Auf der Channel Excellence Awards Gala erwähnten Sie, dass 2019 für die Digitalisierung das Jahr der Wahrheit sein wird. Was ist konkret darunter zu verstehen?
Rudolf Aunkofer: 2019 wird zeigen, ob die vielen Versprechen, die an AI, AR oder VR, Machine Learning oder Industrie 4.0 geknüpft werden, sich wirklich in der Praxis realisieren lassen. IIoT und IoT werden sich im B2B- als auch im B2C-Umfeld beweisen müssen, ob sie messbare Vorteile bringen. Das ist die große Chance für den Channel, da sich Distributoren wie Reseller in der Regel um die Implementierung in der Praxis kümmern - Fachkräfte sind ein Engpassfaktor. Somit sieht auch der Channel hierin das Wachstumspotential für 2019.
Kann es sein, dass sich hier die Schere zwischen dem Consumer- und Business-Bereich weiter öffnet?
Aunkofer: Momentan sieht es so aus. Auf Industrie-Seite gibt es eine deutliche zeitliche Staffelung nach Branchen wie auch nach Unternehmensgröße und somit vor allem auch im pragmatisch agierenden Mittelstand ein zum Teil deutlich abwartendes Verhalten. Nach der ersten Anfangseuphorie wird verstärkt geprüft, was Digitalisierung konkret an Vorteilen bringt -Kons umenten dagegen sind sehr pragmatisch, sie probieren aus, verwerfen Dinge wieder oder sie kaufen einfach das nächste "Gadget". Bei den aktuell attraktiven Angeboten fühlen sich viele einfach zum "testen & ausprobieren" gezwungen.
Sie sagen, Konsumenten kaufen einfach. Warum aber geht dann der Absatz an Endgeräten pro Person - insbesondere im Bereich PCs und SmartPhones - drastisch zurück?
Aunkofer: In einem hochentwickelten Land wie Deutschland sind etablierte Märkte - wie wir sie für alle klassischen Endgeräte haben - zwangsläufig von verhaltenem Nachfragewachstum gekennzeichnet. Die Ursache ist einfach: wir haben hier eine Marktsättigung erreicht und Innovationen bringen in gewissen Phasen keine bahnbrechenden Neuerungen, die uns motivieren könnten, unsere alten Geräte aufzugeben. Momentan sind wir in so einer Phase.
Das gilt für B2B- und B2C-Märkte gleichermaßen, tendenziell aber stärker für erstere, da sich Konsumenten leichter von "scheinbaren" Vorzügen oder schlicht von einem neuen, coolen Design überzeugen lassen. Unternehmen rechnen in der Regel dann doch etwas nüchterner in Form von Kostenvorteilen oder Effizienzgewinnen. Betroffen sind vor allem Tablets oder Desktops und eine Reihe von Peripheriemärkte wie Tastaturen oder Speicherkarten.
Welche Trends ergeben sich daraus für die Märkte?
Aunkofer: Der erste konkrete Trend sind sogenannte Replacement-Pattern, das heißt, Märkte sind in ihrem Nachfrageverlauf abwechselnd leicht positiv oder negativ, selbst über Jahre hinweg. Zudem weisen sie im B2C-Umfeld oftmals eine klassische "Badewannenform" als Verlauf auf.
Im B2B-Umfeld schlägt sich das in der Regel in einer nahezu stabilen Nachfrage nieder, unabhängig von der Jahreszeit, der Markt entwickelt sich also stabil "seitwärts". Verlängern sich die Nutzungszyklen, ist die Nachfrage auch zum Teil über Jahre hinweg leicht negativ.
Diesem Trend stehen Systemic Shifts gegenüber. Hier ändert sich die Struktur der Nachfrage nachhaltig, da sie zum Teil durch Cloud oder andere Produkte substituiert wird wie beispielsweise bei NAS oder Servern. In Deutschland haben wir darüber hinaus den Sonderfall, dass wir beide Basis-Trends in denselben Märkten beobachten können, wie Desktops oder Tablets oder Smartphones zeigen. Unterschiedliche Nachfrage- wie Nutzungsmuster bei den Generationen X, Y, Z kommen dann meist noch hinzu.
