Mehr als jeder vierte angehende Absolvent eines IT-Studiengangs in Deutschland bezeichnet Google als besonders attraktiven Arbeitgeber, bei dem er sich "am ehesten bewerben" würde. Das ist ein Ergebnis des "Graduate Barometer German IT Edition 2014" des Berliner Trendence Instituts, das der COMPUTERWOCHE exklusiv vorab vorliegt. Mit einer Zustimmung von 26,3 Prozent hat Google den höchsten Wert erzielt, seit das Unternehmen in der Untersuchung berücksichtigt wird: 2007 war die Suchmaschine gleich auf Platz zwei eingestiegen, 2008 verdrängte sie SAP von der Spitze. Und auch 2014 liegt der Walldorfer Konzern auf dem zweiten Rang - weit abgeschlagen mit einem Wert von gerade einmal 10,1 Prozent.
Der Unterstellung, dass Google-Entwickler hierzulande lediglich die Aufgabe hätten, amerikanische Web-Seiten des Unternehmens zu lokalisieren, weist Unternehmenssprecherin Lena Wagner zurück: "An unseren Standorten München und Lübeck arbeiten rund 130 Produktentwickler an Features für den weltweiten Markt." Dazu zählen der Browser Chrome und Fotografie-Apps, aber auch Transparenzprodukte wie das Google Dashboard oder der Konto-Aktivitäts-Manager.
Aktuell sucht der Konzern rund zehn IT-Experten in München, an den anderen vier deutschen Standorten gibt es etwa 35 offene Positionen. Dass Google auch nach Jahren seinen Vorsprung in der Gunst der Absolventen ausbauen kann, erklärt sich Wagner unter anderem mit dem physischen und psychischen Arbeitsumfeld, bestehend aus Gehalt, Bürolandschaften und kostenlosem Essen sowie der Struktur aus kleinen Teams mit wenigen Hierarchiestufen, vielen Freiheiten und Eigenverantwortung. "Allerdings sind das keine Alleinstellungsmerkmale mehr in der IT-Branche."
Arbeiten an Produkten für die ganze Welt
Wichtiger für das Ansehen bei Absolventen sei wohl auch die Tatsache, dass Google-Entwickler an Produkten arbeiten, die umgehend global ausgerollt würden. Zudem sei Google nicht nur an den technischen Kenntnissen der Mitarbeiter interessiert, sondern auch an ihrer Kreativität, sagt Wagner - schließlich dürften Mitarbeiter mit einer guten Idee einen Teil ihrer Arbeitszeit außerhalb des eigentlichen Aufgabengebiets darauf verwenden: "Darin liegt ein großer Anreiz für Entwickler, die gerne kreativ tätig sind und dies in neue Programme und Produkte übersetzen wollen."
Autobauer werden interessanter
Eine hohe Nachfrage nach innovativen Lösungen gibt es auch in der deutschen Automobilindustrie, deren Beliebtheit bei IT-Absolventen immer weiter steigt. Angesichts der zunehmenden Verbindung von Maschinenbau und Elektronik sei das kein Wunder, argumentiert Manja Ledderhos, Expertin für den IT-Arbeitsmarkt im Forschungsinstitut Trendence, das die IT-Absolventenstudie erstellt hat. Der Bedarf an ITlern sei in Zeiten der Digitalisierung im Automotive-Bereich stark gestiegen. Ein Beispiel ist Volkswagen, dessen Beliebtheit sich von einem Wert von drei Prozent im Jahr 2010 nun auf 5,9 Prozent fast verdoppelt hat. Der Zuwachs gelte nicht nur für die Automobilkonzerne und - abgeschwächt - für deren Zulieferer, sondern angesichts des E-Commerce-Booms auch für den Autohandel. (Hier gehts zum Interview mit Porsche-CIO Sven Lorenz).
Ledderhos stellt fest, dass die Ansprüche der Bewerber generell hoch sind. "Weiche Faktoren" wie Wertschätzung und Führungsstil spielten eine Rolle, doch auch das gewünschte Einstiegsgehalt sei wichtig. Mit 45.600 Euro hat es ein neues Rekordhoch erreicht. In anderen Fächern wie den Ingenieurs- oder Wirtschaftswissenschaften sei die Situation anders, der Höhenflug bei den Einstiegsgehältern sei dort erstmals seit Jahren gestoppt. "Ich bin gespannt, ob nun auch bei den IT-Fachkräften ein Peak erreicht ist, oder ob sie sich 2015 in ihren finanziellen Vorstellungen noch einmal selbst übertreffen werden", sagt Ledderhos. Bei den erwarteten Arbeitszeiten geben sich die Absolventen keinen Illusionen hin: Sie gehen von einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 41,8 Stunden aus. Generell liegt in Deutschland die Wochenarbeitszeit für Vollzeitstellen im Schnitt bei knapp 40 Stunden.
