Daten überrollen die Welt. Doch zum Glück verfügt die IT-Industrie über Gegenmittel wie Cloud, Virtualisierung und Big Data. Die Zukunftspläne von EMC und Pat Gelsinger.
von Hartmut Wiehr
London City, im Vorfrühling 2012, mitten in einem superangesagten Club in Coventry Garden. EMC lässt bitten zu einem Kunden- und Presse-Event, um die Roadmap für die nächste Zeit auszumalen. Die Geschäftszahlen des Riesenkonzerns sind bestens, vor allem dank der exzellent laufenden Geschäfte der Tochter VMware und einiger Neuerwerbungen.
Andererseits, aber darüber verliert man vornehm keine Worte, hat man das Ende der Zusammenarbeit mit den ehemaligen Partnern Dell und Fujitsu beziehungsweise Fujitsu Siemens Computers (FSC) zu verkraften: Beide haben lange Jahre durch OEM-Verkäufe von EMC-Produkten dafür gesorgt, dass der Konzern über sichere Absatzkanäle verfügen konnte. Unbestätigten Quellen nach machten diese OEM-Deals etwa 15 bis 20 Prozent am EMC-Umsatz aus. Dell hat sich mit Compellent selbst Highend-Geräte für Storage eingekauft, und Fujitsu/FSC verkauft nach dem Ausstieg von Siemens nur noch eigene Geräte.
Cloud Computing, Virtualisierung und Big Data sollen diese Scharte auswetzen. Dazu verweist man bei EMC unermüdlich auf die exponentiell wachsenden Daten in den Unternehmen, die alle auf Storage Arrays abgelegt werden wollen.
Zur Untermauerung dieser Strategie werden immer wieder Zahlen aus einer IDC-Studie herangezogen. (Die Studie ist übrigens von EMC gesponsort.) Es gibt andere Studien, die zu ähnlichen Ergebnissen kommen. Die Daten wachsen nun einmal – vielleicht weniger in den Unternehmen, die bis auf Ausnahmen in den BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) nun schon seit drei Jahren an den Folgen einer internationalen Finanzkrise leiden.
Kompensiert werden die Folgen der Krise im Unternehmensbereich durch positive Zahlen aus anderen gesellschaftlichen Bereichen: Laut IDC und EMC sind das vor allem das stetige Wachstum privater Fotos und Videos, von Aufnahmen von Überwachungskameras (London zum Beispiel ist voll davon), Daten von Sensoren und Telefongesprächen oder von den Social Media von Youtube bis Myface. Außerdem verlangen immer mehr Gesetze und Compliance-Regelungen, dass Informationen langfristig digital erfasst werden.
Mit Data Scientists an neue Wachstumsgrenzen vorstoßen
Neben Pat Gelsinger von EMC (früher bei Intel) trat in London eine Phalanx von so genannten "Data Scientists" an, die alle das Datenwachstum auf ihren jeweiligen Spezialgebieten mit harten Fakts und bunten Bildern untermauerten. Zum Beispiel Peter Hinssen, Autor des Buches "The New Normal". Er sprach von einer "explosion of data", verursacht durch "new devices", "consumerization" und "digital natives". Hinter den Unmassen von Daten lauere eine "geheime Intelligenz" – ein Sinn, den es nur zu enträtseln brauche, um ihn kommerziell nutzbar zu machen. Seine Kernaussage: "Information is the new oil" und sozusagen das neue Schmiermittel der Ökonomie.
So könne man heute ziemlich einfach an Hand der Mobilfunkdaten feststellen, wo sich echte Londoner – anders als die Touristen, die sich immer an den gleichen Plätzen tummeln – wirklich bewegen. Diese Bewegungsdaten seien, so Hinssen, von extremer Wichtigkeit zum Beispiel für Retailer: Entlang der hauptsächlichen Routen der Londoner werde es sich überproportional lohnen, Läden aufzumachen oder mit Werbung präsent zu sein.
Tesco testet schon
Retail-Ketten wie Tesco und andere könnten ebenfalls profitieren, wenn sie über Datenmaterial von Ladenkunden verfügten, die mit ihren Smartphones Preisschilder einscannen und Preisvergleichsseiten im Internet aufrufen oder direkt bei Tesco anklicken. Tesco hat bereits eigene Preisvergleichsseiten eingerichtet, um näher an Kunden und Interessenten heranzukommen.
Laut Hinssen hinkten sehr viele Unternehmen wegen ihrer veralteten internen Struktur heute hinter den schnellen Marktentwicklungen hinterher. "Big Data" oder Analytics seien geeignete Mittel, um wieder den Anschluss an dynamische Märkte und sich schnell verändernde Konsumgewohnheiten zu bekommen. Der "Data Scientist" spricht auch von "TMI" – Too Much Information. Es ginge nicht nur um das schiere Volumen der Datenberge, sondern darum, die Nadel im Heuhaufen zu finden.
