SAPs Datenbank- und Analysetechnik und Fußball, das muss man erst einmal zusammenbringen. Der Deutsche Fußballbund (DFB) setzt SAPs In-Memory-Technik HANA ein. So wollen die Bundeskicker bessere Erkenntnisse über gegnerische Spieler und die Taktik des Gegners gewinnen. Team-Manager Oliver Bierhoff erläutert, welche Möglichkeiten Big Data für den modernen Fußball eröffnet.
Wie sind Sie bei der Nationalmannschaft auf die Idee gekommen, sich mit dem Thema Big Data zu beschäftigen?
Oliver Bierhoff: Ich habe die ersten Anfänge noch als Profi miterleben können. Wir haben beim AC Mailand Sprungtests gemacht (Bierhoff spielte von 1998 bis 2001 beim AC Mailand, Anm. d. Red.). Eine Maschine hat dazu Daten gesammelt, die dann händisch in eine Excel-Tabelle eingetragen wurden. Irgendwann hat dann der Fitness-Trainer festgestellt, dass bald eine Knieverletzung folgt, wenn eine bestimmte Korrelation von Daten vorliegt. Als Prävention konnte man dieses System also gut nutzen.
War das die Initialzündung für mehr Datenanalysen?
Bierhoff: Ich glaube, dass Spieler wie auch Trainer die ganze Datenverarbeitung zurzeit noch sehr distanziert sehen. Das liegt daran, dass es wenige Daten gibt und die dann meist auch noch sehr trocken aufbereitet sind. Wenn sich das mit den neuen Möglichkeiten ändert, bekommt man auch eine ganz andere Beziehung dazu. Man fängt an, Daten zu vergleichen, damit zu arbeiten und Analysen herauszuholen.
Hatten Sie vor SAP HANA schon Erfahrungen mit Datenbanktechnik gesammelt?
Bierhoff: Wir haben schon vor sechs, sieben Jahren mit einer Datenbank beim DFB angefangen. Das war allerdings ein sehr starres System – irgendwie war immer ein Hemmnis da, damit zu arbeiten. Deshalb haben wir gesagt, wir müssen das ganze System aktivieren, neue Dinge kreativ entwickeln.
Wir haben gesehen, dass wir Experten brauchen – die wir mittlerweile auch haben –, die mit diesen Daten arbeiten können und Zusammenhänge erkennen, wie zum Beispiel: Immer wenn wir verlieren, steht unsere Mittelfeldlinie zehn Meter tiefer als üblich. An dieser Stelle gibt es Tausende von Informationen, die sich auch für Langzeitanalysen eignen.
Was bedeutet die Arbeit mit Daten für die Spielerbetreuung?
Bierhoff: Wenn ich Spieler täglich unter Beobachtung habe, kann ich ganz neue Details entdecken – wie zum Beispiel: Wenn der Spieler in einer bestimmten Art und Weise belastet wurde, kam danach immer ein Leistungshoch. Entsprechend habe ich als Betreuer dann auch die Möglichkeit, auf Basis dieser Daten das Training in eine bestimmte Richtung zu steuern und zu gestalten.
Man kann die Betreuung mit Hilfe aussagekräftiger Daten also individueller auf den einzelnen Spieler zuschneiden.
Bierhoff: Im Fußball haben wir vor allem in der Betreuung der Mannschaft noch viel Luft nach oben – einmal die Aspekte um das Geschäftliche, etwa CRM oder das Ticketing, beiseitegelassen. Ich habe das im Fitnessbereich gesehen – hier gab es einen ähnlichen Prozess. Früher hat einer das Kommando gegeben: Da müsst ihr laufen und Schluss. Mit der Zeit hat dich dann der Fitnesstrainer zur Seite genommen und gesagt: Wir haben da dies und jenes festgestellt. Und am Ende hat er dir ein Programm mitgegeben. So konnte man als Spieler alleine trainieren – ohne Kontrolle.
„Dann können wir die Frage beantworten: Wie sieht der optimale Stürmer aus?“
Was bedeutet die schöne neue Datenwelt für die Spieler?
Bierhoff: Für die Spieler bedeutet das mehr Sicherheit und Klarheit. Wenn die Zeitungen schreiben, dass jemand eine schlechte Phase hat, dann können wir belegen, der Spieler läuft genauso gut und schnell wie zuvor, oder aber wir können wirklich nachweisen, dass er weniger oder die falschen Wege läuft. Das sind wichtige Feedbacks. Man belügt sich gerne selbst, gerade in schwächeren Phasen. Jetzt können sich die Spieler jedoch immer weniger herauswinden, wenn konkrete Zahlen vorliegen.
Die Spieler können also auch selbst mit den Daten spielen?
