Viele Unternehmen kämpfen mit demselben Problem: Die Geschäftsleitung definiert Ziele, die im kommenden Jahr zu erreichen sind. Zum Beispiel soll die Umsatzrendite zwölf Prozent betragen. Oder der Marktanteil um sechs Prozent steigen. Oder die Durchlaufgeschwindigkeit bei Aufträgen sich um ein Drittel erhöhen. Daraufhin setzen sich die Führungskräfte der Bereiche mit ihren Mitarbeitern zusammen. Sie ermitteln, was dies für ihre Arbeit bedeutet und vereinbaren, was es zu tun gilt, damit ihr Bereich den nötigen Beitrag zum Erreichen der Ziele leistet.
All das wird genauestens definiert und auf Papier fixiert. Dann kehren die Beteiligten zu ihrer Alltagsarbeit zurück und ihr Blick richtet sich wieder auf den Schreibtisch, der vor Aufgaben überquillt. Und nur wenige Tage später sind zahlreiche Vereinbarungen schon vergessen - solange bis das nächste Mitarbeiter- oder Teamgespräch ansteht, bei dem geprüft wird: Was haben wir geschafft? Dann stellen alle verdutzt fest: Viele Vereinbarungen wurden nicht umgesetzt und manch Ziel nicht erreicht. Insbesondere von den qualitativen Zielen wie zum Beispiel die Fehlerquote zu senken, die Lieferfristen zu verkürzen und die Zusammenarbeit zu verbessern, um weniger Ressourcen zu verschwenden, gingen einige in der Hektik des Arbeitsalltags unter.
Daran ändern lässt sich nun nichts mehr: Der Zeitraum, in dem die Ziele erreicht werden sollten, ist verstrichen. Also werden die nicht erreichten Ziele - sofern sie nicht gestrichen werden - ins nächste Jahr übernommen ... und erneut so schnell vergessen wie die alljährlichen guten Vorsätze in der Silvesternacht.
Ein derart inkonsequentes Verhalten beobachtet man oft in Unternehmen. Häufig stört das niemand - solange Umsatz und Ertrag stimmen. Als bedrohlich wird das Aufschieben erst dann empfunden, wenn plötzlich, weil das Unternehmen sind langsamer als die Konkurrenz entwickelte, Marktanteile wegbrechen, die Rendite sinkt oder die Kunden den Mitbewerbern eine höhere Qualität attestieren.
Dann wird der Führungsmannschaft klar: Wir haben zwar viele sinnvolle und nötige Beschlüsse gefasst. Doch leider wurden sie nicht konsequent umgesetzt. Unter anderem, weil wir uns vom Alltagsgeschäft auffressen ließen, so dass häufig wichtige Aufgaben liegen blieben, und weil wir, wenn wir das Versäumnis registrierten, oft dachten: ""Macht nichts. Das kann auch noch morgen erledigt werden." Wobei auf das Morgen stets ein anderes Morgen folgte, so dass die Aufgaben letztlich nie erfüllt wurden.
Eine Ursache eines solch inkonsequenten Verhaltens ist: Die Personaldecke vieler Unternehmen ist heute sehr dünn. Speziell deren Führungskräfte, auf deren Schreibtisch viele Fäden zusammenlaufen, sind oft froh, wenn sie am Abend überhaupt ihr Tagespensum geschafft haben. Eine weitere Ursache: Keine andere Funktion in den Unternehmen wurde in den zurückliegenden Jahren ideologisch dermaßen überfrachtet wie die Führungsfunktion. Das verdeutlichen bereits die Attribute, die Führungskräften zugeschrieben werden: Sie sollen Entrepreneurs sein, also unternehmerisch denken und handeln. Sie sollen Leader sein, also ein Leuchtturm, an dem sich ihre Mitarbeiter orientieren können. Außerdem sollen sie Coachs ihrer Mitarbeiter sein, also diese in ihrer Entwicklung und beim Erbringen ihrer Leistung unterstützen.
Führen heißt, die gewünschten Ergebnisse sichern
In Vergessenheit geriet dabei teilweise, was die zentrale Funktion jeder Führungskraft ist: Sie soll sicherstellen, dass ihr Bereich seine Ziele erreicht und seinen Beitrag zum Erfolg des Unternehmens leistet. Dieser Aufgabe ordnen sich alle anderen Führungsaufgaben wie das Fördern der Mitarbeiter unter. Mehr noch: Sie leiten sich hieraus ab.
