"ERP-Lösungen von SAP bilden das Rückgrat, stehen im Mittelpunkt der Softwarelandschaft und sorgen für Stabilität." Mit dieser Aussage erinnerte die DSAG ihren Softwarelieferanten eindringlich an seine ERP-Wurzeln. Eine breite Kundenbasis setze schließlich eine ERP-Lösung aus Walldorf ein, ermahnte der DSAG-Vorsitzende Karl Liebstückel den Hersteller auf dem diesjährigen Jahreskongress der Anwendervereinigung in Bremen. "Neue Produkte und zugekaufte Lösungen sind ohne den ERP-Kern nicht lebensfähig." Es gebe keine Zukunft abseits des ERP-Systems.
Dieses müsse in Zukunft wieder einen Schwerpunkt in SAPs Entwicklungsstrategie spielen, forderte der DSAG-Vorstand. Funktionen, die bis dato der Business Suite vorbehalten waren beziehungsweise nur in der Cloud zur Verfügung stehen, müssten den Anwendern auch wieder im ERP-Kern zugänglich gemacht werden. Die DSAG-Verantwortlichen appellierten an SAP, sich wieder auf die alten Stärken integrierter Systeme zu besinnen, die in der Lage waren, Prozesse ganzheitlich abzudecken. "SAP hatte das im Griff, als es nur ein Produkt gab", erinnert sich Liebstückel. Mit der zunehmenden Produktvielfalt wachse jedoch die Gefahr von uneinheitlichen Benutzeroberflächen, Medienbrüchen und Schnittstellenkomplexität, monierte der DSAG-Vorstand unter dem Beifall des Plenums. Das Portfolio des Anbieters vergrößere sich ständig durch Eigenentwicklungen und Zukäufe. Deren Integration mache die Gesamtarchitektur in den Anwenderunternehmen jedoch immer komplexer und erhöhe den Aufwand für Pflege und Betrieb.
Die Zeiten, in denen ein System alles lösen konnte, seien vorbei, kommentierte dagegen SAPs Co-Vorstandssprecher Jim Hageman Snabe die Erwartungen der Anwender. "Wir werden nie mehr alles in einem System haben." Die Unternehmen müssten sich mit der neuen Realität abfinden, mehrere Systeme zu betreiben. In diesen neuen Landschaften werde ERP allerdings auch künftig eine zentrale Rolle spielen, beteuerte der Manager.
Zugleich verteidigte Snabe auch die eigene Strategie, das SAP-Portfolio über das reine ERP hinaus weiter auszudehnen. Die IT-Welt sei in den zurückliegenden Jahren deutlich komplexer geworden, beispielsweise durch die wachsende Zahl mobiler Devices. Um dieser Komplexität Herr zu werden, müsse SAP über den ERP-Tellerrand hinaus blicken und die neuen Themen aufgreifen. Auf diese Weise ließen sich konsistente Landschaften für die Anwenderunternehmen bauen. Snabe bekräftigte mehrfach, es sei eine der Kernaufgaben der SAP, diese Konsistenz zwischen Softwaresystemen, Daten und Prozessen sicherzustellen. Dafür wollen die deutschen Softwerker künftig verstärkt aus verschiedenen Softwaremodulen zusammengesetzte, vorkonfigurierte Lösungen für bestimmte Prozesse anbieten, die sich zudem als Rapid Deployment Solution (RDS) schnell und einfach einführen lassen sollen.
"Die Zukunft ist Lego", erklärte der dänische SAP-Chef. Die verschiedenen Softwareteile müssten nur von Haus aus zusammenpassen. Diese Integrationsfähigkeit sei in der Vergangenheit die Stärke der SAP gewesen und werde auch in Zukunft den Erfolg des Konzerns sicherstellen. Middleware als Klebstoff für den Zusammenhalt verschiedener Softwareteile einzusetzen, hält Snabe dagegen für die falsche Herangehensweise.
Die Anwendervertreter bleiben indes skeptisch. Aus Liebstückels Sicht ist das Gros der Anwender weit von einem einheitlichen Legosystem entfernt. Vielmehr müssten die meisten mit heterogenen Welten aus Lego, Duplo und Fischer Technik fertig werden.
Auch wenn beide Seiten betonen, zu kooperieren und gemeinsam an Lösungen für diese Probleme zu arbeiten, scheinen sich an neuralgischen Punkten die Fronten zu verhärten. So steht beispielsweise die Anwenderkritik an zu komplexen SAP-Systemlandschaften bereits seit Jahren ganz oben auf der Agenda, ohne dass sich bis dato deutliche Verbesserungen oder gar ein Durchbruch abzeichnen. Nun erhöht die User Group den Druck. So hat die DSAG beispielsweise ihren Forderungskatalog, der bislang nur intern für Mitglieder im Netz einsehbar war, im öffentlichen Bereich des eigenen Webauftritts publiziert.
