Aufsehenerregendes Urteil

Europäischer Gerichtshof verwirft deutsche Kündigungsfristen

20.01.2010
Der EuGh hat die deutschen Regelungen bei den Kündigungsfristen im Arbeitsrecht gekippt. Grund: Verstoß gegen das Verbot der Altersdiskriminierung.

Die deutsche Regelung, nach der vor Vollendung des 25. Lebensjahrs liegende Beschäftigungszeiten des Arbeitnehmers bei der Berechnung der Kündigungsfrist nicht berücksichtigt werden, verstößt gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters in seiner Konkretisierung durch die Richtlinie 2000/78 und ist von deutschen Gerichten auch in einem Rechtsstreit zwischen Privaten erforderlichenfalls unangewendet zu lassen.

Das, so der der Stuttgarter Fachanwalt für Arbeitsrecht Michael Henn, Präsident des VdAA - Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V. mit Sitz in Stuttgart, hat der Europäische Gerichtshof (EugH) soeben in einem am 19.01.2010 veröffentlichten Urteil entschieden und damit die Regelungen über Kündigungsfristen in Deutschland als unzulässige Altersdiskriminierung verworfen.

In dem Fall war die gekündigte Arbeitnehmerin seit ihrem vollendeten 18. Lebensjahr bei demselben Unternehmen beschäftigt. Im Alter von 28 Jahren wurde sie unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von einem Monat entlassen. Der Arbeitgeber berechnete die Kündigungsfrist dabei unter Zugrundelegung einer Beschäftigungsdauer von drei Jahren, obwohl die Arbeitnehmerin seit zehn Jahren bei ihm beschäftigt war.

Ursache hierfür ist, so Henn, dass die deutschen Rechtsvorschriften vorsehen, dass bei der Berechnung der Kündigungsfrist die vor der Vollendung des 25. Lebensjahrs liegenden Beschäftigungszeiten der Arbeitnehmer nicht berücksichtigt werden müssen. Die Entlassene klagte gegen die Kündigung und machte geltend, dass diese Regelung eine unionsrechtlich verbotene Diskriminierung wegen des Alters darstelle. Die Kündigungsfrist hätte 4 Monate betragen müssen, was einer Betriebszugehörigkeit von 10 Jahren entspreche.

Verstoß gegen Diskriminierungsverbot

Das als Berufungsgericht angerufene Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat sodann den Europäischen Gerichtshof zur Vereinbarkeit einer solchen Kündigungsregelung mit dem Unionsrecht und zu den Folgen einer etwaigen Unvereinbarkeit befragt.

Der EuGH kam nun in seinem gerade am 19.01.2010 veröffentlichten Urteil zu dem Ergebnis, so Henn, dass die deutsche Kündigungsregelung in den Anwendungsbereich des Unionsrechts - Richtlinie 2000/78 - fällt, der allgemein jede Form von Diskriminierung wegen Alters verbietet.

Der Gerichtshof stellte fest, dass die Kündigungsregelungen in Deutschland eine Ungleichbehandlung enthalte, die auf dem "Kriterium des Alters" beruhe. Diese Regelung sehe eine weniger günstige Behandlung für Arbeitnehmer vor, die ihre Beschäftigung bei dem Arbeitgeber vor Vollendung des 25. Lebensjahrs aufgenommen haben. Sie behandelt damit Personen, die die gleiche Betriebszugehörigkeitsdauer aufweisen, unterschiedlich, je nachdem, in welchem Alter sie in den Betrieb eingetreten sind.

Der Gerichtshof gelangte daher zu dem Ergebnis, dass das Unionsrecht, insbesondere das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters in seiner Konkretisierung durch die Richtlinie 2000/78, einer nationalen Regelung wie der deutschen entgegensteht, nach der vor Vollendung des 25. Lebensjahrs liegende Beschäftigungszeiten des Arbeitnehmers bei der Berechnung der Kündigungsfrist nicht berücksichtigt werden.

In dem Urteil, so Henn, wiesen die Luxemburger Richter nun auch die deutschen Gerichte an, die für unrechtmäßig befundene Klausel ab sofort nicht mehr anzuwenden. Dies bedeute, dass sich unabhängig davon, ob und wann die Bundesregierung nun das Arbeitsrecht entsprechend anpasst. sich jeder nun in einem Rechtsstreit auf das EuGH-Urteil berufen kann.

Auswirkungen auf Tarifverträge erwartet

Die Entscheidung, so betont Henn, dürfte damit auch Auswirkungen auf zahlreiche Tarifverträge haben, die sich häufig ebenfalls auf das Bürgerliche Gesetzbuch und damit auch auf die für unzulässig erachtete Bestimmung beziehen. Es sei anzunehmen, dass auch die entsprechenden Bestimmungen in vielen abgeschlossenen Tarifverträgen damit gegen das soeben ergangene Urteil verstoßen und entsprechend angepasst werden müssen.

Henn empfiehlt sowohl Arbeitgebern als auch Arbeitnehmern, umfassend rechtlichen Rat einzuholen, wobei er u. a. dazu auch auf den VdAA Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V. (www.vdaa.de) verweist. (oe)

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Weitere Informationen und Kontakt:

Michael Henn, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Erbrecht, Fachanwalt für Arbeitsrecht und VdAA-Präsident, c/o Rechtsanwälte Dr. Gaupp & Coll, Stuttgart, Tel.: 0711 305893-0, E-Mail: stuttgart@drgaupp.de, Internet: www.drgaupp.de und www.vdaa.de