Bieten Sie Ihren Kunden TK-Anlagen aus der Cloud an? Auf diese Frage antwortete die Mehrzahl (38 Prozent) der Umfrageteilnehmer auf channelpartner.de mit: "Nein, da sich viele Kunden noch gegen Cloud-Dienste sträuben". Lediglich 18 Prozent gaben an, diese Dienste bereits zu vermarkten (siehe Grafik, unten).
Wie ein Blick auf diese nicht repräsentative Befragung vermuten lässt, liegt es also an den Kunden, dass das Geschäft mit TK-Anlagen aus der Cloud für den Fachhandel noch nicht Standard ist. Hinter den Kulissen - auf Handels- und Distributionsseite - steckt dieses Thema noch in den Kinderschuhen oder wird nur mit spitzen Fingern angefasst.
Einige Gründe dafür liefert zum Beispiel Rainer Bütner, Leiter BU Dienste und Hardware, bei der ENO Telecom GmbH: "Reine Cloud-TK-Lösungen bieten wir nicht an. Erstens kann der klassische ITK-Händler in den Bereichen Service und After-Sales mehr Geld für Beratung, Aufbau, Wartung und Services mit klassischen TK-Anlagen verdienen. Zweitens sind Cloud-TK-Lösungen in der Regel ein Einmalvermittlungsgeschäft mit relativ geringen Margen. Drittens ist die Beratung im Vorfeld sehr aufwendig und wird nur bedingt vom Kunden bezahlt. Der Händler muss die gesamte IT-Infrastruktur vorab analysieren und die benötigten Bandbreiten sicherstellen, damit die Anlagen problemlos laufen. Viertens wird sich der Markt in den nächsten Jahren weiterentwickeln. Sobald es hier sinnvolle Distributionsmodelle gibt, werden wir hier sicherlich mit einsteigen."
Wenn Cloud-basierte TK-Anlagen aktuell für den Handel noch so uninteressant sind, wie Bütner es ausführt, könnten Sie an dieser Stelle aufhören zu lesen. Tun Sie das aber bitte nicht, denn andere Großhändler sehen genau jetzt den Zeitpunkt für den Fachhandel gekommen, sich ein umfassendes Wissen anzueignen. Denn für den einen oder anderen Kunden kann dieses Angebot bereits jetzt im Hinblick auf die Betriebskosten durchaus interessant sein.
"Jedes Unternehmen ist bestrebt, die IT- und Telekommunikationskosten zu senken. Das Thema 'Auslagerung der ITK-Infrastruktur' wird deshalb immer mehr an Bedeutung gewinnen, und die TK-Anlage aus der Cloud wird konkret beim Fachhandel und Systemhaus nachgefragt werden. Es empfiehlt sich daher, bei passender Kundenstruktur rechtzeitig den Kontakt zu einem Centrex-Anbieter zu suchen, um auf Nachfragen entsprechend reagieren zu können und sich ein neues Geschäftsfeld zu eröffnen", sieht Jürgen Walch, Leiter Team ITK-Systeme bei der Herweck AG, die Entwicklung.
Für Fachhändler heißt es also, sich jetzt schlau zu machen. "Es gibt einen Bedarf für diese Angebote. Der Fachhändler kann seine Beratungskompetenz nur dann glaubwürdig verkaufen, wenn er alle Möglichkeiten kennt und entsprechend anbieten kann. Ob er die TK-Anlage aus der Cloud verkaufen sollte, hängt von seinem Kundenstamm ab beziehungsweise von seiner Bereitschaft, neue Kunden und neue Themen aufzunehmen, und davon, ob für seine Kunden eine TK-Anlage aus der Cloud eine gute Lösung sein kann", sagt Karl-Heinz Schoo, Leiter Business Unit UCC bei der Also Deutschland GmbH.
