Von Hans-Christian Dirscherl, PC-Welt
Die EU-Kommission hat gegen den Chip-Hersteller Intel wegen Missbrauchs seiner marktbeherrschenden Stellung eine Geldstrafe von 1,06 Milliarden Euro verhängt – die höchste bisher von der EU verhängte Geldstrafe überhaupt. Update: Intel legt gegen die Entscheidung Berufung ein.
Das Bußgeld gegen Intel übertrifft sogar das seinerzeit gegen Microsoft verhängte Bußgeld von knapp 900 Millionen Euro. Die Wettbewerbshüter der EU bestraften Intel mit dem Bußgeld dafür, dass der Chip-Hersteller dem Media Markt Sonderrabatte einräumte - im Gegenzug verlangte Intel, dass dieser Großhändler nur Rechner mit Intel-CPUs verkaufte. PCs AMD-Prozessoren flogen dadurch aus den Regalen der Media Markt-Filialen. Intel habe zudem einige PC-Hersteller dafür bezahlt, dass diese nur verzögert Geräte mit einem neuen AMD-Prozessor auf den Markt brachten oder insgesamt nur Intel-CPus einbauten - auch das wurde durch das Bußgeld jetzt bestraft. Die EU-Kommission verlangt zudem, dass Intel diese wettbewerbsverzerrende Praxis beendet.
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AMD hatte gegen Intels Vorgehen schon vor längerer Zeit Beschwerde eingereicht, die EU-Kommission nahm schließlich ein Wettbewerbsverfahren auf.
Die erste Stellungnahme von AMD lautet folgendermaßen:
„Die Kommission hat heute festgestellt, dass Intel seine Marktmacht seit Jahren grob missbraucht. Mit dieser Entscheidung wird der Monopolist in seine Schranken gewiesen. Nun kann die Marktmacht dahin gehen, wo sie eigentlich hingehört – zu den Computer-Herstellern, den Computerhändlern und vor allem den Käufern von PC“, so Giuliano Meroni, President AMD EMEA.
Das sagt Intels Präsident und CEO Paul Otellini zur Entscheidung der Europäischen Kommission:
„Intel hat starke Einwände gegen diese Entscheidung. Wir sind der Meinung, dass diese Entscheidung nicht richtig ist und das die Besonderheiten eines hoch wettbewerbsintensiven Marktes außer Acht gelassen wurden. Dieser Markt bringt ständig Neuheiten hervor, die Produkte verbessern sich fortwährend und das bei gleichzeitig sinkenden Preisen. Der Endverbraucher hat absolut keinen Schaden erlitten. Intel wird Berufung einlegen.“
„Wir sind der Meinung, dass unsere Praktiken nicht gegen Europäisches Recht verstoßen. In einem Markt mit nur zwei großen Anbietern, ist es ganz natürlich, dass wenn ein Anbieter einen Auftrag gewinnt, der Andere diesen Auftrag verliert. Die Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission hat wesentliches Beweismaterial, das den in der Entscheidung aufgeführten Erklärungen widerspricht, außer Acht gelassen oder es abgelehnt dieses einzuholen. Wir sind der Meinung dass dieses Beweismaterial zeigt, dass Unternehmen vom Markt bei guter Leistung belohnt werden. Bei schlechter Leistung reagiert der Markt entsprechend anders."
“Intel hat niemals Produkte unterhalb der Herstellungskosten verkauft. Wir haben aber immer in Innovation investiert, in die Herstellung sowie in die Entwicklung neuer und wegweisender Technologien. Die Folge davon ist, dass wir in einem wettbewerbsintensiven Markt Rabatte auf unsere Produkte gewähren können um damit wettbewerbsfähig zu bleiben. Zudem geben wir so die Einsparung überall an den Verbraucher weiter, die wir durch effiziente Massenproduktion als Marktführer von Mikroprozessoren erzielen.“
„Auch wenn wir starke Einwände gegen diese Entscheidung haben, werden wir während des Berufungsverfahren mit der Kommission zusammenarbeiten und sicherstellen, dass wir die in der Entscheidung vorgeschriebenen Maßnahmen einhalten. Wir werden auch weiterhin in Produkte und Technologien investieren, um Europa und dem Rest der Welt die leistungsfähigsten Prozessoren zu niedrigen Preisen anbieten zu können.“
Die EU-Entscheidung im vollen Wortlaut (Teil 1)
Kartellrecht: Intel muss 1,06 Mrd. EUR wegen Missbrauchs seiner marktbeherrschenden Stellung zahlen und rechtswidrige Verhaltensweisen einstellen (Brüssel, 13. Mai 2009)
Die Europäische Kommission hat gegen die Intel Corporation eine Geldbuße von 1.060.000.000 EUR verhängt, da sie gegen die EU-Bestimmungen über den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung (Artikel 82 EG-Vertrag) verstoßen hat. Das Unternehmen hat in rechts- und wettbewerbswidriger Weise versucht, Wettbewerber vom Markt für CPUs (Hauptprozessoren) mit x86-Architektur zu verdrängen. Des Weiteren hat die Kommission angeordnet, dass Intel die rechtswidrigen Verhaltensweisen, soweit dies noch nicht geschehen ist, unverzüglich einstellt. Von Oktober 2002 bis Dezember 2007 war Intel mit einem Marktanteil von mindestens 70 % Marktbeherrscher auf dem weltweiten Markt für CPUs mit x86-Architektur.
