Führungskräfte (ge-)brauchen Macht

27.06.2006
Mit Druck und Erpressung - so führen Führungskräfte in Krisen- und Umbruchzeiten zuweilen ihre Mitarbeiter. Teils, weil sie selbst unter enormen Druck stehen. Oft aber auch, weil sie im Umgang mit der ihnen verliehenen Macht nie geschult wurden.

Alltagserfahrung vieler Unternehmen. Kaum verkündet das Management, "Wir müssen unsere Struktur ..." oder "... Strategie ändern", regt sich in der Organisation Widerstand. Nicht nur, weil Mitarbeiter fürchten, sie könnten ihren Job verlieren, sondern auch, weil viele bangen: Privilegien werden abgebaut und die gewohnten Abläufe ändern sich. Schnell wird dann der Vorwurf laut: Die Unternehmensleitung hat nur noch den Profit vor Augen. Und: Unser Management pflegt einen autoritären Führungsstil. Dass solche Vorwürfe laut werden, ist verständlich, denn jede Veränderung stellt Gewohntes in Frage. Deshalb löst sie Unsicherheit aus.

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Trotzdem überrascht, welch massiven Ängste geplante Änderungen oft bei den Mitarbeitern erzeugen und welch große Widerstände sie auslösen – selbst wenn mit den Veränderungen kein Stellenabbau einher geht. Eine Ursache hierfür: In vielen Unternehmen hat sich in den "fetten Jahren" eine Kultur entwickelt, in der weder Zukunftsfragen aktiv angegangen, noch die mit ihrer Lösung verbundenen Konflikte offen ausgetragen werden. In ihnen machte sich eine Harmoniekultur breit, in der jeder versuchte, (Interessen-)Konflikte zu vermeiden. Diese Kultur wurde von den Unternehmen teils sogar (unbewusst) gepflegt: Zum Beispiel, indem sie in ihren Unternehmensleitlinien immer wieder an das kollektive "Wir" appellierten, so als gäbe es im Unternehmensalltag nicht auch Interessengegensätze. Dem entsprach das Verhalten der Führungskräfte. Sie appellierten zum Beispiel in den Zielvereinbarungsgesprächen regelmäßig an das kollektive Wir statt mit ihren Mitarbeitern herauszuarbeiten,

- welche Interessen haben die Stakeholder,

- wo divergieren die Interessen und

- wie lassen sich die Divergenzen überwinden,

so dass die Zusammenarbeit auf tragfähigen Füßen steht.

Vieles kann nur mit Macht entschieden werden

In Vergessenheit geriet in diesem Umfeld häufig, dass Unternehmen keine Großfamilien, sondern Zweckgemeinschaften sind; und jede Entscheidung ein Konfliktpotenzial birgt, weil sie andere Lösungswege verwirft. Mehr noch: Jede unternehmerische Entscheidung beruht auch auf Einschätzungen, die abhängig von der Erfahrung und der Position des Einzelnen im Unternehmen stark divergieren. Deshalb können solche Entscheidungen meist nicht im Konsens, sondern nur mit Macht getroffen und umgesetzt werden. Das haben manche Führungskräfte verdrängt.

In einem von solchen Umfeld wirkt es "autoritär", wenn Führungskräfte Leistung und - sofern nötig - Verhaltensänderungen fordern. Es ist aber nicht autoritär. Denn eine Führungskraft nimmt, indem sie dies tut, nur ihre Aufgabe wahr.

Bewusst werden solche Fehlentwicklungen den Unternehmensführern oft erst, wenn die Erträge sinken. Entsprechend panisch ist dann ihre Reaktion. Initiierten sie zuvor kaum Veränderungen, wollen sie plötzlich über Nacht alles umkrempeln. Wurden zuvor Entscheidungen weitgehend nach dem Konsensprinzip getroffen, wird plötzlich nur noch mit Macht entschieden. Und wurde zuvor bei anstehenden Veränderungen scheinbar endlos an die Vernunft appelliert, so wird plötzlich vor allem das Instrument Zwang genutzt, um die Mitarbeiter zu "motivieren". Die Führungskräfte verfallen also von einem Extrem ins andere. Entsprechend verunsichert sind ihre Untergebenen, und entsprechend massiv sind zumindest ihre verdeckten Widerstände.

