Das Jahr 2015 kann für den Einzelhandel zum Schicksalsjahr werden. Es könnte alles so schön sein. Geld ist genug im Umlauf. Die Löhne, Renten und Gehälter sind signifikant gestiegen. Das Sparbuch lohnt nicht mehr und der Staat gibt immer mehr Geld für Familien aus. Noch nie waren in Deutschland mehr Menschen in einer bezahlten Beschäftigung als 2014. Dennoch zeichnet der Präsident des HDE, Josef Sanktjohanser, auf der Weihnachts-Pressekonferenz in Berlin ein düsteres Bild vom Einzelhandel. 50.000 (in Worten, fünfzigtausend!) Standorte werden in den nächsten fünf Jahren schließen müssen, so seine Aussage.
Mit dem Online-Handel hat sich eine zunehmende Bedrohung für den stationären Einzelhandel entwickelt. Der Online-Handel ist jünger, schneller und rund um die Uhr erreichbar. Da helfen auch keine Appelle zur Rettung der Innenstädte. Es muss ein Umdenken bei den Händlern stattfinden!
Jeder neue Mitbewerber, und der Online-Handel ist ein großer Mitbewerber, überlegt, was er auf einem bestehenden Markt besser machen kann. Nur wenn der Markt, oder einzelne Marktteilnehmer darauf wieder mit Verbesserungen reagiert, dann bleibt der Wettbewerb lebendig. Zurzeit sieht es eher so aus, als wenn die alteingesessenen Händler wie das sprichwörtliche Kaninchen auf die Schlange starren.
Dabei hat der Händler vor Ort durchaus viel zu bieten, persönliche Bedienung, fachkundige Beratung und Ware direkt zum Mitnehmen. Aber das reicht heute nicht mehr. Der Online-Handel hat die Achillesferse des stationären Handels erkannt und setzt gnadenlos auf Service. Transparenz in den Leistungen, Lieferung direkt ins Haus, Rückgaberecht innerhalb von 14 Tagen, Geld zurück ohne lästige Fragen und das ist längst nicht alles. Die Online-Händler verfügen über einen Datenschatz von dem ihre Mitbewerber vor Ort nur träumen können. Zalando hat seine Kunden im ersten Jahr besser kennen gelernt als alteingesessene Händler in den 50 Jahren ihres Bestehens.Da gilt es anzusetzen. Die Standortvorteile nutzen und das eigene Geschäft digital weiter entwickeln, das ist der Weg raus aus der Internetfalle.
Gemeinsam die Vorteile nutzen
Es gilt die Vorzüge eines Einkaufscenters mit den technischen Möglichkeiten des Internets zu koppeln. Das geht nur als Gemeinschaftsarbeit. Der Einzelhandel vor Ort kann sich nur in einer intakten und zukunftsorientierten Händlergemeinschaft weiter entwickeln. Mit anderen Worten, die Innenstadt muss zum Einkaufscentrum werden, Multichanel und online rund um die Uhr. Das heist aber nicht, alte Werte über Bord zu werfen.
Ehe man ein Haus aufstockt, gilt es die Fundamente zu überprüfen. Ein kränkelndes Geschäft wird durch die Erweiterung auf Online nicht gesünder. Die Basis aller Geschäfte ist die Wertschätzung seiner Kunden. Sie betrifft das Sortiment, den Service, die freundliche Bedienung und ein Verstehen und eingehen auf die Wünsche der Kunden. Dazu muss die gesamte Innenstadt an einem Strang ziehen.
