Der Channel wandelt sich: Neue Anbieter drängen auf den Markt, und andere Vertriebswege etablieren sich. Die Distributoren müssen ihre Rolle neu definieren, sonst verlieren sie an Bedeutung, denn die Wege, wie Produkte zum Kunden finden, sind vielfältig. Das klassische Vertriebsmodell Hersteller-Distributor-Händler-Kunde steht auf dem Prüfstand. Besonders spüren das die Distributoren, denn sie geraten von mehreren Seiten unter Druck: Zum einen etablieren sich E-Tailer zunehmend als Einkaufsquelle für den Fachhandel, zum anderen versuchen Hersteller, mit direkten Vertrieb zum Endkunden oder zum Fachhändler die Grossisten zu umgehen.
Eine aktuelle Online-Umfrage von ChannelPartner zeigt die Bedeutung auf, die die Onliner als Bezugsquelle für den Fachhandel bereits erreicht haben: Rund 80 Prozent der Befragten gaben an, sich neben den Distributoren auch bei E-Tailern mit Ware zu versorgen. "Dies ist ein wachsender Trend, Channel-fremde Player fungieren verstärkt als Distributor", hat auch Marc Müller, Geschäftsführer Vertrieb bei Tech Data, erkannt. Gerade für kleinere Partner seien die Leistungen wie die Auswahl der Zahlungsmethoden oder die Rücksendebedingungen attraktiv. Auch Komsa-Sprecherin Katja Förster rechnet mit einem höheren Stellenwert der Onliner: "Wir gehen davon aus, dass sich der Trend noch verstärkt, sich aber dann auf einem bestimmten Level einpendelt."
Björn Siewert, Geschäftsführer beim Bergheimer Grossisten Siewert & Kau, sieht hier auch die Hersteller in der Pflicht: "Preisvorteile für E-Tailer führen nicht nur zu einem Sub-Markt, sondern untergraben auch die Handelsstrukturen. Wir müssen aufpassen, dass kein intransparenter Vertrieb aufgebaut wird", fordert er. Hans-Jürgen Schneider, Vertriebsleiter bei DexxIT, verweist hingegen auf die klassischen Stärken der Distributoren: "E-Tailer können wichtige Parameter wie Lagerhaltung, Logistik, Finanzierung und sonstige Serviceleistungen nur begrenzt bieten", meint Schneider. Hier müsse die Distribution ansetzen, um ihren Stellenwert zu festigen. Am pragmatischsten sieht Marcus Adä, Vice President Sales bei Ingram Micro, die Situation: "Die großen E-Tailer sind in der Regel auch Kunden der Distributoren und spielen insofern auch eine besondere Rolle", erklärt er. Trotzdem werde man "die Entwicklung genau beobachten".
Konkurrenz durch direkten Vertrieb
Neben E-Tailern machen auch direkte Vertriebsstrukturen den Distributoren zu schaffen. "Die Forcierung auf das Direktgeschäft ist ein immer wiederkehrendes Phänomen und eine ärgerliche Entwicklung auf dem Markt", sagt Tech-Data-Manager Müller. Herstellern sei oft gar nicht bewusst, welchen Schaden sie in ihrem Partnerkanal anrichten. "Der Fachhandel investiert in die Herstellerbeziehung, denken wir nur an die Ausbildung von Mitarbeitern und die erforderlichen Zertifizierungen", merkt Müller an. Allerdings sieht er darin keinen dauerhaften Trend: "Spätestens wenn Hersteller merken, dass sie durch ihren Direktansatz Partner oder Partnerumsätze verlieren, steuern sie wieder zurück in Richtung Channel-Business", glaubt der Tech-Data-Vertriebschef. Manchmal komme der Wandel bereits früher, wenn den Herstellern bewusst wird, dass sie Endkunden nur selektiv betreuen können.
