Hinter der Hightech-Strategie "Industrie 4.0" der Bundesregierung steht die Vision einer integriert produzierenden Industrie. Kern der Idee ist eine industrielle Produktion, die vollautomatisch, flexibel, wirtschaftlich und ressourcenschonend in kleinsten Stückzahlen herstellen und termingerecht auszuliefern kann. Laut dem Verband Deutscher Ingenieure (VDI) prägt dieses Thema aktuelle Industriemessen wie kein anderes. Es werden Technologien, Anwendungen und Beispiele präsentiert, die einer Vision Gestalt geben sollen: Ein Kunde definiert seinen individuellen Auftrag, der sich anschließend über Firmengrenzen hinweg von selbst steuert - von der Bestellung des erforderlichen Rohmaterials über die Reservierung der Bearbeitungsmaschinen, Montagekapazitäten, Lagerhallen über die erforderliche Logistikleistung bis hin zur Qualitätskontrolle und Auslieferung.
Der erste Prototyp einer intelligenten Fabrik der Zukunft wurde vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz der (DFKI) in Zusammenarbeit mit verschiedenen Herstellern entwickelt: die "Smart Factory". Sie besteht aus voneinander unabhängigen Produktionsmodulen, einer Vielzahl von Informationssystemen und einem Handarbeitsplatz. Grundlage der Neuentwicklung sind drei zentrale Paradigmen: Das intelligente Produkt, die kommunizierende Maschine und der assistierte Bediener. Das intelligente Produkt kennt seine Auftrags-, Material und Produktionsdaten und beeinflusst damit die Herstellung. Die kommunizierende Maschine ist eine so genannte CPS-Komponente (Cyber-Physical System), die mit dem intelligenten Produkt interagiert. Der menschliche Bediener wird vom Produkt nur noch darüber informiert, wie die Montage zu erfolgen hat.
Vernetzung und Datenaustausch
Basistechnologie hinter Industrie 4.0 ist das Internet der Dinge (IoT), sprich alle Geräte, die mit einem Internetzugang ausgestattet sind. Im Rahmen einer integrierten Produktion sind das sämtliche an Herstellung und Lieferung beteiligten Gerätschaften. Die Studie "Industrie 4.0 -Volkswirtschaftliches Potenzial für Deutschland" des BITKOM fasst es zusammen: "Im Mittelpunkt von Industrie 4.0 steht die echtzeitfähige, intelligente, horizontale und vertikale Vernetzung von Menschen, Maschinen, Objekten und IKT-Systemen zum dynamischen Management von komplexen Systemen".
Menschen, Maschinen, Objekte und IKT-Systeme machen vor allem Eines: Sie tauschen riesige Datenmengen untereinander aus. Die dazu notwendige Datenlogistik wird damit zur neuen zentralen Aufgabe jeder IT, die einen Produktionsbetrieb unterstützt. Sie muss alle geforderten Informationen in der richtigen Zusammensetzung zur rechten Zeit am richtigen Ort bereitstellen. Damit verändert sich ihre Aufgabestellung in Richtung Organisation, Betrieb und Überwachung von Datenflüssen - weg vom Betrieb zentraler Systemlandschaften. Bisherige IT-Systeme basieren in Industriebetrieben bisher auf den drei Grundpfeilern ERP (Produktionsplanung), PLM (Produktverwaltung) und SPS (Produktionssteuerung). Mit Industrie 4.0 wird dies schon bald Geschichte sein.
Für die "IT 4.0" wartet jedoch noch eine weitere Herausforderung: Die Aufgabenstellung der Datenlogistik variiert - je nachdem, auf welcher Ebene Informationen ausgetauscht werden. Auf der Ebene einer einzelnen Produktionseinheit steht die rasche Kombination von Daten im Vordergrund, während auf der Ebene der Produktionsstätte eher der schnelle Datenaustausch von Bedeutung ist. Auch die Datenlogistik zwischen unterschiedlichen Unternehmen, wie beispielsweise bei der Arbeit mit Zulieferern, stellt hohe Anforderung an Standardisierung und Sicherheit. Die moderne Transportlogistik muss eine rasche Verarbeitung großer Datenmengen sicherstellen - weit über die eigenen Unternehmensgrenzen hinweg.
