Stellen Sie sich einmal vor, IBM hätte im ersten PC proprietäre Chips statt gängige Komponenten verwendet: Es hätte nie einen Markt für PC-Klone gegeben und nicht Microsoft, sondern IBM wäre heute wahrscheinlich der größte Anbieter im IT-Markt. Oder was wäre geschehen, hätte Steve Jobs nie die Forschungseinrichtung Xerox PARC besucht und dort erstmals grafische Benutzeroberflächen gesehen, die er später mit dem Macintosh kommerzialisierte? Hätte es Microsoft Windows gegeben?
Jede Industrie hat ihre Meilensteine, die ihre weitere Entwicklung für immer geprägt haben. Dies gilt ganz besonders für die IT-Branche, die sich seit ihren Anfängen rapide verändert hat. Lesen Sie, welche Ereignisse und Techniken es unserer Meinung nach waren, die der Entwicklung einen neuen Lauf gegeben haben und uns auch künftig beschäftigen.
Apples NeXT move
Ende der 90er Jahre hatte Apple große Probleme. Der Glanz früherer Jahre war verblasst, die Marktanteile sanken und Windows NT und Windows 95 hatten das Betriebssystem "Mac OS" funktional und technisch überholt. Apples ganze Hoffnungen ruhten zu dem Zeitpunkt auf einem neuen Betriebssystem, Codename "Copland", an dem der Hersteller seit einiger Zeit unter größter Geheimhaltung arbeitete.
Doch als nach zehn Jahren Entwicklungsarbeiten immer noch kein Release-Kandidat in Sicht war, traf der damalige CEO Gil Amelio eine Entscheidung, die den Computerbauer tief verändern sollte: Statt weiter auf Copland zu warten, kaufte Apple im Jahr 1996 das Startup NeXT, das nicht nur ein Unix-basierendes Betriebssystem entwickelte, sondern auch vom einstigen Apple-Mitbegründer Steve Jobs geleitet wurde.
Wieder vereint mit Apple, übernahm Jobs das Ruder und erfand in den folgenden Jahren das Unternehmen neu. Neben dem Betriebssystem "Mac OS X" zählen der iMac, der iPod sowie Server, Workstations und Laptops zu seinen Verdiensten. Ohne NeXT wäre Apple vermutlich nie wieder zur Kultfirma geworden, die sie heute ist.
Xerox und der Kampf um freie Software
Sie glauben, Sie haben Druckerprobleme? Dann stellen Sie sich einmal vor, wie es 1980 im Massachusetts Institute of Technology (MIT) zuging. Die Wissenschaftler in der Abteilung für Künstliche Intelligenz hatten einen der damals noch neuen Laserdrucker von Xerox bekommen. Allerdings war dieser auf einem anderen Stockwerk installiert worden. Wollte ein Mitarbeiter wissen, ob ein Druckauftrag beendet war, musste es jedes Mal zum Gerät hinaufsteigen und nachschauen.
Das wurde einem damaligen "MIT-Hacker" zu bunt und er modifizierte die Druckersoftware so, dass Anwender automatisch eine E-Mail erhielten, wenn der Druckauftrag beendet war. Solche Tricks hatte der Mann schon bei älteren Xerox-Druckern angewendet. Alles, was er dafür brauchte, war der Quellcode der Druckersoftware. Doch dieses Mal bekam er Ärger: Mit dem Verweis auf Urheberrechte und das Betriebsgeheimnis wollte Xerox den Code des neuen Druckers nur nach der Unterzeichnung einer Vertraulichkeitsvereinbarung (Non disclosure agreement) herausgeben - ein bis dato absolutes Novum beim Umgang mit Software.
Der betroffenen Hacker am MIT war kein geringerer als Richard Stallman, dessen Kritik an Xerox wesentlich zum Entstehen der Open-Source-Bewegung beitrug. Stallman erklärte fortan proprietärer Software den Krieg und gründete das "GNU Project" und die Free Software Foundation.
Microsoft kommt davon
Es war im Jahr 2000, als für kurze Zeit viele Mitglieder der IT-Gemeinde dachten, Microsofts Stündlein hätte geschlagen. Im Juni desselben Jahres hatte der streitbare Distriktrichter Thomas Penfield Jackson den Softwareriesen im Kartellprozess schuldig gesprochen, mit rechtswidrigen Methoden seine Monopolstellung auf dem PC-Markt zu verteidigen und eine ähnliche Rolle im Browsermarkt anzustreben. Jackson ordnete kurz darauf an, den Konzern in zwei Unternehmen zu zerschlagen (zu entflechten): eines für den Verkauf von Betriebsystemen, das andere für Anwendungen.
Doch so weit kam es bekanntlich nie. Schon im folgenden Jahr, wurde die von Microsoft als "Todesurteil" bezeichnete Entscheidung in einem Berufungsgericht aufgehoben. Man kann nur spekulieren, wie wohl die IT-Landschaft heute aussähe, hätte sich Richter Jackson durchgesetzt. So aber konnte Microsoft seine Entwicklung fortsetzen und Windows XP und Windows Vista auf den Rechner bringen.
Handspring läutet die Ära des Smartphones ein
Ende der 90er Jahr musste sich der Anbieter Palm, dem der Markt für Personal Digital Assistants (PDAs) zu verdanken ist, wachsender Konkurrenz erwehren, zu der auch Microsoft gehörte. Zu dieser Zeit verließ eine Gruppe von Palm-Managern das Unternehmen, um die Firma Handspring zu gründen, die der Palm-Plattform neues Leben einhauchen sollte.
