Der Apple-Handel gilt als Welt für sich und so wurde auch das Wachstum der Retail-Kette Gravis lange Zeit als von allgemeinen Markttrends losgelöste Entwicklung betrachtet. Das Ende der 80er Jahre vom langjährigen Geschäftsführer Archibald Horlitz gegründete Unternehmen hatte zudem mit seinen auf Hochglanz getrimmten Filialen wenig mit dem übrigen IT-Fachhandel gemeinsam.
Doch betrachtet man die Geschäftsentwicklung von Gravis, zeigt sich, dass auch der Apple-Reseller mit den Herausforderungen im stationären Elektronikhandel zu kämpfen hat. Zwar erzielte das Unternehmen 2011 mit 160 Millionen Euro eine beachtliche Umsatzgröße – fünf Jahre zuvor lag Gravis noch unter der Schwelle von 100 Millionen Euro –, doch lässt sich fast jeder Umsatzsprung auf eine der in den 2000er-Jahren eingeführten Apple-Innovationen zurückführen: 2007 das iPhone, im Jahr darauf das MacBook Air und schließlich 2010 das iPad. Im ereignisarmeren Apple-Jahr 2011 musste Gravis dagegen einen leichten Umsatzrückgang um knapp ein Prozent hinnehmen.
Neben dieser starken Abhängigkeit von übergeordneten Markttrends bekam Gravis auch die zweite große Neuerung im Elektronik-Retail zu spüren: das Auftauchen neuer Wettbewerber. Zu finden sind diese einerseits im preisattraktiven und wachstumsstarken E-Commerce-Segment, im Falle von Gravis aber auch ganz klar herstellerseitig: So hat Apple mit seinen Apple Stores – sowie dem eigenen Onlinestore – das Direktgeschäft in den vergangenen Jahren massiv ausgebaut. Die heute 28 Gravis-Filialen stehen inzwischen einem Netz von 11 Apple Stores gegenüber.
Verkauf als Befreiungsschlag
Es verwundert daher nicht, dass Gravis-Gründer Archibald Horlitz bereits seit einigen Jahren den Einstieg eines Investors als probate Lösung für die Fortsetzung des Wachstumskurses seines Unternehmens propagierte. Mit der Ende 2012 besiegelten und Anfang 2013 vollzogenen Übernahme durch den Mobilfunkkonzern Freenet wurde dieses Szenario schließlich konsequent umgesetzt.
Zwar sorgte die Zweckehe zwischen dem designbewussten, hochpreisigen Apple-Reseller und dem auf Kampfpreise sowie ein ausgedehntes Franchise-Netz setzenden Mobilfunkhändler für einige Überraschung. Doch klangen die von den beiden Partnern in Aussicht gestellten Synergieeffekte durchaus schlüssig: Während Gravis den Mobilcom-Debitel Shops den Ausbau ihres Digital-Lifestyle-Angebots mit hochwertigen Apple-Produkten ermöglichen sollte, versprach Freenet, für eine Stärkung des Geschäfts in den Bereichen Mobilfunk und mobiles Internet in den Gravis-Filialen zu sorgen.
Auf der nächsten Seite erfahren Sie u.a., wie sich Gravis von der Fixierung auf Apple lösen will.
Gravis setzt auf Digital Lifestyle – auch jenseits von Apple
Der soeben erschienene Halbjahresbericht der börsennotierten Freenet verdeutlicht noch einmal, mit welcher Strategie sich Gravis von der ungünstigen Entwicklung im Elektronik-Retail absetzen will. Ziel sei es, den Apple-Reseller als "Home of Digital Lifestyle" neu zu positionieren. Dabei will sich Gravis auch sukzessive von der reinen Fixierung auf Apple lösen. So sollen noch in diesem Jahr in ausgewählte Gravis-Filialen Produkte der Wettbewerber Sony und Samsung angeboten werden. Attraktive, zu den Mobilfunk-Geräten passende Tarifoptionen – unter anderem eine Game- und Musik-Flatrate – sowie ein Schwerpunkt auf Heimvernetzungslösungen runden das Angebot ab.
Zudem scheut Gravis nicht mehr davor zurück, auch einmal den Preisbrecher zu geben: In einer ersten gemeinsamen Aktion mit Mobilcom-Debitel bietet der Retailer seit Ende Juni das Apple iPad mini 16 GB WiFi zu einem Preis an, bei dem auch Online-Wettbewerber wie Notebooksbilliger.de und Getgoods nicht mehr mithalten können.
"Wir freuen uns, jetzt erstmals gemeinsam mit Mobilcom-Debitel markenübergreifend ein so attraktives Produkt zu einem ebenso attraktiven Preis anbieten zu können", kommentiert Gravis-Geschäftsführer Jörg Mugke die Aktion. "Das zeigt, dass wir gemeinsam für unsere Kunden noch spannender sind. Das macht Lust auf mehr." Auch Rickmann von Platen, Geschäftsführer der Mobilcom-Debitel GmbH, ist von den neuen Kooperationsmöglichkeiten überzeugt: "Mit diesem Angebot bringen wir den Digital Lifestyle der Gravis in die Shops von Mobilcom-Debitel und demonstrieren damit eindrucksvoll den Nutzen dieser Zusammenarbeit für unsere Kunden."
Freenet setzt konzernübergreifend auf Kollaboration
Die Synergien zwischen Gravis und Mobilcom-Debitel stehen dabei für eine generell stärker kollaborativ ausgelegte Strategie von Freenet. So ist der Mobilfunkkonzern nur kurz nach der Gravis-Übernahme mit einer Mehrheitsbeteiligung bei dem Online-Spezialisten Motion TM eingestiegen. Der Mobilfunk-Spezialist aus dem Dunstkreis der TK-Kooperation Aetka betreibt nicht nur Endkundenshops wie Handytick.de, Mediaversand.de und Studentenvertraege.de, sondern beliefert über die Plattform MOON auch Fachhändler. Anlässlich des zehnjährigen Jubiläums im vergangenen Jahr sprach Motion TM, das keine Umsatzzahlen veröffentlicht, von einer Kundenbasis von rund 1800 Fachhändlern sowie 300.000 Endkunden. Neben Online-Marktanteilen erhofft sich Freenet von dem Unternehmen auch Know-How für das eigene E-Commerce-Geschäft.
Eine weitere für beide Seiten lohnende Kooperation betreibt Freenet mit dem Retail-Marktführer Media-Saturn: Seit 2009 bietet Mobilcom-Debitel Tarife, Mobilfunkprodukte und Dienstleistungen in allen Media Märkten und Saturn-Häusern in Deutschland an. Nun hat Freenet den bestehenden Kooperationsvertrag vorzeitig für eine Mindestvertragslaufzeit von 3 Jahren verlängert.
Die Geschäftsentwicklung bestätigt den Mobilfunkkonzern dabei in seiner Strategie: Im ersten Halbjahr 2013 hat Freenet seinen Umsatz um rund 5 Prozent auf 1,58 Milliarden Euro gesteigert sowie das Ergebnis um 40 Prozent auf 115,6 Millionen Euro erhöht. Dennoch ist die Integration von Neuzugängen wie Gravis und Motion TM kein Selbstläufer: Im zweiten Quartal 2013, in dem erstmals beide Unternehmen mitkonsolidiert wurden, stieg der Freenet-Umsatz um knapp 54 Millionen Euro – ein Wert, bei dem noch Luft nach oben ist. (mh)