Pro & contra stationäre Anlagen
Eine virtuelle TK-Anlage ist (noch) nicht für jeden Kunden das Richtige. Oft ist es sinnvoller, doch eine stationäre Lösung zu installieren. "Bei der Telefonie kommt es immer noch sehr auf die Sprachqualität an. Somit sind gerade bei Kunden mit sehr vielen Endgeräten an einem Standort die zur Verfügung stehende Leistungsbreite und deren Kosten entscheidend. Hier sind stationäre TK-Lösungen meist die bessere Alternative", rät Stefan Wahlscheidt, Business Development Manager TD Cloud, bei Tech Data.
Mit den Stichworten "Qualität, Komfort und Ausfallsicherheit" bringt ENO-Manager Bütner die positiven Argumente für stationäre TK-Anlagen auf den Punkt. Ein weiterer Fall, in dem auf eine Cloud-Lösung geradezu verzichtet werden muss, sei natürlich "die bei einem Kunden nicht vorhandene Bandbreite".
Weitere Argumente für eine beim Kunden installierte Anlage liefert Andreas Bichlmeir, Senior Manager UCC bei der Micro Distribution GmbH: "Fest installierte Anlagen eignen sich für Kunden, die ihre Anlage selbst warten wollen und eventuell separiert vom IT-Netz einen Telefonzugang wünschen. Für diese Kunden spielt die (gefühlte) Sicherheit eine entscheidende Rolle."
Doch nicht nur diese gefühlte Sicherheit ist eines der Argumente für eine Festinstallation. Auch bei den Kunden intern bereits gewachsene Infrastrukturen in Verbindung mit der Telekommunikationslösung müssen unter Umständen berücksichtigt werden. "Langjährige Entwicklungen an Inhouse-Systemen haben eine Vielzahl von Schnittstellen, Applikationen und Einbindungsmöglichkeiten in vorhandene Kundensysteme geschaffen. Das ist nach wie vor eine Stärke dieser Systeme. Unternehmen, die eine Veränderung der eigenen Arbeitsprozesse erreichen wollen, setzen in der Regel auf Systeme, die eine Verbindung zwischen den Systemen zur Datenverarbeitung und den Kommunikationssystemen herstellen und somit voll integrativ sind", weiß Herweck-Manager Walch.
Pro & contra Cloud-TK
Im Gegensatz zu einer Festinstallation sieht Walch den Vorteil einer virtualisierten Anlage ganz klar in den Kosten. Dieser Faktor macht das Angebot vor allem für kleine Unternehmen interessant - auch wenn laut Walch Abstriche damit verbunden sind: "Mit einer TK-Anlage aus der Cloud erhält der Kunde einen professionellen Funktionsumfang, ohne eine große Investition in die Infrastruktur, und die Kosten sind transparent. Besonders bei weiträumig verteilten Mitarbeiterstrukturen und hoher Fluktuation im Teleworker-Bereich können Cloud-Lösungen ihre Stärke ausspielen. Dies bedeutet allerdings nicht, dass Inhouse-Systeme in absehbarer Zeit komplett von der Bildfläche verschwinden. Die Skepsis gegenüber Cloud-Computing ist groß. Datensicherheit und Datenhoheit spielen speziell bei deutschen Unternehmen eine wichtige Rolle bei der Entscheidung. Virtualisierte Anlagen räumen dem Anwender außerdem meist weniger Freiheit ein. Die Anlage kann nicht nach Belieben konfiguriert werden, und der Kunde ist auf den Funktionsumfang angewiesen, den der Provider bereitstellt."
Auch Also-Manager Schoo sieht den Vorteil einer Cloud-Anlage in erster Linie in der Kostenstruktur: "Für Unternehmen mit einer Filialstruktur und einer sehr dynamischen Anzahl von Telefonagenten sowie für Start-ups mit geringer Bereitschaft, in die TK-Anlage zu investieren, ist eine virtualisierte Lösung sinnvoller."
