von Esra Ayari, dpa
Zuletzt gestiegene Infektionszahlen machen Politiker und manche Experten nervös. Die Lage in den Kliniken ist aber nach wie vor vergleichsweise entspannt. Es werden weiterhin nur wenige Corona-Infizierte behandelt, Tote gibt es kaum noch. Wie passt das mit der gestiegenen Zahl von Nachweisen zusammen? Klar ist, dass die Situation heute anders bewertet werden muss als noch vor einigen Monaten.
Aktuelle Lage
Nach den aktuellsten Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) wurden in der Woche vom 17. bis 23. August 2020 rund 9.200 Menschen als Infizierte gemeldet - fast vier Mal so viele wie sechs Wochen zuvor. Von jenen Infizierten, zu denen es Angaben über ihren Behandlungsstatus gab (6.981), mussten 323 ins Krankenhaus. Vor sechs Wochen lag die Zahl nur wenig niedriger. Rund 240 Patienten werden derzeit laut DIVI-Intensivregister intensivmedizinisch betreut, auch diese Zahl ist trotz steigender Infektionszahlen bislang ziemlich stabil. Mitte April 2020 lagen noch mehr als 2.000 Corona-Kranke auf der Intensivstation.
Jüngere Infizierte
Ein Grund dafür, dass momentan vergleichsweise wenig Infizierte schwere Krankheitsverläufe haben, könnte das Alter sein. Dem RKI-Bericht zufolge liegt das Durchschnittsalter der Menschen mit positivem Testergebnis derzeit bei etwa 32 Jahren. Mitte April 2020 lag es noch bei rund 50 Jahren. Das RKI weist zudem darauf hin, dass in den vergangenen Wochen vor allem der Anteil der zehn- bis 30-Jährigen zugenommen hat.
Jüngere Menschen kämen nach wie vor besser mit der Infektion klar als Ältere, erklärt der Virologe Ulf Dittmer vom Uniklinikum Essen. Zudem hätten sie in der Regel keine schwerwiegenden Vorerkrankungen, die einen schweren Verlauf der Krankheit begünstigen. Während in Meldewoche 34 (17. bis 23. August 2020) nur etwa fünf Prozent der Infizierten ins Krankenhaus mussten, waren es Mitte April 2020 rund 20 Prozent.
Dittmer zufolge infizieren sich vor allem junge Menschen häufiger, weil sie sich nicht mehr so stark an die Hygieneregeln halten. "Das kann man ihnen noch nicht mal verdenken. Die Biologie hat nicht vorgesehen, dass junge Menschen Abstand zueinander halten", so Dittmer. Es könnte aber auch sein, dass vor allem jüngere Menschen vermehrt getestet werden, dann findet man bei ihnen automatisch auch mehr Infektionen.
Bessere Behandlung
Auch die Behandlungsmöglichkeiten sind laut Dittmer besser geworden. So würden antivirale Medikamenten wie Remdesivir jetzt früher eingesetzt. Zudem sind in den vergangenen Monaten viele Studien erschienen, die sich mit dem richtigen Umgang mit schwer erkrankten Covid-19-Patienten beschäftigen.
Harmloser geworden?
Eine These zum geringen Anteil von Schwerkranken besagt, dass sich das Virus möglicherweise weiterentwickelt hat und nicht mehr so oft zu schweren Krankheitsverläufen führt. Dem erteilt Richard Neher von der Universität Basel allerdings eine Absage. Der Leiter der Forschungsgruppe Evolution von Viren und Bakterien sagt, dass das Coronavirus nicht harmloser geworden ist. Zwar habe es ähnlich wie andere Viren Mutationen durchgemacht, aber "es gab keine Mutation, die sich in ganz Europa durchgesetzt hätte", so Neher. "Das Virus hat sich also zwischen März und jetzt nicht entscheidend verändert."
Mehr Tests
Die Gesamtzahl der Tests steigt kontinuierlich. Seit Monaten werden die Kapazitäten ausgebaut. Zuletzt wurden dem RKI zufolge fast eine Million Menschen binnen einer Woche getestet. Zum Vergleich: Mitte April 2020 lag die Zahl noch deutlich unter 500.000. Der Anteil positiver Tests ist seit Anfang April 2020 von rund acht Prozent auf unter ein Prozent gesunken. "Wir testen mehr und finden mehr asymptomatische Personen ganz ohne Krankheit", erklärt Dittmer vom Uniklinikum Essen. Auch das könne ein Grund für den Anstieg der Neuinfektionen bei gleichzeitig wenigen Menschen mit schweren Krankheitsverläufen sein. Zudem ist unklar, bei wie vielen Nicht-Infizierten ein Coronatest trotzdem anschlägt - also wie hoch die Rate falsch positiver Ergebnisse unter den Diagnosen derzeit ist.
Gesundheitssysteme besser vorbereitet
Es sei nicht zu erwarten, dass das Gesundheitssystem in die Knie geht, sagt Uwe Janssens, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). "Wir sind ganz klar besser vorbereitet." Im März 2020 seien alle vom Ausmaß überrascht worden. Aber selbst damals sei die Versorgung der Patienten im ambulanten und stationären Sektor "zu keinem Zeitpunkt in Gefahr gewesen oder sogar zusammengebrochen".
Die Mediziner hätten in den vergangenen Monaten "enorm" dazugelernt und seien mittlerweile ausreichend mit Schutzmaterial ausgestattet. "Die Covid-19-Bereiche im Krankenhaus sind klar abgetrennt, die Mitarbeiter können mittlerweile routiniert in den einzelnen Bereichen mit Verdachtsfällen und Patienten umgehen." Für den Fall der Fälle könnten die Krankenhäuser jederzeit den Schalter umlegen und den Corona-Betrieb aufnehmen. Auch wenn wir davon noch weit entfernt seien, habe Deutschland "absolut genügend" Intensivbetten für den Ernstfall. Momentan sind in Deutschland rund 9.000 frei. (dpa/rw)