In der Chefetage des Unternehmens geht es zu wie in einem Bienenschwarm. Hastig eilen die Verantwortlichen von einem kurzfristig anberaumten Meeting zum nächsten - mit sorgenvoller Miene. Auch die Mitarbeiter spüren: Es liegt etwas in der Luft. Also ziehen sie ihre Köpfe ein und verkrümeln sich hinter ihren Schreibtischen, um ja nicht den Weg des Geschäftsführers oder Vertriebsleiters zu kreuzen und in das Unwetter zu geraten, das sich offensichtlich zusammenbraut.
Die Ursache für die hektische Betriebsamkeit: Die Buchhaltung lieferte die neuesten Quartalszahlen. Und aus ihnen geht hervor: In den vergangenen drei Monaten brachen die Umsätze um 20 Prozent ein. Und der Gewinn sank gar unter Null. Das Unternehmen rutschte völlig unerwartet von den schwarzen in die roten Zahlen. Das hat weitreichende Konsequenzen. So haben sich zum Beispiel die Liquidität und damit die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens dramatisch verschlechtert, was seinen Handlungsspielraum einengt.
Also eilen nun die Verantwortlichen von einem Meeting zum nächsten und stecken ihre Köpfe zusammen, um zu erörtern: Was können wir in dieser vertrackten Situation tun? Doch einer Lösung kommen sie damit nicht näher. Denn immer wieder steht die Frage im Raum: Wie konnte es so weit kommen? Und zumindest indirekt die Frage: Wer ist an der aktuellen Situation schuld?
Entsprechend sensibel reagieren alle Beteiligten, auch weil sie insgeheim befürchten: Wenn ich nicht aufpasse, werde ich an den Pranger gestellt. Und muss die Sache alleine ausbaden.
Krisen frühzeitig erkennen und benennen
Solche Prozesse erlebt man in Unternehmen und Unternehmensbereichen immer wieder. Gerade dann sind die Verantwortlichen wie gelähmt, wenn sie eigentlich besonders eng zusammenstehen und gemeinsam möglichst effektiv handeln müssten. Sie entfalten zwar eine große Betriebsamkeit, doch produktiv ist das hektische Hin und Her meist nicht. Aus folgenden Gründen:
Die Beteiligten verstricken sich in wechselseitigen Schuldzuweisungen.
Die Situation wird genutzt, um so manche alte Rechnung zu begleichen.
Die Angst vor möglichen Konsequenzen für die Organisation und die eigene Person verstellt oft den Blick auf mögliche Lösungen.
Entsprechend wichtig ist es, dass Krisen frühzeitig erkannt und benannt werden. Häufig stellt man in Unternehmen aber fest, dass alle Beteiligten bereits spüren: "Wenn es so weitergeht, steuern wir auf eine Krise zu." Doch keiner traut sich, dies offen auszusprechen. Warum? Er befürchtet: Dann fallen alle anderen über mich her. Also wursteln man wie bisher vor sich hin, in der Hoffnung, dass das Gewitter vorüberzieht oder der Blitz statt in den eigenen Schreibtisch in den eines Kollegen einschlägt.
Solche Prozesse lassen sich nicht nur bei den Finanzen registrieren, sondern auch in der Produktion - zum Beispiel, wenn Qualitätsmängel so lange kaschiert werden, bis die ersten Auftragsstornierungen von Schlüsselkunden eintreffen. Oder in der Geschäftsführung. Zum Beispiel, wenn schmerzhafte strategische Grundsatzentscheidungen immer wieder auf die lange Bank geschoben werden, bis die Kapitalgeber oder die Banken die Reißleine ziehen. Besonders häufig registriert man dieses Phänomen jedoch bei (strategischen) Projekten. Hier ist oft schon lange vor Ausbruch der Krise allen Beteiligten klar: Wir können die Projektziele nicht erreichen. Ausgesprochen wird dies aber nicht. Also ist auch kein Gegensteuern möglich.
Erkennen: Eine Krise ist keine Katastrophe
Entsprechend wichtig ist es, in Unternehmen eine Struktur und Kultur zu schaffen, die es ermöglichen, Risiken und Probleme frühzeitig zu erkennen und zu benennen. Und tritt trotzdem eine Krise ein, dann sollten sich die Verantwortlichen zunächst bewusst machen: Eine Krise ist keine Katastrophe.
Bei einer Katastrophe wie beispielsweise einem Erdbeben lassen sich hinterher nur noch die Schäden beseitigen und die Folgeschäden möglichst gering halten. Eine Krise hingegen kann man managen - zumindest wenn man einen kühlen Kopf bewahrt. Entsprechend wichtig ist es, dass die Beteiligten sich nicht in wechselseitigen Schuldzuweisungen verstricken, sondern übereinkommen: Dies hilft uns in der aktuellen Situation nicht. Wer schuld war und wie wir künftig solche Fehler vermeiden können, das sollten wir klären, nachdem wir die Krise bewältigt haben. Im Moment müssen wir andere Prioritäten setzen.
Einen klaren Kopf bewahren - das gelingt den Beteiligten in Krisensituationen aber oft nicht, vor allem weil sie selbst mehr oder minder Betroffene sind. Deshalb empfiehlt es sich, in solchen Situationen einen externen Moderator zu den Meetings hinzuziehen. Dieser schafft die erforderlichen Rahmenbedingungen, die es den Verantwortlichen ermöglichen, gemeinsam am Lösen der Krise zu arbeiten.