Die Kommission kam zu dem Ergebnis, dass Intel sich in zweierlei Weise rechtswidrig verhalten hatte. Erstens gewährte Intel Computerherstellern ganz oder teilweise versteckte Rabatte, wenn sie alle bzw. nahezu alle ihre CPUs mit x86-Architektur von Intel bezogen. Intel leistete außerdem direkte Zahlungen an einen großen Einzelhändler mit der Auflage, dass er nur Computer am Lager führte, die eine Intel-CPUs mit x86-Architektur besaßen. Durch diese Rabatte und Zahlungen wurde Kunden – und letztlich auch den Verbrauchern – die Möglichkeit genommen, sich für andere Computer zu entscheiden.
Zweitens leistete Intel direkte Zahlungen an Computerhersteller, um die Einführung bestimmter Computer mit von Konkurrenten hergestellten CPUs mit x86-Architektur einzustellen bzw. zu verzögern und die Vertriebskanäle für diese Computer einzuschränken. Die Kommission befand, dass Intel durch diese Verhaltensweisen seine marktbeherrschende Stellung auf dem Markt für CPUs mit x86-Architektur missbraucht und dadurch den Verbrauchern im gesamten EWR geschadet hat. Indem Intel die konkurrierenden Hersteller daran gehindert hat, auf der Grundlage der Qualität ihrer Waren auf dem Markt zu konkurrieren, hat das Unternehmen Wettbewerb und Innovation beeinträchtigt.
Die Kommission wird genau verfolgen, ob Intel dieser Entscheidung Rechnung trägt. Der Weltmarkt für CPUs mit x86-Architektur beläuft sich zurzeit auf rund 22 Mrd. EUR (30 Mrd. USD) pro Jahr, wobei rund 30 % dieses Umsatzes auf Europa entfallen.
EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes erklärte dazu: „Intel hat Millionen europäischer Verbraucher geschadet, indem es viele Jahre lang gezielt versucht hat, Wettbewerbern den Zugang zum Computerchipmarkt zu verwehren. Ein derart schwerer und anhaltender Verstoß gegen das EU-Kartellrecht kann nicht hingenommen werden.“
Die folgenden Computerhersteller sind von den in der Kommissionsentscheidung behandelten Verhaltensweisen von Intel betroffen: Acer, Dell, HP, Lenovo und NEC. Bei dem betroffenen Einzelhändler handelt es sich um die Media Saturn Holding, in deren Eigentum die MediaMarkt-Kette steht.
Bedingte Rabatte und Zahlungen
Intel gewährte großen Computerherstellern Rabatte unter der Bedingung, dass sie, zumindest in bestimmten Segmenten, ihr gesamtes bzw. nahezu ihr gesamtes Material von Intel bezogen:
• Intel gewährte Computerhersteller A von Dezember 2002 bis Dezember 2005 Rabatte unter der Bedingung, dass dieser ausschließlich CPUs von Intel bezog.
• Intel gewährte Computerhersteller B von November 2002 bis Mai 2005 Rabatte unter der Bedingung, dass dieser mindestens 95 % der von ihm für Büro-Desktops benötigten CPUs von Intel bezog (für die verbleibenden 5 %, die Computerhersteller B von dem konkurrierenden Chiphersteller AMD erwerben durfte, galten weitere einschränkenden Bedingungen, die weiter unten dargelegt sind).
• Intel gewährte Computerhersteller C von Oktober 2002 bis November 2005 Rabatte unter der Bedingung, dass dieser mindestens 80 % seiner für Desktop- und Notebook-Computer benötigten CPUs von Intel bezog.
