Herr Ramacher, Krieg und Krisen mit den nachgelagerten wirtschaftlichen Auswirkungen machen auch der ITK-Branche zu schaffen. Wie wirkt sich das auf die Lage der Value Add Distribution aus?
Hermann Ramacher: Wir spüren die globale Krisenlage vor allem in der Logistik. Neben den bereits länger bestehenden Lieferkettenproblemen durch den Krieg kommt aktuell noch die Situation am Suezkanal hinzu, der mittlerweile von vielen Spediteuren gar nicht mehr befahren wird. Das führt zu zusätzlichen Verzögerungen vor allem bei der Belieferung mit Hardware, was sich nicht nur negativ auf die Broadliner, sondern auch auf die Value Add Distribution auswirkt. Leider treibt die Umstellung auf Luftfracht die Transportkosten exponentiell in die Höhe, sodass sich der Einstandspreis von Hardware im Vergleich zu den Vorkrisenjahren signifikant erhöht hat. Unklare Lieferzeiten erschweren zudem die Projektplanung und die Zusammenarbeit mit Partnern, weil wir nie genau sagen können, wann die Hardware eintrifft. Allerdings ist die Situation bei ADN besser als bei vielen anderen Distributoren, da wir seit Jahren verstärkt mit Hardware-Herstellern wie Dell oder PureStorage zusammenarbeiten, die auch Produktionsstätten in Deutschland oder im europäischen Ausland haben. Dadurch lassen sich viele Probleme der globalen Lieferkette vermeiden.
Die großen Broadliner versuchen vermehrt, ihr Geschäftsmodell zu diversifizieren und mit margenträchtigen VAD-Leistungen wegbrechende Umsätze im Volumengeschäft zu kompensieren. Wird das eine Gefahr für die spezialisierten VADs?
Ramacher: Es stimmt, dass Broadliner verstärkt klassische Value Add Services anbieten. Doch der schöne Schein trügt. Es reicht nicht, Value Add Services anzubieten, man muss sie auch inhaltlich ausfüllen können. Das Geschäftsmodell eines Broadliners ist immer auf Volumen ausgerichtet. Ein Monitor beispielsweise wird millionenfach verkauft, dafür braucht es keinen VAD. Komplexe, erklärungsbedürftige Lösungen wie der Backup-Service für eine Oracle-Datenbank - um nur ein Beispiel zu nennen - erfordern aber hochkompetente Mitarbeiter, die sich individuell und in voller Tiefe mit den Problemstellungen der Partner, Lizenzierungsmöglichkeiten usw. auseinandersetzen und die in einen professionellen Dialog auf Augenhöhe gehen können.
Was bemängeln Sie konkret an den Value-Add-Services der Broadliner?
Ramacher: Die meisten Broadliner bieten bestimmte Serviceleistungen wie Hotline, Support, Presales von Callcentern im Ausland aus an. Allein das bedeutet für Partner fehlende Verständnistiefe und einen viel höheren Aufwand für die eigene Dienstleistung beim Unternehmenskunden. Für uns zählt dagegen nicht nur, dass man zusammenarbeitet, sondern auch wie man diese Zusammenarbeit ausgestaltet. Unser Mehrwert liegt ganz klar in der Beratung durch unsere Experten, der Vermittlung von "Hands-on"-Profiwissen und unserer ganz besonderen Business-Kultur, die wir durch sehr enge Beziehungen zu Herstellern und Partnern in den vergangenen drei Jahrzehnten etabliert haben, und die wir stetig weiter ausbauen und verdichten.
Dazu kommt, dass im Zeitalter der Cloud das traditionelle Broadliner-Geschäft in den Hintergrund tritt, während der Beratungsbedarf bei den Channelpartnern steigt. Für alle Fragen von technischen Funktionen über umfassende Security-Modelle bis hin zu Lizenzierungsmodellen brauchen Partner zertifizierte Experten, die ihr Ohr immer am Puls des Marktes haben - und das nicht erst seit gestern, sondern seit Jahren oder Jahrzehnten. Unsere Mitarbeiter haben das Know-how, die Erfahrung mit dem Business, jahrelange Berufserfahrung und tiefe Marktkenntnis, um zusammen mit unseren Partnern stets die beste Lösung erschaffen zu können. Das zeichnet ADN aus. Großdistributoren können das meines Erachtens nach nicht in dem Umfang und in dieser Tiefe leisten.