Automatisierte Produktion und Datenlogistik
Eine moderne Fertigungseinheit wie Cyber-Physische System (CPS) oder auch Cyber-Physisches Produktionssystem CPPS) steht inmitten eines Verbundes verschiedenster Sensoren. Dazu gehören beispielsweise Kameras, Mikrofone, Messfühler sowie weitere für eine Produktion notwendigen Geräte wie Hosts, Server, PCs, Tablets und Smartphones. Zusammen liefern sie in Echtzeit relevante Produktions- und Umgebungsdaten. Die hochflexible und automatisierte Produktion erfordert deren schnelle Kombination, um über an der Produktion beteiligte Aktoren wie Greifarme, Werkzeuge oder andere Mechanismen einzelne Produktionsschritte rechtzeitig auszuführen. Die Verarbeitungsgeschwindigkeit spielt dabei eine absolut zentrale Rolle. Damit eine einzelne Fertigungseinheit möglichst effizient arbeiten kann, sind Produkt- und Kontextinformationen durch eine kluge Datenlogistik bereit zu stellen. Sämtliche Produktinformationen müssen dazu möglichst nahe am Produkt selbst gehalten werden.
Die "Smart Factory" des DFKI hat dieses Problem mit dem Paradigma eines intelligenten Produktes bereits gelöst: Es "kennt" zu jeder Zeit seine exakten Auftrags-, Material und Produktionsdaten. Die unterstützende Datenlogistik muss dafür sorgen, dass diese gleichzeitig mit dem Rohling oder Halbzeug exakt bei der Maschine ankommen, die den nächsten Produktionsschritt ausführt. Auch alle für den Produktionsprozess notwendigen Kontextinformationen, wie beispielsweise Verfügbarkeiten, werden in Echtzeit bereitgestellt.
Smart Factory und Datenlogistik
Eine Smart Factory als für Industrie 4.0 geeignete Produktionsanlage besteht aus einer Vielzahl von Fertigungseinheiten und anderen an der Produktion beteiligten Maschinen und Lager. Auch der Materialfluss und damit der parallele Datenstrom spielt eine zentrale Rolle. Zudem sind Faktoren wie die Auslastung der Maschinen und Lager, die minimalen Wegzeiten oder sogar die Vorhersage möglicher Ausfälle, die dynamische Allokation von Ressourcen sowie der Einbezug von Umweltinformationen erfolgsentscheidend. Die bisher übliche Trennung von Produktionsplanung und Produktionssteuerung und damit auch die Trennung zwischen ERP und SPS entfallen.
Bei Industrie 4.0 wird künftig ein integrierter Ansatz gefragt sein. So sieht die VDI-Richtlinie 5600 "Manufacturing Execution Systems (MES) / Fertigungsmanagementsysteme" vor, dass Informationen zu prognostischen, aktuellen und historischen Aspekten des Produktionsprozesses kombiniert und ausgetauscht werden. Damit die kombinierten Informationen jederzeit auf eine laufende Fertigung einwirken können, muss deren nutzbringende Kombination in Echtzeit erfolgen. Und hier ist wiederum die Datenlogistik gefragt: Sie muss dafür sorgen, dass historische, aktuelle und prognostische Daten schnell und umfassend zur Verfügung stehen und ohne Zeitverlust weitergegeben werden.
Datenlogistik zwischen Unternehmen
Die moderne Fertigung im Sinne einer Industrie 4.0 endet künftig nicht mehr am Firmentor. Eine integrierte auftragsorientierte Produktion, die vom Rohstoff bis hin zum fertigen Industrieprodukt reicht, erfordert auch unternehmensübergreifende Wertschöpfungsketten. Aus Sicht der Datenlogistik stehen hier vor allem Standardisierung und Sicherheit im Vordergrund, der Informationsaustausch muss ebenfalls möglichst effizient erfolgen. Deshalb sind einheitliche Datenformate und normierte Informationsobjekte extrem wichtig.