• Intel gewährte Computerhersteller D im Jahr 2007 Rabatte unter der Bedingung, dass dieser seine für Notebook-Computer benötigten CPUs ausschließlich von Intel bezog.
Ferner leistete Intel von Oktober 2002 bis Dezember 2007 Zahlungen an den führenden Einzelhändler Media Saturn Holding, unter der Bedingung, dass dieser in allen Ländern, in denen er tätig ist, ausschließlich PCs mit Intel-CPU verkaufte.
Rabatte können unter bestimmten Umständen zu niedrigeren Verbraucherpreisen führen. Hat ein Unternehmen auf einem bestimmten Markt jedoch eine marktbeherrschende Stellung inne, so stellen Rabatte, die dafür gewährt werden, dass die Erzeugnisse eines Wettbewerbers in geringerem Umfang oder überhaupt nicht erworben werden, nach der ständigen Rechtsprechung der Gemeinschaftsgerichte einen Missbrauch dar, es sei denn, der Marktbeherrscher kann die Rabatte im Einzelfall besonders begründen.
Die Kommission wendet sich in ihrer Entscheidung nicht gegen die Rabatte an sich, sondern gegen die Bedingungen, die Intel an die Rabatte geknüpft hat. Da Computerhersteller marktbedingt den größten Teil ihres Bedarfs an CPUs mit x86-Architektur von Intel abdecken, unterliegt ohnehin nur ein beschränkter Teil des CPU-Bedarfs eines Computerherstellers dem Wettbewerb.
Die Preispolitik von Intel bestand darin, dass ein Computerhersteller, der beschloss, für den dem Wettbewerb unterliegenden Teil seines Bedarfs CPUs von AMD zu erwerben, den Rabatt (bzw. einen großen Teil seines Rabatts) verlor, den Intel für den weitaus größeren Teil seines Bedarfs gewährte, den der Computerhersteller notgedrungen nur bei Intel decken konnte. Der Computerhersteller hätte daher für jede der gelieferten Einheiten, die er ausschließlich bei Intel beziehen konnte, einen höheren Preis entrichten müssen. Mit anderen Worten: Wenn ein Computerhersteller nicht praktisch seinen gesamten Bedarf an CPUs mit x86-Architektur bei Intel deckte, entging ihm ein erheblicher Rabatt auf seine gesamten und sehr umfangreichen Einkäufe bei Intel.
Um im Wettbewerb für den restlichen CPU-Bedarf der Computerhersteller mit den Intel-Rabatten mithalten zu können, hätte ein Wettbewerber, der ebenso effizient war wie Intel, für seine CPUs einen unterhalb seiner Herstellungskosten liegenden Preis berechnen müssen, selbst wenn der durchschnittliche Preis seiner CPUs bereits unter dem Intel-Preis lag.
So hat AMD einem bestimmten Computerhersteller zum Beispiel eine Million CPUs kostenlos angeboten. Hätte der Computerhersteller alle angebotenen CPUs angenommen, so hätte er Intels Rabatt auf den Erwerb der vielen Millionen verbleibenden CPUs verloren, so dass er allein durch die Annahme dieses ausgesprochen günstigen Angebots insgesamt schlechter dagestanden hätte. Deshalb akzeptierte der Computerhersteller nur 160 000 kostenlose CPUs.
Durch die Intel-Rabatte wurden die Wettbewerbs- und Innovationsmöglichkeiten der konkurrierenden Hersteller beeinträchtigt, wodurch die Wahlmöglichkeiten der Verbraucher eingeschränkt wurden.
In vielen Rechtsprechungen weltweit werden Rabatte wie die von Intel gewährten als wettbewerbs- und rechtswidrig betrachtet, da sie in der Praxis dazu führen, dass die Verbraucher nicht mehr zwischen verschiedenen Erzeugnissen wählen können.
