Im Silicon Valley liegt das Mekka des Managements. Diesen Eindruck gewinnt man seit einigen Jahren zuweilen in der Management-Diskussion – nicht nur weil Heerscharen von Managern und Beratern zu dem IT- und High-Tech-Standort pilgern, um sich von den dort ansässigen Unternehmen inspirieren zu lassen, sondern auch, weil sie von dort nicht selten angeblich ganz neue, revolutionäre Managementsysteme, -methoden und -tools mitbringen, die sie zuhause als Heilsbringer präsentieren.
Eine Wunderwaffe oder ein wertvolles Tool?
Hierzu zählt die Methode „Objectives and Key Results“, die unter dem Kürzel OKR seit ein, zwei Jahren auch in deutschen Unternehmen Einzug hält. Sie wird zum Beispiel in einem im August 2018 im Handelsblatt erschienenen Artikel als „Wunderwaffe moderner Führungskräfte“ bezeichnet, während zugleich über die „üblichen Zielvereinbarungen in deutschen Unternehmen“ verkündet wird, sie hätten im Zeitalter agiler Führung ausgedient. Und garniert wird das Ganze mit einer Aussage des Google-Mitbegründers und heutigen Alpabet-CEOs Larry Page: „OKR hat uns dabei geholfen, nicht in Dimensionen von zehn Prozent, sondern in Dimensionen des Zehnfachen zu wachsen.“ Welcher Manager bekommt bei einer solchen Erfolgsaussicht nicht glänzende Augen?
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Doch ist OKR die neue Wunderwaffe, als die sie die auf das Einführen dieser Methode spezialisierten Berater gerne präsentieren? Selbstverständlich nicht!. Zum einen ist die OKR-Methode nicht neu. Sie wurde bereits vor fast 20 Jahren beim heutigen Internet-Giganten Google eingeführt. Zudem sagte Larry Page nicht „OKR war die Ursache, dass wir in Dimensionen des Zehnfachen wuchsen“, sondern „OKR hat uns dabei geholfen“. OKR war für Google also ein hilfreiches Tool, um seine Entwicklungs- und Wachstumsziele zu erreichen, weshalb die Methode unter anderem auch von LinkedIn, Oracle und Twitter übernommen wurde. Nähert man sich mit dieser Sichtweise dem Thema OKR, dann fällt es leichter, den Nutzen und Wert, den diese Methode zweifellos hat, realistisch einzuschätzen.
Ein Tool zum Umsetzen der Unternehmensstrategie
Zunächst gilt: OKR ist eine Methode zum Umsetzen der Unternehmensziele und zur agilen Unternehmenssteuerung. Dabei erfolgt die Zieldefinition weitgehend in einem iterativen Prozess, in dem zunächst folgende Fragen beantwortet werden:
"Wo will ich beziehungsweise wollen wir hin?" (Objectives) und
"Wie messe ich bzw. messen wir, ob ich mein Ziel bzw. wir unser Ziel erreicht haben?" (Key Results).
Diese Zieldefinition erfolgt - wie das Überprüfen der Zielerreichung - unter einer systematischen Einbindung der Mitarbeiter, jedoch nicht wie oft bei den klassischen Zielvereinbarungssystemen im Jahres-Rhythmus. Vielmehr werden die Objectives und Key Results, also die OKRs, in Intervallen von zwei bis maximal vier Monaten definiert, wodurch sich die Agilität und Reaktionsgeschwindigkeit der Unternehmen erhöhen soll.
Dabei soll das bereichs- und funktions- sowie hierarchieübergreifende Vereinbaren der OKRs sicherzustellen, dass alle Aktivitäten in der Organisation auf die gleichen und wichtigsten Ziele ausgerichtet sind. Zudem sollen durch den Einsatz der OKR-Methode folgende organisationsentwicklerischen Ziele erreicht werden:
Herunterbrechen der strategischen Ziele auf die Team- und Mitarbeiterebene,
Vereinbaren inspirierender und herausfordernder Ziele,
Erzeugen eines horizontales Alignments (Vermeiden eines Silo-Denkens),
Fokussierung auf die Unternehmensziele auf der individuellen und organisationalen Ebene,
Implementierung eines flexiblen und unbürokratischen Zielvereinbarungsprozesses sowie eines kurzyklischen und agilen Zielumsetzungsprozesses,
eine partizipative Entwicklung der Ziele (Mix aus top-down und bottom-up),
Verminderung der zentralen Steuerung, Stärkung der Selbstorganisation.