Frauen verlangen weniger Geld als Männer
Unterschiede bestehen weiterhin beim sogenannten "Gender Gap": Unternehmen verschiedener Branchen sind für Frauen und Männer oftmals unterschiedlich attraktiv. Allerdings scheinen einige einst starre Fronten langsam aufzuweichen: "BMW und Volkswagen haben es in den letzten Jahren geschafft, immer mehr Frauen von sich als Arbeitgeber zu überzeugen - obwohl ihre Produkte nach traditionellem Verständnis typische Männerprodukte sind", beobachtet die Trendence-Mitarbeiterin. Vor allem unter Wirtschaftswissenschaftlern beiderlei Geschlechts haben die Autobauer einen guten Ruf. "BMW ist aus deren Sicht inzwischen sogar beliebtester Arbeitgeber vor Unternehmen wie Lufthansa, Google oder Adidas."
Kaum Bewegung gab es indes bei den Gehaltserwartungen der IT-Absolventinnen, die traditionell deutlich weniger verlangen als ihre männlichen Kommilitonen. "Auch die einschlägigen Initiativen und die Berichterstattung in den Medien der vergangenen Jahre haben daran nicht viel geändert", sagt Ledderhos. So erwartet eine IT-Absolventin heute zum Einstieg mit 41.800 Euro im Durchschnitt nur 1500 Euro mehr als 2008. Im gleichen Zeitraum stieg die durchschnittliche Gehaltserwartung ihrer männlichen Kommilitonen von 43.800 Euro auf fast 46.000 Euro. "Die Gehaltsschere klafft schon beim Berufseinstieg auseinander, und unsere Befragungen unter jungen Berufstätigen zeigen, dass Frauen diese Differenz auch später nicht aufholen."
Firmen müssen Bewerber richtig ansprechen
Stark gewonnen in der Gunst der männlichen IT-Absolventen haben die Gaming-Firmen Blizzard und Crytek, die vor allem von der Attraktivität ihrer Produkte in der Zielgruppe profitieren. Allerdings reicht Beliebtheit allein nicht aus, um Absolventen anzuziehen: "Unternehmen müssen es schaffen, auch die richtigen Bewerber anzusprechen und für sich zu gewinnen", beobachtet Ledderhos. Keinem Personalverantwortlichen sei geholfen, wenn er Hunderte Bewerbungen von Kandidaten bekomme, die den Arbeitgeber und seine Produkte toll finden, aber nicht ins Unternehmen oder auf die Position passen.
Für diesen "Cultural Fit" müssten sich Firmen klar positionieren und - überspitzt gesagt - von vornherein unpassende Bewerber abschrecken, damit das Recruiting effizient arbeitet. "Aldi Süd und McKinsey schaffen das beispielsweise sehr gut", so die Trendence-Marktforscherin. Das Versprechen: Packe an und arbeite hart, dafür kannst du schnell aufsteigen und bekommst eine hohe Kompensation. "Absolventen, die großen Wert auf Work-Life-Balance legen, bewerben sich so erst gar nicht - diese werden von Aldi Süd und McKinsey auch nicht unbedingt gesucht."
Hart arbeiten muss auch die Personalabteilung von Oracle im Heimatmarkt des großen Rivalen SAP. Deutschland-Geschäftsführer Jürgen Kunz kann sich über einen Anstieg in der Beliebtheit der IT-Absolventen freuen. Von einem Wert von 2,4 Prozent im Jahr 2012 entwickelte sich der Softwarekonzern in diesem Jahr auf den 20. Rang mit 3,4 Prozent, einen Platz vor der Deutschen Telekom. "Das zeigt, dass sich unser kontinuierliches Engagement im Rahmen von Karrieremessen, Workshops, Fachvorträgen, Präsentationen und Förderprogrammen auszahlt", freut sich Kunz. Dabei setzt auch Oracle bei den Studierenden an: "Wir haben unsere Mitarbeiter stärker in Hochschulkooperationen eingebunden als zuvor und werden diesen Weg auch weiterhin verfolgen." Schließlich, so die Kalkulation, seien die besten Markenbotschafter immer noch die eigenen Mitarbeiter aus den verschiedenen Fachbereichen.
