Ein Versicherungsvertrag kommt grundsätzlich dann zustande, wenn eine Partei ein Angebot zum Vertragsschluss abgibt, und die andere Partei dieses Angebot annimmt. Doch wie lange ist man an sein Angebot gebunden? Und was passiert, wenn der andere Teil das Angebot zwar annimmt, jedoch unter Abweichungen? Und kann man sich trotz erfolgter Annahme noch vom Vertrag lösen? Und welche Auswirkungen hätte eine Lösung vom Vertrag?
Der folgende Artikel beschäftigt sich mit diesen Fragen und soll Ihnen einen groben Überblick über die Fristen rund um den Versicherungsvertragsschluss bieten, ohne dabei den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.
Wie lange ist man an sein Angebot gebunden?
Regelmäßig wird der Versicherungsnehmer ein Antragsformular ausfüllen und dieses der Versicherungsgesellschaft zukommen lassen - sei es direkt oder durch einen Makler. Der Vertragsschluss ist dann davon abhängig, dass der Versicherer diesen Antrag annimmt. Gemäß § 145 BGB ist der Versicherungsnehmer grundsätzlich an seinen Antrag gebunden. Doch kann er erwarten, dass die Versicherungsgesellschaft innerhalb einer bestimmten Frist annimmt oder ablehnt?
§ 147 Abs. 2 BGB bestimmt, dass der einem Abwesenden gemachten Antrag nur bis zu dem Zeitpunkt angenommen werden kann, in welchem der Antragende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten darf.
Was zählt zu den regelmäßigen Umständen? Zunächst muss der Antrag zum Versicherer gelangen. Hier ist von einer gewissen Beförderungsdauer auszugehen. Dem Versicherer steht eine Bearbeitungs- und Überlegungsfrist zu. Und schließlich muss die Annahme oder Ablehnung des Angebots den Versicherungsnehmer wieder erreichen. Es muss also wieder eine gewisse Beförderungsdauer zugebilligt werden. Unter regelmäßigen Umständen kann man davon ausgehen, dass der gesamte Vorgang ca. 4 bis 6 Wochen in Anspruch nimmt.
Da es hierfür jedoch keine gesetzliche Regelung gibt und damit auch keine Rechtssicherheit besteht, wäre es ratsam, eine Bindungsfrist zu vereinbaren. Eine Bindungsfrist bestimmt den Zeitraum, bis zu welchem sich der Versicherungsnehmer an seinen Antrag binden möchte und stellt zugleich für den Versicherer eine Annahmefrist dar.
Diese Bindungsfristen befinden sich meist bereits auf den Antragsformularen oder in den AVB. Der Versicherungsnehmer kann auch einseitig diese Fristen verlängern oder verkürzen. Sie dienen ausschließlich zu seinem Schutz. Der Versicherungsnehmer soll die Möglichkeit haben, sich nach dem Abwarten einer zumutbaren Frist, einen anderen Versicherer suchen zu können, ohne sich dabei der Gefahr einer doppelten Prämienzahlung aussetzen zu müssen. Die Bindungsfristen betragen regelmäßig je nach Branche ebenfalls ca. 4 bis 6 Wochen.
Annahme unter Abweichungen
Was passiert, wenn der Versicherer den Antrag unter Abweichungen annimmt?
In den meisten Fällen wird der Versicherer den Antrag innerhalb einer angemessenen Annahmefrist annehmen. Doch wie ist es zu beurteilen, wenn im Versicherungsschein nicht das dokumentiert wird, was im Antrag gewünscht war?
Gemäß § 150 Abs. 2 BGB gilt eine Annahme unter Erweiterungen, Einschränkungen oder sonstigen Änderungen als Ablehnung des Antrages verbunden mit einem neuen Antrag. Für den Vertragsschluss ist somit grundsätzlich erforderlich, dass der Versicherungsnehmer das neue Angebot des Versicherers annimmt.
Diese Regelung wird jedoch für Versicherungsverträge durch § 5 VVG durchbrochen.
Nach § 5 Abs. 1 VVG gilt die Abweichung als genehmigt, wenn der Versicherungsnehmer nicht innerhalb eines Monats nach Zugang des Versicherungsscheins in Textform widerspricht. Schweigen gilt also als Annahme des Gegenangebots.
Neben dem Verstreichenlassen der einmonatigen Frist müssen allerdings auch noch die Voraussetzungen nach § 5 Abs. 2 VVG erfüllt sein:
1. Der Versicherer muss den Versicherungsnehmer bei der Übermittlung des Versicherungsscheins darauf hingewiesen haben, dass die Abweichungen als genehmigt gelten, wenn der Versicherungsnehmer nicht innerhalb eines Monats nach Zugang des Versicherungsscheins in Textform widerspricht.