Die OKR-Historie und Philosophie
Ähnlich wie bei den anderen Methoden und Systemen zur Strategieumsetzung wie z.B. der Balanced Scorecard oder Hoshin Kanri/Policy Deployment handelt es sich bei der OKR-Methode nicht um ein grundsätzlich neues Konzept. Die Methode geht vielmehr auf die 80er Jahre zurück. In ihnen entwickelte Andy Grove, ein ehemaliger Intel-Manager, auf der Basis des "Management by Objectives", kurz MbO (zu Deutsch "Führen mit/über Ziele") - wie der Name "Objectives and Key Results" bereits andeutet - ein Konzept zum Umsetzen solch ambitionierter Unternehmensstrategien wie "Wir wollen der Marktführer weltweit werden".
Zentrale Anforderungen an ein solches System waren für ihn: Es muss einfach und flexibel sein und die Mitarbeiter in den Prozess der Strategieentwicklung und -umsetzung einbeziehen. Als zentralen Schlüssel hierzu erachtete er die beiden simplen Fragen, die in Unternehmen von jedem zu beantworten sind:
"Wo will ich hin?" (Objectives) und
"Wie messe ich, ob ich mein Ziel erreicht habe?" (Key Results).
In den 90er Jahren stellte John Doerr, ein Berater und Freund von Grove, die OKR-Methode bei Google vor. Er definierte OKR als "eine Management-Methode, die hilft, alle Aktivitäten in einer Organisation auf die gleichen, wichtigsten Ziele zu fokussieren". Seit 1999 nutzt Google das OKR-Konzept, um quartalsweise die Ziele und Prioritäten festzulegen.
Der OKR-Planungsprozess
Der Planungsprozess gestaltet sich bei der Arbeit mit OKRs wie folgt: Ausgehend von der Strategie werden vom Management maximal fünf Ziele (Objectives) zum Beispiel für das kommende Quartal festgelegt. Diese werden durch maximal vier Messgrößen (Key Results) operationalisiert, um den Fortschritt bis zum Ende des Quartals zu messen.
Die "Objectives" beschreiben das "Was", das zu erreichen ist. Sie geben somit die Richtung vor und sollten der OKR-Philosophie zufolge sehr ambitioniert, jedoch zugleich motivierend formuliert sein. Die "Key Results" hingegen beschreiben, "Wie" das jeweilige Quartalsziel erreicht werden soll. Diese Beschreibung erfolgt jedoch nicht in Form von Aktivitäten, die zu ergreifen sind, sondern messbaren Schlüsselergebnissen, die Auskunft über den Fortschritt geben und mit denen am Quartalsende reflektiert werden kann: Wurden die Key Results erreicht? Die Schlüsselergebnisse sind faktisch Teilziele, die es auf dem Weg zum Erreichen des übergeordneten Ziels, also des Objectives, zu erreichen gilt.
Zwei Beispiele zur Veranschaulichung. Angenommen das Objective, also übergeordnete Ziel lautet: "Sicherstellen der Lieferperformance", dann können vereinbarte Key Results sein:
Key Result 1: Erhöhung der Maschinenverfügbarkeit von 80 auf 85 Prozent
Key Result 2: Sicherstellung der Materialverfügbarkeit zu 100 Prozent
Key Result 3: Reduzierung des Rückstands bei bestätigten Terminen auf weniger als zwei Arbeitstage
Key Result 4: Einführung eines 13-Monate-Forecasts.
Angenommen nun das Objective lautet "Etablierung eines Steuerungssystems für das Produktmanagement". Dann können Key Results sein:
Key Result 1: Anteil proaktiver Projekte von 15 auf 20 Prozent erhöhen
Key Result 2: Reduktion der Durchlaufzeit um 15 Prozent
Key Result 3: Erhöhung der Angebots-Hit-Rate von 34 auf 37 Prozent
Key Result 4: Erhöhung der Prozess- und Verfahrensinnovation von 0 auf 3
Kurzzyklische Planung der OKRs
Die Planung der OKRs erfolgt kurzzyklisch - also zum Beispiel für das kommende Quartal. Dies kommt dem Wunsch vieler Unternehmen nach einem Erhöhen der Agilität und Reaktionsgeschwindigkeit ihrer Organisation entgegen. Zudem müssen die Führungskräfte und ihre Mitarbeiter beim Arbeiten mit der OKR-Methode für sich definieren,
was sie im kommenden Quartal vorhaben, und noch wichtiger,
was sie in dieser Zeit definitiv nicht umsetzen bzw. "on hold" lassen.