So sieht beispielsweise die deutsche Normungs-Roadmap Industrie 4.0 der Deutsche Kommission Elektrotechnik (DKE) vor, dass Referenzmodelle für technische Systeme und Prozesse, leittechnische Funktionen, technisch-organisatorische und Lifecycle-Prozesse genormt werden. Erst auf Basis solcher Normen kann die Datenlogistik die entsprechenden Informationsobjekte und Formate und damit den Austausch von Daten zwischen Unternehmen nutzbringend vereinfachen.
Die zweite und wahrscheinlich weitaus kniffligere Aufgabe der Datenlogistik ist die Gewährleistung der Datensicherheit. Hier spielen insbesondere Aspekte der Vertraulichkeit und Integrität sowie die Verfügbarkeit von Daten eine sehr große Rolle. So muss einerseits der Zugriff eingeschränkt, gleichzeitig jedoch garantiert werden. Außerdem muss die IT sowohl Korrektheit als auch die Unversehrtheit aller Informationen sicherstellen. Der Abschlussbericht des Arbeitskreises Industrie 4.0 der Bundesregierung mit dem Titel "Umsetzungsempfehlungen für das Zukunftsprojekt 4.0" aus dem Jahr 2013 sieht eigens dafür acht gesonderte Handlungsempfehlungen vor. IT-Verantwortliche müssen sich also schon bald mit dem Aufbau und Betrieb sowie der Überwachung firmenübergreifender Sicherheitskonzepte, -architekturen und -standards beschäftigen.
Transport - und Datenlogistik
Für die industrielle Fertigung spielt die Transportlogistik eine zentrale Rolle. In diesem Bereich hat die Vernetzung an der Transportkette beteiligter Objekt, Fahrzeuge und Sendungen jedoch schon längst Einzug gehalten. Eine Vielzahl von Anwendungen ist bereits erfolgreich im Einsatz: Angefangen von der zeitnahen Planung über die flexible Änderung von Routen und Beladungen bis hin zu der automatischer Anpassung aufgrund von Verkehrslage, Wetter- und anderen Umgebungsinformationen. Intelligente Fahrzeuge und die Vision einer auf IoT-Technologie basierenden Verkehrsinfrastruktur werden weitere Dimensionen automatisierter und flexibler Logistikleistungen möglich machen. Die Datenlogistik dieser Ebene hat die Verarbeitung sehr großer Datenmengen im Fokus, da die Optimierung der Transportlogistik immer auf Basis vieler Einzelfaktoren erfolgt. Diese hängen von historischen und aktuellen Wetter-, Verkehrs-, Kapazitäts- und Fahrzeuginformationen ab und haben direkte Auswirkung auf die Produktion. Die hochflexible und automatisierte Fertigung ist von der Flexibilität der Transportlogistik geradezu abhängig. Nur wenn gewährleistet werden kann, dass Rohstoffe, Halbzeug oder fertige Einzelteile rechtzeitig am richtigen Ort sind, ist die Vision Industrie 4.0 überhaupt umsetzbar.
Fazit
Der IT von morgen werden im Zeitalter von Industrie 4.0 zwei grundlegend neue Aufgaben zuteil: Die Bereitstellung und der Betrieb einer firmenübergreifenden Datenlogistik. Die damit verbundenen Herausforderungen sind enorm. IT-Systeme müssen einerseits hohe Verarbeitungsgeschwindigkeiten bei der Kombination von Produktions- und Kontextinformationen für CPS-Produktionseinheiten sowie eine schnelle und umfassende Bereitstellung historischer, aktueller und prognostischer Produktionsdaten garantieren. Gleichzeitig muss die IT einen standardisierten und sicheren Datenaustausch in der firmenübergreifenden Wertschöpfungskette ermöglichen sowie eine Verarbeitung großer Datenmengen für die Transportlogistik sicherstellen - und das alles in einem dezentralen Umfeld. Aufgrund ihrer hohen organisatorisch-technischen Herausforderungen setzt die Datenlogistik ein vollkommen neues Denken voraus und wird sich schon bald zu einer eigenständigen Disziplin innerhalb der Unternehmens-IT entwickeln - Herausforderungen gibt es genug. (bw)