EMC präsentierte mit Marcus du Sautoy einen weiteren Spezialisten, der sich als Mathematiker mit den "echten Botschaften" befasst, die es in der Masse der digitalen Informationen zu finden gelte. Von der Mathematik könne man lernen, was man mit den richtigen "finding patterns" anfangen könne. Laut du Sautoy ist ein Data Scientist jemand, der die Daten zu verstehen sucht, ähnlich wie es frühere große Mathematiker wie Gauss versucht hatten.
Server und Storage sollen für Big Data wieder zusammenwachsen
Auftritt Gelsinger. Ein geübter Keynote-Speaker, mit Understatement. Sein erster Satz: "Wir können in den nächsten 30 Minuten über alles reden, zum Beispiel über meinen letzten Familienurlaub." Natürlich weiß er genau, dass er nur einen Joke macht und dass ihn niemand beim Wort nehmen wird. Schneller Übergang also zu den Themen, die seinem Unternehmen am Herzen liegen.
Als da sind: Datenwachstum, Big Data, Cloud, Virtualisierung, neue EMC-Geräte. Alles das unter der Überschrift "Wie EMC seinen Transformationsprozess bewältigt." EMC als Helfer der Unternehmen überall in der weiten Welt: 73 Prozent von ihnen seien nur mit der "Maintenance" ihrer überalterten Infrastruktur beschäftigt, und lediglich 27 Prozent seien bereits auf dem Innovationspfad.
4 Schlüsseltrends: Social IT, Mobile IT, Cloud und Big Data
Sein Unternehmen, so Gelsinger, sei bereit, auf diesem schwierigen Weg voranzugehen und Unternehmen Unterstützung anzubieten. Der zweite Mann bei EMC nach CEO Joe Tucci und der eventuell neue CEO sieht vier Schlüsseltrends: Social IT, Mobile IT, Cloud und Big Data. EMC sei bereit, sich auf diese Entwicklungen einzustellen und bei sich selbst mit dem Umbau anzufangen. Dies sei nicht nur eine notwendige Transformation im Sinne der Kunden, sondern entspreche auch dem "großen Appetit" des Speicher-Marktführers, weiter zu wachsen.
Dann folgte mit einem gewissen Understatement das Bekenntnis zur x86-Server-Plattform. Seit ein paar Jahren hat EMC die eigenen Speichergeräte von IBM-Prozessoren auf solche von Intel umgestellt. Das könnte in Zukunft noch einiges bedeuten in Richtung Zusammenführung von bisher voneinander abgeschotteten Server- und Speicherwelten. Erst einmal hat man den Speicher wieder ein Stück zurückgeholt in den Server: Was bisher unter dem Entwicklungs-Code "Lightning" lief, wird jetzt als SSD-Speicher "VFCache" direkt in die Server eingebaut. Vorteil: Wichtige Daten sind sofort applikationsnah gespeichert und ganz schnell wieder zurückholbar für einige geschäftskritische Daten.
Zweck der Maßnahme: Indem Daten mit hoher Priorität näher an den Server heranrücken, können die Workloads optimiert werden. Außerdem ist es laut Gelsinger nun möglich, virtuelle Maschinen (VMs) oder Vmotion direkt in die Speicher-Arrays zu bringen.
Big Data die nächste Killer-Applikation
Gelsinger sieht sein Unternehmen damit im Vorteil gegenüber den alternativen Big-Data-Modellen von IBM oder Oracle. Analytics – die schnelle Durchforstung geschäftskritischer Daten – sei die "Killer-Applikation" des nächsten Jahrzehnts, und hier müsse man in vorderster Linie dabei sein.
Nachdem Storage in der Vergangenheit von Servern und Applikationen abgetrennt wurde, um in einem eigenen Storage Area Network (SAN) einen gemeinsamen Zugriff auf den Daten-Pool zu erreichen, scheint sich jetzt unter den Auspizien von Virtualisierung, Cloud und Big Data eine Umkehrung dieser Entwicklung anzubahnen.
Wer weiß, ob nicht einer der genannten Hersteller bereits an einem kompakten Modell eines neuen Mainframes auf x86-Basis arbeitet – Server, I/O-Prozesse und Speicher sehr eng miteinander verzahnt. "Vblock" der Koalition von VMware, Cisco und EMC (VCE) oder "Exadata" ("Exadata Storage Server") von Oracle deuten jedenfalls in diese Richtung.
(CIO / rb)