Der Star ist die City und die ersten Maßnahmen haben so gar nichts mit dem Internet zu tun. Hier geht es um andere Themen:
Gemeinsame Kernöffnungszeiten
Was nutzt die schönste Innenstadt, wenn immer noch einige Geschäfte über Mittag geschlossen sind? Was treibt den Kunden am Samstag in die Einkaufsstraße, wenn die Geschäfte unterschiedlich um 12:00 Uhr, um 14:00 Uhr und wieder andere um 16:00 oder 18:00 Uhr schließen.Kulanz
Im täglichen Geschäft geht es dabei in erster Linie um den Umtausch ohne wenn und aber. Die Mitbewerber im Netz stellen auch keine Fragen und überweisen den Kunden umgehend den gezahlten Betrag zurück auf das Konto. Hier muss die City geschlossen auftreten, keine unangemessenen Fragen, keine Gutscheine. Wer seine Kunden in schwierigen Situationen mit einem Lächeln verabschiedet, kann sicher sein, dass er wiederkommt. Das muss ausnahmslos von allen praktiziert werden.Gemeinsame Aktionen
Zum Beispiel eine Saisoneröffnung im Frühjahr mit Blumen in allen Schaufenstern der Innenstadt oder ein gemeinsamer "Mid-Saison-Sail" als Preisaktion außerhalb der Schlussverkäufe. Das bündelt die Aufmerksamkeit.Auch ein abgestimmtes Verhalten in der Werbung kann Sinn machen.Wenn 26 Händler jeweils zwei Mal im Jahr ein ganz verrücktes Angebot bringen, dann haben die Kunden 52 Wochen im Jahr einen Grund, die City zu besuchen.Ein gemeinsamer Adventskalender, jeden Tag ein anderes Angebot aus einem anderen Geschäft, davon profitieren alle.Das Gleiche gilt für die Vergütung von Parkgebühren, entweder alle oder keiner.Auftreten als Gemeinschaft
Am besten lässt sich das durch eine gemeinsame Gutscheinkarte demonstrieren. Eine Gutscheinkarte, die wie eine Geldkarte aufgeladen wird und in allen Geschäften der Innenstadt als Zahlungsmittel angenommen wird. Das ist die Freiheit, die der Kunde sich wünscht. Wenn das alles umgesetzt ist, beginnt die digitale Erweiterung des Handels.
Kundendaten sammeln - aber wie?
Die digitale Revolution basiert auf Daten. Jeder Kunde hinterlässt bei jedem Einkauf, bei jedem Blick ins Netz, seinen digitalen Fingerabdruck. Amazon kennt seine Kunden nach wenigen Bestellungen oft besser als der Händler vor Ort nach vielen Jahren. Haben Sie einem guten Kunden schon mal zum Geburtstag gratuliert, vielleicht mit einem Coupon und 10% Rabatt für den nächsten Einkauf? Dazu braucht der Händler die Daten des Kunden. Je größer und je breiter der Datenschatz angelegt ist, desto aussagekräftiger ist er.
Aus einer Innenstadt können vielfältige Daten gewonnen werden, die dann auch durch die Breite des Angebots erst ein aussagekräftiges Gesamtbild ergeben. Dazu braucht es aber die Einkaufskarte. Die Kunden stehen diesen Karten offen gegenüber, wenn ein gewisser Mehrwert damit verbunden ist. Punkte sammeln heist der neue Volkssport. Payback, Deutschland Card und andere machen es vor. Das ist so etwas wie das kleine Sparkonto, von dem niemand was weiß. Sie lernen dafür Ihre Kunden viel besser kennen. Sie wissen, wann wer Geburtstag hat, wie viel Ihre besten Kunden bei Ihnen ausgegeben haben und Sie wissen auch genau was dieser Kunde bei Ihnen gekauft hat. Sie kennen sogar die genaue Altersstruktur ihrer Kundschaft. Je genauer die Daten erfasst und ausgewertet werden, desto größer ist die Aussagekraft. Hier ist professionelle Hilfe angesagt.
Der Auftritt im Internet
Der nächste Schritt ist der gemeinsame Auftritt im Internet. Dazu gehört eine aussagekräftige Web-Seite der gesamten City, mit Links zu allen Händlern der Innenstadt. Hier zeigt sich ganz kompakt, die Vielfalt im Angebot. Auch die Gastronomie darf nicht fehlen. Dabei gehe ich davon aus, dass jeder Anbieter zumindest mit einer aussagekräftigen Homepage bereits im Netz vertreten ist. Das ist seine Visitenkarte und möglicherweise auch schon der Eingang zu seinem Online-Shop.Nicht jeder Händler muss zwingend gleich einen Web-Shop betreiben, aber er muss sich zumindest damit beschäftigen. Es hat sich herausgestellt, dass immer mehr Kunden erst im Internet recherchieren und dann stationär kaufen. Man will wissen, ob der gesuchte Artikel verfügbar ist und was er kostet. Dabei spielt der unterste Preis nicht unbedingt die ausschlaggebende Rolle. Wer nur den niedrigsten Preis sucht, gehört sicher nicht zu Ihrer Zielgruppe.
