Jedes Jahr im April werden auf der MarTech-Conference in San José die Stackie-Awards vergeben. Im Vorfeld dazu werden weltweit Firmen eingeladen, ihre Marketing-IT-Landschaft in ein Bild zu gießen. So entstehen bunte Bilder, die beispielsweise die in Bezug auf die verschiedenen Stadien der Customer Journey eingesetzten Tools darstellen.
Ein Beispiel dafür ist die Firma Sargento, ein amerikanischer Lebensmittelhersteller. Er verwendet "nur" rund 60 Marketing-Tools - oft sind es 100 oder mehr. Weitere Beispiele vom Stackie Award 2019 finden Sie hier. Die Struktur ist aber leider oftmals nur auf den eingereichten Bildern so schön aufgeräumt. In der Realität sieht es meist anders aus.
Sind so viele Anwendungen sinnvoll?
Sind so viele Anwendungen für eine gute Customer Journey sinnvoll und notwendig? Sicher nicht, denn:
zu viele Software-Produkte führen dazu, dass Teams beziehungsweise Nutzer Tools nur oberflächlich einsetzen und das Potenzial nie vollständig ausnutzen. Das Unternehmen zahlt Geld für Leistungen/Module, die nie verwendet werden.
Die Vielzahl an Tools führt zu Daten-Silos statt zu Informationsaustausch oder dem viel-zitierten "360-Grad-Blick" auf den Kunden. Die vielen spannenden Daten stehen deshalb an wichtigen Stellen der Customer Journey nicht zur Verfügung. Daher ärgern sich viele Kunden, dass sie innerhalb von Kampagnen nur teilweise oder gar nicht persönlich angesprochen werden.
Analysen und Entscheidungen sind von minderer Qualität, weil wichtige Informationen nicht konsolidiert vorliegen.
Was sind die Gründe für die Vielzahl an Ko-Existenzen, gleichzeitig aber fehlenden Synergien der Tool-Landschaft?
Die Vielzahl an Tools nimmt exorbitant zu. Das zeigt auch Scott Brinkers Post "Entwicklung der MarTech Landscape".
Der Druck durch die Trends Digitalisierung sowie Automatisierung von Prozessen nimmt innerhalb der Kundenkommunikation stark zu.
Die IT-Abteilung kommt meist mit der von Marketing, Vertrieb und Service geforderten Entwicklungsgeschwindigkeit nicht mehr hinterher. Die Anwender suchen sich deshalb auf eigene Faust ihre Tools und legen einfach los. Das ist gleichzeitig Vor- und Nachteil von SaaS-Tools.
Eine unternehmensweite Abstimmung, welche Tools schon im Einsatz sind, findet nicht statt. So haben sowohl die PR-Abteilung als auch der Vertrieb ein eigenes CRM-Tool. Ein Ticketsystem gibt es sogar drei Mal - in der Technik, im Kundenservice und sowieso in den CRM-Tools. Einmal als Open Source, einmal als proprietäre Lösung. PDF-Erstellung und Konvertierungs-Tools gibt es x-Mal.
Zudem werden zwei verschiedene Bildbearbeitungsprogramme, eines in der Offline- und eines in der Online-Abteilung genutzt. Ab und zu setzt das Produktmanagement noch ein drittes ein. Projekte steuern die einen mit Asana, die anderen mit Trello, die dritte Abteilung mit Meistertask. Und im zentralen Marketing ist Qlik, in der Ländergesellschaft Tableau als BI-Tool im Einsatz. Diese Liste ließe sich fortführen …
Wie lassen sich unnötig viele MarTech-Tools vermeiden?
Wie gehe ich nun mit meiner aktuellen IT-Landschaft um, wie kann ich sie "bereinigen"? Erste Aufgabe ist: Skizzieren der eigenen Landschaft und Aufräumen. Malen Sie doch selbst ein Bild Ihrer MarTech-Landscape! Dies verschafft erst einmal Transparenz über den Wildwuchs.
Dann geht es ans Aufräumen:
Wo besteht ein rechtliches Risiko? Wegen der DSGVO und wegen der Lizenzvereinbarung?
Welches Tool entspricht nicht den Unternehmensstandards?
Wo könnte es Kosteneinsparungen geben, weil sich Lizenzen in einem Vertrag zusammenlegen lassen?
Welches Tool kann wegfallen, weil es nie oder selten genutzt wurde?
Welche Tools können - oder müssen - konsolidiert werden, weil sie für ähnliche Zwecke eingesetzt werden?
Wofür kann die IT den Support gewährleisten?
Welche Tools müssen geschult werden, damit sie sinnvoll genutzt werden können?
Welches Tool ist DSGVO-konform?
Achtung DSGVO: Hierbei besteht ein hohes, rechtliche Risiko für IT-Verantwortliche: Was passiert, wenn ein Kunde die Auskunft nach seinen Daten verlangt? Welche Tools beinhalten Kundendaten und wie kann eine lückenlose Auskunft innerhalb kurzer Zeit sichergestellt werden? Auch aus diesen Gründen ist eine unnöttige Vielzahl an Tools zu vermeiden.
Fazit
Skizzieren Sie sich ein Bild - ein "Big Picture" der zukünftigen IT-Landschaft. Aus diesem Bild leiten sich die Roadmap, kurzfristige und mittelfristige Ziele ab. Das Bild muss immer wieder überprüft und eventuell neu gezeichnet werden. Die technologische Entwicklung ist derart schnell, dass bei laufender Analyse der Neuerungen, agiles Denken und Handeln angesagt sind.
Lesetipp: Customer Journey Mapping kurz erklärt
Die Erfahrungen der User, die mit den Tools arbeiten, sollten laufend getrackt werden, damit die User sich gehört fühlen und die kommenden Entscheidungen immer besser werden. Bei der Analyse der Stackie-Awards sieht man, dass die Unternehmen sukzessive reduzieren. Beispiele sind Yamaha und Cisco, die über mehrere Jahre auf der MarTech-Konferenz berichten und dazu klar Stellung genommen haben: Weniger ist mehr!
Definieren Sie ein Set an Standard-Tools. Aus diesem Tool-Set darf sich der Anwender nach einer Bedarfsanalyse sowie Schulung (auch oft e-Learning) bedienen. Versuchen Sie dabei so viel wie möglich mit einem Generalisten-Tool abzudecken. Schwächen des Generalisten-Tools beziehungsweise fehlende Funktionalitäten werden durch Nischenprodukte ergänzt.
Diese Balance zwischen Generalisten und Spezialisten zu finden ist vermutlich die schwierigste Aufgabe. Denn die Konsolidierung der eigenen Software-Landschaft darf natürlich nicht auf Kosten der Produktivität gehen. Die Anwender und die Kunden werden es Ihnen danken.