Dabei bieten gerade Krisenzeiten ideale Voraussetzungen, um Veränderungsprozesse zu initiieren, denn in ihnen treten die Versäumnisse der Vergangenheit offen zutage. Folglich kann den Mitarbeitern recht einfach vermittelt werden, warum eine Veränderung nötig ist.

Macht nicht genießen, sondern gebrauchen

Hierfür müssen sich die Führungskräfte aber zunächst auf ihre Kernaufgaben in ihrer Organisation besinnen. Sie müssen zudem wissen, dass sie zum Wahrnehmen ihrer Funktion Macht brauchen und diese aktiv nutzen müssen. Ihnen muss aber auch bewusst sein, dass die mit ihrer Position verbundene Macht nur eine "geliehene" ist - eine Macht, die ihnen "verliehen" wurde, um

- nötige Entscheidungen zu treffen,

- die damit verbundenen Prozesse zu initiieren und

- für ein konsequentes Umsetzen der vereinbarten Maßnahmen zu sorgen.

Die mit jeder Führungsposition verbundene Entscheidungs- und Gestaltungsmacht sowie disziplinarische Macht darf also nie losgelöst von der Führungsfunktion gesehen werden. Sie ist sozusagen ein Instrument, das Führungskräfte brauchen, um ihre Aufgaben wahrzunehmen. Und hier liegt der zentrale Unterschied zwischen einer autoritären und einer zielorientierten Führung. Eine autoritäre Führung definiert sich über ihre Position und die damit verbundene Macht, eine zielorientierte Führung über ihre Aufgabe. Folglich nutzt sie zwar Macht; sie genießt diese aber nicht. Sie strebt mit ihrem Tun - anders als eine autoritäre Führung - auch nicht nach einem Ausbau ihrer persönlichen Macht, sondern nach einem Erreichen der gesteckten Ziele.

Diese Unterschiede sollten (jungen) Führungskräften vermittelt werden. Dies geschieht oft nicht. Zwar wird in den meisten Unternehmen ein situatives Führen propagiert - also ein Führungsstil, bei dem die Führungskraft ihr Verhalten der Situation und dem Gegenüber anpasst - nur selten wird dem Nachwuchs aber verdeutlicht, was dies für den Umgang mit der verliehenen Macht bedeutet. Dabei stellt der adäquate Umgang mit der verliehenen Macht, ein Kernelement des situativen Führungsstils dar.

Das Thema Macht ist in vielen Unternehmen tabu

In vielen Unternehmen ist das Thema "Führung und Macht" tabu. Es wird weder in den Gesprächen zwischen den Führungskräften, noch in den Führungskräfteentwicklungsprogrammen erörtert. Deshalb haben sich viele junge Führungskräfte, wenn sie die erste Führungsposition übernehmen, noch nie mit den Fragen befasst:

- Wie entsteht (Führungs-)Macht?

- Aus welchen Quellen speist sich (Führungs-)Macht?

- Warum braucht eine Führungskraft Macht?

- Was unterscheidet eine Autorität von einer autoritären Persönlichkeit? Und:

- Wie sollte eine Führungskraft ihre Macht nutzen, damit sie ihre Funktion erfüllt?

Die Folge: Viele junge Führungskräfte haben ein ambivalentes Verhältnis zu der ihnen verliehenen Macht. Und manch junge Führungskraft scheut sich, weil sie einen partnerschaftlich-kooperativen Führungsstil anstrebt, wenn es die Situation erfordert, die ihr verliehene Macht aktiv zu gebrauchen. Dabei ist dies im Führungsalltag zuweilen nötig. Zum Beispiel, wenn es in dem Bereich "brennt". Dann darf eine Führungskraft nicht solange mit ihrer Mannschaft darüber diskutieren, was es zu tun gilt, bis der Brand im Erdgeschoss auch den Dachstuhl des Unternehmens erfasst hat. Sie muss ihr Team vielmehr - wie der Kommandeur einer Feuerwehr - auch mal mit Befehlen und Anweisungen dirigieren. Ähnlich ist es, wenn die Mitarbeiter als Team nicht entscheidungsfähig sind. Dann muss die Führungskraft den Knoten durchhacken und ihren "Mannen" den Weg aufzeigen. Entsprechendes gilt, wenn Teammitglieder durch ihr Verhalten immer wieder das Erreichen der Ziele gefährden. Dann muss die Führungskraft ihre disziplinarische Macht nutzen, um das Erreichen der Ziele zu sichern. Ein solches aktives Nutzen der verliehenen Macht erwarteten auch die Mitarbeiter von einer Führungs-KRAFT. Schließlich soll sie ihnen im Arbeitsalltag auch Orientierung und Halt geben.

