Konvergenz und neue Services

Die Zukunft der TK-Anlage

28.04.2010
IT und TK wachsen zusammen, Telefonanlagen wandern ins Netz, Hersteller und Service-Provider wollen Unified Communications aus der Cloud anbieten. Branchenexperten erklären, wie der Handel auf diese Entwicklungen reagieren soll.

Ausgerechnet der schwierige Telekommunikationsmarkt trotzte der Krise im vergangenen Jahr: Während die Wirtschaft insgesamt schrumpfte, stiegen die Ausgaben für TK-Dienstleistungen nach Angaben des Marktforschungsinstituts IDC weltweit um zwei Prozent, die Zahl der TK-Anschlüsse nahm um 9,1 Prozent zu, die vertelefonierten Minuten sogar um 15,9 Prozent.

Getrieben wird das Wachstum nach wie vor vom Mobilfunk. Mobile Anschlüsse vermehrten sich 2009 laut IDC um weitere 12,8 Prozent und machten drei Viertel aller TK-Verbindungen aus. Das Wachstum nähert sich allerdings in vielen Märkten der Sättigungsgrenze und wird nach Ansicht der Analysten in den kommenden Jahren deutlich zurückgehen. Mit 23,5 Prozent noch schneller als der Mobilfunk wächst die Zahl von Voice-over-IP-Anschlüssen - allerdings auf deutlich niedrigerem Niveau.

Im klassischen Festnetzbereich stehen die Zeichen dagegen auf Rückgang: Der Markt für TK-Equipment musste nach Zahlen von IDC im Jahr 2009 ein Minus von sechs Prozent hinnehmen und wird sich nach Ansicht der Analysten auch 2010 nicht erholen. Das sieht auch Robert Schmitz, Geschäftsführer & Director Channel Group bei Avaya, so: "Die Konsolidierung im Markt wird sich weiter fortsetzen", sagt er. Avaya selbst hat von dem Trend profitiert: Der Anbieter nutzte die Gunst der Stunde und übernahm für circa 635 Millionen Euro das Enterprise-Telefoniegeschäft vom insolventen Wettbewerber Nortel.

"Kommunikation ist endgültig eine Softwareanwendung geworden." Robert Schmitz, Avaya

Doch nicht nur, was die Anbieter betrifft, setzt sich die Konsolidierung weiter fort - auch die Netze tun das, was ihnen schon seit Jahren prophezeit wird: Sie wachsen zusammen. "Die Konvergenz von fixen und mobilen Netzen, von öffentlichen und firmeneigenen Netzwerken und die Sprach- und Datenkonvergenz versetzen den TK-Markt derzeit stark in Bewegung", sagt Karl-Heinz Schoo, Bereichsleiter Produktmarketing und Beschaffung, Geschäftsbereich Systeme / Projekte bei NT plus. Avaya-Manager Schmitz sieht gar einen zweiten Technologiewechsel in vollem Gange: "Kommunikation ist endgültig eine Softwareanwendung geworden, die sich mit offenen Standards wie SIP und SOA in die übrige IT integriert".

Lösungskompetenz statt Hardwarevertrieb

Für den Handel bedeutet diese Entwicklung einen weiteren Schritt weg vom Hardwareverkauf. "Die Zeit des reinen TK-Anlagen-Geschäfts ist abgelaufen", sagt Dr. Jörg Fischer, in der Enterprise Market Group von Alcatel-Lucent für strategische Geschäftsentwicklung und Consulterbetreuung zuständig. "Immer mehr rücken individuelle Beratung, Konzeption, Anpassung, Betrieb und vor allem Dokumentation in den Fokus der Kundenerwartungen."

NT-plus-Manager Schoo pflichtet ihm bei: "Für erfolgreiche Fachhändler und Systemhäuser sind die Produkte schon längst nur noch Mittel zum Zweck, um dem Kunden eine vollständige Lösung zur Verfügung zu stellen. Viele Fachhändler leben heute vom Verkauf und von der Installation der TK-Anlagen und müssen sich dennoch darauf vorbereiten, morgen von der Beratungsdienstleistung leben zu können."

"Im Grunde lässt sich mit jedem Kunden Geld verdienen." Florian Judith, Siemens Enterprise Communications

Uneins sind sich die Experten, wenn es darum geht, die werthaltigsten Kunden zu definieren. "Im Grunde lässt sich mit jedem Kunden Geld verdienen", sagt Florian Judith, Leiter Indirekter Vertrieb Deutschland bei Siemens Enterprise Communications (SEN), Manfred Bauer, Regional Channel Manager bei Cisco sieht vor allem im Geschäft mit Bestandskunden Potenzial: "Wer bestehenden Kunden attraktive Integrations- und Migrationsangebote macht, kann damit viel Geld verdienen."

