Erst das verheerende Erdbeben und der Tsunami in Japan und nun die Flut in Thailand: Die IT-Industrie musste noch nie binnen eines Jahres mit Naturkatastrophen fertig werden, die so weitgehende Auswirkungen auf die gesamte Branche hatten. Nun rächt sich die Konzentration auf nur wenige Hersteller und Zulieferer. "Bei allen Kostenvorteilen können Naturkatastrophen - und davon gibt es offensichtlich immer mehr - einen gesamten Wirtschaftszweig in große Schwierigkeiten bringen", umreißt Björn Siewert, Geschäftsführer des Kompontenen-Distributors Siewert & Kau das Problem.
Besonders deutlich wird dies nun beim Festplattenmarkt. So ist die Produktion durch die Wassermassen in Bangkok und Umgebung nahezu zum Erliegen gekommen. Dabei sind nicht nur die Fabriken von Western Digital und Toshiba, bei denen das Wasser zum Teil meterhoch in den Hallen steht, betroffen: So musste nach einem Bericht der Citi Investment Research & Analysis beispielsweise Zulieferer Nidec, der Festplattenmotoren herstellt, seine Produktion um 60 Prozent zurückfahren. Die Auswirkungen sind immens, denn drei von vier dieser Motoren kommen von Nidec. Zwar können andere Zulieferer aus China und den Philippinen die Produktion hochfahren, doch kompensieren können sie die Lücke nicht.
35 Millionen Festplatten fehlen
Experten schätzen, dass pro Quartal weltweit rund 170 Millionen Festplatten benötigt werden. Davon entfallen über 70 Millionen auf die großen PC-Fertiger wie HP, Lenovo oder Dell. Je knapp 50 Millionen gehen zu anderen OEMs sowie in die Distribution und den Handel. Wie gewaltig das Ausmaß ist, rechnen Analysten der Deutschen Bank vor: Sie erwarten, dass in den Monaten Dezember, Januar und Februar nur 134 Millionen Platten ausgeliefert werden können. Damit ergibt sich eine Lücke von über 35 Millionen Stück. Auch für das darauf folgende Quartal sind die Analysten wenig optimistisch: Der Ausstoß soll sich nur auf 152 Millionen Stück steigern. Erst ab Mitte kommenden Jahres ist dann wieder das übliche Niveau erreicht. "Wir gehen von einer weiteren Verknappung der im Markt verfügbaren Festplatten aus. Aufgrund unserer durchgeführten Marktrecherchen rechnen wir mit keiner kurzfristigen Erholung", erklärt Sven Buchheim, Vorstand beim Distributor und PC-Fertiger Bluechip. Auch Peter Zorn, Leiter Einkauf Festplatten und Komponenten bei B.com, will sich nicht festlegen: "Hier einen genauen Zeitraum zu nennen, wäre reine Spekulation", sagt der B.com-Manager. Zorn geht aber davon aus, dass "die Situation bis ins erste Quartal angespannt sein wird". Siewert & Kau-Geschäftführer Björn Siewert ist noch pessimistischer und kalkuliert mit "mindestens zwei bis drei Quartalen". "Ich befürchte, dass frühestens in einem Jahr mit einer Normalisierung zu rechnen ist", stellt der Komponentenspezialist die Situation dar.
Wenn man das Ausmaß der Zerstörung sieht, wird schnell klar, dass nach Abklingen der Flut nicht mit einer unverzüglichen Wiederaufnahme der Produktion zu rechnen ist. Alleine die Renovierung und Wiederherstellung der Reinraumfertigung dauert Wochen bis Monate. Zudem konnten auch viele Fertigungsstraßen bestückt mit Spezialmaschinen nicht in Sicherheit gebracht werden. "Viele der Fabriken werden erst in einem Jahr wieder voll funktionsfähig sein", glaubt Siewert.
Die Stunde der Spekulanten
Noch befinden sich marktüblichen Mengen von Festplatten auf dem Transportweg, doch alleine die Ankündigung der Verknappung hat die Preise in die Höhe schnellen lassen. Hamsterkäufe und spekulationsbedingte Aufkäufe haben bereits den Markt nahezu leergefegt. "Die Lieferkette ist derzeit gestört und Festplatten sind nur eingeschränkt verfügbar, was auch zu Preiserhöhungen seitens der Hersteller geführt hat", erklärt Robert Beck, Vice President Product Management bei Ingram Micro. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. "Einige Broadliner und Distributoren nutzen die am Markt bestehende Verknappung und Unsicherheit für ein künstlich nach oben angepasstes Pricing", weiß Bluechip-Vorstand Sven Buchheim. Dem einen oder anderen komme das gerade recht, um ein zu erwartendes schwaches viertes Quartal zu kompensieren.
