Softwareentwicklung wird oft primär technisch im Sinne des Software-Engineerings und organisatorisch im Sinne des Projektmanagements gedacht. Eine führende gestaltende Rolle wie die des Industriedesigners oder die des Architekten im Bauwesen fehlt, was oft zu subotimalen Ergebnissen führt. Diese Lücke schließen Digital Designer, die digitale Produkte, Systeme und Dienstleistungen gestalten und verbessern. Sie berücksichtigen Wünsche der Nutzer ebenso wie die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und die technischen Möglichkeiten.
Was muss ein Digital Designer können?
Digital Designer führen den Entwicklungsprozess durch Skizzen, Modelle, Spezifikationen und Prototypen. Sie arbeiten in multidisziplinären Gruppen mit Management, Marketing, Entwicklung und Betrieb von Software.
Die Betrachtung von Nutzerbedürfnissen, Wirtschaftlichkeit und technischen Möglichkeiten macht den Digital Designer neben Projektleitern und Software-Architekten zu einer dritten gestaltenden Führungsrolle. Daraus ergibt sich ein breit angelegtes und anspruchsvolles Kompetenzprofil, bestehend aus zwei Schwerpunkten und einer breiten Querschnittskompetenz:
• Zur Gestaltung zählen die Arbeit mit Anforderungen (Requirements Engineering), die Konstruktion der Benutzungsschnittstellen (Usability Engineering / Interaction Design) und methodische Kompetenz zur Gestaltung.
• Materialkunde ist als Begriff dem Industriedesign entlehnt. Gemeint ist damit, dass Digital Designer Möglichkeiten und Grenzen der Software kennen müssen ebenso wie die technischen Möglichkeiten der Endgeräte und den grundsätzlichen Aufbau der Software (Software-Architekturen, Frameworks, etc.).
• Als Querschnittskompetenz sollen Digital Designer Methoden und Vorgehensweisen zum Management von Entwicklungsvorhaben und zur Softwareentwicklung mitbringen ebenso wie wirtschaftliche Aspekte zur Softwareentwicklung (etwa Geschäftsmodelle) kennen.
Menschen auf dem Weg zum Digital Designer
Aktuell existiert noch keine strukturierte Ausbildung zum Digital Designer, die vergleichbar mit Studiengängen für Architektur oder Industriedesign ist. Das breit gefächerte Kompetenzprofil ergibt aber vielfältige Startpunkte, von denen man sich zum Digital Designer entwickeln kann. Das zeigen die Beispiele von Felix Feldmann, Nils Kubischok, Franziska Michalczik und David Gilbert, die auf dem Weg zum Digital Designer sind.
Felix Feldmann: "Bereits im Studium der Computervisualistik kam ich mit Informatik und Design in Berührung. Ich bin aber erst kurz im Beruf und muss noch praktische Erfahrungen sammeln. Bis zum Digital Designer liegt noch ein ordentlicher Weg vor mir, vor allem möchte ich mich mit den Möglichkeiten und Grenzen der Technologien befassen. Es passiert gerade soviel in der Welt, künstliche Intelligenz ist da so ein Beispiel. Durch ein tiefes Verständnis der Fähigkeiten von KI kann ich überlegen, ob diese Technologie ein sinnvolles Element einer digitalen Dienstleistung sein kann oder nicht."
Nils Kubischok: "Ich bin Soziologe und damit Quereinsteiger in der IT. Digital Design bedeutet für mich, den Nutzungskontext und den Nutzer in den Fokus zu stellen und eine ganzheitliche Sicht auf digitale Systeme einzunehmen. Informationstechnologien nehmen eine immer größere Rolle in der Gesellschaft ein und durchdringen alle Lebensbereiche. Das Privat- und Arbeitsleben der meisten Menschen ist heute irgendwie durch IT-Systeme geprägt. Software zu entwickeln heißt für mich auch, Gesellschaft zu gestalten und gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Soziologen haben den Blick auf soziale Strukturen und Akteure, aber es mangelt ihnen an technischem Fachwissen. Der Digital Designer der Zukunft kombiniert für mich technische und gestalterische Kompetenz und verliert dabei den Menschen nicht aus dem Auge."
Franziska Michalczik: "In meiner Arbeit in cross-funktionalen Teams der Produktentwicklung erfülle ich die unterschiedlichsten Aufgaben: Design- und User-Experience-Prozesse in Geschäftsprozesse des Kunden integrieren, Nutzer- und Kundenanforderungen erheben, User Interfaces entwerfen und Informationsarchitekturen aufbauen. Natürlich immer Hand in Hand mit der Softwareentwicklung, die diese Designs technisch umsetzt. Dabei nutze ich meine akademischen Kenntnisse als M.Sc. Human Factors genauso wie meine Erfahrung aus der Entwicklung von Medizintechnik und Luftfahrt. Es geht darum, Menschen und komplexe Technologien im digitalen Raum zu verbinden. Ausbildung und Erfahrung helfen mir, Kunden Vor- und Nachteile verschiedener Strategien zu erläutern und gemeinsam deren erfolgreiche digitale Transformation zu gestalten. Deshalb nenne ich mich gern Digital Designer, denn dieser Titel umfasst alle Facetten dieses spannenden Berufsfelds."
David Gilbert: "Nach meinem Studium als Diplom-Medienwirt habe ich acht Jahre lang in verschieden Designagenturen gearbeitet. Hierbei hat mich stets die Schnittstelle zwischen strategischer Planung und konkreter Lösung, das konzeptionelle Design, gereizt. Hinkten früher die technischen Möglichkeiten den Ideen hinterher, gilt es jetzt die technischen Möglichkeiten sinnvoll auszuschöpfen. Daher bin ich auch näher an die IT gerückt und arbeite als Chefarchitekt UX in einem Großkonzern mit viel Freude eng mit den unglaublich erfahrenen Kollegen des "klassischen" Software-Engineerings zusammen. Und ich merke: Die Zeit ist reif für einen Digital Designer, der aus dem Spannungsfeld Business, Technology und User nutzenbringende Lösungen konzipiert. Requirements Engineering, Business-Analyse, UX & User-Centered Design sowie Enterprise-Architecture-Management sind nur ein paar Stichworte, die aus meiner Sicht hierbei konsequent zusammenzubringen sind."
Manifest für Digital Design
Aktuell ist der Digital Designer noch keine etablierte Profession. Hier ist noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten, das weiß Kim Lauenroth von der adesso AG. Dort leitet Lauenroth das Competence Center für Requirements Engineering und Produktgestaltung. Sein Schwerpunkt ist die strategische Gestaltung von Produkten und die Planung von Produktentwicklungsprozessen.
Als erster Vorsitzender des IREB e.V. engagiert Lauenroth sich für die Aus- und Weiterbildung im Requirements Engineering. Im BITKOM setzt er sich für die Etablierung des Digital Design (www.bitkom.org/digitaldesign) als neue Profession für die Digitalisierung ein. Ein nächster Schritt im Bitkom ist das Manifest für Digital Design, das im November auf dem Bitkom-Event "IT needs Design" vorgestellt werden soll.