Die erste Schockstarre ist überwunden. Nun beginnen Hersteller, Distributoren und Händler mit der Analyse, welche Auswirkungen das verheerende Erdbeben in Japan auf den Markt und ihr Unternehmen haben wird.
Nach wie vor sind die Folgen schwer einschätzbar. Zudem ist noch völlig unklar, ob die Hilfskräfte die Lage im Kernkraftwerk in Fukushima in den Griff bekommen. ChannelPartner hat trotzdem Hersteller und Distributoren nach einer ersten Lagebeschreibung gefragt.
Einen Überblick über ein großes Produktspektrum besitzen die Distributoren. "stark betroffen sind Flash-Speicher, speziell von Toshiba", weiß Ulf Kilper, Produktmanager bei Devil. So registriert Kilper stark steigende Preisen bei Flash-Produkten wie USB-Sticks und SD-Karten. Auch bei SSDs gibt es Auswirkungen: "Die Ware wird massiv gebrokert, was zu künstlichen Verzerrungen führt", weiß der Devil-Manager. Kurzfristig beobachtet er Preissteigerungen bis zu 30 Prozent. Kilper geht davon aus, dass " das Preisniveau sich mittelfristig auf ein dauerhaft höheres Niveau" einpendelt. Sein Kollege Andreas Dudda, BU-Leiter Komponenten und Software, hält auch Preisanstiege in anderen Produktbereichen für möglich. Zudem könne es Allokationen geben, unabhängig davon, ob es direkte Folgen der Katastrophe oder "indirekte Effekte des nervösen Spotmarktes" seien. Jochen Bless, Bereichsleiter Peripherie, Komponenten und Software bei Actebis, hat ebenfalls anziehende Preise registriert: "Wir rechnen bei Halbleitern mit erheblichen Auswirkungen", sagt der Actebis-Bereichsleiter.
Ähnlich äußert sich auch Achim Reichstein, Einkaufsleiter bei Distributor Siewert & Kau: "Die Auswirkungen sind unmittelbar nach derartigen Ereignissen spürbar. Hamsterkäufe führen innerhalb weniger Stunden zu Bestellannahmestops und Allokationen bei den Herstellern und Lieferanten", berichtet er im ChannelPartner-Interview.
Bei Ingram Micro gibt man sich bei der Einschätzung der Lage vorsichtig: "Wir beobachten momentan noch mehr als sonst die Entwicklungen auf dem Markt. Darüber hinaus stehen wir in sehr engem Kontakt mit den japanischen Herstellern, auch auf höchster Konzernebene", berichtet Vice President Robert Beck. Viele dieser Unternehmen seien aber global aufgestellt und so in der Lage sind, die Produktionen sofern nötig zu verlagern. Lieferengpässe und Preisanstiege schließt aber auch Beck nicht aus.
Michael Döll, Director Operations bei Tech Data, glaubt nicht an kurzfristig drastische Preissteigerungen. Allerdings erwartet Döll mittelfristig, also in den nächsten beiden Quartalen einen Anstieg der Preise.
Fujitsu und Sony stark betroffen
Bei den Notebook-Herstellern zeigt sich ein unterschiedliches Bild: Mit am stärksten von der Katastrophe betroffen sind die Büros und Fertigungsstätten der Hersteller Fujitsu und Sony. Glücklicherweise meldeten beide Unternehmen einige Tage nach dem Unglück, dass weder in den Fabriken noch im jeweiligen Headquarter nach dem damaligen Kenntnisstand ernsthaft verletzte Personen gemeldet worden seien.
Ein teilweise verheerendes Bild melden die beiden japanischen Hersteller jedoch vom Zustand einiger Produktionsstätten. So hätten nicht nur einige Fujitsu Bürogebäude erheblich Schäden erlitten. Gleichzeitig seien auch die Produktionseinheiten einiger Fabriken von elementaren Stoffen wie Strom, Wasser und Gas abgeschnitten.
Um die Produktion weiterhin bestmöglich zu gewährleisten, hat der Hersteller die Produktionskapazitäten aus Fabriken in den betroffenen Gebieten auf andere Werke, beispielsweise nach Augsburg verlegt. Dort läuft generell die Produktion sämtlicher Desktop PCs und x86-Server sowie ausgewählter Notebooklinien für den europäischen Markt. Einige Notebook-Modelle werden in Shimane im Süden von Japan gefertigt, eine Gegend, die nicht vom Erdbeben in Mitleidenschaft gezogen wurde.
