Aufgrund des leicht skalierbaren und gut auf andere Länder übertragbaren Geschäftsmodells blicken viele deutsche Online-Händler ins Ausland. Beispiele dafür sind der Elektronikversender Cyberport, der nicht nur mit einem Store in Wien vertreten ist, sondern auch durch eine Partnerschaft mit der inzwischen nicht mehr existenten Retail-Kette Niedermeyer in Österreich einen hohen Bekanntheitsgrad erzielte. Auch für Notebooksbilliger.de ist die Alpenrepublik ein attraktiver Markt, während der in Frankfurt an der Oder ansässige Online-Händler Getgoods naturgemäß eher ins Nachbarland Polen – einem boomenden E-Commerce-Markt – blickt.
Aufgrund der Nichtzugehörigkeit zur Europäischen Gemeinschaft bleibt die Schweiz als Auslandsmarkt allerdings in der Regel außen vor. Eine Zollgrenze, die eigene Währung und viele lokale Eigenheiten schrecken deutsche Online-Händler ab. Das ist sicherlich ein Grund dafür, dass sich mit Digitec ein Schweizer Elektronikversender in höchste Umsatzregionen vor aufschwingen konnte und doch von der deutschen Konkurrenz so gut wie gar nicht bemerkt wurde: Das in Zürich ansässige Unternehmen, das nur in die Schweiz und nach Liechtenstein liefert, wird keinem deutschen Händler gefährlich und umgekehrt bleibt Digitec die direkte Konkurrenz mit Notebooksbilliger, Cyberport und Redcoon erspart.
Trotzdem spricht die Geschäftsentwicklung von Digitec für sich: Das 2001 gegründete Unternehmen beschäftigt heute mehr als 400 Mitarbeiter und betreibt neben den Onlineshops Digitec.ch und galaxus.ch insgesamt neun stationären Filialen. 2012 erzielte Digitec nach Informationen des Schweizer Wirtschaftsmagazins Bilanz einen Umsatz von 400 Millionen Schweizer Franken (325 Mio. Euro) und weckte damit das Interesse des nach Anschluss an das Online-Geschäft suchenden Einzelhandelskonzerns Migros. Für eine Kaufsumme von 42 Millionen Franken (34 Mio. Euro) übernahm die Migros eine Minderheitsbeteiligung von 30 Prozent an Digitec und bescherte dem E-Commerce-Anbieter damit eine Unternehmensbewertung von 140 Millionen Franken (113 Mio. Euro).
Migros-Beteiligung treibt das Digitec-Wachstum an
Anders als das nach der Übernahme durch Media-Saturn stagnierende Redcoon oder gar das für Dixons zum Totalausfall gewordene Pixmania konnte Digitec die Erwartungen des Mutterkonzerns erfüllen: Im Geschäftsjahr 2012 steigerten die Zürcher ihren Umsatz um weitere 27 Prozent auf 508,5 Millionen Franken (412 Mio. Euro) – und führen damit das Feld der Schweizer Online-Händler klar an. So kommt Amazon.de als Zweitplatzierter mit seinem Auslandgeschäft in der Eidgenossenschaft lediglich auf 268 Millionen Franken und liegt der nächstgrößere Schweizer Elektronikversender Brack.ch deutlich abgeschlagen bei 120 Millionen Franken. Bei der Migros ist man mit der Entwicklung von Digitec hochzufrieden und plant bereits den Ausbau der Beteiligung. Nach Angabe des Online-Händlers hat die Migros die vertragliche Option, ihr Investment in Digitec 2015 auf 70 Prozent zu erhöhen.
Für Florian Teuteberg, einen der drei Digitec-Gründer, bietet die Beteiligung des führenden Schweizer Einzelhandelskonzerns eine gute Grundlage für das künftige Wachstum des Online-Unternehmens. „Die Migros ist ideal, weil ihre Philosophie, den Kunden das beste Preis-Leistungs-Verhältniszu bieten, sich exakt mit unserer Strategie deckt. Zudem ist sie finanziell kerngesund, zuverlässig, handelt nachhaltig und hat mit ihrem breiten Sortiment und ihrer Größe in Beschaffung, Marketing, Personalwesen, Logistik und Finanzen Erfahrungen von denen wir profitieren können.“ Die Migros ist für den Elektronikversender damit im Prinzip der ideale Partner: Stark am Online-Geschäft interessiert, aber ohne eigenen Schwerpunkt im Elektronikbereich, zwingt der Handelskonzern Digitec in keine interne Konkurrenz und bietet stattdessen mit seiner außergewöhnlichen genossenschaftlichen Organisation dem E-Commerce-Unternehmen ein vergleichsweise unaufgeregtes Umfeld.