In Konsequenz verändert sich dadurch auch die Art und Weise wie Produkte nachgefragt werden, also die Customer Journey.
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Heißt dass, wir alle kaufen Produkte heute und in Zukunft anders ein, welche Rolle spielen Sprachassistenten, was hat das für Auswirkungen auf den IT- Vertriebskanal?
Aunkofer:Richtig, wir werden Produkte anders einkaufen - online und offline werden verschmelzen, das heißt, die Unterscheidung, die wir heute noch machen wird immer weniger relevant sein. Der IT-Channel sollte sich darauf einstellen, beide Optionen für seine Kunden - auch für die gewerblichen Kunden - anzubieten. Gerade im B2B-Bereich wird durch Cloud und Managed Services die Kombination von beidem ein, wenn nicht der entscheidende Erfolgsfaktor für die Vermarktung sein. Verallgemeinern lassen sich Aussagen hierzu nur bedingt, denn hier sind Details relevant.
Worauf müssen sich Vertriebspartner angesichts dieser Entwicklung einstellen?
Aunkofer: Es ist ein Umdenken von "Menge" nach "Wert" erforderlich. Eine Mengensteigerung ist in derartigen Märkten nur bedingt zu realisieren. Bei längeren Nutzungszeiten besteht aber ein sehr realistisches Potential, Preise anzuheben oder höherwertige Produkte zu verkaufen. Unbewusst rechnen viele Kunden Kosten in Relation zur beabsichtigten Nutzungsdauer. Hier bietet ein Anstieg von vier auf sechs bis sieben Jahren dann doch erhebliches Potential.
Apple hat es mit dem iPhone X vorgemacht. Der Handel sollte deshalb mehr über den konkreten Wert von Services und Lösungen im Kontext der mittlerweile möglichen Vernetzung sprechen. Gerade der Mittelstand hat hier noch deutliches Potential.
Welche Entwicklung erwarten Sie im Bereich Exascale Computing?
Aunkofer: Hersteller werden Forschung und Entwicklung weiter massiv voran treiben, da vor allem AI-basierte Anwendungen entsprechende Rechenleistung benötigen werden. Der Markterfolg hängt dabei stark von den entstehenden Kosten wie auch dem Nutzen, den AI-basierte Anwendungen bieten ab. Die Fortune Top 100 haben hier sicherlich schnell entsprechende Szenarien bereit, die auch ein hohes Investment rechtfertigen. Die Fortune Top 1000 wie auch der Mittelstand werden eher auf entsprechende Leistung aus der Cloud warten, die ein nachhaltiges Preis-Leistungs-Verhältnis zeigen.
Gibt es weitere Erwartungen, die für Vertriebspartner wichtig sind?
Aunkofer: Das sind drei Dinge: Erstens den eigenen bzw. den des Kunden bestimmen, zweitens: den richtig abzuschätzen, das heißt, wann ist die Innovation für meinen Kunden wirklich erforderlich, um Marktvorteile zu erlangen, und drittens: den bestimmen, in dem die neue Technologie beim Kunden eingeführt wird bzw. zu klären, in wie weit die bestehende noch beibehalten werden muss.
Einem nicht zwingend erforderlichen Zeitdruck sollte man sich hier nicht aussetzen. Denn zu frühes Investment kann dem Verkäufer helfen, Technologie zu verkaufen, dem Anwender aber unerwartete Probleme bescheren.
Der Handel sollte hier als Ratgeber fungieren und diese drei Punkte für seinen Kunden absolut individuell und sehr gründlich ausarbeiten. Andernfalls stellen sich die erhofften Vorteile eher später als früher ein. In Summe eröffnet die neu entstehende Vernetzung ungeahnte Möglichkeiten - der Fachhandel sollte die passenden für seine Kunden sorgfältig selektieren, dann steht auch einem zweistelligen Umsatzwachstum nichts im Wege.
