Pausen sind wichtig, um die Konzentration aufrechterhalten und hohe Produktivität bei der Arbeit im Büro zu erreichen. Das ahnt jeder, der aus einem dreistündigen Meeting kommt, bei dem am Ende alle nur noch zugestimmt haben, damit das Grauen endlich vorbei ist. Durch eine empirische Untersuchung belegt hat das nun Cyril Couffe, Doktor der Psychologie und Leiter eines Lehrstuhls an der Fondation GEM, School for Business and for Society in Grenoble, der sich gezielt mit der Untersuchung der für die digitale Transformation erforderlichen Fähigkeiten und Qualifikationen beschäftigt.
Sein Fazit: Das Gehirn muss sich gelegentlich einen kleinen Ausflug erlauben dürfen, um sich anschließend wieder voll und ganz einer Sache widmen zu können. Allerdings trägt nicht jede Denkpause dazu bei, dass danach frisch gestärkt weitergearbeitet werden kann. Manche Pausen lenken auch soweit ab, dass sie eher kontraproduktiv wirken. Es gelte also, die mentalen Ablenkungen zu steuern, um den erwünschten Effekt zu erreichen, erklärt Couffe in einem Interview mit der französischen Wirtschaftszeitung Les Echoes.
Laut Couffe erzeugen offene Büroräume ("Open Spaces") oder Großraumbüros, Deadlines, oder Druck durch Vorgesetzte einen hohen mentalen Leidensdruck. Er wolle praktikable Lösungen für alle Menschen finden, die sich im Büro stark konzentrieren müssen. Diese Praktiken fasst er unter dem Begriff der "kognitiven Hygiene" zusammen. "Mein Ziel ist es nicht, das Gehirn an die Arbeit anzupassen, sondern die Arbeit an das Gehirn, um so die Lebensbedingungen und die Leistungsfähigkeit im Beruf zu verbessern."
Mentale Irrfahrten und Lob der Langeweile
Als wesentliches Mittel schlägt Couffe eine "mentale Odyssee" vor. Dieser Vorschlag basiert darauf, dass Neurologen unterschiedliche Funktionsweisen des menschlichen Gehirns festgestellt haben. Eine davon ist eine Art Standardfunktion, in die das Gehirn versetzt wird, wenn wir nichts tun. Dass die mehr als eine Art Standby ist, hat kürzlich auch Professor Juha T. Hakala von der ostfinnischen Universität Jyväskylä bestätigt.
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In seinem aktuellen Buch "Tylsyyden ylistys" - zu Deutsch sinngemäß etwa "Lob der Langeweile" - plädiert Hakala vor allem dafür, dass Kinder und Jugendliche Langeweile für eine gesunde geistige Entwicklung benötigen. Der finnische Professor fürchtet aber, dass diese kreativen Pausen des Gehirns durch die ununterbrochene Verfügbarkeit von Smartphones zunehmend fehlen: Bevor überhaupt Langeweile aufkommen und das Gehirn in den so wichtigen Schlummermodus schalten kann, wird das Telefon gezückt und Ablenkung gesucht - sei es durch ein Spiel, weitgehend sinnlose Chats oder stumpfes Betrachten von Videos.
Couffe zufolge werden bestimmte neuronale Verbindungen gerade dann aktiviert, wenn man nichts Bestimmtes tut. Letztlich "arbeite" das Gehirn genau so intensiv, wenn man sich auf eine Aufgabe konzentriert, wie wenn man seinen Gedanken freien Lauf lässt, etwa indem man aus dem Zug auf die vorbeiziehende Landschaft blickt.
Der "Leerlauf" erlaube jedoch erst Phasen der intensiven Konzentration auszugleichen. Nur damit sei es anschließend wieder möglich, seine Aufmerksamkeit auf eine Aufgabe zu richten. Seine These hat er durch zwei Studien belegt, eine mit Studenten der Einrichtung, an der er forscht, die andere mit gut 60 Angestellten mehrerer Betriebe aus Grenoble.
Die richtige Pause macht's
Die Teilnehmer der Untersuchungen wurden in drei Gruppen eingeteilt. Die erste musste eine komplexe Aufgabe innerhalb von 45 Minuten ohne Pause bewältigen. Die zweite Gruppe durfte jede Viertelstunde eine Pause von 60 Sekunden machen, erhielt jedoch keine Gelegenheit, ihre Gedanken schweifen zu lassen. Der dritten Gruppe war dies dagegen gestattet. In der Endauswertung übertraf sie die beiden anderen Gruppen um 10 Prozent.
Daraus schließt der französische Forscher, dass Pausen, die genutzt werden, um seine E-Mails zu checken, Nachrichten zu lesen oder mit Kollegen zu diskutieren, verschenkte Pausen sind. Nur wer seine Gedanken schweifen lässt, in der Pause seinen Empfindungen und Gefühlen unkontrolliert freien Raum lässt, schafft es dagegen wirklich, anschließend wieder eine hohe Aufmerksamkeit zu erreichen und den Abfall der Produktivitätskurve zu verhindern.
Allerdings falle es vielen Menschen schwer, sich so eine regenerative Pause zu gönnen. Es müsse daher trainiert werden. Ein guter Anfang ist es wahrscheinlich, sich einen Kaffee zu holen und den in Ruhe zu trinken, während man aus dem Fenster schaut - anstatt ihn mit an den Schreibtisch zu nehmen und das Gehirn durch E-Mails oder Tickermeldungen zu belasten.
Arbeitssucht vermeiden
Auch IDG-Experte Stefan Häseli hat kürzlich dazu geraten, mobile Geräte zumindest am Abend auszuschalten und sich "Zeitinseln" zu schaffen, an denen man gar nicht arbeiten kann. Dieser Rat wird durch Ergebnisse einer Untersuchung im Auftrag des BKK-Bundesverbandes. Demnach hat die Arbeitswelt bei vielen Deutschen einen festen Stellenwert im Privatleben. 84 Prozent der Berufstätigen sind demnach außerhalb der regulären Arbeitszeit für Kunden, Kollegen oder Vorgesetzte per Internet, Festnetzanschluss oder Handy erreichbar. Fast die Hälfte der Befragten (46 Prozent) hat zudem keine reguläre 5-Tage-Woche, sondern arbeitet auch an Samstagen, Sonn- und Feiertagen, im Schicht-, Nacht- oder Bereitschaftsdienst.
Die Folgen machen sich bemerkbar: Jeder Zweite hat Schlafprobleme, jeder Siebte sogar fast jede Nacht. Grund ist meistens allgemeiner Stress, gefolgt von beruflichem Stress und beruflicher Überforderung. Aber auch, dass sie nicht von der Arbeit abschalten können belastet die Untersuchungsteilnehmer. Private Sorgen und familiäre Probleme kommen noch dazu. Die Empfehlungen von Häseli zielen weniger auf die Steigerung der Produktivität, als vielmehr auf die Vermeidung beziehungsweise Prävention von Arbeitssucht. Die - darin sind sich Experten einig - führt aber nach kurzen Erfolgsphasen häufig dazu, dass die Produktivität gravierend einbricht.