Das sorgt für die gewünschte Prioritätensetzung und beugt einem Verzetteln vor.
Die kurzzyklische Planung hat Vor- und Nachteile. Manche Unternehmen bzw. Unternehmensbereiche lassen sich schwer nur mit Quartalszielen führen. Welcher Planungshorizont Sinn macht, sollte stets in Abhängigkeit vom Unternehmen und der Ausgangssituation entschieden werden. Die Erfahrung zeigt jedoch: Je tiefer man in eine Organisation eindringt, umso leichter lassen sich meist Ziele mit einem kurzzyklischen Charakter formulieren. Deshalb entfaltet die OKR-Methode speziell, wenn es um das Umsetzen der Ziele auf der operativen Ebene beziehungsweise Shopfloor-Ebene geht, ihre Vorzüge - unabhängig davon, ob das Ziel zum Beispiel lautet eine Software-Lösung in einem definierten Zeitraum zu entwickeln oder einen bestimmten Ausstoß oder Umsatz in der Produktion oder im Vertrieb zu erzielen.
Zielabstimmung: Top down- und Bottom up-Prozess
Sind beim Einsatz der OKR-Methode auf der obersten Ebene (zum Beispiel der Geschäftsführung) die maximal fünf Objectives und jeweils maximal vier Key Results festgelegt, gilt es diese an die nächste Ebene (zum Beispiel die Bereiche) zu kommunizieren und auf diese herunterzubrechen. Dies erfolgt bei der OKR-Methode nicht in einem reinen Top-down-Verfahren. Vielmehr werden die Führungskräfte und ihre Mitarbeiter bzw. Teams in den Prozess eingebunden.
Eine Faustregel der OKR-Methode lautet: Circa 60 Prozent der Ziele kommen von oben und circa 40 Prozent werden bottom-up definiert. Das bedeutet, die nächste Ebene kann neben den von oben kommenden Zielen auch Ziele definieren, von denen sie überzeugt ist, dass diese für das Erreichen des übergeordneten Ziels förderlich sind. Dieser Prozess mündet in einer Art "Verhandlung" zwischen der oberen und unteren Ebene, in der letztlich ein Agreement über die zum Beispiel im kommenden Quartal zu erreichenden Objectives und Key Results erzielt wird.
Ein zentrales Element der OKR-Methode ist: Alle Objectives und Key Results werden im gesamten Unternehmen veröffentlicht. Jeder Mitarbeiter hat somit einen Einblick in die OKRs zum Beispiel der Geschäftsführung, der anderen Bereiche usw.. Hierdurch soll auch sichergestellt werden, dass die Ziele nicht widersprüchlich sind.
Zum Video: Die neue Management-Wunderwaffe OKR
Beurteilung der Zielerfüllung
Die OKR-Philosophie empfiehlt, von einer Verknüpfung der Methode mit dem Vergütungssystem abzusehen - unter anderem, weil die definierten Ziele und damit verbundenen Key Results sehr ambitioniert sein sollen. Eine Zielerreichung von 100 Prozent soll nahezu unmöglich sein, damit die Mitarbeiter auch dazu animiert werden, über neue Lösungsmöglichkeiten beziehungsweise Wege zur Zielerreichung nachzudenken.
Für die Zielerreichung der Key Results sollten in etwa folgende Schwellenwerte gelten:
70-100 Prozent-Erreichung: Ein Key Result sollte nur in Ausnahmefällen zu 100 Prozent erreicht werden. Ein Nicht-Erreichen bedeutet kein Scheitern, sondern: Das Ziel war sehr ambitioniert.
40-60 Prozent-Erreichung: Das Ziel wurde zwar nicht erreicht, doch es wurde im Quartal ein beachtlicher Fortschritt erzielt. Somit ist alles im grünen Bereich.
0-30 Prozent-Erreichung: Das Ziel wurde nicht erreicht und auch der Fortschritt ist unzureichend. Das Ziel wird deshalb gegebenenfalls ins nächste Quartal mitübernommen.
Inwieweit die Belegschaft eines Unternehmens mit dieser Art der Beurteilung der Zielerreichung umgehen kann, hängt stark von der Kultur und dem Reifegrad der Organisation ab sowie davon, wie stark in ihr zum Beispiel bereits der KVP-Gedanke verankert ist. Deswegen sollte sich das Management eines Unternehmens schon vor dem eventuellen Einführen der OKR-Methode überlegen, wie mit dem Setzen der Schwellenwerte umgegangen wird.