Lutz Hirschmann, Leiter strategisches Marketing bei Agfeo, rät dem klassischen TK-Fachhandel, sich auf kleinere Geschäftskunden bis zu 100 Mitarbeitern zu konzentrieren: "Diese Kunden sind noch bereit, eine TK-Anlage zu kaufen oder zu leasen." Den Privatkundenmarkt dagegen hätten die Netzbetreiber übernommen: "Der private Endkunde bekommt eine FritzBox oder etwas Ähnliches von seinem Provider, der kauft beim Fachhändler höchstens noch ein Schnurlostelefon."

Was tun gegen Preisverfall?

"Die Hardwaremargen sinken seit Jahren." Karl-Heinz Schoo, NT plus

Den richtigen Kunden zu finden ist das eine, Produkte und Services mit einer Marge zu verkaufen, die ein wirtschaftliches Überleben ermöglicht, das andere. Im Zuge der Konvergenz sieht sich der TK-Fachhandel zunehmend einem Preiskampf ausgesetzt: "Wie schon in der IT erlebt, werden die Hardwareerlöse weiter einbrechen", warnt Robert Siemko, Leiter Produktmanagement bei Michael Telecom.

Hersteller und Distributoren haben unterschiedliche Strategien, wie dem zu begegnen ist. SEN und Agfeo setzen auf Kontrolle: "Für die Händler existiert eine weltweit festgelegte Preisgestaltung mit erkennbaren Discountstrukturen", sagt SEN-Channel-Manager Judith. "Zudem ergreifen wir Maßnahmen gegen den Vertrieb von Grauimporten, indem wir beispielsweise Lieferungen nachverfolgen lassen."

Auch Agfeo sucht nach Wegen, um vor allem die sogenannten Schweinepreise in Webshops zu verhindern. Das Unternehmen hat vor Kurzem allen Distributoren neue Verträge vorgelegt, die sicherstellen sollen, dass die Produkte des Herstellers nur noch über den qualifizierten Fachhandel verkauft werden.

Laut Hirschmann wurde die Aktion hervorragend angenommen: "Wir haben mit den Verträgen der Preiserosion einen Riegel vorgeschoben." Gerhard Auerswald, geschäftsführender Gesellschafter des Wettbewerbers Auerswald, hält dagegen nichts von solchen Maßnahmen: " Das sieht schick aus, funktioniert aber nicht, weil der Hersteller nie alle Kanäle kontrollieren kann" (siehe auch das Interview mit Gerhard Auerswald).

Für Alcatel-Lucent-Manager Fischer führt die ganze Preisdiskussion in die falsche Richtung: " Die Kunden sind nach wie vor daran interessiert, mit hoher Qualität und Zuverlässigkeit und auf individuelle Weise beraten und bedient zu werden. Dafür sind sie auch bereit, einen den Leistungen entsprechenden Preis zu zahlen." Nur für den, der sich nicht richtig positioniere, machten die Kunden und die Wettbewerber den Preis, glaubt Fischer.

Unified Communications zwischen Euphorie und Skepsis

In der Weiterentwicklung von IT und TK hin zu einer vereinheitlichten Kommunikationsinfrastruktur - neudeutsch Unified Communications (UC) genannt - liegt unbestritten viel Potenzial. Nach Einschätzung der Experton Group wird der deutsche UC-Markt bis Ende 2010 auf 1,3 Milliarden Euro wachsen, was einer mittleren Steigerungsrate von 46 Prozent über die vergangenen drei Jahre entspräche.

Tatsächlich scheint sich der Markt gut zu entwickeln: In einer von Berlecon Research im Jahr 2009 durchgeführten Studie gaben 45 Prozent der Befragten an, bereits IP-TK-Anlagen einzusetzen, 44 Prozent nutzen schon Unified Communications. Damit hat sich der Anteil an IP-basierter Kommunikation deutlich erhöht. Anfang 2008 gaben noch 25 Prozent der von Berlecon Befragten an, Voice-over-IP-Anlagen zu verwenden.

Bei genauerer Betrachtung differenziert sich das Bild allerdings. 80 Prozent der Studienteilnehmer hielten das Thema UC zwar für wichtig, die wenigsten schöpfen jedoch das Potenzial der integrierten Kommunikationstechnologie wirklich aus. Während fast 60 Prozent vergleichsweise banale Merkmale wie eine automatische Rufweiterleitung nutzen und immerhin mehr als 40 Prozent Konferenz- und Teamfunktionen im Einsatz haben, verwendet nicht einmal ein Drittel der Befragten die Präsenzanzeige, obwohl es sich dabei um einen integralen und höchst nützlichen Teil einer Unified-Communications-Lösung handelt.

