Der Konflikt zwischen europäischen Cloud-Infrastrukturanbietern einerseits und Software-Anbietern wie Microsoft andererseits schwelt schon länger. Untersuchungen von Prof. Frédéric Jenny, Chairman of the OECD Competition Committee and Professor at ESSEC Paris Business School, und Prof. Dr. jur. Axel Metzger, LL.M. (Harvard) von der Humboldt-Universität zu Berlin im Auftrag der Cloud Infrastructure Services Providers in Europe (CISPE), zeigten intransparente und unfaire Cloud-Bedingungen der Software-Anbieter auf, um eigene Abonnement- und Cloud-Services sowie Geschäftsmodelle zu bevorteilen. Insbesondere Bring-Your-Own-License-Modelle (BYOL) und Möglichkeiten des Outsourcings würden demnach unberechtigt eingeschränkt.
Nachdem sich bereits der deutsche Cloud-Anbieter Nextcloud an das Bundeskartellamt gewandt hatte, reichte auch der französische Cloud-Dienstleister OVHcloud kürzlich eine Beschwerde bei der Wettbewerbsabteilung der EU-Kommission gegen Microsoft ein. Damit setzt sich die Serie an Beschwerden gegenüber Microsoft fort, die in der Vergangenheit wiederholt erhebliche Bußgelder zur Folge hatten.
Auch die zahlreichen Anstrengungen der EU wie Data Governance Act, Digital Markets Act, Digital Services Act sowie Data Act genießen mittlerweile viel Aufmerksamkeit. Gerade Cloud-Services und deren Interoperabilität sowie mit der Nutzung einhergehende Abhängigkeiten stehen im Fokus. Aber auch die rechtliche Zuordnung der Benutzerdaten und deren Schutz wurden anlässlich der Aufhebung des "EU-US Privacy Shield" Gegenstand der Diskussion.
Die CISPE schlug unterdessen gemeinsam mit der französischen Organisation Club Informatique des Grandes Entreprises Françaises (Cigref) Grundsätze für faire Software-Lizenzierung vor. Darin verlangen sie unter anderem ein Recht zur Mitnahme bereits erworbener Software in die Cloud.
Microsoft hingegen ließ sich lange Zeit nicht beirren und nutzte gegenüber seinen Kunden den sogenannten Lock-In-Effekt. Im März dieses Jahres erhöhte Microsoft die Preise von 365-Abonnements weltweit um bis zu 25 Prozent (zum Beispiel O365 E1). Außerdem änderte Microsoft mit der neuen "New Commerce Experience" -Plattform (NCE) auch andere Konditionen im Zusammenhang mit den Abonnements. So ist gegenüber dem bisherigen CSP-Programm eine Stornierung oder Reduzierung der Benutzeranzahl (Seats) nicht mehr jederzeit in der Abonnementlaufzeit, sondern nur noch binnen 72 Stunden ab Buchung möglich.
Auswirkungen für Microsoft-Partner
Auch auf Microsofts Partner wirkten sich die Änderungen nachteilhaft aus. So müssen Partner nun Verträge mit den Kunden auf eine fixe Laufzeit schließen. Infolgedessen entstanden auch neue Risiken für die Microsoft-Partner, wenn der Kunde nicht zahlt beziehungsweise nicht zahlen kann. In dem Fall soll der Partner gegenüber Microsoft einstehen.
Offenbar wurde der Druck nun zu hoch und sollte möglichen Maßnahmen des Gesetzgebers oder der Behörden vorweggegriffen werden. Daher veröffentlichte Brad Smith, Vice Chairman and President von Microsoft, am 18. Mai 2022 ein Statement. Darin erklärt er, insbesondere auf europäische Bedürfnisse und Werte stärker eingehen sowie europäische Cloud-Anbieter unterstützen zu wollen.
Die CISPE zeigt sich bislang hierdurch allein nicht überzeugt. Microsoft kündigt entsprechend den Grundsätzen für faire Software-Lizenzierung zumindest an, für Kunden weitere Möglichkeiten zu schaffen, eigene Lizenzen in die Cloud anderer Anbieter mitzunehmen. Beim genauen Lesen lässt die Meldung aber viele Fragen offen und auch die Umsetzung in den Lizenzbedingungen sowie der Praxis bleibt abzuwarten. Insbesondere wird hier als Voraussetzung die Software Assurance von Microsoft genannt, was wiederum eine zusätzliche Abhängigkeit für Kunden bedeuten würde.
