Sinnstiftung statt Proifitmaximierung

Firmen brauchen Loyalty Leaders

14.06.2010
Die Märkte der Zukunft verkaufen soziale Verantwortung und Lebensqualität, meint Anne M. Schüller.

Das größte Vermögen, das ein Unternehmen besitzt, ist die Loyalität seiner Kunden. Je länger es einen rentablen Kunden hält, desto mehr Gewinn kann es durch ihn erzielen. Oberstes Ziel sollte es daher sein, möglichst keinen einzigen profitablen Kunden zu verlieren, den man behalten will. Hohe Kundenloyalität und niedrige Abwanderungsraten sichern den dauerhaften Geschäftserfolg.

Spätestens seit der globalen Strukturkrise, die ja vor allem eine Vertrauenskrise war, ist klar: Wir leben in einer neuen Business-Welt. Der wahre Treiber dieser Zäsur? Das Web 2.0 mit seinen partizipativen Mitmach-Möglichkeiten. Der Begriff, Ende 2005 von Tim O'Reilly populär gemacht, markiert das Ableben des Von-oben-nach-unten-Monologs und den unumkehrbaren Beginn eines gleichrangigen Dialogs zwischen Unternehmen und ihren Anspruchsgruppen (Stakeholder). Das Web 1.0 stand für Produkte und Handel, das Web 2.0 steht für Menschen und Gespräche.

Das, was schließlich zur Krise führte, war wohl das letzte Aufbäumen, um im alten System noch einmal kräftig abzusahnen. Nun wissen wir jedenfalls, was passiert, wenn der schnelle Dollar mehr wert ist als der treue Kunde. Und wir haben gelernt: Der größte Luxus im Business ist Menschlichkeit. "Es ist ein geradezu tragisches Versagen, dass Unternehmen durch Management genau der Qualitäten beraubt werden, die uns zu Menschen machen: unsere Lebenskraft, unser Einfallsreichtum und unsere Hilfsbereitschaft", sagt Gary Hamel, Buchautor und Direktor von The Management Lab, in einem Beitrag für den Harvard Business Manager.

Die neue Business-Welt

Es ist nun höchste Zeit für neue Umgangsformen mit den Kunden - und der Gesellschaft. Ex-und-hopp ist passé. Moralische Werte und ethische Konsumbedürfnisse bestimmen zunehmend das Marktgeschehen. Die Märkte der Zukunft verkaufen soziale Verantwortung und Lebensqualität. "Zu den Gewinnern und Marktführern von morgen gehören die Unternehmen, die Zufriedenheit und Sinn vor die Profitmaximierung stellen", meint Eike Wenzel vom Zukunftsinstitut. Die Sinnkomponente hat schon längst auch die Arbeitswelt erfasst. Und so sagt es Philipp Schindler, Europachef von Google, der besten Unternehmensmarke 2009: "Erfolg ist, wenn Kunden und Mitarbeiter glücklich sind." Das stimmt! Denn wo die Stimmung stimmt, da stimmen am Ende auch die Ergebnisse.

Die Web-2.0-Welt steht für Freiheit, für Interaktion, Kollaboration und die ‚Weisheit der Vielen‘ (James Surowiecki). Sie steht für Open Source statt Closed Loop. Geschlossene Kreise und Kästchendenke sind Relikte aus dem letzten Jahrhundert. Open Innovation ist nunmehr gefragt. Anstatt also in immer schnelleren Zyklen selbst erfundene Produkte per Ein-Weg-Werbung in den Markt zu drücken, gehen zukunftsorientierte Unternehmen mit ihren Kunden eine lernende Beziehung ein, in der letztere das Sagen haben. Kundenbindung ist dabei ein Auslaufmodell. "Fesselspiele" mit Kunden funktionieren nicht mehr. Loyalität ist vielmehr gefragt. Sie kann durch nichts erzwungen werden, sondern findet immer freiwillig statt.