Der Brexit steht vor der Tür, der Handelsstreit zwischen China und den USA schwelt weiter. Welche Folgen wird das auch für den hiesigen Channel haben?
Aunkofer: Unsere Weltwirtschaft ist hoch vernetzt. Die Konsequenzen wirklich abzuschätzen ist daher nur sehr bedingt möglich, da es einfach zu viele Interdependenzen gibt. Mittel- bis langfristig wird es meiner Meinung nach positive Auswirkungen haben, da wir Handelsfreiheit wieder deutlich mehr schätzen werden und sich China wahrscheinlich weiter öffnen muss. Kurzfristig dürfte das in einzelnen Märkten zu kleineren Supply-Chain-Herausforderungen führen.
Übers Jahr hinweg gesehen, wird sich aber vieles ausgleichen. Anders ist es natürlich mit Unternehmen, die in U.K. produzieren. Hier sollte man sich zumindest auf gewisse Eventualitäten vorbereiten. Beim Handelskonflikt zwischen China und USA könnte sich aber auch für Europa das Sprichwort bewahrheiten: "Wenn sich zwei streiten freut sich der Dritte". Es spricht einiges dafür.
Es gibt Experten, die erwarten, dass die PC-Preise in den USA um bis zu 25 Prozent steigen könnten aufgrund der Spannungen zwischen USA und China. Könnten also Produkte in Europa günstiger werden als in den USA?
Aunkofer: Ich denke, dass sich beide Herren auch China und USA medienwirksam final auf einen Kompromiss einigen werden. Falls nicht, wird man wahrscheinlich pragmatisch Ausnahmen finden, bevor bestehende Lagerbestände zu Ende gehen. Die Weltwirtschaft ist mittlerweile zu vernetzt, beide Nationen laufen Gefahr, auch viel zu verlieren. Große Nationen schaden sich somit selbst genauso wie die Dritten, die sie treffen wollen.
Vielleicht erinnern sich noch manche an die Flutkatastrophe in Thailand, bei der viele Tech-Fabriken unter Wasser standen. Auch damals wurden ähnliche Angst machenden Aussagen für die Preisentwicklung getroffen. In Summe waren einzelne Märkte dann bestenfalls ein Jahr lang zumindest preisstabil, wenn wir von Spekulanten absehen. Gehen wir also eher von preisstabilen Märkten für 2019 aus.
Inwiefern beeinflusst das Hersteller bei der Entscheidung ihrer Produktionsstandorte - und möglicherweise auch bei der Entscheidung, ob verstärkt länderspezifische Produktvarianten auf den Markt kommen?
Aunkofer: IIoT, IoT, Digitalisierung, Vernetzung, Economies of Scale legen ebenso wie eine Reihe weiterer Trends nahe, dass wir überall dort, wo es möglich ist, globale Produkte haben werden. Die lokale Anpassung wird - wo immer möglich - im Bereich UX und somit über Apps bzw. Software-Programmierung erfolgen. Länderspezifische Versionen werden natürlich sprachbedingt weiterhin erforderlich sein, nutzungsbedingte Spezialvarianten werden Hersteller aber zunehmend versuchen zu vermeiden und weite zu reduzieren.
Produktionsstandorte werden mittelfristig aufgrund der weiter schnell wie nachhaltig zunehmenden Automatisierung und Robotik wieder näher oder in den einzelnen großen Absatzmärkten liegen bzw. dahin zurück verlagert werden.
Adidas ist hier ein erstes Beispiel. Ich denke, wir werden alle in den kommenden fünf bis zehn Jahren erleben, wie hochautomatisierte Produktion wieder nach Europa und vor allem nach Deutschland - immerhin leben hier über 82 Millionen Menschen - zurückkehrt. Dadurch werden Shipping-Zeiten wie -kosten sowie die dadurch entstehende Umweltbelastung stark vermindert. Individuell, dezentral, regional/lokal wird das Motto der Zukunft sein! Deutschland hat hier im Zentrum Europas einen unbezahlbaren Standortvorteil!