Auch beim TK-Distributor Komsa und der angeschlossenen Fachhandelskooperation Aetka sieht man diese Entwicklung mit Sorge: "Versuche von Herstellern und Netzbetreibern, saubere Distributionswege zu verlassen und den Fachhandel auszuhebeln, sind nicht hinnehmbar", betont Aetka-Vorstand Uwe Bauer. Seine Kollegin Katja Förster sieht darin auch einen Versuch der Industrie, einen größtmöglichen Einfluss auf den Verkauf der Produkte am PoS zu nehmen. "Dabei gehen einige Markteilnehmer auch immer wieder mal so weit, einen PoS online oder offline selbst zu betreiben", weiß die Komsa-Sprecherin. Im Foto- und Unterhaltungselektroniksegment stellt DexxIT-Manager Schneider weniger Direktvertriebstendenzen fest. Eigene Shops der Hersteller sieht er eher als Marktingaktivität: "Das sind Flagship Stores und weniger direkter Wettbewerb, der dem Fachhandel massiv Kunden abspenstig machen würde", glaubt Schneider.
Jeder macht mit jedem Geschäfte
Für Broadliner Ingram Micro stellt laut Marcus Adä der Direktvertreib keine Bedrohung dar, im Gegenteil: "Es kommen viele Hersteller auf uns zu, weil wir mit 35.000 aktiven Fachhandelkunden eine breite Kundenbasis haben", erklärt er selbstbewusst. Dabei sei zudem die europaweite Aufstellung von Vorteil. Auch Björn Siewert nimmt die Situation eher gelassen: "Ich sehe im B2C keine großen Tendenzen zum Direktgeschäft. Wie soll das funktionieren, wenn bei vielen Herstellern eher gespart als investiert wird?", fragt er. Bei B2B sehe das anders aus. Siewert verweist dabei auch auf die - beispielsweise in der Druckerbranche übliche - Einverleibung von Fachhandelsunternehmen. "Auch bei IT-Abteilungen beziehungsweise IT-Gesellschaften großer Unternehmen ist der Direktbezug über den Hersteller gängige Praxis", weiß Siewert.
Dass diese Kunden von der Distribution auch gerne am Fachhandel vorbei beliefert werden, darüber verliert man bei den Grossisten nicht viele Worte. Während bei den einen ganz offiziell eine Endkunden-Schwestergesellschaft existiert wie bei Wave Alternate oder bei DexxIT Technikdirekt, läuft dies bei anderen Distributoren eher unter der Hand. Trotzdem ist es ein offenes Geheimnis, dass kommerzielle Endkunden ohne große Probleme bei dem einen oder anderen Broadliner Ware ordern können. So macht jeder mit jedem seine Geschäfte, auf Kosten des klassischen Distributionsmodells.
Größere Markttransparenz
Die allgemeinen Trends schlagen sich natürlich auch in der Distribution nieder. "Die letzten Jahre haben dem Bereich IT mehr Veränderungen gebracht, als es unsere ohnehin dynamische Branche bereits kannte", weiß Ingram-Vertriebschef Adä. Als Beispiele nennt er die Konvergenz von IT, Telekommunikation und Unterhaltungselektronik. "Die Konvergenz der Produkte verläuft häufig schneller, als die Anwender, der Handel und der Service folgen können", ergänzt Komsa-Sprecherin Förster.