Ähnlich verhalten sieht es bei der Integration mobiler Endgeräte aus. Zwar übermitteln mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen Telefonbucheinträge und Kontaktinformation an das Mobilfunkgerät - das war es aber auch schon. Weder Präsenzanzeige noch Konferenz-, Team- oder Videofunktionen werden in nennenswertem Umfang genutzt. "Die Unternehmen haben noch nicht verstanden, dass ein Handy wie eine mobile Nebenstelle eingesetzt werden kann", sagt Berlecon-Geschäftsführerin Nicole Dufft.

Geld ist nicht das Problem

Foto: xyz xyz

Vernachlässigt wird auch das Thema Anwendungsintegration. Gerade mal ein Drittel der befragten Unternehmen hat UC-Funktionen in Office-Anwendungen oder Groupware integriert. Knapp die Hälfte plant dies nicht einmal - und verschenkt damit wertvolle Optimierungsmöglichkeiten. Ähnlich kurz gedacht wird bei den Einsparpotenzialen, die eine integrierte Lösung mit sich bringt. Während über 50 Prozent der Befragten die Kostenvorteile einer Infrastruktur sehen, erkennen nur 29 Prozent das erhebliche Einsparpotenzial bei Administration und Wartung.

Erstaunliche Ergebnisse brachte die Frage nach den Hindernissen bei der Planung und Umsetzung von UC-Projekten. Nur 40 Prozent nannten den hohen finanziellen Aufwand als Problem, 36 Prozent hatten aufgrund der aktuellen Wirtschaftslage kein Budget. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass 60 Prozent der Befragten UC-Projekte nicht für (zu) teuer halten und dass in 64 Prozent der Unternehmen Budget für solche Ausgaben vorhanden ist. Das Geld wird dabei nach wie vor traditionell in den Kauf von Hard- und Software gesteckt. Serviceangebote spielen eine untergeordnete Rolle.

Die Untersuchung zeigt deutlich, dass sich Unternehmen zwar für Unified Communications interessieren, aber das Potenzial noch längst nicht ausschöpfen - eine Riesenchance für Reseller: "Händler müssen den Kunden dabei unterstützen, dass er den reellen Nutzen von UC erkennt und ihn auch erlebt", sagt Alcatel-Lucent-Manager Fischer. "UC ist kein Produkt, sondern eine Lösung, die jedes Unternehmen individuell für sich gestalten muss."

Auch für Lutz Hirschmann ist Unified Communications der aktuelle Trend im TK-Markt, vor allem, wenn es um die Integration von Mobiltelefonen in die Unternehmenskommunikation geht. Agfeo hat dafür eigens eine iPhone-App auf den Markt gebracht, über die der Anwender auf die unternehmenseigene Software "TK Suite" zugreifen kann. Das Angebot werde rege genutzt, sagt Hirschmann: "Wir haben ordentlich Traffic auf der App-Seite."

In die Euphorie mischen sich aber auch kritische Stimmen: "UC-Lösungen werden bei Weitem nicht in dem Umfang angefragt, wie es die Großen dem Markt suggerieren", sagt Michael-Telecom-Manager Siemko.

Die TK-Anlage im Netz

"Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Arzt oder Rechtsanwalt IP-Centrex-Dienste einsetzt." Lutz Hirschmann, Agfeo

Auch beim Thema Managed Services, Cloud Computing und IP-Centrex, also Kommunikationsdienstleistungen aus dem Netz, differieren die Meinungen. Große Installationen beim Kunden werden wegfallen, ist sich Agfeo-Marketingleiter Hirschmann sicher: "TK-Anlagen mit mehr als 500 Ports wird es in Zukunft nicht mehr geben." Kleine Unternehmen werden dagegen weiterhin TK-Anlagen kaufen: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Arzt oder Rechtsanwalt irgendetwas in Richtung Centrex macht.

"Die Zeit des reinen TK-Anlagengeschäfts ist abgelaufen." Jörg Fischer, Alcatel-Lucent

Für Rolf Mittag, Geschäftsführer von Komsa Systems, verläuft die Grenzen eher umgekehrt: "Die Kommunikationslösung als Managed Service wird ihren Platz im Markt neben Voice-Switchen im Eigenbetrieb finden. Mit zunehmender Komplexität wird jedoch ein Eigenbetrieb sinnvoll bleiben." Auch NT-plus-Mann Schoo sieht den Markt eher im unteren KMU-Segment: "Im Marktsegment bis zu 50 Mitarbeitern stehen für die Mittelstandsunternehmen fast überall ausreichende Anschlussbandbreiten zur Verfügung."