Wichtiger sind die Verfügbarkeit der Ware, aktuelle Öffnungszeiten, Wegbeschreibung und Parkmöglichkeiten. Wer das nicht bieten kann spielt auch in den Überlegungen der Kunden keine Rolle. Der Kunde hat Sie sprichwörtlich nicht mehr auf dem Schirm.
Noch präsenter ist die Innenstadt mit einer eigenen App. Ein Klick führt direkt vom Desktop auf die Landingpage. Eine aktuelle App kann den Traffic schnell nach oben schießen lassen und die Conversion Rate nachhaltig beeinflussen. Wer lokale Nachrichten über die Online-Ausgabe der Tageszeitung anbieten kann, wer mit aktuellen Sportnachrichten aufwartet, mit Veranstaltungshinweisen, Kinoprogramm und Öffnungszeiten der Apotheken, der kann davon ausgehen, dass die App zum täglichen Programm gehört. Das kostet möglicherweise eine 450 € Kraft zur Pflege und Aktualisierung der Daten, aber der Aufwand lohnt sich.
Lieferservice oder Regal?
Zum guten Schluss muss auch die Logistik funktionieren. Ein gemeinsamer Lieferdienst muss organisiert werden. Der Kunde muss ja nicht für jedes Paket separat angefahren werden. Wenn es schnell gehen muss kann auch ein Fahrradkurier die Lieferung übernehmen. Das ist preiswert und umweltfreundlich. So etwas lässt sich auch immer gut in der Öffentlichkeit darstellen.
Benjamin Otto hat uns noch einen Rat mit auf den Weg gegeben. Die digitale Generation, so sagte er, tickt noch einmal ganz anders. In ihrer vernetzten Welt ist sie permanente Inspiration gewöhnt.
Wir werden nur dann an diese Generation verkaufen können, wenn wir den Lebensstil und das Kaufverhalten dieser Generation verstehen und in unserem Geschäft umsetzen. Da ist viel Wahres dran. Der Kontakt zum Kunden endet nicht an der Ladentüre und auch nicht beim Verlassen des Online-Shops. Heute muss ein Händler, der die junge Generation erreichen will, auch in den sozialen Netzwerken aktiv sein. Jedes "Like" ist bares Geld wert. Ein Blogg gibt Einblicke hinter die Kulissen und macht aus Kunden Follower. Nur wer bei der digitalen Generation ständig präsent ist, wird als gleichwertiger Partner wahrgenommen.
Die Stadt Wuppertal geht mit ihrem Projekt "Online-City" den Weg noch konsequenter. Im November 2014 startete der Einzelhandel dort einen gemeinsamen Online-Shop mit 24 Anbietern und rund 300 Artikeln. Noch vor Weihnachten stieg die Zahl der Händler auf 40 und die Produktpalette ist mit über 3.000 Artikel fast explodiert. Click&Collect wird angeboten, genauso wie Same-Day-Delivery. Dazu ist eine zentrale Abholstation geplant, die auch nach 20:00 Uhr noch erreichbar ist.Die Gemeinschaft der Händler, auch als "Interessengemeinschaft 2.0" bezeichnet, hat einen regen Austausch in einer geschlossenen Facebook-Gruppe begonnen. Dort werden schon jetzt weitere Ideen für gemeinsame Kundenveranstaltungen geschmiedet. Das ganze wird begleitet von einem "Reatail Lab", einem Versuchslabor für Multi-Channel-Verkaufsprojekte in der Innenstadt. Da gibt es Shop-in-Shop-Flächen für Online-Händler, Pop-up-Stores und eine zentrale Anlaufstelle für Kunden und Händler.
Für dieses Projekt werden die Wuppertaler am 29.1.2015 in Frankfurt von der "German Council of Shopping Centers"mit einem der Europäischen Innovationspreise ausgezeichnet. (bw)