In Vergessenheit geriet zudem teilweise, was Alfred Herr hausen einmal treffend als zentrale Anforderung an Führungskräfte formulierte: "Wir müssen das, was wir denken, auch sagen. Wir müssen das, was wir sagen, auch tun. Wir müssen das, was wir tun, auch sein." Das heißt: Die tollsten Entscheidungen nutzen wenig, wenn die Führungskräfte nicht deren Umsetzung einfordern und durch ihr Alltagsverhalten ihren Mitarbeitern signalisieren: Konsequenz beim Umsetzen ist Pflicht.
Eine solche Kultur der Konsequenz existiert in vielen Unternehmen heute nicht. In ihnen werden regelmäßig wegweisende Entscheidungen
- nach kurzer Zeit wieder über Bord geworfen - aus ihnen werden nicht die nötigen Folgeentscheidungen abgeleitet
- mit den Entscheidungen werden nicht zugleich die nötigen Verantwortlichkeiten geklärt und die Umsetzungswege definiert.
Dadurch hat sich bei ihren Mitarbeitern die Denke entwickelt: "Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Vieles, was von oben verkündet wird, kannst du sofort wieder vergessen - zumindest solange das Nichtbeachten sich nicht unmittelbar auf den Ertrag auswirkt. Denn er ist letztlich das einzige, was unsere Chefs interessiert." Diese Haltung wird auch dadurch gefördert, dass die Mitarbeiter im Arbeitsalltag die Erfahrung sammeln: Ob wir die Entscheidungen und Vereinbarungen umsetzen, wird von unseren Vorgesetzten kaum kontrolliert. Und ein Abweichen von den Vorgaben und Absprachen wird nicht sanktioniert. Entsprechend nachlässig und unmotiviert sind sie beim Umsetzen des Vereinbarten.
Führungskräfte müssen umdenken
Aus diesen Gründen setzt der Aufbau einer Kultur der Konsequenz in Unternehmen zunächst ein Umdenken der Führungskräfte voraus. Ihr Handeln muss sich stärker an der Maxime orientieren: Getroffene Entscheidungen werden auch umgesetzt. Außerdem muss sich ihr Verhalten im Arbeitsalltag stärker an den gesteckten Zielen und getroffenen Vereinbarungen orientieren - denn sie haben eine Vorbildfunktion für ihre Mitarbeiter. Häufig registriert man in Unternehmen, dass deren Führungskräfte zwar Ziele verkünden wie "Wir wollen die Nummer 1 in Sachen Service werden" oder "Wir wollen uns vom Produktlieferanten zum Systemanbieter entwickeln". Wenn daraus aber die nötigen Schlüsse für den Arbeitsalltag gezogen werden müssten, dann kommunizieren sie ihren Mitarbeitern: "Ja, es stimmt schon, dass wir das erreichen möchten. Aber jetzt sind andere Dinge wichtiger ..." Sie vermitteln also ihren Mitarbeitern "So wichtig ist das, was wir vereinbart haben, auch wieder nicht" und definieren die Prioritäten im Arbeitsalltag neu. Folglich verhalten sich ihre Mitarbeiter entsprechend. Führungskräfte sollten deshalb regelmäßig prüfen: Spiegeln sich in meinem Alltagshandeln und in meinen alltäglichen Entscheidungen die kommunizierten übergeordneten Ziele wider?
Eine Kultur der Inkonsequenz wird auch dadurch gefördert, dass viele Führungskräfte in den Gesprächen mit ihren Mitarbeitern die vereinbarten (Teil-)Ziele nicht ausreichend operationalisieren. Sie leiten aus den übergeordneten Zielen nicht ab, was diese für das Verhalten der Mitarbeiter und Teams im Arbeitsalltag bedeuten. Zum Beispiel: Wie sollen künftig Angebote gestaltet sein und nachgefasst werden? Oder: Was tun wir, wenn wir registrieren, dass wir einen Termin nicht halten können? Sie definieren auch keine Meilensteine, die es auf dem Weg zum großen Ziel (zum Beispiel das innovativste Unternehmen der Branche zu werden) zu erreichen gilt. Und falls doch, kontrollieren sie nicht regelmäßig, ob sich ihr Bereich noch auf dem rechten Weg befindet, diese Meilensteine zu erreichen. Folglich können sie letztlich nur das Erreichen oder Nicht-Erreichen der Ziele konstatieren.
Führen heißt auch kontrollieren
Diese Defizite lassen sich zum Teil darauf zurückführen, dass vielen Führungskräften nicht ausreichend bewusst ist, dass das Delegieren von Aufgaben sowie Handlungs- und Entscheidungsbefugnissen zwar ein Teil ihrer Führungsfunktion ist. Dieses Delegieren entlässt sie aber nicht aus der Verantwortung für die Ergebnisse. Also müssen sie auch kontrollieren, inwieweit ihre Mitarbeiter ihre Aufgaben und Befugnisse adäquat wahrnehmen - so dass sie, falls nötig, rechtzeitig gegensteuern können. Diese Führungsaufgabe sollten Führungskräfte konsequenter wahrnehmen. Dies setzt bei ihnen auch mehr Selbstdisziplin im Arbeitsalltag voraus - ein Manko bei vielen Führungskräften.