"Eigene" Softwarelizenzen können Lock-In-Effekt abmildern
Was die Vorschläge der CISPE und Cigref als auch die Antwort von Microsoft eint, ist hingegen, dass "eigene" Softwarelizenzen das Machtgefüge austarieren können und den Lock-In-Effekt zumindest abmildern. Die Stärke von On-Premise-Softwarelizenzen liegt ja gerade in dem vom Kunden erworbenen "Eigentum" hieran. Dementsprechend kann der Kunde diese in eigenen IT-Strukturen bis hin zu wechselnder Cloud-Infrastruktur oftmals flexibel einsetzen, ohne sich zusätzlich durch Abonnement- oder meist nicht benötigte (Cloud-) Services abhängig zu machen.
BYOL-Modelle gewinnen infolgedessen an Bedeutung. Sollten solche Lizenzen nicht mehr benötigt werden, kann der Kunde diese zudem "gebraucht" weiterveräußern und dadurch finanzielle Freiheiten gewinnen. Es ist an der Zeit, das Juwel eines freien EU-Marktes, der den Kauf- und Verkauf gebrauchter On-Premise-Lizenzen ermöglicht, auch als Schlüssel für einen liberalisierenden Effekt in der Cloud-Welt zu begreifen.
Durch Abo-Modelle nicht leichtfertig auf Grundwerte verzichten
Dieser Markt ist die absolute Ausnahme, da er die Machtstrukturen der großen Softwareanbieter aufbricht und Kunden ihre europäischen Eigentumsrechte und Grundfreiheiten an der Software bewahrt. Gleichzeitig ist genau diese Freiheit ein europäisches Bedürfnis und ein hoher Wert, was Microsoft nunmehr offenbar unterstützen möchte. Auf diese europäischen Grundwerte leichtfertig durch Abo-Modelle zu verzichten, wenngleich es weiterhin aktuelle On-Premises-Versionen gibt, erscheint zumindest unreflektiert. Es sollte spätestens angesichts der jüngsten Änderungen der Konditionen bei Microsoft und bestehenden rechtlichen Nachteile überdacht werden.
Was sich sowohl aus den Erkenntnissen der gennanten Studien, den Aussagen der Cloud-Organisationen als letztlich auch den von Microsoft angekündigten Zugeständnissen ergibt, ist Folgendes: Unternehmen sollten Cloud- und Abo-Services keineswegs leichtfertig, unvorbereitet und unverhandelt sowie ohne gesicherte Fallback-Möglichkeiten eingehen. Bequemlichkeit rächt sich hier.
Vielmehr gilt es, die problematischen Einschränkungen einschließlich des Lock-in-Effekts sowie der datenrechtlichen Dimension in jedem Einzelfall individuell zu bewerten. Vor allem geht es darum, die eigenen Möglichkeiten der Lizenzierung zu erkennen und damit den noch weiter ansteigenden Abhängigkeiten in entsprechenden Nutzungsszenarien entgegenzuwirken. Insgesamt empfiehlt sich (auch hier) die Streuung von Risiken, wobei der liberalisierende Aspekt "gebrauchter" On-Premise-Software als Alternative einen positiven Effekt entfalten kann.
Dieser Effekt stärkt in gewissem Maße den europäischen Wettbewerb und entspricht damit letztlich auch den Bedürfnissen der europäischen Cloud-Anbieter. Damit folgt, dass sich Cloud und On-Premise einschließlich gebrauchter Software keineswegs kategorisch ausschließen.
Zukünftig könnte daher gerade ein kombinierter Einsatz von (dauerhaften) On-Premise-Lizenzen in Cloud-Infrastrukturen oder andere Mischformen das Maß der Dinge sein. Vor allem aber wahrt der Kunde damit seine Interessen eines flexiblen und souveränen Softwareeinsatzes und verhindert, nur Spielball im Konflikt zwischen den großen Software- und Cloud-Anbietern zu sein.
Neue Lizenzvereinbarung: Microsofts New Commerce Experience