Distribution vor neuem Aufschwung

Die neuen Realitäten 2022

Kommentar  von Rudolf Aunkofer
Die Lockdown-bedingte Beschleunigung der digitalen Revolution ist irreversibel, sie hat neue Realitäten geschaffen – für die Tech-Industrie im Allgemeinen wie für die Tech-Distribution im Besonderen. Neue Nutzungs- wie Kollaborationsverhalten haben Bedarf und Nachfragemuster radikal verändert. Die Zukunft der Tech-Branche beginnt heute!

der Ausblick der Deutschen Bank für das Jahr 2022 ist vielversprechend. Ohne die Erinnerung und das einprägende Erlebnis der Jahre 2020 und 2021 könnte man glauben, dass weder Pandemie noch Lockdowns wirklich Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft waren.

ITK-Sonderkonjunktur: anders als 2019

Die schlagwortartige Zusammenfassung verdeutlichen aber auch etwas Anderes. Sie illustriert das Ergebnis einer funktionierenden Lieferkette, nicht irgendeiner Lieferkette, sondern der Lieferkette der ITK-Branche - Hersteller, Distributoren, Reseller und Retailer - die es erfolgreich geschafft haben, die einzelnen Branchen kurzfristig mit zwingend erforderlichem ITK-Equipment und -Services auszustatten. Lockdown plus Pandemie wurden zum Innovations- und Investitions-Motor.

Aber nicht nur das. Anders als in den 2010er Jahren führten die ITK-Investments der letzten beiden Jahre zu einer grundsätzlichen wie nachhaltigen organisatorischen Veränderung, vor allem in Industrie, Wirtschaft und Handel, aber wenn auch etwas zeitversetzt in der öffentlichen Verwaltung. Homeoffice, virtuelle Kommunikation und Kollaboration via Cloud-Services haben neue Realitäten geschaffen - den Beginn eines neuen Produktivitätszyklus, der den positiven Ausblick gerechtfertigt.

Rudi Aunkofer ist Gründer und Direktor des iSCM Institute.
Foto: iSCM Institute

Die positive Sonderkonjunktur der ITK-Industrie wird sich 2022 für Hersteller, Distributoren und den Reseller fortsetzen. Die digitale Vernetzung wird Unternehmen, die bislang eher zaghaft agiert haben, dazu bewegen, verstärkt in digitale Infrastruktur und Cloud-basierte Prozesse zu investieren. Die Wachstumspotentiale für das aktuelle Jahr werden vor allem im Bereich Managed Services liegen.

Das hohe Investment in Hard- und Software der letzten beiden Jahre führt zu einem neuen Bedarf an Dienstleistungen, die die effiziente Nutzung des getätigten Investments sicherstellen. Parallel hat sich die anfängliche Cloud-Skepis bei vielen, überwiegend mittelständischen Formen grundlegend gewandelt. Die Bereitschaft, unternehmenskritische oder stark wettbewerbsrelevante Prozesse in die Cloud zu verlagern und weniger on-premises zu managen, hat deutlich zugenommen, da hierdurch ein reibungsloser Ablauf garantiert wird und die digitale Infrastruktur rund um die Uhr zur Verfügung steht.

Hiervon werden vor allem Hybride-Cloud- und SaaS-Modelle profitieren. Für beide Segmente ist 2022 von überproportionalem Wachstum auszugehen. Deutlich ablesbar ist dieser Trend auch im iSCM-Technology Index. Seit dem ersten Quartal 2021 zeigt die Geschäftslage für Cloud und Services beständig signifikant bessere Index-Werte als für Hard- und Software. Der Abstand betrug die letzten Monate über zehn Prozentpunkte. Dieser Paradigmenwechsel wird für Firmem aller Größe branchenübergreifend Bestand haben und zu einer nachhaltigen Veränderung des Geschäftsmodells der klassischen ITK-Distribution führen.

Distribution: die Zukunft neu erfinden

Diese Entwicklung, trifft auf eine Distributionslandschaft, die aus ihren Wurzeln heraus Hardware wie Software geprägt war und in weiten Bereichen auch heute noch ist. Wenn auch nicht mehr zwingend Umsatzschwerpunkt, aber dennoch realisieren eine Reihe von Distributoren einen signifikanten Umsatz- wie Ertragsanteil in diesen beiden Segmenten.