Auch SAPs Preismodelle und Lizenzierungspolitik bleiben umstritten. Die Anwendervertreter mahnen an dieser Stelle ebenfalls seit geraumer Zeit Veränderungen und Nachbesserungen an. Dazu gehören der DSAG zufolge kundengerechte, flexible und vor allem transparente Preismodelle. Beispielsweise müsse es möglich sein, Teile der eigenen SAP-Landschaften still zu legen beziehungsweise zu kündigen und aus der Wartung zu nehmen. "Eine Auto, das man nicht mehr fährt, bringt man schließlich auch nicht zum Service", so der Vergleich der DSAG-Vertreter. Liebstückel verweist in diesem Zusammenhang auf den nach wie vor unübersichtlichen Lizenzkatalog SAPs. Hier fänden sich über 1100 Positionen, 40 verschiedene User-Rollen und 20 unterschiedliche Abrechnungsmetriken.
Ärger gab es zuletzt auch um die AGBs von SAP. Der Softwarehersteller hatte diese im Juli vergangenen Jahres überraschend geändert, ohne die Kunden vorzuwarnen. Die neuen Vertragsklauseln seien jedoch extrem schwer zu verstehen gewesen, kritisierten die DSAG-Verantwortlichen. In Verhandlungen habe man drei Tage über die Lizenzen gesprochen und drei Wochen über die AGBs. Aktuell befasse sich ein Arbeitskreis mit diesen Punkten, der in Kürze erste Ergebnisse präsentieren soll. Auch wenn Liebstückel die Hoffnung auf einzelne Verbesserungen nicht aufgeben will, ist er skeptisch, ob sich SAP in den Kernfragen rund um flexiblere Lizenz- und Wartungsmodelle bewegen wird. Schließlich gehe es hier um das Kerngeschäft der Walldorfer. Und die haben ehrgeizige Ziele. Bis 2015 soll der Jahresumsatz von derzeit rund 14 Milliarden Euro auf 20 Milliarden Euro steigen.
Die Kritik an den Lizenz- und Preismodellen ließ Snabe in seiner Keynote dann auch links liegen. Mit keinem Wort ging SAPs Vorstandssprecher auf die Forderungen seiner Kunden ein. Stattdessen betonte er einmal mehr die Vorzüge der technischen Innovationen, die der Konzern in den vergangenen Jahren auf den Weg gebracht hat. Diese könnten letztendlich auch dazu beitragen, viele Probleme zu lösen. Beispielsweise habe die Datenbank-Appliance Hana das Potenzial, die bislang getrennten transaktionalen und analytischen Welten zu vereinen und somit die Systemlandschaften insgesamt zu vereinfachen. Mit Cloud-Lösungen erhielten die Anwender schließlich mehr Flexibilität, auch in Sachen Pricing. Hier müssten Anwender nur das zahlen, was sie auch wirklich nutzen.
Doch die Unternehmen begegnen den technischen Vorstößen aus Walldorf derzeit noch abwartend. Geschwindigkeit allein reicht nicht, kontert Liebstückel die Leistungsrekorde, die SAP mit Hana bei Datenanalysen vermeldet. Vielmehr müsse der Anbieter den Kunden nachweisen, inwieweit die neue Technik das Geschäft voranbringe. Immer "höher, schneller, weiter" funktioniere in den Anwenderunternehmen nicht. Doch es scheint auch an anderen Punkten zu haken. Die DSAG-Vertreter fordern beispielsweise, dass sich die neuen Lösungen einfach und schnell einführen lassen. Außerdem könne man von einem Anbieter wie SAP erwarten, dass beispielsweise die Integration von Cloud-Lösungen in bestehende Systemlandschaften reibungslos funktioniere. Darüber hinaus kritisieren die Anwender die Preisstrategie aus Walldorf. Es könne nicht sein, dass Kunden beim Kauf neuer Hardware mit mehr Speicher oder leistungsstärkeren CPUs Lizenzen bei SAP nachkaufen müssen.
Die SAP-Verantwortlichen werden also viel Geduld mitbringen müssen, um Unternehmen von den eigenen Innovationen rund um In-Memory, Mobile und Cloud zu überzeugen und Budgets dafür locker zu machen. Auf Liebstückels Frage, wie viele Anwender bereits Cloud-Lösungen von SAP einsetzten, reckten sich gerade einmal eine Handvoll Finger in die Höhe. Dagegen bekundeten fast alle, das ERP-System zu verwenden. Liebstückels Botschaft an die Verantwortlichen des badischen Softwarehauses: "SAP - das ist Ihre Kundenbasis."