Autoritäres Verhalten basiert oft auf Unsicherheit

Oft registriert man bei jungen Führungskräften - meist aus Unsicherheit und weil sie selbst unter einem enormen Druck stehen - auch das gegenteilige Verhalten. Sie praktizieren, um ihren Vorgesetzten und Mitarbeitern Tat- und Entschlusskraft zu beweisen, einen autoritären Führungsstil. Er manifestiert sich zum Beispiel darin, dass sie ihre Mitarbeiter selbst dann nicht in Entscheidungen einbeziehen, wenn diese bezogen auf bestimmte Fachfragen einen Kompetenzvorsprung haben - weil sie befürchten, ein Eingestehen von Wissens- und Erfahrungsdefiziten wird als Schwäche interpretiert. Die junge Führungskraft praktiziert also aus Unsicherheit und Unerfahrenheit einen autoritären Führungsstil, obwohl sie eigentlich einen partnerschaftlich-kooperativen Umgang mit ihren Mitarbeitern wünscht.

Einem solchen Verhalten liegen meist Versäumnisse des Unternehmens zugrunde. Sei es in der Form, dass die junge Führungskraft nicht ausreichend auf die Übernahme der Führungsposition vorbereitet wurde (oder ihr schlicht zu früh, Führungsaufgaben übertragen wurden). Oder sei es, dass die junge Führungskraft beim Wahrnehmen ihrer ersten Führungsfunktion nicht die nötige Unterstützung erfährt. Zum Beispiel durch Vorgesetzte oder externe Coachs.

Autoritäten sind nicht autoritär

In der Regel resultiert ein solches Fehlverhalten aber daraus, dass den jungen Führungskräften nicht ausreichend vermittelt wurde, dass jede Führungs-KRAFT zwar Macht braucht, ihre wahre Kraft sich aber aus der Fähigkeit speist, andere Menschen für sich einzunehmen und für die gemeinsamen Ziele zu "begeistern". Diese Fähigkeit brauchen insbesondere Führungskräfte, die beim Erfüllen der Aufgaben und Erreichen der Ziele auf ein aktives Mitdenken und -arbeiten der Mitarbeiter angewiesen sind - zum Beispiel, weil im Arbeitsalltag immer wieder neue Lösungen entwickelt werden müssen, weshalb ein Führen rein über Anweisungen nicht funktioniert.

Anders als in der Fachpresse oft suggeriert, gibt es in vielen Unternehmen aber auch noch Bereiche, in denen ein autoritärer Führungsstil nicht nur dominiert, sondern auch funktioniert. Hierbei handelt es sich meist um Bereiche, in denen vorwiegend relativ einfache, sich wiederholende Tätigkeiten ausgeführt werden. Deshalb ist ein Führen mittels Anweisungen und gemäß dem Prinzip "Befehl und Gehorsam" möglich. Anders ist es in den Bereichen, in denen die Mitarbeiter beim Erfüllen ihrer Aufgaben eine große geistige Flexibilität und hohe Identifikation mit ihrem Job zeigen müssen. Auch hier muss die Führungskraft, die ihr "verliehene" Macht zwar nutzen, mit ihr allein kann sie aber das Erreichen der Ziele auf Dauer nicht sichern.

Zum Autor: Roland Jäger ist Inhaber der Unternehmensberatung rj roland jäger management consulting, Wiesbaden, (Tel.: 0611/411 39 41; Mail: rj@konsequent-fuehren.de; Internet: www.konsequent-fuehren.de). Er ist Autor des Buchs "Kompetent führen in Zeiten des Wandels" (Beltz Verlag). (mf)