Loyalität im Wertewandel

Um schließlich eine hohe Kundenloyalität zu erreichen, müssen Anpassungen in den unterschiedlichsten Bereichen vorgenommen werden: in der Unternehmensorganisation, in der Vertriebskultur, bei den Anreiz-Systemen, bei den Mitarbeiter-Funktionen, in den Service Centern und im Prozessmanagement. Das muss auch heißen: Aufhören, sich auf Kosten der Bestandskunden zu Tode zu sparen. Und das kann heißen, kleiner statt größer zu werden. Kleinsein kann große Wettbewerbsvorteile mit sich bringen. Die Dinosaurier der Wirtschaft, die sich zum Nachteil der Gemeinschaft mästen, werden wohl sterben. "Raubtierkapitalismus ruiniert sich selbst. Wer Erfolg hat, indem er die Dummheit und Schwäche der anderen ausnutzt, zerstört damit die Umwelt, in der er Erfolg haben kann.", sagt der Medienphilosoph Norbert Bolz.

Gewiss: Man kann nur mit den Waffen kämpfen, die man kennt. Oder, wie es die Literaturprofessorin Gertrud Höhler sagt: "Männer wollen Schlachten wiederholen, in denen sie siegreich waren." Und so ist Rückfall vorprogrammiert. Die Ewiggestrigen müssen deshalb ausgetauscht werden. Dazu noch einmal Gary Hamel: "Um Unternehmen mit dem Rüstzeug für die Herausforderungen der Zukunft zu versehen, bräuchte es eine Managementrevolution, die nicht weniger bedeutend ausfallen dürfte als die Revolution, die zur Entwicklung der modernen Industriegesellschaft führte."

Kooperation statt Konfrontation

In den neuen Geschäftsmodellen tritt das sinnvolle Teilen an die Stelle von einseitigem Abschöpfen. Der ewige Männertraum von Eroberung und Unterwerfung funktioniert nicht mehr. Die These vom ‚Social Brain‘ setzt sich immer mehr durch. Sie besagt, dass Menschen nicht primär auf Egoismus und Konkurrenz ausgerichtet sind, sondern auf Zuwendung und gelingende zwischenmenschliche Beziehungen. Erst wenn diese enttäuscht werden, reagieren wir mit Angriff. Aggression ist also ein Notfallprogramm. Vorauseilende Aggressivität ist pathologisch. Ein dauerkompetitives Umfeld macht nicht nur die Mitarbeiter, sondern schließlich ganze Unternehmen krank. Man kann auch erfolgreich sein, ohne zu zerstören. Man kann Gewinne erzielen und gleichzeitig die Welt verbessern.

Die neue ‚Net Generation‘ zeigt, wie das geht. Sie hat den Paradigmenwechsel in Wirtschaft und Gesellschaft längst eingeläutet. Sie ist dabei, das Berufsleben und die Art, wie man Geschäfte macht, grundlegend neu zu definieren. Ihre größte Stärke? Das Wissen, wie sich aus vernetzten Strukturen Vorteile schöpfen lassen. So zeigt sie den ‚Analog Seniors‘, wo es in Zukunft langgeht:

- Kooperation statt Konfrontation

- Gleichrangigkeit und Selbstorganisation

- Dialog und Interaktion

- Teilen und Partizipation

- Transparenz und Wahrhaftigkeit

- Kreativität und Schnelligkeit

- Beiträge leisten und helfen wollen

Den Unternehmen, die solche Werte leben, wird ein Großteil der Kunden die Treue halten.