Auch der Hersteller Sony ist mit sechs Produktionsstätten in der betroffenen Region stark betroffen. Der Betrieb mehrerer Werke an verschiedenen Standorten der Sony Corporation und des Sony Konzerns ist durch das Erdbeben und den Tsunami in Mitleidenschaft gezogen worden. Während das Unternehmen die betroffenen Standorte kontinuierlich überwacht, werden gleichzeitig die effektivsten Instandsetzungsmaßnahmen überprüft.
Gleichzeitig hat Sony aufgrund der Meldung über die umfangreichen Stromausfälle und -rationierungen freiwillig den Betrieb an mehreren Standorten in Miyagi, Fukushima, Saitama und Ibaraki eingestellt. Abgesehen von den oben genannten Produktionsstätten seien noch einige weitere in geringerem Ausmaß in Mitleidenschaft gezogen worden, meldet Sony.
Sony Deutschland erwartet bei TV, Kameras, Camcorder, Notebooks und Reder keinerlei Lieferengpässe, da diese Produkte nicht in Japan oder nicht in den Betroffenen Regionen gefertigt werden. Bei den betroffenen Fabriken handelt es sich in erster Linie um Produktionsstätten für Akkus, Magnetbänder sowie Datenträger.
Hewlett-Packard ist zwar nicht direkt betroffen, beobachtet die Entwicklungen Situation jedoch genau: "Es handelt sich hier um sich schnell ändernde Tatsachen und es ist schwierig, welche Einflüsse diese Entwicklung für das HP-Geschäft haben wird. Wir haben ein Krisenmanagement-Team vor Ort und beobachten die Situation genau. Unsere Gedanken sind mit unseren Mitarbeitern, Kunden und Partnern sowie allen japanischen Menschen", erklärte HP CEO Leo Apotheker auf einer Investorenkonferenz in San Francisco.
Lieferketten sind gestört
Wie auch andere Hersteller ist Acer für bestimmte Produktbereiche auf Komponenten, wie zum Beispiel Akkus oder Festplatten von japanischen Lieferanten angewiesen. Die Lieferkette in und aus Japan sei aufgrund des Erdbebens entsprechend gestört. Der Hersteller will die Entwicklungen genauestens beobachten und wenn nötig entsprechende Anpassungen vornehmen.
Auch Eric Chen, Corporate Vice President der Asus Systems Business Group teilt mit, dass die Gedanken in erster Linie den Menschen in den betroffenen Gebieten und der Sicherheit der Asus-Mitarbeiter in der japanischen Niederlassung gelte. Eine exakte Einschätzung der Liefersituation in den nächsten Wochen sei gegenwärtig nicht möglich, da der Hersteller Bauteile von japanischen Herstellern, die vom Erdbeben und dessen Folgen direkt betroffen sind, bezieht. Das Asus-Team sei in engem Kontakt mit diesen Herstellern, um schnellstmöglich auf Veränderungen der Liefersituation reagieren zu können. Asus arbeitet in allen Produktbereichen mit mehreren Lieferanten zusammen, so dass im Falle einer Verknappung von Bauteilen auf andere Zulieferer zugegriffen werden kann. Zeitweilige Lieferengpässe in der Branche, die möglicherweise zu steigenden Kosten für knappe Bauteile führen könnten, schließt der Hersteller dennoch nicht aus.
Alle für Dell in Japan tätigen Mitarbeiter befinden sich, wie das Unternehmen meldet, in Sicherheit. Bereits ab Montag nach dem Erdbeben waren die Büroräume der Niederlassung in Kawasaki nahe Tokio in denen das Erdbeben kleinere Schäden verursacht hatte, wieder voll einsatzbereit. Alternativ hätten die Mitarbeiter auch die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten. Verschont sind ebenso wie das Dell-Büro in Mita auch die Auslieferungszentren in Narita und Osaka geblieben.
Dell erwartet keine unmittelbaren Probleme oder Störungen größerer Art bei der Versorgung mit Elektronikkomponenten. Die meisten in Japan ansässigen Lieferanten, mit denen der Hersteller in Geschäftsbeziehungen steht, hätten keine oder nur sehr geringe Schäden in ihren Fertigungsstätten zu verzeichnen. Dennoch, so Dell weiter, sei nicht ganz auszuschließen, dass es infolge von unvorhergesehenen Stromausfällen, Logistikproblemen oder Arbeitsausfällen zu Verzögerungen kommen kann. Wie auch die anderen Hersteller beobachtet Dell die weitere Entwicklung im Krisengebiet sehr genau und will, falls erforderlich, alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um Auswirkungen größeren Ausmaßes auf die Lieferkette zu vermeiden.
