von Alexander Roth
Die Ladentür öffnet sich, ein Kunde betritt den Raum. Er hält einen Zettel in der Hand. "Ich würde bei Ihnen gerne diesen Rechner kaufen, bin aber nicht bereit, mehr als den Preis zu zahlen, den ich im Internet gefunden habe. Machen Sie mir ein Angebot."
Schadet das Internet nicht per se dem stationären Geschäft? Warum sollte ein Fachhändler, der - wie vermutlich die meisten seiner Zunft - ständig mit einer solchen Situation konfrontiert wird, sich überhaupt mit dem Thema E-Commerce befassen und zuletzt gar selbst einen Online-Shop eröffnen? Wer so etwas tut, der setzt sich doch einem Vergleich mit den Billig-E-Tailern aus, der bereits im Vorfeld verloren zu sein scheint. Vom Preiskampf abgesehen, müssen sich Web-Shop-Betreiber nicht doch auch noch ständig mit unliebsamen Themen wie Abmahnungen und Kundenbeschwerden herumplagen.
Auf den ersten Blick scheint dieses Klischee zuzutreffen: Der elektronische Handel bringt allem Anschein nach eine Menge Aufwand und unnötigen Ärger mit sich.
Fachhandel hält sich zurück
Diese Sichtweise ist in der Branche offensichtlich weit verbreitet: Nach Schätzungen von Experten betreibt in Deutschland weniger als ein Drittel aller eingetragenen Fachhändler einen Online-Shop - und das, obwohl der Handel via Web derzeit so ziemlich das Einzige zu sein scheint, was der Krise trotzt: 2008 legte das im Online-Handel umgesetzte Volumen laut Marktforscher TNS Infratest um 15 Prozent zu, und auch in diesem Jahr soll das Wachstum zweistellig sein.
Warum geht dieser Trend dann an der stationären IT-Fachhandelsbranche vorbei? Wenn die Schätzungen stimmen, bestehen die Webauftritte der meisten Händler nur aus einer HTML-Seite inklusive E-Mail-Adresse und Telefonnummer. Dabei ist E-Commerce weit mehr als Online-Shopping: E-Commerce ist zur festen Säule jedes modernen Vertriebskonzepts geworden - im Verkauf wie in der Beschaffung.
Bechtle macht`s vor
Es ist kein Zufall, dass jeder unter E-Commerce etwas anderes versteht: Diejenigen, die es erfolgreich betreiben, bedienen sich unterschiedlichster Instrumente. Nur eines ist ihnen allen gemeinsam: Im Verkauf binden sie Kunden, aufseiten der Beschaffung winkt vor allem Zeitersparnis - in der Branche nichts anderes als bares Geld. Das beste Argument für E-Commerce ist aber: Es ist nicht einmal mehr eigene Fantasie nötig für die richtige Online-Strategie: Jeder Anbieter verspricht mittlerweile ausführliche und individuelle Beratung. Und schließlich gibt es Dienstleister, die in speziellen Fragen wie Abmahnungen oder Käuferschutz helfen.
In der IT-Branche reicht ein Blick auf den deutschen Klassenprimus: Bechtle nutzt mit dem Shop "Bechtle direkt" seine Größenvorteile und vertreibt hier margenschwache Produkte im großen Stil. Der Konzern kann so sicher sein, sich ständig neue Geschäftskunden an Bord zu holen, die ihre Hardwarebestellungen beim Systemhaus ihres Vertrauens nicht tätigen können.
Ganz andere Motive, nämlich Kundenbindung für die eigenen Laden-Shops, hat dagegen der mehrfach ausgezeichnete Online-Händler PC King, der an jeder Ecke seines Webaufritts auf seine stationären Geschäfte in Bonn und Siegburg verweist, dafür im Webshop die eigenen Lagerbestände aufführt sowie vergünstigte Vor-Ort-Reparaturen anbietet.
