Predictive Maintenance auf dem Oktoberfest

So geht das Geld auf der Wiesn nicht aus

20.09.2016 von Jürgen  Hill
Egal ob Bier, Hendl oder Ochsenbraten – ohne Geld geht auf dem Münchner Oktoberfest nicht viel. Und damit dieses nicht ausgeht, haben die Betreiber von Geldautomaten während des zweiwöchigen Spektakels eine logistische Meisterleistung zu bewältigen.
Auf dem Okotoberfest bleibt Bargeld als anonymes Zahlungsmittel beliebt - auch zum Trinkgeld geben.
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Mit dem Start der Wiesn herrscht in München wieder für zwei Wochen Ausnahmezustand. Ausnahmezustand rund um das Oktoberfest herrscht aber nicht nur bei Anwohnern, Ordnungskräften etc,. sondern auch bei den Banken und Geldinstituten, die rund um das Oktoberfest und auf der Wiesn selbst ihre Bankomaten betreiben. Sie müssen dafür sorgen, dass der Geldfluss nicht zum Erliegen kommt.

Dabei bedienen sich die Betreiber seit langem Analytics-Tools und Predictive-Maintenance-Werkzeugen, wie sie derzeit rund um das Internet of Things als neue Trends propagiert werden. Wir haben mit Lars Bösel, er betreut als Director IT Services Provider bei NCR Bankkunden, darüber diskutiert, wie die Bargeldversorgung rund um das Oktoberfest sichergestellt wird.

Auf dem Oktoberfest werden auch in diesem Jahr wieder Millionen von Besuchern erwartet. Wie können die Banken rund um die Wiesn sicherstellen, dass die Geldautomaten ausreichend mit Bargeld bestückt sind?

Lars Bösel: In der Tat: Auf Großveranstaltungen wie dem Oktoberfest darf den Besuchern natürlich nicht das Geld ausgehen. Um eine ausreichende Versorgung kümmern sich die Geldinstitute mit fest installierten wie auch temporären Gelautomaten. Gerade bei den temporär aufgestellten Geldautomaten wird nichts dem Zufall überlassen. Werttransportunternehmen sorgen dafür, dass genügend Geld in verschiedenen Stückelungen in den Automaten vorrätig ist.

Damit die Geldversorgung sichergestellt ist, müssen die Bankomaten auf und rund um das Oktoberfest ständig aufgefüllt werden.
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Aber die Banken und Sparkassen im Umfeld oder auf den Wegstrecken zum Oktoberfest, beispielsweise in Bahnhofsnähe oder bei U-Bahn-Haltestellen werden sicher auch eine stärkere Nachfrage und Nutzung ihrer Automaten sehen. Diese Institute können sich auf Nachfragespitzen vorbereiten, indem sie Cash-Management- Software nutzen. Damit haben Finanzinstitute historische Daten der Automatennutzung und erhalten dazu in Echtzeit Meldungen zum Betriebszustand des Systems und Bargeldbestand. Aus den Daten erstellt die Software Prognosen über den künftigen Bedarf. So können Ausfälle wegen fehlendem Bargeld vermieden werden, denn unplanmäßige Bargeldlieferungen sind sehr kostspielig.

Erfolgt eine Auffüllung ad hoc- oder werden bereits ähnlich wie IoT Techniken analog zum Predictive Maintenance verwendet?

Lars Bösel: Es gibt noch Finanzinstitute, die ihre Bargeldlogistik über Excel-Dateien oder über reine Erfahrungswerte planen. Doch Cash-Management-Lösungen sind sehr viel zuverlässiger, da sie unter anderem Prognosemodelle für das Auffüllen der Automaten bieten. Diese ermitteln die benötigten Bargeldmengen für jeden einzelnen Standort im Netzwerk individuell. Dazu werden Daten direkt vom Automaten oder aus dem Netzwerk analysiert und eine optimierte Planung für die Befüllung erstellt. Die Kosten, Service-Auflagen und Kapazitäten der einzelnen Systeme werden dabei berücksichtigt.

Ad-hoc-Auffüllungen sind dabei ein enormer Kostenfaktor und müssen unbedingt vermieden werden. Cash Management kann natürlich Teil der Predictive-Maintenance -Ansätze von Finanzinstituten sein, diese basieren aufgrund der hohen Sicherheitsvorgaben von Banken jedoch selten auf IoT-Techniken. Die SmartServ-Angebote, die wir offerieren, basieren beispielsweise auf dem enormen Datenschatz, den unsere Servicetechniker weltweit sammeln. Alle drei Sekunden geht eine Servicemeldung ein und so umfasst unsere Datenbasis zum Betriebsverhalten von IT-Systemen inzwischen 24 Terabyte und Geräte von 300 Herstellern. So können wir anhand der in Echtzeit gelieferten Systemdaten Fehlersituationen prognostizieren und Ausfällen vorbeugen.

Welche Methoden gibt es, um den Bestand von Bargeld und die nachgefragte Stückelung der Geldnoten der einzelnen Geldautomaten entsprechend zu ermitteln?

Lars Bösel, Director IT Services bei NCR, gab uns einen Einblick in die Logistik hinter den Geldautomaten.
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Lars Bösel: Geldautomaten protokollieren alle Transaktionen, damit Betrugsversuche oder beispielsweise nicht entnommenes Bargeld einer Transaktion zugeordnet werden können. Mit Cash-Management-Systemen können sie diese Nutzungsdaten an Automaten visualisieren und sogenannte Heat Maps erstellen. Diese Diagramme ermöglichen es, markante Werte schnell zu erfassen. So können Institute sehen, zu welchen Tageszeiten die meisten Bargeldtranskationen in welcher Höhe stattfinden. Davon abgeleitet kann die Befüllung entsprechend geplant werden.

