Die Storage-Branche sonnt sich angesichts des rasanten Datenwachstums in einem Verdienstrausch, der für die lauernden Gefahren blind machen könnte, warnt Rolf Braun, Vorstand der Cema AG, im Interview mit ChannelPartner.
CP: Das alles beherrschende Schlagwort im Storage-Markt ist derzeit "Big Data". Welche Rolle spielt dieses Thema aktuell in Ihrem Geschäft tatsächlich?
Rolf Braun: Sowohl der Begriff als auch das Thema spielen eine sehr große Rolle. Big Data beschreibt einerseits die gespeicherte Menge unterschiedlich strukturierter Daten, die in Unternehmen und sozialen Netzwerken unvorstellbare Größen annimmt, und damit allen Probleme bereitet. Es geht aber künftig nicht mehr nur um die Frage, wie groß diese Datenmenge wird, sondern darum, ob und wie Unternehmen diese Daten überhaupt auswerten können. Denn andernfalls wird der Datenberg zum Datengrab.
Allerdings werden die heute verfügbaren Speichertechnologien und Auswertungsapplikationen vermutlich nicht imstande sein, diese Daten zeitnah auszuwerten. Big Data stellt daher nicht nur neue Anforderungen an die Speichertechnologie, sondern erfordert auch neue Applikationen zur Filterung dieser Daten. Neue Backup- und Speicher-Modelle können deshalb nur einen Zwischenschritt darstellen.
CP: Um bei der Speichertechnologie zu bleiben: Welche Rolle werden die heutigen Festplattentechnologien im Zeitalter von Big Data spielen?
Braun: In den vergangenen 18 Monaten hat sich die Festplattenkapazität verdoppelt. Trotzdem wird die heutige Festplattengeneration nicht mehr lange überleben. Denn sie bietet aus physikalischen Gründen kaum noch einen Spielraum, die Speicherdichte massiv weiter zu erhöhen…
CP: Bei den SSDs gibt aber doch noch Luft nach oben…
Braun: Aber auch sie sind zum Sterben verurteilt, wenn auch aus einem anderen Grund: Die Rohstoffe, die dafür benötigt werden, sind so hochwertig und teuer, dass die Preise selbst bei steigender Massennachfrage kaum günstiger werden können. Deshalb forschen Hersteller derzeit intensiv nach anderen Materialien für die SSD-Produktion. Momentan kann aber kein Hersteller beantworten, wie der Nachfolger der SSD aussehen kann. Ein weiteres Dilemma ist, dass die Festplattenproduktion in den Händen weniger Hersteller konzentriert ist. Das könnte Spekulanten auf den Plan rufen.
CP: Weshalb sehen Sie hier das Risiko von "Storage-Spekulanten"?
Braun: Alle großen Anbieter im IT-Markt - unter anderem Google, Amazon, Apple, Microsoft, Dell, IBM, - haben riesige Datencenter aufgebaut - oder sind gerade dabei, diese aufzusetzen. Diese Rechenzentren benötigen gigantische Storage-Kapazitäten. Microsoft beispielsweise bietet Office-365-Kunden kostenfrei fünf Gigabyte Speicherplatz. Diese Anbieter ziehen einen Großteil der Festplattenproduktion vom Markt ab. Wenn jetzt noch das Datenvolumen massiv wächst, dann werden diese Ressourcen knapp. Mögliche Naturkatastrophen haben damit noch fatalere Auswirkungen, als wir sie vergangenes Jahr nach der Flut in Thailand erleben mussten. Große Nachfrage bei knappem Angebot aber ruft erfahrungsgemäß auch Akteure auf den Plan, die mit der Technologie bzw. diesen Gütern selbst gar nichts zu tun haben, beispielsweise Banken, die damit handeln möchten.
CP: Ist das nicht ein etwas überzogenes Schreckens-Szenario?
Braun: Keineswegs. Nehmen wir an, Google kauft einen Großteil der Storage-Produktion, um seine Rechenzentren auszustatten. Aufgrund einer Naturkatastrophe oder eines anderen unglücklichen Umstands bei den Festplattenherstellern ist nur noch ein Viertel der Produktion verfügbar. Diese Ware könnte eine Bank oder ein Spekulant ganz einfach abgreifen, um die verknappte Ware teuer zu brokern. Mit Spekulationen dieser Art müssen wir rechnen.
CP: Wir setzen also heute auf eine Technologie, die dem rasanten Datenwachstum gar nicht standhalten kann?