Das Cloud-Angebot von ADN gibt es schon eine ganze Weile. Jetzt wird es als "ADN Cloud 2.0" bezeichnet. Was ist neu an Cloud 2.0?
Ramacher: Der Ansatz und die Fragen unserer Channelpartner zum Thema Cloud haben sich stark verändert. In den Anfangsjahren mussten wir noch erklären, wie Cloud funktioniert und was man dafür braucht. Heute geht es darum, Multi-Cloud-Szenarien aufzubauen, um stets die beste Infrastruktur für die entsprechenden Anwendungsfälle bereitstellen zu können - und das möglichst latenzfrei. Mit Cloud 2.0 wollen wir unseren Partnern helfen, den Datenverkehr zwischen verschiedenen Clouds reibungsfreier, schneller und sicherer zu gestalten. Wir haben beispielsweise eine strategische Partnerschaft mit dem Unternehmen DE-CIX geschlossen, das in Frankfurt am Main einen der weltweit größten Internetknoten betreibt.
Welche Vorteile hat die Zusammenarbeit mit einem deutschen Interconnection-Betreiber?
Ramacher: Datensouveränität spielt für Unternehmen eine immer größere Rolle. Früher mussten sie eigene Standleitungen anmieten, um beim Datentransfer die Kontrolle zu behalten. Heute können Unternehmen dank DE-CIX bestimmen, über welche Strecken beziehungsweise Leitungen ihre Daten fließen sollen. Das bietet Systemhäusern ganz neue Chancen und Geschäftsmodelle. Schließlich haben sich Reseller historisch gesehen nie oder nur selten groß mit der Business-"Internet-Connectivity" beschäftigt.
Mit der Übernahme von VMware durch Broadcom ist im Virtualisierungs-Markt viel in Bewegung geraten. Welche Auswirkungen hat das auf die Partner?
Ramacher: VMware wird von Unternehmen und Service Providern vor allem in Private-Cloud- und/oder Hybrid-Cloud-Szenarien ins Spiel gebracht. Daher ist der gesamte Systemhaus-Markt besonders stark von den Broadcom-Entscheidungen hinsichtlich der neuen Vermarktungsoptionen betroffen.
Gibt es bei ADN Alternativen zu VMware?
Ramacher: Ja, glücklicherweise haben wir exzellente Alternativen für einen nahtlosen Umstieg. Zum Beispiel bieten die großen Hyperscaler wie Microsoft eigene virtualisierte Public-Cloud-Umgebungen an. Mit unserem Partner Ionos können wir zusätzlich ein Modell des "Private Housing" sogar aus einer garantiert DSGVO-konformen deutschen Cloud offerieren.
Zudem bietet ADN Systemhäusern und Service Providern als autorisierter Distributor von Scale Computing eine KVM-basierte Möglichkeit zur Ablösung von VMware, die es auch gerade kleinen und mittelgroßen Unternehmen erlaubt, ihre virtualisierten Umgebungen in einem Private Datacenter zu betreiben. Da sich unsere Experten seit Jahren mit leistungsstarken Alternativen beschäftigen, müssen wir nun nicht überstürzt vorgehen.
Das Thema Künstliche Intelligenz scheint Cloud als Hype-Thema abzulösen. Welche Strategie hat ADN, um Partnern den Einstieg und die Nutzung von KI zu erleichtern?