Bierhoff: Wir haben für die Mannschaft ein Communication-Tool entwickelt. Das haben wir während der WM der kompletten Mannschaft zur Verfügung gestellt – über iPhone beziehungsweise iPad. Hier haben wir verschiedene Räume für einzelne Mannschaftsteile, aber auch für Einzelspieler eingerichtet. Da kommt schon mal eine Initiative von Seiten der Spieler, zum Beispiel von Manuel Neuer: Gib mir mal die Elfmeterstatistik von den Chilenen. Ich gehe davon aus, dass auch andere Spieler nachziehen werden und zum Beispiel nach ihren Sprintwerten fragen – vor allem wohl dann, wenn es aus Sicht des Spielers gut gelaufen ist. Wenn es schlecht läuft, werden wir das wohl aktiv nachreichen müssen (lacht). Wir wollen die Spieler aber nicht an den Ohren ziehen.
Welche Informationen könnten die Spieler denn sonst noch bekommen?
Bierhoff: Unsere Scouts müssen einen Manuel Neuer oder einen Per Mertesacker auch mit Daten und Informationen aus deren Ligen versorgen oder über den nächsten Gegner in der Champions League – ohne natürlich in die Arbeit eines FC Bayern oder FC Arsenal einzugreifen. Zum Beispiel: Hier sind die drei gefährlichsten Aktionen von Ibrahimovic – das ist für einen Manuel Neuer sicher nicht verkehrt.
Momentan stellen die Spieler Fragen, die dann Ihre Experten mit Hilfe von Analysen beantworten. Wird es irgendwann so sein, dass sich die Spieler selbst über ein eigenes Dashboard die gewünschten Analysen zusammenstellen können?
Bierhoff: Das wäre das Ziel. Wenn heute eine Information eintrifft, dann verarbeitet der Trainer sie. Aber diese Information könnte auch direkt zum Spieler kommen. Allerdings steckt da schon ein gewisser Aufwand dahinter, gerade um bestimmte Dinge miteinander zu verbinden. Aber das Gute ist: Wir haben jetzt eine einheitliche Plattform, auf der das möglich ist. Das ist schon einmal eine wichtige Grundlage für mich. Vorher war das nicht möglich. Heute haben wir eine Plattform, auf der wir alles schnell bedienen können.
Wie wichtig ist für Sie die Geschwindigkeit?
Bierhoff: Schnelligkeit ist extrem wichtig. Wenn ich dem Spieler seine Daten drei Tage nach einem Spiel gebe, dann hat er kein Interesse mehr daran. Er muss die Infos direkt nach dem Spiel bekommen. Wenn sich dann auch noch ein gewisser Automatismus einstellt, der Spieler also schon damit rechnet, dass diese Informationen kommen, dann fühlt er sich auch nicht auf den Schlips getreten, wenn es mal schlechter läuft. Nach dem Motto: Das Feedback – ob gut oder schlecht – gehört einfach dazu. Dazu kann der Spieler auch noch eine Art Benchmark bekommen, mit dem er sich zum Beispiel mit den Besten der Champions League vergleichen kann.
Wie haben Sie die Spieler in den Entwicklungsprozess eingebunden?
Bierhoff: In dem Designprozess mit SAP gab es auch zwei Interview-Sessions mit den Spielern. Das war wichtig – schließlich ist das eine ganz andere Generation von Spielern, mit denen wir es jetzt zu tun haben. Hier dreht sich viel um iPhone, iPad und andere Mobilgeräte.
„Ich bin immer der etwas kritische Geist in unserer Truppe.“
Wie war das Feedback, das Sie von den jüngeren Spielern aus der Digital-Native-Generation bekommen haben?
Bierhoff: Sehr gut – aber es ist natürlich klar, dass man in einem Kader von 23 Spielern nicht immer alle gleich erwischen kann. Der eine ist technikaffiner als der andere. Wir haben neun Spieler ausgewählt, die dann sofort sehr angetan waren.
Welche Spieler waren das?
Bierhoff: Darunter waren Manuel Neuer, Per Mertesacker, Julian Draxler. Als er das gesehen hat, hat Roman Weidenfeller gesagt, er möchte das auch haben. Das ist auch so ein Effekt: Wenn wir das Tool direkt auf alle 23 Spieler aufgesetzt hätten, hätte bestimmt der eine oder andere etwas auszusetzen gehabt. So nutzen das zunächst nur ein paar wenige. Die anderen fragen dann: Wieso hab ich das nicht? Was machen die denn da? Was kriegen die für Informationen? Das erzeugt natürlich Neugier und Interesse.
Was ist Ihr Job dabei?
Bierhoff: Ich bin immer der etwas kritische Geist in unserer Truppe. Es gibt viele Menschen, die wollen Spielzeuge – nach dem Motto: Um fitter zu werden, brauche ich ein tolles Fitness-Gerät. Das steht dann eine Woche da und wird schnell wieder uninteressant. Hier liegt es an uns, die Plattform mit Leben zu füllen. Natürlich gibt es da auch mal einen lockeren Spruch zu lesen, aber selbstverständlich finden sich auch viele wertvolle Informationen.
Wie soll sich das Ganze aus Ihrer Sicht weiterentwickeln?