Die Meilensteine im Loyalitätsmarketing

Loyalität ist heute ein rares Gut, denn die Wechselbereitschaft der Kunden ist groß. Mit einem hastig aufgesetzten Customer Rentention Programm, das dazu dienen soll, flüchtende Kunden aufzuhalten, ist es nicht getan. Isolierte Aktiönchen verpuffen. Loyalität geht jeden im Unternehmen an. Wer nach den großen Trittsteinen sucht, dem seien die folgenden empfohlen:

- Verstehen, wie Loyalität funktioniert

- Loyalität in die Unternehmenskultur einweben

- Mitarbeiter als Kunden-Glücklichmacher befähigen

- Kunden als Mitgestalter und Mitentscheider involvieren

- Kundentreue hegen, pflegen und belohnen

- Fan-Kunden als Promotoren und kostenlose Verkäufer gewinnen

- Loyalitätsführerschaft zum strategischen Ziel erklären.

Im Einzelnen geht es um eine Summe von Details, die, wie ein Puzzle richtig zusammengelegt, schließlich ein großes Ganzes namens Loyalität ergeben. Jedem Unternehmen stellt sich dabei die Aufgabe, Schritt für Schritt seine eigene, unverwechselbare Handschrift in Sachen Loyalität zu entwickeln. Und zwar erst im Innen, dann im Außen.

Loyalitätsführerschaft als Ziel

Als Loyalitätsführer werden solche Unternehmen bezeichnet, die in ihrer Branche die höchste Kundenloyalität erzielen. Bei ihnen ist Loyalität in der Unternehmenskultur, in der Unternehmensstrategie und im Leitbild fest verankert. Frederik F. Reichheld, internationaler Vorreiter des Loyalty Marketing, hat in seinen Untersuchungen herausgefunden, dass Loyalitätsführer (Loyalty Leader) durchschnittlich mehr als doppelt so schnell wachsen wie der Durchschnitt des Marktes.

Wie man Loyalitätsführer wird? Indem man folgende ‚nicht verhandelbare‘ Meta-Regel erlässt:

Nie auf Kosten rentabler loyaler Kunden!

Loyalitätsführer leben Loyalität glaubwürdig nach innen und außen, also ihren Beschäftigten, Partnern, Lieferanten und natürlich ihren Kunden gegenüber. Ihre Marken erzeugen eine hohe Markenloyalität. Ihre Mitarbeiter zeigen eine hohe Mitarbeiterloyalität und bewirken eine hohe Kundenloyalität.

Loyalitätsführer schöpfen aus dem Potenzial der existierenden Kundenbasis. Hierzu haben sie ihren Kundenbestand auf Entwicklungsstärke durchforstet sowie nach Loyalitäts- und Rentabilitätsgesichtspunkten segmentiert. Sie haben verstanden, dass Loyalität vor allem während der Besitz- bzw. Nutzungsphase aufgebaut werden kann und muss. Sie sorgen für begeisternde Erfahrungen in den ‚Momenten der Wahrheit‘ und übertreffen die Erwartungen ihrer Kunden. Sie wissen, dass man vor allem durch einen gut gemachten persönlichen Kontakt die Loyalität dauerhaft steigern kann. Und sie belohnen die Treue ihrer Kunden.

Wer schließlich die größte Loyalisierungskraft hat, der hat die Nase vorn. So sichern sich Loyalitätsführer eine Monopolstellung in Kopf, Herz und Geldbeutel ihrer Kunden. Total loyale Kunden sind blind und taub für den Wettbewerb. Sie sind überzeugte und begeisterte Immer-wieder-Käufer. Und sie sorgen als Fans, als Multiplikatoren und aktive Empfehler für leichtes, lukratives Neugeschäft. Dies ist der schnellste Weg zur Loyalitätsführerschaft.

Kontakt:

Anne Schüller Marketing Consulting, Harthauser Str. 54, 81545 München, Tel.: 089 6423208, E-Mail: info@anneschueller.de, Internet: www.anneschueller.de

Zum Buch:

Anne M. Schüller, Kunden auf der Flucht? Wie Sie loyale Kunden gewinnen und halten, Orell Füssli 2010, 208 Seiten, gebunden, 26,90 Euro, ISBN 978-3-280-05382-9