Mehr als 90 Prozent der Unternehmen hierzulande nutzen bereits CloudServices, knapp zwei Drittel der Unternehmen, die eine Cloud Migration durchführen, lagern die damit verbundenen Aufgaben komplett oder in Teilen an externe Dienstleister aus. Doch nur 59 Prozent der Systemhäuser bieten eigene Cloud-Services an. Das zeigen die aktuellen Studien von IDG Research. 41 Prozent der Systemhäuser riskieren folglich, Geschäft zu verlieren. Mit der "Channel2Cloud"-Initiative will EuroCloud mittelständische Systemhäuser jetzt beim Umstieg auf cloud-basierte Geschäftsmodelle unterstützen. Wo genau setzen Sie an?
Felix Höger: Systemhäuser waren immer das Rückgrat für die IT-Versorgung im Mittelstand. Aber in der Digitalisierung kämpfen sie ebenso wie ihre Kund:innen mit dem Wandel. Die Public Cloud lässt dem Channel immer weniger Platz für sein angestammtes Kerngeschäft, die lokale IT-Ausstattung vor Ort beim Kunden. In weniger als einem Jahrzehnt hat sich mehr als ein Drittel der IT-Nachfrage vom traditionellen Handels-, Lizenz- & Projektgeschäft in die Cloud-Economy verschoben.
Mit Ihrer Initiative wenden Sie sich besonders an die kleinen und mittelgroßen Systemhäuser. Warum fällt ihnen die Anpassung an die Cloud-Economy so schwer?
Bernd Krakau: Weil die Disruption ihr Geschäftsmodell am stärksten trifft. Sie machen nach wie vor das Gros ihres Geschäfts auf den unteren Infrastrukturebenen, also mit dem Verkauf von Server-Hardware, Storage-Anlagen oder Netzwerkausrüstung und mit der Integration der Systeme beim Kunden. Aber in der Public Cloud entfällt die Wertschöpfungsstufe "Blech" komplett.
Gerade die Kleinen sind doch Meister der Nische. Was ist mit der verbleibenden IT on premises mit all ihren Legacy-Infrastrukturen?
Höger: Die Hyperscaler werden auch diesen Rückzugsbereich mit ihrer Technologie dominieren und ihrem Ökosystem einverleiben. Dass Unternehmen ihre Legacy in Private Clouds verlagern, ist den Plattformbetreibern natürlich nicht verborgen geblieben. Also passten sie ihre Strategie an. Mit Amazons Outputs oder Microsofts Azure Stack packen sie ihre Public-Cloud-Technik in Appliances und bieten sie als Komplettausstattung für die Private Cloud an. Kund:innen profitieren von einer durchgängigen und skalierbaren Infrastruktur - in der Private wie der Public Cloud. Außerdem werden die kommenden Generationen von Business-Software nur noch für die Cloud entwickelt.
Was bedeutet das für den Channel?
Höger: Wertschöpfung gibt es langfristig vor allem auf dem Technologiestack der Hyperscaler. Sämtliche traditionellen IT- und TK-Geschäftsmodelle stehen auf dem Prüfstand. Der Transformationsdruck sortiert den Markt komplett neu - und das nach Corona in Höchstgeschwindigkeit!
Was wollen denn die klassischen Systemhauskunden?
Krakau: Dienste aus der Cloud lassen nicht nur die Nachfrage nach lokaler IT-Ausstattung schwinden. Sie prägen zugleich eine neue Erwartungshaltung bei Kund:innen. Anstatt Technik zu kaufen und an eigenen Standorten aufzubauen, wollen Unternehmen bei ihrem Systemhaus IT als Dienstleistung mieten. Die Zukunft vor allem der kleinen und mittleren Systemhäuser liegt im Aufbau von Geschäftsbereichen für Managed- und Cloud-Services - und das vor allen Dingen auf der Cloud-Infrastruktur der Hyperscaler. Das bietet neue Geschäftschancen für den Channel. Aber die gibt es nicht umsonst.
Was macht den Umstieg so anspruchsvoll?
Krakau: Das Systemhaus muss die Voraussetzungen für den neuen Geschäftsbereich schaffen. Das heißt, erst einmal zu investieren in neue Fähigkeiten, Prozesse, Produkte und Personal. Das kostet eine ganze Weile Geld, bevor es welches einbringt. Aber nicht nur die Investitionen sind eine Herausforderung, auch das Geschäftsmodell als solches verlangt ein Umdenken:
Im Unterschied zum Handels- und Projektgeschäft fließt bei Managed- und Cloud-Services die Liquidität nicht sofort zu, sondern verteilt sich über die vereinbarte Vertragslaufzeit von zwei bis drei Jahren. Es dauert also, bis sich das Wachstum im Neugeschäft auch hinreichend auszahlt. Im Zusammenspiel bewirken Startinvestitionen, erst allmähliches Wachstum im Neu- sowie Rückgang im Altgeschäft einen sinkenden Cashflow in den ersten zwei bis fünf Jahren.