Zudem kann Oracle neben der weltweiten Präsenz auch ein großes Produktportfolio sowie zukunftsträchtige Technologien aus den Bereichen Cloud, Mobility und Big Data vorweisen. "Hierdurch bieten sich für engagierte Berufseinsteiger vielfältige Entwicklungsmöglichkeiten, die wir durch entsprechende Programme unterstützen", argumentiert der Deutschland-Geschäftsführer. Dabei ist der Konzern hauptsächlich an Absolventen der Informatik, möglichst kombiniert mit wirtschaftswissenschaftlicher Ausbildung, sowie an Wirtschaftswissenschaftlern mit hoher Vertriebskompetenz und einer Vorliebe für Enterprise-IT interessiert.
Proaktive Suche wird zur Pflicht
Genaue Informationen zur Mitarbeiterzahl in den einzelnen Ländern veröffentlicht Oracle nicht, aber laut dem jüngsten Quartalsbericht beschäftigt der Konzern in der Emea-Region mehr als 23.000 Mitarbeiter. Zwar lassen sich laut Kunz auch bei Oracle wegen der großen Konkurrenz nicht alle vakanten Positionen "wunschgemäß besetzen", als weltweit aufgestelltes Unternehmen könne man aber attraktive Chancen und abwechslungsreiche Aufgaben in die Waagschale werfen. Dabei rührt Kunz die Werbetrommel auch in den neuen Kanälen: "Die proaktive Ansprache von Talenten ist Bestandteil unserer Recruiting-Strategie, die wir auf Xing, LinkedIn und anderen sozialen Plattformen verfolgen."
Auf diesem Feld zeichnen sich für Personalabteilungen und Recruiter generell große Veränderungen ab. Wer sich als attraktiver Arbeitgeber positionieren will, muss dort Präsenz zeigen, wo sich Schüler, Studierende und Young Professionals aufhalten - im Netz.
Nicht wenige Personaler glauben deshalb daran, das richtige Personal in den sozialen Netzen finden zu können. Leider gibt es hier keinen Königsweg, weiß Trendence-Expertin Ledderhos: "Die Zahl der Kommunikationskanäle, die bedient werden müssen, wird immer größer, weil insbesondere die Generation Y viele Kanäle parallel zu ihrer Information nutzt." Jeder Kanal habe seine eigene Rolle im Kommunikations-Mix, und Absolventen hätten genaue Vorstellungen davon, was für Arbeitgeber im Social Web erlaubt ist und was nicht.
Für Bewerber ist Facebook der private Kanal
So seien die Business-Netzwerke Xing und LinkedIn gut dafür geeignet, passende Kandidaten zu suchen, zu beobachten und anzusprechen: "Dieser Weg ist auch bei Absolventen akzeptiert und wirkt glaubwürdig." Facebook, Twitter und Youtube hingegen eignen sich Ledderhos zufolge eher dazu, die eigene Unternehmenskultur authentisch darzustellen und so auf sich aufmerksam zu machen. "Mehr als 80 Prozent der Nutzer wollen aber über Facebook nicht direkt von Unternehmen angesprochen werden, da sie das Netzwerk vor allem privat nutzen."
Personalabteilungen müssten also Möglichkeiten finden, um die jeweiligen Kanäle zu beobachten, sich dort angemessen darzustellen und etwaige Kontakte professionell zu managen. Damit ist klar: Das Spielfeld des Bereichs HR wächst ständig weiter - und für Personalprofis damit auch die Gelegenheit, die eigene Position im Unternehmen zu verbessern. (hk)
Das Trendence Graduate Barometer 2014
Deutschlandweite Online-Befragung unter examensnahen Studierenden zu ihren Erwartungen und Vorstellungen bezüglich des Berufseinstiegs, ihrem Kommunikationsverhalten und zu ihrer Einschätzung der Attraktivität von Arbeitgebern.
Rund 37.000 Befragte in vier Editionen: Business, Engineering, Law, IT.
Befragung: Online-Fragebogen - Einladung per Brief oder E-Mail mit individuellem Passwort.
IT-Edition: Abschlussnahe Studierende der Informatik an 75 Hochschulen.
Zahl der Antwortenden: mehr als 6100 Informatiker.
Feldphase: September 2013 bis Februar 2014.
Teaserbild: Jameschipper, Fotolia.com