Regionales Systemhaus mit B2B-Portal
Als Nächstes gibt es das Ulmer Systemhaus Celos, das - stellvertretend für viele seiner Zunft - auf seiner Internetseite zwar keinen öffentlichen Endkunden-Shop betreibt, dafür aber ein Kunden-Login platziert hat, hinter dem sich zusammengestellte Portfolios inklusive Warenkorb für die regelmäßig bestellenden Firmenkunden verstecken - zu speziellen Konditionen natürlich.
Eine andere Art von E-Commerce betreiben diejenigen stationären Fachhändler, die im Netz mit Katalogen ihr bunt bebildertes und beschriftetes Portfolio aufzeigen - ohne Preise und Bestellmöglichkeit, eben nur, um Kunden auch online ihr Sortiment vorzuführen. E-Procurement-Geschäft bindet Kunden Dann gibt es die Systemhäuser, meist im öffentlichen Sektor tätig, die fit sind im Bereich E-Procurement: Mitarbeiter dieser Kunden bestellen in einem speziellen, vom Systemhaus eingerichteten Por-tal ihre IT. In der Folge greifen Genehmigungs-Workflows: Beispielsweise loggen sich dann die Vorgesetzten des Kunden in das Portal ein, um nach Einblick in den gefüllten Warenkorb ihrer Abteilung über die letztliche Bestellung zu entscheiden. Eine solche Lösung bietet sowohl dem Kunden als auch dem Lieferanten Vorteile:
Der Kunde profitiert durch die einfache Handhabe und die Sicherstellung seiner Unternehmensrichtlinien, das Systemhaus von der festen Verbundenheit. Schließlich sind dann noch diejenigen Systemhäuser zu nennen, die Webplattformen eingerichtet haben, um einem speziellen Kundenkreis ihre Prozesslösungen, Dienstleistungen oder ihre Topangebote zu präsentieren - einhergehend mit entsprechendem E-Mail-Marketing, wie es etwa der E-Commerce-Dienstleister Electronic Sales gezielt für die IT-Branche anbietet.
Ähnlich verhält es sich auf der Beschaffungsseite: Auch hier gibt es inzwischen so viele E-Commerce-Angebote und -Konzepte, dass es schwer ist, sich überhaupt einen Überblick zu verschaffen: Fast alle großen Distributoren bieten Online-Shops zur Miete und bestücken diese automatisch mit ihren Datensätzen - im Grunde brauchen Händler nur ihre Marge einzurichten und das Portfolio einzuschränken, den Rest, inklusive lästiger Themen wie Content-Aufbereitung und Bebilderung der Produkte, übernimmt auf Wunsch der Grossist. Ähnliches bietet der E-Commerce Anbieter A-eins: Hier können Fachhändler auf eine simple Weise gemietete Hersteller-Shops betreiben, die von den Lieferanten selbst bestückt werden.
Transparenz spart Zeit
Marktüberblick und damit Zeitersparnis offeriert ITScope, Tochter des Content-Lieferanten DCI, mit dem "Marketviewer". Die Software bietet einen Überblick über sämtliche Warenbestände fast aller deutschen IT-Distributoren - inklusive stets aktualisierter Preise samt Verfügbarkeiten, Sonderaktionen, individueller Rabatte und direkter Bestellmöglichkeit. Was vor allem für die Angebotserstellung praktisch ist: Wer kurzfristige Kundenanfragen erfüllen möchte, braucht sich nicht mehr der Reihe nach durch die Bestelllisten seiner Hauptlieferanten zu kämpfen, um ein günstiges und sofort verfügbares Produktpaket zusammenzustellen.
Ähnliches bietet der Wettbewerber Adfontes, der mit dem Produkt "COP" seinen Kunden eine komplette Beschaffungs- und Bestellplattform inklusive den Datensätzen aller großen Distributoren bietet. Überhaupt gibt es eine ganze Reihe vorkonfigurierter ERP-Systeme, die Fachhändlern einfachen Zugang zu Distributorendatensätzen, CRM-Tools und Webshop-Schnittstellen ermöglichen und damit Zeitersparnis versprechen. Die Web-2.0-Plattform IT-Stocklist bietet angemeldeten Fachhändlern schließlich die Möglichkeit, sich gegenseitig mit überschüssigen Produkten, Restposten, und Aktionsware zu versorgen oder diese Artikel von der Distribution zu ordern.
