettbewerber sein.
Richtig ist, dass HPE gerade im Mittelstand mit seinen Netzwerkprodukten gut vertreten ist, Juniper dagegen eher bei Großkonzernen, Service Providern und Cloud-Firmen. Andererseits sieht zum Beispiel Gartner bei SD-WAN beide als Konkurrenten. Als sich kürzlich etwa Korea Telecom für HPE Aruba als Lieferant für SD-WAN entschieden hat, hätte dieser Auftrag sicher auch Juniper gefreut.
Auch gibt es in der Praxis viele Produkte, die vielleicht nicht bei denselben Kunden platziert sind, die aber identische Funktionen erfüllen. Dazu gehören etwa das Mist-Dashboard und die Plattform Aruba Central. In Kommentaren zur Übernahmemeldung bei LinkedIn wurde vielfach die Befürchtung geäußert, dass zum Beispiel eine Zusammenführung dieser beiden Produkte für Juniper-Kunden eher Nachteile bringe.
Außerdem äußerten viele Juniper-Fans die Befürchtung, dass auch weitere, von ihnen als überlegen empfundenen Funktionen und Produkte die Übernahme nicht überstehen. Viele drückten zudem ihr Bedauern über das womöglich bevorstehende Ende der Eigenständigkeit von Juniper aus - und ihre Befürchtung, dass HPE aus dem Kauf nicht das Bestmögliche macht. Untermauert werden diese Kommentare unter anderem mit Verweisen auf die Geschichte, etwa den Kauf von 3Com. Fairerweise muss man aber einwenden, dass HP damals eine andere Firma war, als es HPE heute ist.
Channel könnte profitieren
"Juniper bekommt Zugang zu unseren Kronjuwelen - der Partner-Community", versprach HPE-Chef Neri gegenüber der Presse. Gerade außerhalb den USA sei HPE im Vertrieb und Channel viel besser aufgestellt als Juniper. Das kann aus deutscher Perspektive bestätigt werden - trotz der durchaus erfolgreichen Anstrengungen, die Juniper hierzulande in den vergangenen Jahren hierzulande unternommen hat, um nach dem freiwilligen Exil im Provider-Geschäft wieder ins Enterprise-Geschäft zurückzukehren.
Zum Beispiel wurde 2020 durch einen Distributionsvertrag mit Westcon ein neues Partnersegment adressiert und auch die 2021 erfolgte Rückkehr zu Arrow als Distributor, nachdem der Vertrag mit Tech Data (heute TD Synnex) aufgelöst wurde, diente der Gewinnung neuer Partner.
Neben Arrow und Westcon ist in Deutschland Nuvias/Infinigate der dritte Juniper-Distributor. Alle drei sind keine Distributionspartner von HPE. Dazu gehören Also, Ingram Micro und TD Synnex. Die Abdeckung hat HPE also, es fehlt jedoch die Tiefe. Ob der Konzern sich dafür auf neue Distributionspartner einlassen will, ist offen. Immerhin hatte Juniper die Distributionslandschaft in Europa bereinigt. Das könnte helfen. Der Aufbau des zusätzlich erforderlichen Know-hows bei den Broadlinern (die Value-Add durchaus auch können, aber eben nicht für Juniper Networks), würde bestimmt einige Zeit dauern.
Zahlreiche gemeinsame Partner haben beide Firmen bereits. Nach ChannelPartner-Recherchen sind etwa 80 Prozent der aktuellen Juniper-Partner in Deutschland auch bereits HPE-Partner, oft sogar Partner von HPE Aruba. Hier könnte die Integration also schnell gehen, wenn die Transaktion über die Bühne ist. Damit darf nach altuellem Stand kurz vor oder nach der Jahreswende 2023/24 gerechnet werden.