Analysiert man ihr Arbeitsverhalten, dann stellt man zum Beispiel immer wieder fest, dass sie sich viel zu häufig mit Fachaufgaben befassen statt diese so konsequent wie möglich an Mitarbeiter zu delegieren. Die Folge: Das Tagesgeschäft frisst sie auf. Und die wirklich wichtigen Aufgaben bleiben liegen. Außerdem fehlt ihnen die Zeit, ihre Mitarbeiter zu führen - das heißt zu prüfen, ob diese sich auf dem richtigen Weg befinden und gegebenenfalls ihre Marschrichtung zu korrigieren.
Nur wenn Führungskräfte, diese Aufgaben konsequenter wahrnehmen, kann sich in ihrer Organisation eine Kultur der Konsequenz etablieren. Hierfür müssen sie qualifiziert werden. Zum einen, indem ihnen stärker vermittelt wird, was ihre Kernaufgabe ist; zum anderen, indem ihnen klarer verdeutlicht wird, dass ihre Gestaltungs- und Entscheidungsmacht sowie disziplinarische Macht ihnen genau deshalb verliehen wurde, damit sie diese Aufgabe wahrnehmen können. Folglich wird auch ihre Leistung hieran gemessen.
Inkonsequenzen identifizieren und beseitigen
Den Führungskräften muss zudem die Kompetenz vermittelt werden, Inkonsequenzen im eigenen Verhalten und dem ihrer Mitarbeiter zu erkennen. Sie sollten außerdem deren Folgen ermitteln und bewerten können, um ihren Mitarbeitern die Notwendigkeit eines konsequenten Handelns aufzuzeigen. Sie benötigen auch die Fähigkeit, (gemeinsam mit ihren Mitarbeitern) Wege zu entwerfen, um erkannte Inkonsequenzen und Ineffizienzen zu beseitigen - und in ihrem Bereich Strukturen aufzubauen, die ein konsequentes Handeln sicherstellen.
In jeder Organisation stößt der Aufbau einer Kultur der Konsequenz und Selbstdisziplin (wie jeder Veränderungsprozess) nicht nur auf Zustimmung bei den Betroffenen. Schließlich setzt ein konsequentes Handeln ein Abschiednehmen von lieb gewonnenen Gewohnheiten voraus; zum Beispiel die Gewohnheit, ungeliebte Aufgaben auf die lange Bank zu schieben oder neue sowie unbequeme Herausforderungen zunächst einmal aus formalen Gründen abzublocken. Ein solche Reaktion ist menschlich, weshalb Inkonsequenz in Unternehmen eher die Regel als die Ausnahme ist - sofern ein gegenteiliges Verhalten nicht aktiv gefordert, gefördert und belohnt wird.
Kultur der Konsequenz aufbauen
Aufgrund dieser natürlichen Verhaltensweisen sind die Widerstände oft groß, wenn Führungskräfte versuchen, einen entsprechenden mentalen Turn-around bei (sich und) ihren Mitarbeitern herbeizuführen. Diesen Widerstand müssen Führungskräfte aushalten und auflösen: Das gehört zu ihren Aufgaben. Außerdem profitieren auch sie vom Verankern einer Kultur der Konsequenz in ihrer Organisation. Sie verschafft ihnen die nötigen Freiräume, um ihre wirklich wichtigen, weil zukunftsweisenden Aufgaben wahrzunehmen. Denn je stärker eine solche Kultur in den Köpfen ihrer Mitarbeiter und in ihrem Bereich verankert ist, umso weniger Zeit müssen die Führungskräfte auf das Beheben von Fehlern und Problemen verwenden - unter anderem, weil ihre Mitarbeiter ihre Handlungs- und Entscheidungsspielräume aktiver nutzen und jeder weiß: Wie ich meine Aufgaben wahrnehme, wird registriert sowie "belohnt" beziehungsweise sanktioniert.
Deshalb lohnt sich für Führungskräfte der Mehraufwand, der zunächst mit dem Aufbau einer Kultur der Konsequenz verbunden ist - weil ihre Leistung letztlich stets an der Effizienz, also auch der Konsequenz des Handelns in ihrem Bereich gemessen wird. Insofern hilft der Aufbau einer Kultur der Konsequenz auch Ihnen als Führungskraft, erfolgreicher zu sein.