2. Auf jede Abweichung und die damit verbundenen Rechtsfolgen muss der Versicherer den Versicherungsnehmer durch einen auffälligen Hinweis im Versicherungsschein aufmerksam gemacht haben, z.B. durch eine rote Markierung o.Ä.
Sofern der Versicherer den Erfordernissen nach § 5 Abs. 2 VVG nicht nachkommt, gilt nach § 5 Abs. 3 VVG der Vertrag mit dem Inhalt des Antrags des Versicherungsnehmers als geschlossen.
Beispiel:
Versicherungsnehmer A beantragt beim Versicherer B eine Deckungssumme von 1,5 Mio. Euro. Tatsächlich wird im Versicherungsschein lediglich eine Deckungssumme von 1,13 Mio. Euro dokumentiert. Sofern B diese Abweichung vom Antrag des A deutlich kenntlich gemacht und darauf hingewiesen hat, dass diese Abweichung als genehmigt gilt, sofern nicht innerhalb eines Monats in Textform widersprochen wird und welche Rechtsfolgen aus dem Widerrufs resultieren und A dann tatsächlich nicht widerspricht, gilt eine Deckungssumme von 1,13 Mio. Euro als vereinbart.
Sofern B jedoch die Abweichung nicht kenntlich gemacht oder nicht auf das Widerspruchsrecht des A und dessen Rechtsfolgen hingewiesen hat, gilt das von A Beantragte - also eine Deckungssumme von 1,5 Mio. Euro - als vereinbart. Ein Widerspruch des A ist in diesem Fall nicht erforderlich.
Kann man sich auch noch nach Vertragsschluss vom Vertrag lösen?
Wenn man nun davon ausgeht, dass der Versicherungsnehmer bei dem Versicherer einen Antrag gestellt hat, und der Versicherer diesen Antrag auch angenommen hat, hat der Versicherungsnehmer dann trotzdem noch die Möglichkeit, sich vom Vertragsschluss zu lösen?
Widerrufsrecht
Nach § 8 VVG steht dem Versicherungsnehmer ein Widerrufsrecht zu.
Die Widerrufsfrist beträgt nach § 8 Abs. 1 Satz 1 VVG 14 Tage. Die Frist beginnt nach § 8 Abs. 2 Satz 1 VVG sobald dem Versicherungsnehmer folgende Unterlagen zugegangen sind:
1. Versicherungsschein
2. Vertragsbestimmungen einschließlich der Allgemeinen Versicherungsbedingungen sowie die weiteren Informationen nach § 7 Abs. 1 und 2 VVG
Weitere Voraussetzung für den Lauf der Widerrufsfrist ist, dass der Versicherungsnehmer ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt worden ist. Er muss zudem über die Rechtsfolgen seines Widerrufes aufgeklärt worden sein. Sofern diese Voraussetzungen (Zugang der Unterlagen und Widerrufsrechtsbelehrung) nicht erfüllt sind, beginnt die Widerrufsfrist nicht zu laufen und der Versicherungsnehmer hat ein zeitlich unbegrenztes Widerrufsrecht. Die Beweislast dafür, dass die erforderlichen Unterlagen zugegangen sind, trägt der Versicherer.
Die Widerrufserklärung muss gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 VVG in Textform erfolgen. Gründe dafür, warum der Widerruf erklärt wird, müssen nicht angegeben werden. Zu Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung der Widerrufserklärung.
Es gibt allerdings auch Fälle in denen das Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers ausgeschlossen ist (§ 8 Abs. 3 VVG):
1. Kein Widerrufsrecht besteht, wenn eine Vertragslaufzeit von weniger als einem Monat vereinbart wurde.
2. Kein Widerrufsrecht besteht bei Versicherungsverträgen mit vorläufiger Deckung, sofern es sich hierbei nicht um Fernabsatzverträge handelt.
3. Kein Widerrufsrecht besteht bei Verträgen mit Pensionskassen, die auf arbeitsvertraglichen Regelungen beruhen, sofern es sich hierbei nicht um Fernabsatzverträge handelt.
4. Kein Widerrufsrecht besteht außerdem bei Verträgen über Großrisiken im Sinne von
§ 210 Abs. 2 VVG.
Das Widerrufsrecht kann auch dadurch ausgeschlossen sein, dass der Versicherungsnehmer im Falle einer beidseitigen Erfüllung des Vertrages auf sein Widerrufsrecht verzichtet.
Rechtsfolgen
Welche Rechtsfolgen hat ein wirksamer Widerruf?
Wenn der Versicherungsnehmer von seinem Widerrufsrecht Gebrauch macht, hat er primär den Wunsch, sich vom Vertrag zu lösen. Aber welche weiteren Folgen resultieren aus der Ausübung des Widerrufsrechts?
Gemäß § 346 Abs. 1 BGB sind im Falle des Widerrufs die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben.