Pro & contra Softphone
IP-basierte Telekommunikationslösungen können bei manchen Unternehmen als zusätzliche Kommunikationsmöglichkeit sinnvoll sein. Unabhängig von der in der Zentrale vorhandenen Struktur bietet Softphone einen weiteren günstigen Kanal. Tech-Data-Manager Wahlscheidt nennt ein Beispiel: "Außendiensttechniker sind per Softphone ideal über ihr Notebook, Tablet oder Smartphone über das WLAN-Netz bei einem Kunden erreichbar. So können sie auch noch andere Services wie Online-Zeiterfassung oder Videokonferenz nutzen."
Da der Einsatz solcher Kommunikationstechniken unabhängig vom Grundsystem der Unternehmens-TK-Anlage ist, kann der Fachhandel im Kundengespräch diese Zusatzmöglichkeit durchaus ansprechen und möglicherweise zusätzlichen Verdienst durch den Verkauf von Endgeräten in der entsprechenden Kundengruppe generieren. "Das Softphone ist lediglich eine weitere moderne Schnittstelle zum Menschen - unabhängig vom System. Die Wahl des Endgeräts, unabhängig davon, ob es ein GSM-Gerät, ein Tischtelefon oder eben ein Softphone ist, darf für die Funktionalität der UCC-Lösung keine Rolle spielen. Hieraus ergibt sich eine weitere Möglichkeit der Beurteilung des Systems auf seine Tauglichkeit. Entscheidend ist die Flexibilität des jeweiligen Bereitstellungsmodells", erklärt Herweck-Manager Walch.
Welche Lösung für welchen Kunden?
Zum Thema Cloud-TK machen die Großhändler weitauss weniger Angaben als zur stationären TK-Anlage. ChannelPartner wollte von den Distributoren daher wissen, welche Funktionen moderne TK-Anlagen auf jeden Fall haben sollten - unabhängig davon, ob sie sich in der Cloud oder vor Ort beim Kunden befinden. "Auf welche Leistungsmerkmale der Business-Kunde besonderen Wert legt, ist von Kunde zu Kunde sehr unterschiedlich und lässt sich deshalb kaum standardisieren. Der Leistungsumfang aus der Cloud ist aktuell noch eingeschränkt im Vergleich zu einer vor Ort eingesetzten TK-Anlage. UCC-Funktionen wie Voice, Presence, Chat, E-Mail oder Video leistet aktuell keine Cloud-Lösung allein", führt Also-Manager Schoo aus.
Eine optimal auf den Kunden zugeschnittene Kommunikationslösung kann also durchaus aus einem Zusammenspiel von stationären und virtualisierten Geräten bestehen. Eine umfassende Analyse der Infrastruktur sowie sämtlicher Arbeitsabläufe der Mitarbeiter in allen Abteilungen kann dabei noch die eine oder andere Idee zum Vorschein bringen.
Beispiele dazu nennt Tech-Data-Manager Wahlscheidt: "Die ideale Lösung ist sicherlich eine Kombination aus allen Funktionen, am besten mit Integration der verschiedenen Audio- und Videosysteme. Auch das Teilen von Dokumenten zur eventuell gemeinsamen Bearbeitung ist wichtig. Interessant ist zudem die Darstellung, ob jemand überhaupt telefonisch erreichbar ist oder sein will und wo sein Standort gerade ist. Dies lässt sich durch eine Anbindung an einen Kalender wie Outlook oder Google ermöglichen. Je nach Ausbaustufe und natürlich auch abhängig von den Kundenanforderungen ist zum Beispiel auch Microsoft Lync eine Alternative, weil hier schon eine gute Kombination aus Audio- und Video-Integration gegeben ist."
Neben den Unified-Communication-Angeboten geht ENO-Manager Büter noch einen Schritt weiter: "Eine moderne TK-Anlage sollte auf jeden Fall für den B2B-Bereich die Möglichkeit von Auswertungen sowie ACD-Funktionalität (Automatic Call Distribution) bieten, um interne Kostenaufteilung und Prozesse sauber zu steuern. Reine Skype-Google-Talk-Lösungen sind für den Business-Kunden sicherlich nicht genug. Sie haben nicht genügend Leistungsmerkmale und sind mit Qualitätsschwankungen verbunden. Als Ergänzung zur bestehenden Anlage ist das aber in Ordnung."