Die Stückelung ergibt sich aus den bevorzugten Abhebemengen und der erwarteten Nachfrage. So richten sich die vorgeschlagenen Abhebesummen in der Regel nach Kundenvorlieben in der Region. In der Nähe einer Schule werden vielleicht eher 10 Euro pro Vorgang abgehoben, am Flughafen eher 100 Euro.

Welche Herausforderungen stellen sich dabei für die Banken und zu welchen Kosten?

Lars Bösel: Die Handhabung von Bargeld ist mit hohen Kosten verbunden: Die sichere Lagerung in der Filiale, der Transport, Versicherungen etc. summieren sich. Je nach Lage des Geldautomaten ist die Auffüllfrequenz der Systeme unterschiedlich. Das alles so zu koordinieren, dass immer genug Geld vorhanden ist - aber auch nicht zu viel, so dass das Werttransportunternehmen die Hälfte unausgezahlt wieder mitnimmt - ist sehr anspruchsvoll und manuell nie so effektiv, wie mit einer speziellen Optimierungslösung.

Mit einer softwarebasierten Cash-Management-Strategie können nicht nur Betriebskosten reduziert, sondern auch Abläufe automatisiert werden. Unter Einbeziehung von Simulation-Features können die Banken analysieren, welche Abläufe angepasst und optimiert werden müssen. Die Zahl der unplanmäßigen Bargeldlieferungen sinkt und basierend auf einer besseren Bargeldverteilung kommt es zu geringeren Ausfällen der Automaten.

Müssen die Geldautomaten rings ums Oktoberfest besonders vor Vandalismus geschützt werden?

Lars Bösel: Unsere Geldautomaten sind robust und halten meist auch physischen Attacken stand. Aber die Sicherheitsvorkehrungen rund um das Oktoberfest sind generell sehr hoch. Dennoch ist immer eine zusätzliche Sicherung empfehlenswert. In Bankvorräumen sind oft Videokameras installiert, die abschrecken oder sogar direkt zum nächsten Polizeirevier geschaltet sind, so dass bei Angriffen sofort reagiert werden kann. Finanzinstitute sollten eine ganzheitliche Sicherheitsstrategie anstreben, die Software, Hardware und die Umgebung des Automaten einbezieht.

Wie werden die Geldautomaten der Zukunft aussehen oder wird Barzahlung auf Großveranstaltungen wie dem Oktoberfest zukünftig von anderen Bezahlmethoden abgelöst?

Haben bargeldlose und kontaktlose Zahlungssysteme auf dem Okotoberfest ein Chance?
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Lars Bösel: Automaten werden immer mehr zu Multifunktionsgeräten, an denen Abhebungen nur eine von vielen personalisierten Service-Optionen sind. Zum Beispiel indem die häufig genutzten Funktionen des Onlinebankings oder Abhebesummen mit einem Click angesteuert werden können oder individualisierte Anlageempfehlungen gemacht werden.

Dennoch bleibt Bargeld ein einfaches, anonymes und beliebtes Zahlungsmittel - gerade auch auf dem Oktoberfest - um beispielsweise Trinkgeld zu geben.

Aber gleichzeitig etablieren sich neue Bezahlmethoden, die aber aus unserer Sicht parallel bestehen werden. Bargeldlose und auch kontaktlose Zahlungssysteme - etwa mit dem Smartphone oder Wearables - sind auf dem Vormarsch. Bereits jetzt können sich 36 Prozent der Deutschen vorstellen, in Zukunft fast ausschließlich bargeldlos zu bezahlen. Und gerade auf dem Oktoberfest, wo Taschendiebe ihr Unwesen treiben, werden viele Besucher gerne darauf verzichten, größere Mengen Bargeld bei sich zu haben.

Welche Rolle spielt dabei NFC?

Lars Bösel: Die NFC-Technologie ist auch für Geldautomaten interessant: Ein kontaktloses Abheben am Geldautomaten macht den Vorgang schneller und reduziert die Skimming-Gefahr, da die Karte nicht ausgelesen werden kann. Dazu müssten sich in Deutschland zwar die Vorgaben ändern, aber neue Technologien treiben die Entwicklung von Geldautomaten mit voran.

Wir schreiben das Jahr 2016 - warum wird noch immer ein großer Tanz, ums Bargeld veranstaltet, obwohl wir seit Jahren über Mobile Payment, die digital wallet im Smartphone diskutieren und die EU die Abschaffung des Bargelds fordert?

Lars Bösel: In Deutschland ist Bargeld immer noch das beliebteste Zahlungsmittel. Laut Bundesbank wurden in Deutschland 2014 immer noch 79 Prozent aller Transaktionen mit Bargeld abgewickelt. Es gibt zwar eine Rückläufige Tendenz, bei Bargeldzahlungen im Einzelhandel. Gleichzeitig steigt aber sowohl der Wert als auch die Zahl der Barmittel, die in der Europäischen Union im Umlauf sind seit 2002 kontinuierlich um jährlich 13 Prozent. Bargeld bedeutet Anonymität, es hinterlässt keine Datenspuren. Manche Verbraucher werden diese Vorteile auch weiterhin sehr zu schätzen wissen beziehungsweise auch situationsbezogen nutzen wollen. Eine totale Abschaffung des Bargelds werden wir nicht so bald erleben.