Ramacher: Wir arbeiten eng mit zwei der wichtigsten Anbieter von KI-Lösungen zusammen: Microsoft und Nvidia. Mithilfe von KI-gestützten Systemen wie dem Microsoft Copilot lassen sich beispielsweise Büroaufgaben wesentlich angenehmer und effizienter bewältigen. Solche Lösungen sind für Value Add Distribution geradezu maßgeschneidert. Denn allein die Tatsache, dass Microsoft KI-Lösungen wie Copilot anbietet, führt schließlich noch lange nicht zu Neugeschäft bei den Partnern. Das gelingt erst in Verbindung mit guter Beratung. ADN baut diesbezüglich ein KI-Kompetenzcenter auf, das über den Nutzen und den Mehrwert von KI-gestützten Anwendungen berät sowie Use Cases und Guidelines bereitstellt. Praxisnahe Konzepte, Trainings und konkret auf Branchen zugeschnittene Einsatzszenarien sind dabei die wichtigsten Hebel. ADN-Partner können sich voll auf die Vermarktung von Copilot-Lizenzen konzentrieren und ADN kümmert sich um Copilot-Anwendungskonzepte und KI-Einsatzszenarien für Unternehmen unterschiedlichster Branchen. So können wir gemeinsam mit unseren Partnern Personaltrainings sowie dedizierte KI-Anwendungstrainings für Business-User anbieten. Unsere Partner werden ihren Kunden schon in Kürze unsere KI-Trainings bedarfsgerecht anbieten und abrechnen.
Auch die Zusammenarbeit mit dem Hersteller Nvidia, mit dem schon seit einigen Jahren ein Distributionsvertrag besteht, bietet Potenzial für tolle neue Geschäftsideen und -modelle - vor allem für Softwareanbieter, die KI-Strukturen in vorhandene Prozesse und Bereiche wie zum Beispiel ERP-Anwendungsprogramme einbinden wollen.
Was würden Sie sich von Entwicklern von KI-Plattformen konkret wünschen, um das Geschäft mit KI-Lösungen voranzubringen?
Ramacher: Ich wünsche mir, dass wir mit vereinten Kräften das Thema vom Schlagwort zum konkreten Business Case und Anwendungsszenario weiterdenken. Das reine Angebot von KI-Lösungen führt nicht notwendigerweise zu mehr Nachfrage, wenn man gar nicht weiß, wie man mit KI-Lösungen am Endgerät konkret umgehen soll. Aus der Rolle des VAD wollen wir unseren Partnern Orientierung geben, wie sich der Lösungsmarkt entwickelt und was für den Channel die nächsten Schritte sein können, um mit KI erfolgreich Business zu betreiben. Insbesondere wollen wir unsere Partner sowohl auf der vertrieblichen als auch auf der technischen Seite fit für KI-Technologien machen. Dazu bieten wir neben der klassischen Beratung durch unsere Kompetenzteams im Tages- und Projektgeschäft diverse Webinar-Reihen und vertriebliche Workshops an. Darüber hinaus gibt es bereits eine Reihe von speziellen technischen Trainings, die über unser autorisiertes Trainingscenter, die ADN Akademie, gebucht werden können.
Gerade im Security-Bereich hat ADN vergleichsweise viele europäische Anbieter im Portfolio. Ist das eine strategische Entscheidung?
Ramacher: Ja, es stimmt, wir bieten ausgewählte Security-Technologien von europäischen IT-Herstellern an. Es geht uns beim Kuratieren unseres Security-Portfolios nicht darum, Einzellösungen zu promoten - im Gegenteil: Wir möchten unsere Partner dazu befähigen, konsolidierte, ganzheitliche Security-Pakete zu schnüren. Daher stellen wir kontinuierlich die neuesten Best-of-breed-Lösungen vor, beispielweise im Rahmen unseres Security Transformation Day.
Wie entwickelt sich bei Partnern und Kunden das Bewusstsein - vor dem Hintergrund der Diskussionen um "Digitale Souveränität"? Und wie ist die Einstellung der Endkunden dazu?
Ramacher: Tatsächlich sind deutsche und europäische Security-Hersteller gefragt. Deutsche Unternehmen und deren IT-Partner trauen ihnen einfach mehr zu als amerikanischen oder asiatischen Firmen, wenn es um die Einhaltung von rechtlichen Regularien und Compliance-Vorgaben geht. Daher haben wir tatsächlich in den letzten Monaten noch einmal innovative, neue Hersteller - wie beispielsweise eine KI-Lösung, die automatisiertes Abwehrverhalten unterstützt - in die Distribution aufgenommen.
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