Zahlungen zur Verhinderung des Verkaufs bestimmter Erzeugnisse der Konkurrenz
Intel hat auch direkt in die Beziehungen zwischen Computerherstellern und AMD eingegriffen. Unabhängig von bestimmten Einkäufen bei Intel hat das Unternehmen Zahlungen an Computerhersteller geleistet, die an die Bedingung geknüpft waren, dass diese die Einführung bestimmter Computer auf AMD-Basis auf einen späteren Zeitpunkt verschoben bzw. einstellten und/oder den Vertrieb bestimmter Computer auf AMD-Basis einschränkten. Die Kommission kam zu dem Ergebnis, dass diese Zahlungen dazu führen könnten, dass Erzeugnisse, für die eine Nachfrage seitens der Verbraucher besteht, nicht auf den Markt gelangen. Die Kommission stellte in diesem Zusammenhang Folgendes fest:
• Für die 5 % der Geschäftstätigkeit von Computerhersteller B, die nicht dem vorstehend dargelegten bedingten Rabatt unterlagen, stellte Intel diesem weitere Zahlungen in Aussicht, sofern er:
• Büro-Desktops auf AMD-Basis nur an kleine und mittlere Unternehmen verkaufte,
• Büro-Desktops auf AMD-Basis nur über direkte Vertriebskanäle (und nicht über Vertriebshändler) verkaufte,
• die Einführung seines ersten Büro-Desktops auf AMD-Basis in Europa um sechs Monate verschob.
• Intel hat Zahlungen an Computerhersteller E geleistet, die an die Bedingung geknüpft waren, dass dieser die Einführung eines Notebooks auf AMD-Basis von September 2003 auf Januar 2004 verschob.
• Vor dem weiter oben beschriebenen bedingten Rabatt an Computerhersteller D hatte Intel Zahlungen an diesen Hersteller geleistet, damit er die Einführung von Notebooks auf AMD-Basis von September 2006 auf Ende 2006 verschob.
Die Kommission verfügt über Beweise für die Existenz vieler der in der Kartellentscheidung für rechtswidrig befundenen Bedingungen, die in den Intel-Verträgen nicht ausdrücklich enthalten waren.
Hierbei handelt es sich um eine große Bandbreite an Unterlagen aus dem entsprechenden Zeitraum wie etwa E-Mails, die unter anderem bei unangekündigten Vor-Ort-Kontrollen gefunden wurden, Antworten auf Auskunftsverlangen und eine Reihe förmlicher Erklärungen der anderen betroffenen Unternehmen gegenüber der Kommission. Darüber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass Intel die an seine Zahlungen geknüpften Bedingungen zu verheimlichen versucht hat.
CPUs mit x86-Architektur sind die wichtigste Hardwarekomponente eines Computers. Die Entscheidung enthält vielfältiges Beweismaterial aus dem entsprechenden Zeitraum, das zeigt, dass die Computerhersteller und Intel selbst den Eindruck hatten, dass AMD, im Wesentlichen Intels einziger Konkurrent, seine Produktpalette verbessert hatte und ein ernstzunehmender Wettbewerber mit steigendem Wettbewerbspotenzial war. In der Entscheidung wird festgestellt, dass die Vorgehensweisen von Intel keinen Wettbewerb auf der Grundlage der Qualität der Erzeugnisse von Intel bzw. AMD darstellten, sondern vielmehr Teil einer Strategie waren, die darauf abzielte, Intels fest etablierte Position auf dem Markt auszunutzen.
2007 erwirtschaftete Intel einen weltweiten Umsatz von 27,972 Mrd. EUR (38,834 Mrd. USD). Die in diesem Fall verhängte Geldbuße trägt der Dauer und der Schwere des Verstoßes Rechnung. Im Einklang mit den Leitlinien der Kommission für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen aus dem Jahr 2006 (vgl. IP/06/857 und MEMO/06/256) wurde die Geldbuße auf der Grundlage des von Intel im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) mit dem Verkauf von CPUs mit x86-Architektur erzielten Umsatzes berechnet. Die Dauer des in der Entscheidung festgestellten Verstoßes beträgt fünf Jahre und drei Monate.
Die Prüfung der Kommission erfolgte auf Beschwerden von AMD aus den Jahren 2000, 2003 und 2006 (letztere wurde an das Bundeskartellamt gerichtet und anschließend von der Europäischen Kommission geprüft). Die Entscheidung der Kommission folgt auf eine im Juli 2007 übermittelte Mitteilung der Beschwerdepunkte (vgl. MEMO/07/314), eine im Juli 2008 übermittelte ergänzende Mitteilung der Beschwerdepunkte (vgl. MEMO/08/517) und ein im Dezember 2008 an Intel gerichtetes Schreiben, in dem für die endgültige Entscheidung relevante zusätzliche Fakten dargelegt werden. Intels Verteidigungsrechte waren in dieser Sache in vollem Umfang gewährleistet.
Auszüge aus der Pressekonferenz mit Wettbewerbskommissarin Kroes zur Intel-Entscheidung gibt es hier.