Der Auswahl sind, wie man sieht, also fast keine Grenzen gesetzt. Rolf Mittag, Geschäftsführer bei der Komsa Systems GmbH, sieht noch weitere Anwendungsmöglichkeiten - jedoch mit teilweise erhobenem Zeigefinger: "Eine Unterstützung von einzelnen SIP-Teilnehmern (Session Initiation Protocol) wie auch SIP-Trunks stellt quasi eine Basis an Zukunftssicherheit dar. Darüber hinaus ist eine UC-Integration Stand der Technik. Und Präsenzmanagement sowie CTI-Integration (Computer Telephony Integration) sind mittlerweile quasi Standard. Ein Connector in die Skype- oder Googletalk-Welt wird eher die nächste Evolutionsstufe im TK-System sein. Audio- und Videokommunikation nehmen definitiv an Bedeutung zu. Bei Nutzung von internetbasierten Diensten ist man jedoch gut beraten, das Thema Datenschutz kritisch zu hinterfragen."
Der Job des Fachhandels
Hat sich ein Kunde für den Umstieg auf eine TK-Anlage in der Cloud entschieden, kommen auf den Fachhändler die üblichen Arbeiten zu. Welche Servicetätigkeiten das sind, haben wir in der Distribution nachgefragt. "Wie immer steht natürlich die Beratung an erster Stelle. Dann folgt die Prüfung der vorhandenen Gegebenheiten vor Ort beim Kunden, wie zum Beispiel Bandbreite, Leistungsqualität und die bestehende Verkabelung. Daraufhin entwickelt der Fachhändler ein Produkt- und Lösungskonzept, in das zum Beispiel die Anbindung von mobilen Anwendern einfließt. Selbstverständlich übernimmt der Vertriebspartner dann auch die notwendige Einrichtung und Pflege - wie bei einer stationären Anlage. Außerdem ergeben sich hier ebenfalls Zusatzangebote durch Integration wie zum Beispiel SharePoint", umreißt Tech-Data-Manager Wahlscheidt den Ablauf.
Zum Thema Zusatzangebote hat Also-Manager Schoo noch weitere Ideen: "Wir sehen natürlich Dienstleistungen, die mit dem Vertrieb von Cloud-basierten TK-Anlagen verbunden sind. Dazu zählen zum Beispiel die Vermarktung von breitbandigen Anschlüssen in das Netz (xDSL, Internet Access, SIP-Trunk etc.). Bei der Cloud-Lösung werden Infrastrukturen benötigt, die IP-ready ausgestattet, gewartet und administriert werden müssen. Zudem benötigt der Kunde in vielen Fällen neue Endgeräte wie IP-Telefone."
Der Fachhandel kann aus einem umfangreichen Angebot schöpfen, um für seinen Kunden die passende Lösung zu finden. Da es sich nicht mehr nur um das simple Abheben eines Telefonhörers zur Gesprächsaufnahme handelt, ist vor allem bei Cloud-basierten Lösungen das nötige Netzwerkwissen Grundvoraussetzung. Diese Tatsache gibt Herweck-Manager Walch abschließend mit auf den Weg: "Die Formel für ein erfolgreiches Geschäft mit der Cloud lautet: Dienstleistung durch Anwendungsintegration. Das entsprechende Know-how zu den Standards ist heute unabdingbar. Durch die 'Übernahme' der Telefonie durch die IT sind tief gehende Kenntnisse in den Bereichen Netzwerk und Protokolle, Koppelkomponenten, Betriebssysteme, Anwendungen, Sicherheit und insbesondere Geschäftsprozesse notwendig." (bw)