Smartphone-Hersteller sondieren die Lage
Bei den Smartphone-Herstellern HTC und Nokia halten sich die Auswirkungen in Grenzen. HTC sicherte vergangene Woche zu, dass das schwere Erdbeben bislang keine wesentlichen Auswirkungen auf das weltweite Geschäft von HTC habe. "Unsere weltweite Zulieferkette und die Vertriebskanäle bleiben von dem Erdbeben in Japan unbeeinflusst und das operative Geschäft läuft normal weiter. Wir haben eine umfassende Business Continuity-Strategie aufgesetzt und Vorkehrungen getroffen, um im Falle einer Krise oder einer Naturkatastrophe - wie dem Erdbeben in Japan - auf eine alternative Zulieferkette zurückzugreifen.", sagt Peter Chou, CEO der HTC Corporation. Gemeinsam mit den Partnern der globalen Zulieferkette und den Vertriebskanälen will der Hersteller die Situation dementsprechend genau beobachten und will alle nötigen Vorkehrungen treffen, damit das operative Geschäft nicht beeinträchtigt wird.
Inwieweit die Katastrophe im Zusammenhang mit der direkten Fertigung und der Lieferung von Bauteilen wirtschaftliche Auswirkungen auf das Geschäft des Herstellers Nokia haben wird, wird nach dessen Angaben noch ermittelt. Zum jetzigen Zeitpunkt darüber zu spekulieren wäre laut Nokia unangemessen. Alle Nokia Mitarbeiter, die in der betroffenen Region leben oder dort reisen, seien nach Angaben des Herstellers wohlauf. In diesem Zuge habe das Unternehmen auch seine Lieferanten und Partner in der Region kontaktiert und erhalte ständig aktuelle Informationen zu ihrem Verbleib und ihrer Sicherheit.
Das Geschäft mit der Angst
Die Speicherbranche hält sich mit konkreten Aussagen zurück. Kingston verweist auf die noch lückenhaften Informationen, Seagate muss erst die Zulieferkette durchleuchten. Ähnlich formuliert es auch Sven Rathjen von Western Digital: "Wir haben keine Fabriken in Japan und sind deshalb nicht unmittelbar betroffen. Wir wissen allerdings noch nicht, welche Auswirkungen die Katastrophe auf unsere Lieferanten und deren Lieferanten haben wird. Aktuell gehen wir aber davon aus, dass wir den Bedarf decken können."
Die rund 400 Kilometer vom Epizentrum entfernten Hitachi-Produktionsstätten waren nach Auskunft des Unternehmens nur "minimal betroffen". George Linardatos vom taiwanischen Speicherspezialisten Transcend ist auch auf Lieferungen aus Japan angewiesen: "Da viele Käufer damit begonnen haben, ihre Lager zu füllen, ist die Nachfrage nach NAND Chips bereits deutlich gestiegen, was unlängst zu deutlichen Preissteigerungen bei Chips wie auch bei flashbasierten Endgeräten geführt hat", erklärt Linardatos. Er geht aber davon aus, dass die regelmäßigen Abnehmer in solchen Phasen von den Lieferanten "mit absoluter Priorität" bedient werden.
In der Druckerbranche ergibt sich ein uneinheitliches Bild. Die Printer und Multifunktionsgeräte werden nur noch selten in Japan gefertigt, allerdings kommen Bauteile aus Japan. Die Produktionsanlagen von Brother und Kyocera sind nicht betroffen und arbeiten normal. Canon hat mit einigen Schäden zu kämpfen. Härter betroffen ist OKI: Der Hersteller produziert bestimmte Drucker und Toner in der Katastrophenregion Fukushima. Zum Teil sei die Produktion bereits wieder aufgenommen worden, heißt es bei OKI.
Zudem haben manche japanische Firmen mit administrativen Problemen zu kämpfen. Aus Händlerkreisen wird berichtet, dass Vertreter einiger Hersteller raten, sich mit Geräten und Verbrauchsmaterial zu bevorraten um eventuellen Engpässen vorzubeugen. Sogar vor verstrahlten Produkten, die womöglich in den kommenden Monaten hier auftauchen, soll gewarnt worden sein. Ob jedoch diese Warnungen einen realen Hintergrund haben, darf bezweifelt werden. Nicht auszuschließen ist, dass mit der Sorge der Händler das Geschäft zum Quartalsende nochmals angekurbelt werden soll. (bw/haf/awe)