Jesper Trolle, seit fast genau sechs Monaten CEO bei Exclusive Networks, konnte Mitte März 2021 bei Bekanntgabe der Zahlen für das Geschäftsjahr 2020 insgesamt zufrieden sein. Der VAD hat in dem Zwölfmonatszeitraum 450 neue Mitarbeiter an Bord geholt, seine Geschäftstätigkeit in neun zusätzliche Länder erweitert und Verträge mit 17 weiteren Herstellern unterzeichnet. Außerdem steigerte er seinen Umsatz um acht Prozent auf nun 2,6 Milliarden Euro.
Die im Herbst 2020 vorgestellte Subskriptionsplattform X-OD ist nun in neun Ländern verfügbar, darunter auch Deutschland, und soll im zweiten Quartal 2021 im wichtigen, nordamerikanischen Markt den Betrieb aufnehmen. Bereits jetzt wachsen die Umsatz damit laut Trolle fünfmal so stark, wie im übrigen Geschäft. Dabei sind erst wenige - dafür aber für Exclusive wichtige - Hersteller an Bord, in Deutschland vor allem Palo Alto Networks, Proofpoint und seit kurzem auch Fortinet. Schließlich konnte für Deutschland mit Marcus Adä nach dem Weggang von Florian Zink, der eher im Direktvertrieb von Standard-Software zuhause war, wieder ein ausgesprochen Distributions-erfahrener Manager als Chef verpflichtet werden.
Gründe für das nachlassende Umsatzwachstum
Auf den ersten Blick scheint es beim französischen Distributor also bestens zu laufen. Tatsächlich lässt sich auch an den Ergebnissen nichts aussetzen. Bei genauerer Betrachtung fallen jedoch einige Aspekte auf, bei denen im laufenden Geschäftsjahr sicher noch nachjustiert werden muss.
Der eine ist das Umsatzwachstum. Mit einem Zuwachs von lediglich 0,2 Milliarden, was einer Steigerung zum Vorjahr um 8 Prozent entspricht, ist das Unternehmen seinem Umsatzziel von 10 Milliarden Dollar im Jahr 2028 nur wenig näher gekommen. Soll es erreicht werden, müssten in den kommenden Jahren sieben Jahren zu den aktuell 2,6 Milliarden pro Jahr jeweils gut 1 Milliarde hinzukommen. Aber jeder lernt in der Schule im Mathematik- und Physikunterricht, dass Zahlen nichts sind ohne Einheiten dahinter - in diesem Falle Euro und Dollar.
Dass das Wachstum dieses Jahr mit 8 Prozent deutlich schwächer ausfiel als im Vorjahr (17 Prozent) erklärt Trolle auch durch den starken Euro: Als europäische Firma bilanziere man in Euro, als weltweit agierendes Unternehmen verkaufe man jedoch vielfach nach Dollarpreisen. Außerdem habe die Pandemie ihren Teil dazu beigetragen.
Kontinentaleuropa sei bei Exclusive davon relativ wenig betroffen, im weltweiten Verbund gebe es aber andere Länder, "die mehr Aufmerksamkeit bedürfen", wie Trolle es formuliert. Nicht nur das COVID-19-Management, auch die in den mittlerweile 50 Ländern mit Exclusive-Networks-Niederlassungen unterschiedliche Entwicklung mache sich in den Zahlen bemerkbar. Hier scheint Trolle aber die Hoffnung zu haben, dass sich im Lauf der Zeit auch die derzeit noch etwas schwächeren Landesgesellschaften zum bisher sehr hohen Tempo der etablieren Exclusive-Länder aufschließen können.
Harmloser Brexit und hoffnungsvolles Osteuropa-Geschäft
Am Brexit liegt es jedenfalls nicht. Zwar hätten sich dadurch Ende 2020 einige große Projekte verschoben, die man gerne noch mitgenommen hätte, aber ansonsten spüre der VAD durch die britische Abspaltung von der EU "keine großen Auswirkungen", erklärte Trolle.
In der EU hatte Exclusive im September 2020 den in mehreren osteuropäischen Ländern (darunter Polen, Tschechien, Ungarn und Rumänien) gut aufgestellten Distributor Veracomp übernommen. Dessen Integration ist offenbar noch nicht ganz abgeschlossen. Trolle bekräftigte aber, dass man alle Mitarbeiter und alle Herstellerverträge behalten habe.
Das ist interessant, weil Veracomp zwar auch mit einigen für Exclusive wichtigen Security-Herstellern, etwa Fortinet, Proofpoint, Gigamon, Nozomi Networks oder Crowdstrike im Geschäft ist, aber daneben auch eine ganze Reihe von - je nach Land - unterschiedlichen Anbietern aus dem Bereich PC, Zubehör, Telekommunikation und Storage im Programm hatte.