Was sind die Vorteile des Managed Service Geschäfts?
Krakau: Mit dem neuen Leistungsversprechen fällt zum ersten Mal der Löwenanteil der Wertschöpfung im Systemhaus selbst an. Ganz im Unterschied zum Handelsgeschäft, bei dem die Hersteller die eigentlichen Werte schaffen. Und das zahlt sich aus: Das konventionelle Handelsgeschäft mit Hard- und Software generiert in der Regel einstellige Margen zwischen 5 und 10 Prozent. In einem ausgereiften Geschäftsmodell für Managed-Services kann ein Systemhaus seinen Deckungsbeitrag dagegen verdoppeln, im besten Fall vervier- oder verfünffachen. Mehrjährige Vertragslaufzeiten festigen das Fundament zusätzlich. Damit steigt letztlich auch der Unternehmens- und damit der Verkaufswert der eigenen Firma. Das stellt Systemhausunternehmer:innen vor ganz grundsätzliche Entscheidungen.
Welche Art von Entscheidung?
Höger: Derzeit stehen viele Systemhäuser vor einem Generationswechsel. Ihre Gründer:innen sind in den 1990ern gestartet. Jetzt zwingt die Cloud sie dazu, ihre Unternehmen eher früher als später zu transformieren. Will ich mit Anfang 60 noch einmal ins Risiko gehen und mich dem Wandel anpassen oder an einen der großen Systemhauskonzerne verkaufen?
Was empfehlen Sie Unternehmern, die mit dieser Situation konfrontiert sind?
Höger: Es gibt eine unternehmerische Alternative zum Verkauf oder zum Umbau im Alleingang. Bei letzterem besteht die Gefahr, dass Unternehmer:innen am Ende so weiter machen wie bisher und nur sehr opportunistisch in den Aufbau von Managed-Services investieren. Aber damit gelingt keine Transformation, stattdessen verbrennt man Geld. Der Verkauf hat den Nachteil, dass sie die hohen Wachstumschancen bei Managed-Services verpassen.
Woher aber sollen mittelständische Dienstleister das nötige Kapital für die Transformation nehmen?
Höger: Indem sie sich mit anderen Systemhausunternehmer:innen verbünden und dabei den finanziellen Hebel eines Investors nutzen. Damit erhalten sie die Fähigkeit, ihr Geschäft in einer neue Größenordnung zu skalieren. Bei Managed-Services ist das entscheidend. Denn hier liegt das Geschäft von Standardisierung und Größenvorteilen.
Sie sprechen von Buy&Build-Plattformen?
Höger: Richtig. Eine Buy&Build-Plattform schließt mehrere Provider zu einer Unternehmensgruppe zusammen, um mit vereinten Ressourcen und Kräften schneller zu wachsen. Die treibende Kraft hinter der Plattform ist allerdings kein einzelner Dienstleister, der Wettbewerber aufkauft, sondern eine Beteiligungsgesellschaft. Für Systemhausunternehmer:innen heißt das: Sie verkaufen ihre Anteile an den Investor und reinvestieren sie teilweise wieder in das neue Unternehmen. So bringen sie einen Teil ihrer Lebensleistung hinter die Brandmauer und setzen mit einem anderen Teil auf künftiges Wachstum. So entsteht ein neuer Mittelbau für die Branche, der moderne Managed- und Cloud-Services für die mittelständische Wirtschaft produziert.
Wie wollen Sie als EuroCloud Systemhäuser bei diesen Entscheidungen unterstützen?
Krakau: Durch Erfahrungsaustausch, Kontakte und Expertise. Die EuroCloud-Community bietet Gleichgesinnte, Fachwissen und Best Practices für die Umstellung vom klassischen Lizenz- und Handelsgeschäft auf Managed- und Cloud-Services. Wir wollen eine Plattform schaffen, auf der sich Systemhäuser austauschen und mit relevanten Playern vernetzen können. Dazu gehören neben den großen Hyperscalern etwa auch spezialisierte Partner wie zum Beispiel Cloud-Native-Unternehmen, die sich ebenfalls in einer gleichnamigen EuroCloud-Initiative organisieren. Wir wollen Systemhäuser unterstützen, ihre Rolle als wichtigster Digitalisierer des Mittelstands zu behaupten und weiterzuentwickeln.
Wer kann denn bei Channel2Cloud mitmachen?
Krakau: Engagieren können sich alle Systemhäuser, Lösungsanbieter und IT-Integratoren. Schwerpunkt unserer Initiative Channel2Cloud bilden vor allem mittelständische Systemhäuser mit einem Jahresumsatz bis etwa 100 Millionen Euro. Speziell für ihre Interessen haben wir Channel2Cloud ins Leben gerufen.