Samstagmorgen kurz nach acht. Während andere sich erst langsam über das Frühstück Gedanken machen, platzt die kleine Zolldienststelle auf der Frankfurter Messe aus allen Nähten. Wo sonst sechs Mitarbeiter des Zollamts Frankfurt am Main-Osthafen ihren Dienst tun, drängen sich rund 150 Menschen. Gleich wird die Paperworld, die Leitmesse der Papier-, Büro- und Schreibwarenbranche, ihre Pforten öffnen.
Mit dem Messebeginn starten auch der Zoll, die Staatsanwaltschaft sowie die Anti-Counterfied-Spezialisten der Hersteller ihre Suche nach gefälschten, nachgemachten oder rechteverletzenden Waren. Bereits im Vorfeld haben die Originalhersteller Verdachtsfälle zusammengetragen.
Heute werden drei Gruppen den Kampf gegen die Plagiate aufnehmen: Eine kümmert sich nur um Stifte, eine um Verbrauchsmaterial für Drucker und eine um den Rest. Stefan Pranzas, Sachbearbeiter Verbote und Beschränkungen beim Hauptzollamt Darmstadt, führt die Gruppe der Verbrauchsmaterialspezialisten an. Der Zoll nennt diese Aktionen "Rundgang", das klingt gemütlich, ist es aber für alle Beteiligten nicht.
Der Tross "Verbrauchsmaterial" steuert die Halle 6.0 an. Hier befindet sich die Heimat der Remanexpo, die die Aussteller aus den Bereichen Drucker-Verbrauchsmaterialien und Zubehör, Recycler-Industrie sowie OEM-Toner -Tintenkartuschen bündelt.
Am Halleneingang gibt Pranzas nochmals die Verhaltensregeln für die Gruppe durch. "Wenn Ihnen ein verdächtiges Produkt auffällt, dann sagen Sie erst uns Bescheid. Wir gehen dann auf den Stand und informieren die Betroffenen über den Sachverhalt. Betreten Sie erst den Stand, wenn wir das OK gegeben haben und fotografieren Sie nur nach Erlaubnis", lauten die Anweisungen. Dann geht es los.
Dienstpistolen und Aktenordner
Die Zollbeamten sind mit ihren Dienstpistolen bewaffnet, die Vertreter der Originalhersteller mit dicken Aktenordnern. Fast alle großen Drucker- und Kopiererhersteller sind mit Anwälten und Plagiatsspezialisten vertreten, die meisten wollen aber unerkannt bleiben.
Gleich zu Beginn der Zollaktion hat einer der Anwälte eines großen japanischen Kopiererherstellers ein verdächtiges Produkt auf dem Stand eines chinesischen Anbieters entdeckt. Die entsprechenden Kartuschen scheinen bei den Produktpiraten besonders beliebt zu sein, denn es ist nicht der letzte Einsatz für den Juristen. Was nun folgt, wird sich an diesem Tag in Halle 6 des Frankfurter Messegeländes mehrmals wiederholen: Der Zoll konfrontiert die Aussteller mit den Vorwürfen, die betroffenen Anbieter verneinen den Sachverhalt, die Anwälte und Produktspezialisten der Originalhersteller versuchen, anhand von Produktabbildungen und Listen ihren Anspruch zu untermauern.
Nun folgt der Auftritt eines weiteren Protagonisten in der Plagiats-Choreographie: Oberstaatsanwalt Weizmann begleitet den Trupp und entscheidet, ob ein Verfahren eingeleitet wird. In diesem Fall ist für Weizmann ein hinreichender Verdacht gegeben. Die Ausstellungsstücke werden beschlagnahmt, in allen Katalogen muss das Produkt geschwärzt werden, alle Werbeplakate müssen abgenommen oder übermalt werden und es wird eine Sicherheitsleistung fällig. Begleitet wird dies durch endlose Diskussionen. Der Standbetreiber versteht plötzlich kein Englisch mehr, doch auch dafür gibt es eine Lösung: Die Messegesellschaft stellt eine Dolmetscherin, die den Sachverhalt auf Chinesisch nachhaltig verdeutlicht.
Auch Druckerhersteller Brother hat zwei Anwälte und zwei Produktspezialisten mitgeschickt. Das Quartett weiß genau, wo verdächtige Tonerkartuschen zu finden sind. Dazu haben sie schon im Vorfeld gründlich recherchiert und das Vorgehen mit dem japanischen Headquarter abgestimmt. Enttäuschung macht sich allerdings breit, als bei einem Stand mit einem offensichtlichen Plagiat der Zoll nicht einschreiten kann: Der Anbieter aus Fernost hat eine Vertriebsniederlassung in der Europäischen Union. Hier endet die Zuständigkeit des Zolls, der auf der Messe nur bei "Grenzbezug" einschreitet. Hier wären andere Behörden zuständig. Zusammen mit dem Abstimmungsprozess mit Japan dauert das viel zu lange und der plagiatsverdächtige Hersteller bleibt erst einmal ungeschoren.