Handlungsalternativen ermitteln und bewerten
Der erste Schritt aus der Krise beziehungsweise zum Bewältigen der Krise ist, dass die Beteiligten gemeinsam analysieren: Welche Handlungsalternativen haben wir in der aktuellen Situation? Meist sind diese zahlreicher, als dies in der ersten Panik erscheint - insbesondere wenn auch Lösungen in Betracht gezogen werden, die bisher im Unternehmen tabu waren. Zum Beispiel, weil sie dem gewohnten Vorgehen zuwiderlaufen. Oder weil sie gewachsene Strukturen und Privilegien in Frage stellen. Oder weil sie (auf den ersten Blick) dem Selbstverständnis des Unternehmens widersprechen.
Gerät ein Unternehmen in einen Liquiditätsengpass, können mögliche Lösungen zum Beispiel sein: Wir verkaufen unsere offenen Forderungen an einen Factoring-Anbieter. Oder: Wir beleihen unsere Immobilie. Oder: Wir zahlen unseren Mitarbeitern das Urlaubsgeld erst zwei Monate später.
Oft genügt es in einer solchen Situation aber auch, im ersten Schritt alle geplanten Anschaffungen noch einmal daraufhin zu durchforsten, ob sie wirklich dringlich sind. So gewinnt das Unternehmen zumindest etwas Luft, um weitere Maßnahmen zu beschließen.
Ähnlich verhält es sich, wenn ein Projekt kurz vor dem Scheitern steht. Auch dann gibt es in der Regel mehr Handlungsoptionen als zunächst gedacht - zumindest wenn man überprüft:
Welche Ziele müssen wir unbedingt erreichen und bei welchen können wir zum Beispiel zeitliche Verzögerungen oder Qualitätsabstriche in Kauf nehmen?
Gewohnheiten und Privilegien hinterfragen
Sind die möglichen Ansätze zur Krisenbewältigung auf dem Tisch, gilt es diese zu bewerten - und zwar objektiv, das heißt ausgehend von der Frage: Was hilft uns in der gegenwärtigen Situation am besten weiter? Auch hier ist die Unterstützung durch einen externern Moderator oft hilfreich. Warum? Häufig werden mögliche Handlungsalternativen selbst in Krisensitzungen nicht ernsthaft erörtert - weil sie zum Beispiel von Anwesenden voraussetzen würden, dass sie bestimmte Verhaltensmuster ändern oder (vorübergehend) auf Privilegien verzichten. Insbesondere wenn der Ranghöchste verzichten müsste, traut sich vielfach keiner, dies offen zu sagen. Außer ein Externer gibt den Betreffenden eine Steilvorlage, indem er zum Beispiel sagt: Unter welchen Voraussetzungen wäre die vorgestellte Lösung doch realisierbar? Dann folgen plötzlich auch Aussagen wie:
"Wenn Herr Müller, unser Geschäftsführer, mich zum Kunden xy begleiten würde."
"Wenn die Entscheidungsbefugnisse des Vertriebs erweitert würden."
"Wenn die Vorgabe xy nicht mehr gelten würde."
Konkrete Maßnahmenpläne erstellen
Sind die möglichen Lösungswege hinsichtlich ihrer Realisierbarkeit und ihrer Vor- und Nachteile bewertet, gilt es, sich zu entscheiden und zu vereinbaren: Wir ergreifen folgende Maßnahmen ... Zugleich sollte vereinbart werden: Wer macht was bis wann? Hierzu zählt auch das Informieren der betroffenen Mitarbeiter (sowie Kunden und Lieferanten). Diesem Aspekt sollte besondere Beachtung geschenkt werden - insbesondere dann, wenn mit den vereinbarten Maßnahmen negative Konsequenzen für die Mitarbeiter verbunden sind, wie Mehrarbeit oder ein Kürzen von Leistungsprämien. Dann sollte auch klar vereinbart werden: Wie begründen wir die Maßnahmen gegenüber den Betroffenen? Des Weiteren gegebenenfalls: Wie lange sind die Maßnahmen gültig?
Vereinbart werden sollte aber auch Folgendes
Wann setzen wir uns wieder zusammen, um zu überprüfen, ob die beschlossenen Maßnahmen die gewünschte Wirkung zeigen, und: Woran messen wir dies?
Denn nur dann ist ein Gegensteuern möglich, sofern die Maßnahmen nicht die gewünschte Wirkung zeigen. Und es können ergänzende Maßnahmen ergriffen werden.
Lehren aus der Krise ziehen
Sind die Maßnahmen definiert und die Verantwortlichkeiten geklärt, können alle wieder zum Tagesgeschäft zurückkehren. Keinesfalls sollte aber vergessen werden, sich nach der Krise nochmals zusammenzusetzen und gemeinsam auszuwerten:
Wie gerieten wir überhaupt in die Krise?
Warum haben wir sie nicht früher erkannt? Und:
Was hat sich beim Bewältigen der Krise bewährt? Und was nicht?
Denn nur dann können aus den gemeinsamen Erfahrungen die nötigen Schlüsse gezogen und die erforderlichen (strukturellen) Veränderungen abgeleitet werden, damit das Unternehmen nicht mehr in ähnliche Krisen schlittert. Bei diesen Treffen können die Ursachen der Krise meist viel entspannter ermittelt werden als in der unmittelbaren Krisensituation - unter anderem, weil kein so großer Handlungsdruck besteht. Deshalb gibt es auch weniger Schuldzuweisungen und somit auch weniger persönliche (emotionale) Verletzungen, die zu einer dauerhaften Belastung der Zusammenarbeit führen. MF