Auch im ChannelPartner-Forum melden Händler gewaltige Preisausschläge nach oben. So berichtet "pat" von einer Verdoppelung des Preises für eine Zwei-Terabyte-Platte binnen weniger Stunden. Bei vielen Distributoren sei die Ware gar nicht zu ordern. "Wir haben die Situation, dass Hersteller, soweit sie überhaupt noch lieferfähig sind, vorrangig den OEM-Markt bedienen, da es hier feste Lieferverträge gibt", erklärt Björn Siewert die bereits existierende Allokation. Werden diese Verträge nicht erfüllt, drohen Konventionalstrafen. "Folglich steht der Channel ganz am Ende der Reihe", schließt Siewert. Auch für Forummitglied "A-H-S" ein Ärgernis: "Hier spekulieren ein paar Große auf kommende Verknappung und nehmen diese künstlich vorweg", schreibt "A-H-S". So sei dies für sie die Möglichkeit "mal wieder richtig Kasse zu machen". "Ronny" erwartet auch negative Auswirkungen auf das Jahresendgeschäft: "Eine abgewürgten Nachfrage durch utopische Festplattenpreise käme jedenfalls sehr ungelegen", meint "Ronny".
Hamsterkäufe verschärfen die Situation
Doch, ob künstliche herbeigeführte oder tatsächliche Engpässe, wie soll der Händler nun agieren? Die Distributoren sind sich nicht einig: "Ich kann nur raten jetzt zu kaufen, was momentan verfügbar ist", sagt Björn Siewert. Auch B.com-Manager Zorn geht momentan von weiter steigenden Preisen aus: "Wir empfehlen den Händlern, ihren Bedarf zu prüfen und genau zu kalkulieren. Wir bemühen uns, unseren Kunden stetig Ware anbieten zu können", verspricht er.
Die Distributionskollegen befürchten aber, dass durch weitere Hamsterkäufe sich die Situation weiter verschärft. "Das Allerwichtigste ist, jetzt die notwendige Ruhe zu bewahren. Hamsterkäufe und überschnelles Handeln helfen nicht weiter, sondern führen eher zu einer weiteren, künstlichen Allokation", warnt Ilgonis Inspeters, Leiter der Business Unit Komponenten bei Tech Data. Bluechip-Vorstand Buchheim rät den Händlern, sich auf ihr Kernsegment zu konzentrieren und entsprechende Prioritäten zu setzen. Um eine gewisse Planungssicherheit im Projektgeschäft mit PCs, Servern, Workstations und Notebooks zu gewährleisten, bietet Buchheim bei der Abgabe der Projekte Fixpreise für die angebotenen Festplatten an. "Die in der jetzigen Situation zu realisierenden Projekte liefern wir entsprechend der vorab kalkulierten Preise aus", verspricht er.
Jedenfalls schlägt die Flut in Thailand weltweite Wellen. Ingram-Micro-Manager Beck und Tech-Data-Manager Inspeters melden einhellig bereits Verknappungen bei den NAS-Herstellern. Bei Buffalo beispielsweise sollen die Vorräte nur noch für vier bis sechs Wochen halten, dann wird es eng. Neben dem klassischen PC- und Servergeschäft könnten auch Geräte mit integrierten Festplatten wie Spielekonsolen, Festplattenrekorder oder auch größere Drucker teuerer werden. So haben auch die Analysten der Citigroup ihren Prognosen für das zu erwartende Geschäft mit PCs nach unten korrigiert. Sie rechnen mit vier Prozent weniger im laufenden und mit sechs Prozent weniger Stückzahlen im ersten Quartal 2012 als ursprünglich vorhergesagt.
Erhöhte Nachfrage verzeichnen hingegen die SSD-Produzenten. So könnte der Durchbruch der Flash-Platten schneller kommen als eigentlich erwartet. "Wir beraten Händler und Systemhäuser, die Thematik SSD verstärkt aufzunehmen, denn diese stellen bei weiter steigenden Preisen eine Alternative dar", prognostiziert Sven Buchheim. Auch bei Tech Data registriert man eine positive SSD-Entwicklung: "Das Geschäft mit Solid State Disks befindet sich auf einem aufsteigenden Ast und bietet für den Handel gute Geschäftsmöglichkeiten", glaubt Ilgonis Inspeters. (awe)