Braun: Ja, hier wird ein Leck entstehen. Für Storage-Hersteller ist das schnelle Datenwachstum derzeit noch ein Eldorado, momentan wird gutes Geld verdient, weil sich Storage gut verkauft. Unsere Branche befindet sich momentan in einem "Verdienstrausch", aber der darf nicht blind machen. Denn es ist klar, dass der Endkunde damit verbundenen, immer weiter steigenden Kosten langfristig nicht finanzieren kann. Denn er zahlt nicht nur für die zusätzlichen Storage-Systeme, sondern auch für den Betrieb und das Management. Die Gefahr ist, dass zum Zeitpunkt, an dem dieser Zyklus seine Spitze erreicht hat, keine neue Technologie verfügbar ist, also der Technologiesprung verpasst wird.
CP: Storage-Hersteller begegnen dem Problem aber doch auch mit Lösungen zur Deduplizierung und Komprimierung…
Braun: Das Problem dabei: Massendaten erfordern schnelle Zugriffe und Auswertungsmöglichkeiten. Die Deduplizierung und Komprimierung von Daten läuft dem entgegen. Auf all die genannten Herausforderungen müssen Systemhäuser und Hersteller eine Antwort finden. Die skizzierten Gefahren werden überwiegend nicht erkannt, weil alle mit Storage derzeit gutes Geld verdienen. Unternehmen, die sich nur auf Storage konzentrieren, werden es künftig schwerer haben, auch weiterhin dieses Geld zu verdienen.
CP: Was bedeutet das konkret für Anwenderunternehmen und Systemhäuser?
Braun: Big Data wird die Wirtschaftswelt nicht nur auf technischer Ebene, sondern auch im Hinblick auf die Nutzbarkeit erreichen. Deshalb brauchen wir künftig andere und mehr Applikationen zur Datenauswertung und die Beratung muss sich darauf ausrichten. Im Enterprise-Markt arbeiten Endkunden zwar überwiegend mit den Herstellern direkt zusammen, doch Partner sind und werden hier zunehmend gefordert, Projekte mit umzusetzen, weil es auch für Hersteller immer schwieriger wird, die benötigten spezialisierten Mitarbeiter zu finden. Wer zum Hersteller geht, will obendrein eher beraten und verkaufen als Lösungen beim Endkunden integrieren, denn hier wird es sehr schnell sehr komplex. Für den Partner aber beginnt mit dieser Installation erst das Geschäft. Das ist der Grund, weshalb Hersteller heute Channel-treuer sind als je zuvor.
CP: Sie gehen also davon aus, dass die Geschäfts-Chancen für Partner langfristig sehr viel größer sind als in der Vergangenheit?
Braun: Ja, denn mit der Masse an Daten wachsen die Storage-Einheiten in den Firmen, das ist bereits heute die Situation. Diese Einheiten müssen installiert und integriert werden. Dafür haben die Hersteller nur beschränkte Ressourcen, zumal bei vielen Anbietern obendrein Mitarbeiter abgebaut wurden. Der Hersteller muss sich also spezialisieren und fokussieren. Hinzu kommt, dass auch bei SMB-Kunden die Projekte größer komplexer werden. Hier sind landschafts- und herstellerübergreifende Architekturen, Lösungen und Know-how erforderlich. Dafür hat der Hersteller weder die Kompetenz noch die Kapazitäten, dazu braucht er Partner. Im SMB-Bereich können Hersteller das Direktgeschäft also gar nicht forcieren, im Gegenteil.
CP: Aktuell scheuen sich Unternehmen hierzulande, Daten in die Cloud auszulagern. Wird das angesichts der skizzierten Entwicklung langfristig so bleiben?
Braun: Wenn die Angebote im Storage-Bereich so attraktiv sind, dass sie für den Endkunden tatsächlich weitaus billiger sind als die hausinterne Speicherung, dann werden Kunden eine Datenstrukturanalyse vornehmen und auf Basis dieser Ergebnisse entscheiden, welche Daten sie auslagern könnten. Bei der Storage-Planung wird dann nicht mehr der Aufbau eigener SANs im Mittelpunkt stehen, sondern ein Archivierungs- und Backup-Konzept, das externen Cloud-Storage mit einbezieht. Wir werden deshalb vor allem interessante Cloud-Modelle für die Datenarchivierung sehen.
CP: Werden Partner dabei nicht Umsatz verlieren?
Braun: Nein, denn er wird als Berater und Architekt der Lösung unverzichtbar sein ebenso wie als Integrator - und sofern er das möchte, als Hosting-Partner. Und auch die Cloud-Anbieter werden Entlohnungsmodelle für die Partner aufsetzen müssen, weil sie mit ihren Angeboten beim Endkunden nur dann Fuß fassen können, wenn die Architektur des Kunden darauf ausgelegt ist.
(rb)