In der Diskussion, ob die klassische ITK-Distribution in ihrer Breite Cloud und Service basierte Geschäftsmodelle umsetzen kann, wird vielfach auf den Unterschied der Geschäftsmodelle fokussiert. Diese Frage ist allerdings aus drei Gründen eher zweitrangiger Natur:

Cloud und Services viel stärker nachgefragt als Hard- und Software

Die entscheidende Frage ist vielmehr, wie unterscheidet sich das Einkaufsverhalten des Channels bei klassischer Hard- und Software von dem bei Cloud und Services? Für den Bezug von Hard- und Software wird aufgrund der Commodity-artigen Produkteigenschaften in der Regel ein Set an Distributoren ausgewählt. Unterschiede in Verfügbarkeit und Logistikleistung rechtfertigen einerseits Preisunterschiede und sind andererseits die Daseinsberechtigung der vielfältigen Distributionslandschaft die typisch für einen Flächenstaat wie Deutschland ist. Diese Faktoren entfallen bei Cloud und Services nahezu gänzlich.

Die TK-Distribution profitiert von ihrer Sortimentsstruktur. Vollsortimenter zeigen aufgrund ihrer Größe und ihres Volumens einen stabileren Performance-Verlauf.
Foto: iSCM Institute

Die Anzahl der unterschiedlichen Bezugsquellen ist für den Channel daher weniger relevant und deutlich reduziert, jedem Distributor steht dadurch weniger Kundenpotential zur Verfügung - ein Konzentrationsprozess oder zumindest Kooperationsprozess ist zu erwarten. Auf diese Entwicklung muss sich die Distribution einstellen, um vom Wachstum der kommenden Jahre zu profitieren und um erfolgreich zu bleiben.

Die Voraussetzungen hierfür sind mehr als gut! Der Net Promotor Score (NPS) beziehungsweise die Zufriedenheitswerte für die Distribution befinden sich aktuell auf hohem Niveau - siehe Graphik oben. Vor dem Hintergrund limitierter Produktverfügbarkeit verdeutlicht dies eine bemerkenswerte Leistung. Über die vergangenen zwölf Monate unterliegt die Performance der Distributoren zwar deutlichen Schwankungen, diese fallen aber in den letzten Monaten deutlich geringer aus. Die TK-Distribution profitiert von ihrer Sortimentsstruktur. Vollsortimenter zeigen aufgrund ihrer Größe und ihres Volumens einen stabileren Performance-Verlauf.

Die Entwicklung des NPS-Wertes bei Herstellern ist in den letzten Monaten analog deutlich positiver als im entsprechenden Vorjahreszeitraum, wenngleich das Niveau im Vergleich, zu dem der Distribution über deutlich mehr Potential verfügt. Grundsätzlich zeigt sich auch hier eine resiliente Struktur, die es ermöglicht, zeitnah und effizient auf logistische wie produkt-technische Herausforderungen zu reagieren.

Die Umstellung auf „Pandemie und Lockdown“ haben Distributoren und ersteller mit Bravour gemeistert. Den aktuell beginnenden, grundlegenden Wandel des Geschäftsmodells der ITK-Branche, von Hard- und Software hin zu Cloud und Services, sollte die gesamte ITK-Industrie daher ähnlich bravourös gestalten wie erfolgreich realisieren.

Die ITK-Industrie besitzt eine elementare Eigenschaft, die für Erfolg erforderlich ist – sich aktiv wie hochflexibel an verändernde wie herausfordernde neue technologische Gegebenheiten und den hierdurch neu entstehenden Geschäftsmodellen anzupassen. Die Zukunft der ITK-Industrie, Hersteller wie Distribution, beginnt heute: Basis mit entsprechendem (Replacement-) Potential werden weiter Hard- und Software sein, neuer wie zentraler Fokus beziehungsweise weiteres Standbein werden Cloud und Services werden! Die ITK-Branche wird attraktiver denn je sein – für alle die sie aktiv mitgestalten wollen!

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