"Händler sollten neue Partnerschaften schließen oder bestehende neu interpretieren." Manfred Bauer, Cisco

Für Manfred Bauer von Cisco ist die Entwicklung von TK-Anlagen hin zu Managed Services oder Cloud-Dienstleistungen ein Top-Trend: "Die Kunden wollen weniger in IT oder TK investieren, sondern mehr in geschäftsrelevante Bereiche." SEN-Manager Judith stimmt ihm zu: "Händler sollten unbedingt in diese Bereiche investieren, sie ermöglichen Kunden höchste Flexibilität und Konzentration aufs eigene Kerngeschäft." Laut Michael-Telecom-Manager Siemko hält sich die Nachfrage allerdings noch in engen Grenzen. Dennoch rät er Händlern, sich diesem Bereich nicht zu verschließen und die Möglichkeiten sowie den Nutzen für ihre Kunden zu erkennen.

Die Befürchtung, das komplette Geschäft könnte zu den Netzbetreibern und Service-Providern abwandern, lässt Schoo von NT plus nicht gelten: "Alle Anbieter solcher Lösungen setzen sehr stark auf den regionalen Fachhandel." Fischer von Alcatel-Lucent stimmt ihm zu: "Auch für Communication-as-a-Service werden Menschen gebraucht, die den Kunden beraten, ihm direkt vor Ort helfen, solche Kommunikationsumgebungen organisatorisch und technologisch umzusetzen.

Das bedeutet, dass sich die Händler sehr wohl mit den organisatorischen, technologischen und betrieblichen Aspekten dieser virtualisierten Kommunikationsumgebungen beschäftigen müssen." Und SEN-Manager Judith ergänzt: "Die eindeutige Stärke des Handels ist die breite Marktpräsenz und damit die Nähe zum Kunden. Keiner kennt die Bedürfnisse der Kunden so gut wie der Händler oder das Systemhaus vor Ort. Hier hat sich über Jahre ein Vertrauensverhältnis entwickelt."

Was dem Handel fehlt

Trotz dieser Stärke: Der klassische Fachhandel ist auf die Veränderungen, die Managed Services und Cloud Computing mit sich bringen, nicht gut vorbereitet. "Die Mehrzahl der Händlerschaft ist immer noch nicht bereit und gewillt, die Gleichberechtigung der Bereiche TK, IT und Sicherheit anzuerkennen. Lösungen werden zu oft noch immer je Bereich und selten bereichsübergreifend präsentiert", sagt Robert Siemko.

Agfeo-Manager Hirschmann ist ebenfalls der Ansicht, dass der Handel aktiver in neue Geschäftbereiche vordringen sollte: "Händler dürfen nicht nur die Hardware liefern, verkabeln und installieren, sie müssen auch die passende Software mitverkaufen oder dem Kunden zumindest deren Vorteile demonstrieren."

Auch beim Thema Cross- und Up-Selling sieht er nach wie vor Defizite: "Wenn ich heute eine TK-Anlage verkaufe, dann muss ich zwingend Bluetooth-Headsets mit anbieten, der Nutzen für den Kunden ist offensichtlich." Rolf Mittag von Komsa System sieht gar den Fachhändler zum Unternehmensberater werden: " Das Thema Applikationen greift oft in Workflow-Themen ein und ist insofern näher an Unternehmensberatung als am klassischen Verkauf einer TK-Anlage."

Hardware wird es immer geben

"Die klassische TK-Anlage existiert im Neugeschäft de facto nicht mehr." Rolf Mittag, Komsa Systems
Foto: xyz xyz

Der technischen Entwicklung ist die klassische TK-Anlage bereits zum Opfer gefallen, sagt Mittag: "Die klassische TK-Anlage existiert im Neugeschäft de facto nicht mehr." "Die klassische TK-Anlage als graue Box mit ein paar Telefonen daran wird langsam verschwinden", gibt ihm Avaya-Manager Robert Schmitz recht.

Doch es gibt auch Gegenstimmen. Genauso wie Michael-Telecom-Manger Siemko glaubt NT-plus-Mann Schoo nicht an das Ende der "grauen Box": "Es wird immer ein Marktsegment geben, in dem der Kunde den klassischen Kauf von kompakten TK-Anlagen bevorzugt."

Die Hardwarehersteller sehen diese Entwicklung ohnehin gelassen. "Gute Systemtelefone wird es nach wie vor geben", ist sich Hirschmann sicher. Und auch Gerhard Auerswald hat keine Angst vor einer hardwarelosen Zukunft: "Man wird immer Hardware wie Gateways, Schnittstellen und Telefone benötigen." (haf)