Lesetipp: Agilität und Unternehmenskultur
Unterjähriger Umsetzungsprozess
Die OKRs sind hinsichtlich ihrer unterjährigen Umsetzung sehr agil gestaltet. Dahinter steckt die grundsätzliche Idee: Plane für den nächsten Zeitraum, setze um und prüfe Dein Ergebnis und setze Dich insbesondere damit auseinander, was Du gelernt hast.
Und so gestaltet sich der Umsetzungsprozess: So werden zum Beispiel jedes Quartal die OKRs neu geplant. Vor Ende des ersten Quartals werden bereits die OKRs für das zweite Quartal definiert und finalisiert. Dazwischen findet die Beurteilung der Zielerreichung statt. Zu Beginn des Folgequartals erfolgen die Präsentation der Zielerreichung aus dem Quartal 1 und die Vorstellung der OKRs für das Quartal 2. Danach beginnt die nächste Umsetzungsphase. Der Vorteil dieser Vorgehensweise liegt in der kurzzyklischen Ausrichtung der Ziele. Keinesfalls darf jedoch der benötigte Zeitaufwand für das Festlegen der OKRs - auf jeder Ebene - und deren Abstimmung unterschätzt werden.
Zu beachtende Einflussfaktoren bei der Einführung
Folgende Einflussgrößen sollte das Management eines Unternehmens beim Einführen der OKR-Methode berücksichtigen:
Was ist das generelle Ziel der OKR-Einführung in unserem Unternehmen?
Wie hoch ist der Reifegrad der Organisation hinsichtlich Problemlösungsdenken und Agilität?
Welche weiteren Systeme zur Strategieumsetzung und Zielvereinbarung gibt es bereits (z.B. BSC, MbO)?
Wie binden wir die OKRs an das bestehende KPI-System an?
Liegt unser Fokus auf der strategischen Ausrichtung oder einem Mix aus strategischer Ausrichtung, kontinuierlicher Verbesserung und Tagesgeschäft?
Welchen Mix aus Top-down und Bottom-up-Zielabstimmung wählen wir?
Welche Hierarchieebenen binden wir im ersten Schritt ein?
Wie soll die Anbindung an das Shopfloor Management-System erfolgen?
Wer treibt intern den OKR-Einführungsprozess voran?
Welche (personellen) Ressourcen stehen uns hierfür zur Verfügung?
Wie messen wir den Erfolg der OKR-Einführung?
Binden wir OKR an das Vergütungssystem an?
Wie gestalten wir den Veränderungsprozess und die Kommunikation?
Ist bei uns die 20-60-20-Regel gültig (20 Prozent der Betroffenen sind dafür, 60 Prozent sind neutral, 20 Prozent zeigen Widerstand)?
Abschließende Bewertung
Die OKR-Methode ist keine neue Wunderwaffe weder für das Führen von Mitarbeitern und Teams, noch zum Erhöhen der Agilität von Unternehmen. Sie ist jedoch eine bewährte Methode zur Strategieumsetzung insbesondere auf der operativen Ebene. Dabei sollten jedoch zwei Dinge nicht vergessen werden. Das Definieren der Objectives und Key Results allein befähigt die Mitarbeiter nicht, diese - auf teils ganz neuen Wegen - zu erreichen.
Deshalb setzt das Arbeiten mit der OKR-Methode auch eine Führungskultur voraus, bei der sich die Führungskräfte primär als Ermächtiger und Befähiger beziehungsweise Coaches ihrer Mitarbeiter verstehen. Außerdem gilt es ihnen Tools wie den PDCA-Zyklus oder den A3-Report an die Hand zu geben, mit denen sie das systematische und weitgehend eigenständige Lösen von Problemen einüben können.
Ein Vorzug der OKR-Methode ist zudem: Sie lässt sich einfach mit solchen Managementsystemen bzw. Systemen zur Strategieumsetzung wie Hoshin Kanri und der Balanced Scorecard verknüpfen, die eher auf das Erreichen der mittel- und langfristigen (strategischen) Ziele abzielen. Zudem harmoniert sie mit dem KVP- und dem Lean-Gedanken, da es auch bei ihr letztlich um ein kontinuierliches Sich-Verbessern und Steigern der Performance des Unternehmens und seiner Mitarbeiter geht.