Auf der Beschaffungsseite ist es vorwiegend die Zeitersparnis, auf vertrieblicher Seite die Kundenbindung: Sofern sie richtig eingesetzt werden, liefern E-Commerce-Tools Kostenersparnis res-pektive bares Geld. Die Fachhandelswelt scheint dennoch gespalten zu sein, worauf nicht nur die geringe Zahl von Online-Shops hinweist.
50 Prozent der CP-Leser ohne Bedarf
Eine Umfrage auf ChannelPartner.de ergab, dass 50 Prozent unserer Leser keinen Bedarf sehen, E-Commerce zu betreiben. ChannelPartner rief bei Fachhändlern ohne Online-Shop an: Viele berichteten, sich bereits mit dem Thema auseinandergesetzt, es aufgrund schlechter erster Erfahrungen aber wieder fallen gelassen zu haben. Zudem sei oft nicht genügend Personal oder Vertriebserfahrung im Haus.
Martin Pfisterer, Geschäftsführer von Electronic Sales, lässt das nicht gelten: "Das Optimieren von Unternehmensprozessen gehört zu den Standardleistungen von Systemhäusern gleich welcher Größe. Viele Häuser stellen das nicht entsprechend auf ihrer Homepage dar und bieten auch nicht zusätzliche, standardisierte Einkaufsprozesse mit an. Sie übersehen, dass sich auch Dienstleistungsgeschäft per Web-Auftritt abbilden lässt. Dabei könnte die Industrie leicht helfen."
Guido Wirtz, Marketing-Chef von Actebis-Peacock, hat eine ähnliche Auffassung: "Viele Fachhändler schöpfen das bei ihren heutigen B2B-Kunden vorhandene E-Commerce-Potenzial noch nicht hinreichend aus. Mit einer kundenindividuellen E-Procurement-Plattform etwa hat ein regionaler Anbieter beste Möglichkeiten, sich von ausschließlich im Internet agierenden Wettbewerbern abzusetzen und seine Kunden langfristig an sich zu binden." Auch auf der Beschaffungsseite gibt es aus Sicht der Industrie Vorbehalte: "Viele Fachhändler sehen noch nicht, wie viel Zeitersparnis ein Produkt-, Preis- und Verfügbarkeitsvergleich auf der Basis von bis zu 140 Distributoren, wie der Marketviewer ihn bietet, bringt: Ein gutes Produktpaket lässt sich zwar auch ‚Äöhändisch‚Äò erstellen, doch die Zeit fehlt dann wieder an anderer Stelle", so Alexander Kiffe, Vertriebsleiter von ITScope.
Falsches Bild von E-Commerce?
Einer aus der Branche hat einen extremen Schritt gewagt: Das Systemhaus Cancom, laut ChannelPartner immerhin der fünftgrößte IT-Dienstleister in Deutschland, schnappte sich im Dezember 2008 den namhaften Online-Händler Home-Of-Hardware, mit einem geschätzten Jahresumsatz von knapp 100 Millionen Euro eines der größten deutschen Online-Versandhäuser. "Wir hatten gewisse Schwächen im Internetgeschäft. Mit HoH wollen wir künftig unser E-Business weiter ausbauen. E-Commerce ist ein Wachstumsmarkt und hat für uns deshalb strategische Bedeutung", so Klaus Weinmann im Gespräch mit ChannelPartner. Kommende Woche veröffentlicht ChannelPartner das vollständige Interview.
Es muss aber nicht gleich diese Dimension sein. Experten bemängeln ohnehin, dass der Fachhandel E-Commerce oft fälschlicherweise gerne mit der Einführung von riesigen Online-Shops für Privatkunden gleichsetzt. Dabei liefert der Markt mit seinen individuellen Angeboten doch längst eine andere Antwort, für den Vertrieb genauso wie für die Beschaffung. (aro)