Ob die Zollaktionen wirklich etwas bringen, lesen Sie auf der nächsten Seite.
Aussteller bieten Fälscherbedarf an
Neben komplettem Verbrauchsmaterial wird in der Remanexpo-Halle auch mit Leerkartuschen gehandelt. "Wir hatten schon Kartuschen mit Umverpackungen, die unseren Packungen zum Verwechseln ähnlich sahen", erzählt einer der Produktpiratenjäger, der unerkannt bleiben will. "Nur das Firmenlogo fehlte. Jede kleine Fälscherwerkstatt konnte die Kartuschen befüllen, die Packung mit dem Firmenlogo bedrucken und die Fälschungen in den Verkehr bringen", berichtet er. Auch solchen Kandidaten gelte es, das Handwerk zu legen.
So arbeitet sich die Gruppe Gang für Gang durch die Messehalle. Das geschieht nicht unbemerkt. So verschwinden durchaus die einen oder anderen kritischen Produkte in den Schränken der Messestände. Für Udo Bäumle, stellvertretender Pressesprecher beim Hauptzollamt Darmstadt, ist das Routine. Im Verdachtsfall schauen die Zollmitarbeiter auch in die kleinsten Ecken der Stände und in die Taschen des Standpersonals. "Profis bringen die Produkte oft gar nicht mehr auf die Messe", berichtet er. In diesem Fall muss der Distributor oder der Händler, der die Plagiate hierzulande in Verkehr bringt, mit Sanktionen rechnen. "Das ist kein Kavaliersdelikt", bekräftigt Bäumle. Etwa zehn bis zwölf Stände schafft das Zoll-Team in der Tonerhalle pro Tag, "je nachdem wie groß die Diskussionsfreude der Betroffenen ist", schränkt Bäumle ein.
Einige Stände weiter ist es dann aber für die Plagiatsjäger von Brother soweit: Bei einem chinesischen Hersteller sind Kartuschen ausgestellt, die nicht nur in Brother-Drucker passen, sondern auch wesentliche Designmerkmale kopieren. Oberstaatsanwalt Weizmann gibt grünes Licht und ein Mitarbeiter des Zolls bringt einen Stapel sichergestellter Tonerkassetten zum extra mitgeführten Rollwagen. Diskussionen gibt es wieder, als der Aussteller eine Sicherheitsleistung hinterlegen muss. Er hat angeblich kein Geld dabei. Als der Zoll ihm anbietet, ihn gerne zum nächsten Geldautomaten "zu begleiten", ist plötzlich doch genug Bares da. Je nach Schwere und Umfang des Plagiatsverdachts kann die Sicherheitsleistung fünfstellige Eurobeträge umfassen. Der Verdacht liegt nahe, dass manche Aussteller dies bei ihrer Messekalkulation schon mit einrechnen.
Zollaktionen zeigen Wirkung
Einer der Plagiatsspezialisten vergleicht die Aktionen gegen die Rechteverletzer mit dem Kampf gegen die Hydra: "Für jeden, den wir erwischen, wachsen zwei nach", meint er. Trotzdem zeigen die Zollinterventionen auf der Messe Wirkung: Seit 2010 ist die Anzahl der Sicherstellungen wegen Schutzrechtsverletzungen deutlich zurückgegangen. Auf der Paperworld 2010 wurden noch 5.909 Artikel sichergestellt. Nach Messeende verbucht der Zoll in diesem Jahr nur noch 1.155 zusammen mit der parallel zur Paperworld stattfindenden Christmasworld. Dabei wurden Sicherheitsleistungen in Höhe von rund 45.000 Euro einbehalten. Der Löwenanteil der sichergestellten Produkte entfällt auf Anbieter aus China, doch es fallen auch Aussteller aus Korea, Indien, Pakistan und Argentinien negativ auf.
Kaum ist der Zoll durch, tauchen bei gewissen Ausstellern oft noch am selben Tag neue Plagiate, Prospekte und Verkaufsplakate auf, die entweder gut versteckt am Messestand oder sicher im Hotelzimmer gelagert wurden. Doch auch da sind die Plagiatoren beim hessischen Zoll an der falschen Adresse, wie der der Sachbearbeiter Verbote und Beschränkungen, Stefan Pranzas, versichert: "Die erwischen wir dann bei der Nachkontrolle am Montag!"