Auch der Siegeszug des Online-Handels ging nicht spurlos an den Grossisten vorbei. Neben der neuen Konkurrenzsituation zu E-Tailern hat das zur Durchsichtigkeit des Marktgeschehens beigetragen. "Heute gibt es eine nahezu hundertprozentige Markttransparenz in Sachen Verfügbarkeit und Preise, ganz im Gegensatz zur Zeit vor etwa fünf Jahren", berichtet DexxIT-Manager Schneider. Kleinste Bewegungen im Markt können so massive Handlungswellen auslösen. "Wenn ein regionaler Händler in Berchtesgaden niest, bekommt ein Händler in Flensburg Lungenentzündung", bringt es Schneider auf den Punkt. Für Björn Siewert bedeutet die Transparenz eine Vielzahl von vertriebsunterstützenden Programmen, mehr Reporting gegenüber den Herstellern, aber auch eine stärkere Bindung an den Hersteller und Distributor. So bekomme man allerdings auch den Graumarkt besser in den Griff. "Die Umsatzanteile haben sich in den vergangenen Jahren deutlich hin zu E-Commerce-Plattformen verschoben. Fachhändlern stehen heutzutage vielfältige, ausgereifte Online-Shop-Systeme und neue Preisvergleichs-Tools zur Verfügung, die zu einer hohen Produkt- und Preistransparenz führen", hat auch Tech-Data-Geschäftsführer Marc Müller festgestellt.
Neben der Diversifikation in einzelne Channels auf Herstellerseite gibt es aber auf Händlerseite auch gegenläufige Trends, denen die Distribution Rechnung tragen muss: "Die Harmonisierung der diversen Vertriebskanäle und -systeme wie Online, Stationär, Omni-Channel, Multi-Channel oder Cross-Channel ist eine der größten Herausforderungen der nächsten Zeit", stellt Hans-Jürgen Schneider fest.
Vom Produkt zur Lösung
Eine weitere Veränderung der Branche stellt die Distributoren vor neue Aufgaben: "Auf Händlerseite beobachten wir einen Wandel vom reinen Produktverkauf zum lösungsorientierten Business und zu einer verstärkten Spezialisierung auf bestimmte Teilmärkte", berichtet Müller. Dazu kommen stark vertikal geprägte Segmente wie Education, Health Care, Digital Signage oder Managed Print Services, die auch bei der Distribution qualifiziertes Personal erfordern. Das gilt ebenso für neue Geschäftsfelder wie Cloud Computing oder Software-as-a-Service. Marcus Adä sieht daher die Distribution gefordert, gesellschaftliche und Branchentrends zu erkennen und die Bereitschaft aufzubringen, in diese Geschäftsfelder zu investieren. Dabei haben die Grossisten mittlerweile mit einem konkreten Problem zu kämpfen: Es wird zunehmend schwerer, die geeigneten Mitarbeiter zu finden.
Trotzdem liegt für die Distributoren darin eine gute Möglichkeit, sich für die Zukunft fit zu machen. Neben Logistikdienstleistungen verlagern Hersteller zunehmend Aufgaben wie Händlerschulungen sowie Parterbetreuung und -gewinnung in die Distribution.
Für die Grossisten heißt das Flucht nach vorne, denn die sinkende Preise machen auch ihnen zu schaffen: "Belastend ist zweifellos der Preisverfall in vielen Produktbereichen. Das führt zu mehr Druck in der Distribution, die parallel dazu ihr Dienstleistungsangebot ständig erweitern muss", hat auch Björn Siewert erkannt.
Unter diesen Gesichtpunkten wird auch die Konsolidierung der Branche weiter fortschreiten. Die Also-Actebis-Fusion war nur ein prominentes Beispiel dieser Entwicklung. Der langjährige Channel-Spezialist und Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Freyraum Marketing GmbH, Andreas Raum, glaubt auch, dass die Konsolidierungswelle bei Herstellern und beim Handel nicht vor der Distribution haltmachen wird. "Interessant wird sein, ob Also-Actebis die Kundenzahl halten kann und wer von dem Merger am Ende profitiert", erläutert Raum (ein ausführliches Interview mit dem Freyraum-Chef lesen Sie hier). Gerne hätten wir auch die Ansichten des selbsternannten Marktführers Also-Actebis dargestellt. Das fusionierte Soest-Straubinger Management sah sich allerdings nicht in der Lage, bis Redaktionsschluss Auskunft zu geben. Man hat wohl genug mit sich selbst zu tun. (awe)