Bierhoff: Das Ganze kann man wesentlich weiter denken, zum Beispiel für alle Jugend-Nationalspieler. Die könnten hier eine spezielle App bekommen, die es nicht zu kaufen gibt, und sehen damit zum Beispiel die besten Aktionen von Philipp Lahm – das ist super. Was man darüber hinaus auch sehen muss: Wir haben 26.000 Vereine beim DFB. Momentan ist es so, dass viele Informationen einfach verloren gehen. Wenn ich weiß, Philipp Lahm hat das beste Abwehrverhalten, dann muss ich das doch in der Fläche verbreiten. Ich muss das in die Trainerausbildung einspielen, an die Vereine herausgeben. Schließlich interessiert das auch den Trainer der C-Mannschaft im Dorfverein. Momentan geht das aber nicht, weil das Material nur auf der Festplatte im Rechner meines Scouts liegt.
Das ändert sich jetzt aber mit der Zusammenarbeit mit SAP?
Bierhoff: Es ist schon sehr interessant, wie weit das Ganze gehen kann. Die meisten haben durch die aktuellen Beispiele immer nur die Spielanalyse im Kopf: Wie schnell ist ein Spieler gelaufen, wohin ist er gelaufen? Wir haben jedoch wesentlich mehr Daten, die dann aber auch jemand verarbeiten können muss. Zurzeit haben wir das Problem, dass die Informationen aus verschiedenen Ecken kommen. Da habe ich aber gelernt, dass dies bei SAP HANA offenbar kein Problem ist. Dazu kommt: Wir müssen die Daten dann schnell verarbeiten können. Doch das können wir derzeit in weiten Teilen gar nicht – verschiedenste Dateien müssen erst hin- und hergereicht werden. Jetzt haben wir aber die entsprechenden Möglichkeiten mit den Systemen von SAP.
Wir planen, beim DFB ein Kompetenzzentrum aufzubauen, also ein festes Leistungszentrum. Wenn wir hier die Daten dann über einen Zeitraum von fünf oder zehn Jahren sammeln und analysieren, können wir Fragen beantworten wie zum Beispiel: Wie sieht der optimale Stürmer aus, beziehungsweise wie haben sich möglicherweise die Stürmerkriterien geändert im Laufe der Jahre?
„Die Spieler agieren über Whatsapp, auf Facebook und anderen Plattformen. Klar machen sie sich Gedanken, wo die Informationen dann landen.“
Ist der Datenschutz bei den Spielern ein Thema? Bei persönlichen Fitnessdaten etwa handelt es sich um sensible Informationen, die bei Transfer- oder Gehaltsverhandlungen eine wichtige Rolle spielen können.
Bierhoff: Die Spieler agieren über Whatsapp, auf Facebook und anderen Plattformen. Klar machen sie sich Gedanken, wo die Informationen dann landen, aber eher in dem Sinne, ob der Empfänger einer Nachricht diese dann weiterleitet und wer das dann noch lesen könnte. Aber das ist eine Thematik, um die sich in erster Linie SAP kümmert. Bei dem Communication-Tool wussten wir, dass SAP sehr vorsichtig agiert. Das ist abgesichert. Da habe ich nicht das Gefühl, dass sich die Spieler Sorgen machen. Das ist ja ein geschlossenes System und kein öffentlicher Chat-Room.
Wie kamen denn DFB und SAP zusammen?
Bierhoff: Wir haben seit Jahren eine enge Partnerschaft mit SAP. Das begann mit dem Thema Ticketing. Wir hatten vor einiger Zeit den Bedarf, die Technik umzugestalten. SAP hat sich da als Partner angeboten. Dann haben wir gesehen, dass SAP darüber hinaus noch wesentlich mehr Themen zu bieten hat, und wir haben im Lauf der Zeit unsere Infrastruktur umgestellt, von der Verwaltung bis hin zum CRM.
Was sind Ihre weiteren Pläne?
Bierhoff: Weltmeister werden.
Und SAP hilft Ihnen dabei?
Bierhoff: Kurzfristig mussten wir für die Spieler unser Communication-Tool zur WM finalisieren. Darüber hinaus wollen wir nun eine richtige Datenbank aufbauen – übergreifend über die Nationalmannschaft hinaus auch auf den Jugendbereich. Damit wir auch von den Jugend-Nationalspielern alle Informationen bekommen, um im Training entsprechend agieren zu können. Ein Beispiel: Wenn der Torwart aus seinem Kasten kommt, um den Winkel gegen einen Stürmer zu verkürzen, dann bekommt er per Sensorik Impulse, in welche Richtung er sich bewegen muss, um die optimale Position einzunehmen – das hat dann einen Trainingseffekt.
Hier müssen wir aber verschiedenste Faktoren im Blick behalten, wie zum Beispiel die Sensortechnik selbst. Wir arbeiten auch mit anderen Partnern zusammen, etwa Adidas, die aber eigene Systeme bauen. Das ist nicht immer ganz einfach. Aber wir arbeiten daran.
Und auf lange Sicht?
Bierhoff: Mein Traum ist es, dass wir irgendwann in unserem Leistungszentrum einen vernetzten Platz haben, über alle Trainingseinheiten Daten für alle Spieler erhalten und dazu ein kleines Labor unterhalten, wo wir eigene Dinge weiterentwickeln können.