Die Rechte und Pflichten im Arbeitsverhältnis ergeben sich nicht nur aus dem meist schriftlichen Arbeitsvertrag; auch das tatsächliche Verhalten des Arbeitgebers über einen bestimmten Zeitraum hinweg kann Einfluss auf die Rechtsposition des Arbeitnehmers haben.
Aus der regelmäßigen Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers, aus denen der Arbeitnehmer schließen kann, dass ihm hierdurch gewährte Leistungen oder Vergünstigungen auch künftig auf Dauer gewährt werden sollen, kann nämlich eine sog. betriebliche Übung entstehen. Der Arbeitnehmer erhält hierdurch einen vertraglichen Anspruch, der ihm nicht ohne Weiteres wieder entzogen werden kann.
Beispiele einer solchen betrieblichen Übung sind Sonderzahlungen in gleich bleibender Höhe (z. B. Weihnachtsgeld), bezahlte Arbeitsfreistellungen (z. B. am Faschingsdienstag, Heiligabend).
Gewährt der Arbeitgeber solche Leistungen ohne einen Freiwilligkeits- oder Widerrufsvorbehalt über einen bestimmten Zeitraum hinweg, darf der Arbeitnehmer annehmen, hierauf künftig auf Dauer einen Anspruch zu haben. Bei Sonderzahlungen kann der Arbeitnehmer bei einer vorbehaltslosen Zahlung über drei Jahre auf die Gewährung auch in Zukunft vertrauen.
Erhöht dagegen ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber das Gehalt über Jahre entsprechend der tarifvertraglichen Steigerungen, kann sich daraus keine betriebliche Übung für künftige Gehaltserhöhungen ergeben, es sei denn, er zeigt in seinem Verhalten deutliche Anhaltspunkte dafür, dass er auf Dauer die von den Tarifvertragsparteien ausgehandelten Tariflohnerhöhungen übernehmen will (BAG, Urteil vom 09.02.2005 - 5 AZR 284/04).
Mit Freiwilligkeitsvorbehalt vorbauen
Um das Entstehen einer betrieblichen Übung zu verhindern, empfiehlt es sich, bei einmaligen Leistungen, die nicht laufend monatlich gewährt werden, einen Freiwilligkeitsvorbehalt zu vereinbaren und darauf hinzuweisen, dass auch bei wiederholter Gewährung kein Anspruch auf die Leistung für die Zukunft begründet wird.
Zweckmäßig ist eine Klausel im Arbeitsvertrag, wonach die etwaige Gewährung von einmaligen Leistungen im freien Ermessen des Arbeitgebers liegt und kein Rechtsanspruch für die Zukunft begründet wird, auch wenn eine Leistung wiederholt und ohne ausdrücklichen Vorbehalt der Freiwilligkeit erfolgen sollte. Für neu eintretende Mitarbeiter kann hierdurch das Entstehen einer betrieblichen Übung verhindert werden.
Zur Vermeidung einer betrieblichen Übung kann nicht mehr auf eine so genannte doppelte Schriftformklausel zurückgegriffen werden, wonach Änderungen und Ergänzungen des Vertrags zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform bedürfen, was auch für die Schriftformklausel selbst gelten soll. Das BAG hat mit Urteil vom 20.05.2008 entschieden, dass eine solche Klausel abweichend von dem gesetzlich angeordneten Vorrang der Individualabrede den unzulässigen Eindruck erwecke, auch eine mündliche individuelle Vertragsabrede sei wegen der Nichteinhaltung der Schriftform unwirksam.
Ist eine betriebliche Übung bereits entstanden, können Ansprüche hieraus nicht durch einseitige Erklärung des Arbeitgebers, z. B. durch Aushang am Schwarzen Brett, ausgeschlossen werden.
Beseitigung durch Vertragsveränderung
Der vertragliche Anspruch aus betrieblicher Übung kann nur durch eine Vertragsänderung wieder beseitigt werden. Nach den Grundsätzen der gegenläufigen betrieblichen Übung wurde eine solche Vertragsänderung durch schlüssiges Verhalten angenommen, wenn der Arbeitgeber erklärte, die bisherige betriebliche Übung sei beendet und seine Leistung erfolge von nun an freiwillig und begründe keinen Rechtsanspruch ("Freiwilligkeitsvorbehalt") und der Arbeitnehmer die neue, veränderte Leistungsgewährung dreimal widerspruchslos entgegennahm.
Mit Urteil vom 18.03.2009 (10 AZR 281/08) hat das BAG die Grundsätze zur gegenläufigen betrieblichen Übung jedoch aufgegeben und die Anforderungen an die vertragliche Beseitigung einer betrieblichen Übung verschärft: Der widerspruchlosen Fortsetzung der Tätigkeit durch den Arbeitnehmer nach Änderung der Leistung darf der Arbeitgeber nunmehr nicht mehr ohne Weiteres ein Einverständnis mit der Aufgabe des bisherigen Rechtsanspruchs entnehmen. Regelmäßig ist ohnehin mit einem Widerspruch des Arbeitnehmers bei einer nachteiligen Veränderung der Leistungsgewährung, z. B. der Gewährung von Weihnachtsgeld in Höhe von nur 50 Prozent, zu rechnen.
Umso mehr sollten Arbeitgeber daher schon vor Vertragsschluss, jedenfalls aber vor jeder Gewährung einer Sonderzahlung oder Leistung, auf die Vermeidung einer betrieblichen Übung achten, um eine schleichende, anschließend schwer zu beseitigende Vertragsänderung zu verhindern.
Der Autor Torsten Lehmkühler ist Rechtsanwalt und Mitglied der Deutschen Anwalts- und Steuerberatervereinigung für die mittelständische Wirtschaft e.V. (www.mittelstands-anwaelte.de).
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Torsten Lehmkühler, c/o SLP Anwaltskanzlei Dr. Seier & Lehmkühler GmbH, Obere Wässere 4, 72764 Reutlingen, Tel.: 07121 38361-0, E-Mail: lehmkuehler@slp-anwaltskanzlei.de, Internet: www.slp-anwaltskanzlei.de