Wie dies im Bereich der Versicherungsverträge zu geschehen hat, regelt § 9 VVG.
Wird der Widerruf zu einem Zeitpunkt ausgeübt, in dem der Versicherungsschutz bereits bestand, muss der Versicherer nur den Anteil der Prämie an den Versicherungsnehmer erstatten, der für den Zeitraum nach dem Widerruf anteilig zu erbringen war.
Beispiel:
Der Versicherungsbeginn soll zum 01.01.2012 erfolgen. Der Versicherungsnehmer hat eine jährliche Zahlweise vereinbart und zahlt nach Erhalt des Versicherungsscheines auch umgehend die gesamte Prämie. Am 10.01.2012 erklärt der Versicherungsnehmer den Widerruf gegenüber dem Versicherer. Der Versicherer darf dann den Anteil der Prämie für den Zeitraum 01.01.2012 bis 10.01.2012 einbehalten und muss den Anteil der Prämie für den Zeitraum 10.01.2012 bis 01.01.2013 an den Versicherungsnehmer erstatten.
Voraussetzungen dafür, dass der Versicherer die Prämie nur anteilig zurückzahlen muss, sind:
1. …, dass der Versicherungsnehmer über sein Widerrufsrecht belehrt worden ist.
2. …, dass dem Versicherungsnehmer die Rechtsfolgen des Widerrufs mitgeteilt worden sind.
3. …, dass der Versicherungsnehmer auf den zu zahlenden Betrag hingewiesen worden ist, der im Falle eines Widerrufs anteilig für den Zeitraum des Versicherungsschutzes zu zahlen ist.
4. …, dass der Versicherungsnehmer zugestimmt hat, dass der Versicherungsschutz bereits vor dem Ende der Widerrufsfrist beginnen soll.
Eine ausdrückliche Zustimmung ist hierfür nicht erforderlich. Es genügt, dass der Versicherungsnehmer über sein Widerrufsrecht belehrt worden ist, ein Zeitpunkt als Beginn des Versicherungsschutzes vereinbart wurde, der vor dem Ablauf der Widerrufsfrist liegt und dass der Versicherungsnehmer die Prämie gezahlt hat.
Beitragspflicht und Leistungspflicht
Bis zum Zeitpunkt des Widerrufs ist der Versicherungsnehmer also beitragspflichtig und der Versicherer im Gegenzug leistungspflichtig. Diese empfangenen Leistungen müssen die Parteien nicht zurückgewähren. Der Widerruf hat hier lediglich die Wirkung einer Kündigung.
Hat der Versicherer nicht auf den zu zahlenden Betrag hingewiesen, hat er gleichzeitig nicht die nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 VVG erforderlichen Informationen nach § 1 Abs.1 Nr. 13 VVG erbracht.
§ 8 Abs. 2 Nr. 1 VVG verweist auf § 7 Abs. 1 und 2 VVG. § 1 Abs. 1 Nr. 13 VVG regelt, dass der Versicherer dem Versicherungsnehmer nach § 7 Abs. 1 Satz 1 VVG die folgenden Informationen zur Verfügung zu stellen hat:
1. das Bestehen oder Nichtbestehen des Widerrufsrechts,
2. die Bedingungen und Einzelheiten der Ausübung, insbesondere Namen und Anschrift derjenigen Person, gegenüber der der Widerruf zu erklären ist,
und
3. die Rechtsfolgen des Widerrufs einschließlich der Informationen über den Betrag, den der Versicherungsnehmer im Falle des Widerrufs gegebenenfalls zu zahlen hat.
Hat der Versicherer also nicht auf den zu zahlenden Betrag hingewiesen, hat er die Voraussetzung nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 VVG nicht erfüllt, so dass die Widerrufsfrist nicht zu laufen beginnt. Folglich hat der Versicherungsnehmer ein zeitlich unbegrenztes Widerrufsrecht.
Macht nun der Versicherungsnehmer nach z.B. 4 Jahren von seinem Widerrufsrecht Gebrauch, muss der Versicherer nach § 9 Satz 2 VVG neben dem Anteil der Prämie, der für den Zeitraum nach dem Widerruf anteilig zu erbringen war, auch die gezahlten Prämien für das erste Versicherungsjahr erstatten.
Die Erstattung der Prämie für das erste Versicherungsjahr ist eine Sanktion für den unterlassenen Hinweis bezüglich des zu zahlenden Betrages.
Diese Sanktion betrachtet der Gesetzgeber jedoch als ungerechtfertigt, wenn der Versicherungsnehmer Leistungen des Versicherers in Anspruch genommen hat. In diesem Fall muss der Versicherer nur den Anteil der Prämie erstatten, der für den Zeitraum nach der Widerrufserklärung gezahlt wurde (siehe oben). (oe)
Bianca Treede
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