Dieses Geschäft soll offenbar zumindest nicht aktiv beendet werden. Der Umbau der jeweiligen Landeswebseiten deutet aber schon darauf hin, dass die bekannten Stärken von Exclusive Networks bei Security und Networking in den Vordergrund gestellt werden. Am Ende wird das niedrigmargige Massengeschäft wohl dem attraktiveren Projektgeschäft weichen müssen - auch wenn sich der VAD derzeit noch um diese Entscheidung drückt.
Exclusive Networks X-OD: Trippelschritte statt Sprünge
Große Hoffnungen setzt Exclusive auch auf die im Herbst präsentierte Subskriptionsplattform X-OD. Die unterscheidet sich laut Andy Travers, EVP Sales and Marketing bei Exclusive Networks, von den Angeboten und Plattformen des direkten Wettbewerbs vor allem dadurch, dass sie nicht nur als Lizenzdrehscheibe dient, sondern Resellern auch hilft, Hardware-Verkäufe in Abos umzuwandeln. Sie ist damit also durchaus mit Angeboten wie HPE Greenlake oder Dells Project Apex vergleichbar - hat diesen aber die Tatsache voraus, dass X-OD herstellerübergreifend ist.
Zum Start in Deutschland waren Palo Alto Networks, Proofpoint und die Google-Tochter Chronicle an Bord. Inzwischen ist Fortinet hinzugekommen. Allerdings hatte sich der VAD die Aufnahme neuer Hersteller offenbar einfach vorgestellt, als sie tatsächlich ist. Schließlich muss für eine durchgängige Lösung auch bei denen einiges an Vorarbeiten in Bezug auf die Geschäftsprozesse geleistet werden. Das war Trolle auch schon zu Beginn bewusst, hatte er doch angeboten, den Herstellern, die noch keine eigene Abo-Strategie umgesetzt haben, diesen Schritt zu ermöglichen.
Der ursprüngliche Plan, in den kommenden Quartalen alle Anbieter an Bord zu holen, erscheint inzwischen jedoch als sportlich. Schließlich war es im aktuellen Quartal nur einer (Fortinet). Einer pro Quartal dürfte künftig jedoch zu wenig sein. Andererseits ist damit zu rechnen, dass Anfangsschwierigkeiten allmählich überwunden werden und sich die Frequenz dann erhöht.
Ausblick auf das Jahr 2021
Für die weitere Entwicklung 2021 ist Trolle vorsichtig optimistisch. "2021 werden wir hübsch wachsen, aber noch nicht wieder im normalen Tempo", erklärte er mit Blick auf die noch lange nicht ausgestandene Pandemie. Gutes Wachstumspotenzial sieht er außer natürlich bei X-OD im Bereich DevOps und Secure DevOps. Hier hat sich Exclusive Networks erst vor kurzem mit Nuaware verstärkt.
Laut Trolle gibt es aber auch Bemühungen bei einigen Herstellerpartner, sich dieses Bereichs anzunehmen - zum Beispiel bei Palo Alto Networks. Der Hersteller hat 2019 die Firma Twistlock übernommen, darauf basierend die Prisma Cloud, eine Plattform für Cloud Native Security (CNSP) entwickelt und sich durch die Anfang März 2021 abgeschlossene Übernahme von Bridgecrew weiter verstärkt.
Lesetipp: Channel Excellence Awards 2021 - Die besten Security-Hersteller im Channel
Ähnliches wie für Secure DevOps gelte auch für das Segment "Operational Technology" (OT). In der Absicherung von vernetzen Fabriken, Anlagen und IIoT generell sieht Trolle ebenfalls gutes Potenzial - aber auch die Möglichkeit, mit den angestammten Herstellern zu wachsen.
Apropos Hersteller: Bei den Neuverpflichtungen im vergangenen Jahr hob Trolle der Presse gegenüber Crowdstrike, F5, Infoblox, Netskope, Okta, Proofpoint und Vectra hervor. Crowdstrike und Okta passen gut in die stärker auf Managed Services ausgerichtete Strategie, sind aber auch keine Geheimtipps mehr. F5, Proofpoint und Vectra sind teilweise schon sehr lange auf dem deutschen Markt aktiv.
Lediglich der aus dem CASB-Boom stammende Anbieter Netskope ist noch so etwas wie eine Entdeckung. Eigentlich war Exklusive Networks aber früher vor allem dafür bekannt, Geheimtipps und Entdeckungen den Markteintritt zu ermöglichen - und gemeinsam mit diesen rasant zu wachsen. Möglicherweise sind hier aufgrund der inzwischen erreichten Größe die wilden, abenteuerlichen Zeiten vorbei. Möglicherweise ist das aber auch nur eine Momentaufnahme, und stehen weitere "Glückstreffer" bei der Herstellerakquise noch bevor.