Zwei-Marken-Strategie und stationäre Showrooms
Wie die großen deutschen Elektronikversender macht auch Digitec den Hauptteil seines Umsatzes im Geschäft mit Privatkunden, positioniert sich aber auch immer stärker im Firmenkundenumfeld. Dabei verzeichnete Digitec Ende 2012 einen Kundenstamm von fast einer Million. Eine Besonderheit stellt die Zweimarkenstrategie des E-Commerce-Unternehens dar: So ist der Hauptshop unter Digitec.ch ganz auf IT, Unterhaltungselektronik und TK-Produkte spezialisiert und liegt in der Preisgestaltung fast auf dem (niedrigen) deutschen Niveau. Der Schwester-Shop Galaxus.ch wurde 2010 gestartet und bietet auf den Stärken von Digitec aufbauend und dieselben Ressourcen nutzend ein breites Produktsortiment von Haushalt über Spielwaren bis hin zu Sport-Artikeln. Dabei ist es das Ziel, Galaxus.ch nicht als Spezialversender, sondern als Online-Warenhaus zu positionieren. Nach eigenen Aussagen steuert der Shop bislang zwar noch einen bescheidenen Teil zum Digitec-Gesamtumsatz bei, wächst aber sehr stark und nimmt damit einen zunehmend wichtigen Stellenwert ein.
Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal von Digitec ist das starke Engagement des Online-Händlers im stationären Handel. Ausgangspunkt dafür ist das Geschäft am Firmensitz im Zürcher Kreativquartier Kreis 5, das Digitec bewusst als Showroom angelegt hat. Besucher des Ladenlokals können über ein am Eingang positioniertes Terminal zwischen „Verkauf und Beratung“, „Kundendienst“ oder „Express-Abholung“ wählen und ein entsprechendes Ticket in Empfang nehmen. Auf LCD-Monitoren wird dann angezeigt, welche Nummer an welcher Kasse bedient wird. Auch die anderen stationären Filialen von Digitec orientieren sich an dem Showroom-Konzept des Stammhauses und setzen auf ein vergleichsweise kleines Produktsortiment (oftmals nur rund 100 Artikel), das allerdings aufwändig in Szene gesetzt wird.
Digitec setzt Maßstäbe – auch für deutsche Wettbewerber
Ganz am großen Vorbild Amazon orientiert, legt Digitec einen Schwerpunkt auf die Erzeugung eines möglichst großen Kundennutzens. So heißt in einer Mitteilung zum erfolgreichen Verlauf des vergangenen Geschäftsjahres: „Der Kunde ist dem Unternehmen noch immer am wichtigsten, weshalb es 2013 auch einen großen Fokus auf Ausbau von Beratung und Service legt.“ In diese Stoßrichtung weist auch eine weitere Verkürzung der Lieferzeiten, die Digitec Mitte des Jahres verkündete. So garantiert der Elektronikversender nun, dass jede Bestellung, die an einem Werktag bis 17 Uhr eingeht, bereits am darauffolgenden Tag beim Kunden ankommt. „Der schnellste Online-Anbieter von IT- und Unterhaltungselektronik lässt sich nicht aufhalten – und seine Päckli schon gar nicht“, heißt es dazu in einer Pressemitteilung.
Nach Ansicht des E-Commerce-Experten Jochen Krisch bietet Digitec mit seinem Angebot und der damit einhergehenden Geschäftsentwicklung nicht nur interessante Vergleichsmöglichkeiten für Notebooksbilliger und Co., sondern taugt auch durchaus zum Vorbild: „Am Umsatzniveau, das ein Digitec in der Schweiz erreichen kann, sieht man natürlich auch, was die deutschen Online-Elektronikversender hierzulande noch liegen lassen“, so der „Exciting Commerce“-Blogger. (mh)