Was machte Handspring anders als Palm? Nun, die PDAs ließen sich um Komponenten anderer Hersteller erweitern und ermöglichten dadurch Anwendern und Partnern neue Optionen. Statt beispielsweise auf einem PDA Telefonnummern nur zu verwalten, konnte man sie nun auch wählen. Ein Ergebnis dieser Produktstrategie war das Modul "VisorPhone", mit dem der PDA zu einem vollwertigen Handy wurde.
VisorPhone wurde in der Folge zum Kassenschlager und ließ Handspring Pläne für ein integriertes Produkt schmieden. Dieses kam 2001 mit dem "Treo" auf den Markt. Palm war von dem Konzept so beeindruckt, dass es 2003 Handspring kaufte. Für den bisherigen PDA war dies das Ende seiner einstmals glanzvollen Karriere bei Endanwendern. Die Zukunft sollte fortan dem "Smartphone" gehören, das PDA und Mobiltelefon in sich vereint.
Wie Spam in die Welt kam
Das ARPANet war der Vorläufer des heutigen Internets und wurde ab 1962 ursprünglich im Auftrag der US-Luftwaffe von einer kleinen Forschergruppe unter der Leitung des MIT und des US-Verteidigungsministeriums entwickelt. Forscher, Anbieter und andere Dienstleister der Regierung konnten über das Netz kommunizieren. E-Mail war dabei der wichtigste Dienst.
Eines Tages im Jahre 1978 glaubte Gary Thurek, Marketing-Mitarbeiter beim legendären Hersteller Digital Equipment Corp. (DEC), eine tolle Idee für die Nutzung dieses neuen Mediums zu haben: Statt jede E-Mail jeweils nur an einen Empfänger im ARPANet zu schicken, könnte man doch gleich alle vermeintlichen Adressaten informieren. Das wäre doch der einfachste und schnellste Weg, um jeden über eine damals geplante Mainframe-Präsentation bei DEC zu informieren, dachte sich Thurek.
Die Folge war das erste Massen-Mailing der IT-Geschichte oder negativ formuliert: das erste Auftreten von Spam, also unerwünschter E-Mails. Die zuständige Organe des ARPANet waren nicht begeistert. "Dies war eine schamlose Verletzung des ARPANets, das nur offiziellen Zwecken dienen darf", schrieb der damalige Leiter Raymond Czahor. Er kündigte zugleich entsprechende Maßnahmen an, um den Missbrauch von E-Mail künftig zu unterbinden. Sagen Sie uns Bescheid, Herr Czahor, wenn Sie die Lösung haben!
Microsoft Office drängt ins Büro
Waren Sie um das Jahr 1986 Besitzer eines PCs, dann hatten Sie vermutlich Programme wie "WordPerfect" oder "Lotus 1-2-3" installiert. Diese Anwendungen waren schnell, brauchten wenig Speicher und gehörten damals mit zum Besten, was es für DOS gab. Kaum ein Anwender konnte sich vorstellen, je zu den hausbackenen Microsoft-Programmen zu wechseln.
Doch der Erfolg von Windows sollte die Verhältnisse radikal ändern. Während bisherige PC-Software-Anbieter davon ausgingen, dass PC-Anwendungen die Wahl des Betriebssystems bestimmten, stellte Microsoft die Verhältnisse auf den Kopf. Als der Siegeszug der grafischen Benutzeroberfläche begann, gelang es Microsoft schnell, mit Word und Excel auch die entsprechenden Anwendungen für Windows bereitzustellen.
Um das Jahr 1990 bündelte der Hersteller diese beiden Programme bereits zusammen mit einem neuen Präsentationsprogramm namens "PowerPoint" und sprach fortan nur noch von einer Office Suite. Die ehemaligen Marktführer blieben hingegen beim Verkauf einzelner Anwendungen und weigerten sich Windows zu unterstützen. Das war eine tragische Fehlentscheidung. Bald schon wollten Anwender den Komfort der Office Suite nicht mehr missen und verhalfen Microsoft zur heutigen Vormachtstellung auf dem Desktop.
Louis Gerstner lässt IBM wieder auferstehen
Als Louis Gerstner 1993 zum CEO von IBM ernannt wurde, befand sich der ehemalige IT-Gigant in Auflösung begriffen. Mit 4,97 Milliarden Dollar hatte das Management kurz zuvor den höchsten Verlust in der US-Firmengeschichte melden müssen und begann infolge des versiegenden Mainframe-Geschäfts damit, Geschäftseinheiten aus dem Konzern herauszulösen.
Gerstner stoppte dieses Vorhaben und machte sich stattdessen daran, IBMs Geschäftsbereiche zu konsolidieren und auf Linie zu bringen. Zudem wurde das Softwaregeschäft ausgebaut und die darbende Unternehmenskultur wieder mit Leben erfüllt. Doch seine vielleicht wichtigste Entscheidung war der Schwenk vom reinen Produkt- zum Dienstleistungsgeschäft. Heute gehört IBM Global Services zu einem der profitabelsten Bereiche des Konzerns und steuerte 2007 einen Umsatz von 15 Milliarden Dollar bei.
Das Beispiel IBM machte Schule und ließ auch andere Hersteller, einschließlich Open-Source-Anbietern, das Support-Geschäft als neues Standbein entdecken. Gerstner gelang es, Big Blue wieder zu einem der führenden IT-Anbieter zu machen.
Wie die nackte Lenna Sjööblom ins Netz kam
Und eine weitere Entwicklung haben wir dem Internet-Vorgänger ARPANet zu verdanken: die erstmalige Verbreitung von Pornografie. Es war im Jahr 1973 als der Forscher Alexander Sawchuk von der University of Southern California ein Foto benötigte, um einen neu entwickelten Kompressionsalgorithmus für digitale Bilder auszuprobieren. Bei seiner Suche nach einer entsprechenden Vorlage stieß es schnell in seinem Institut auf das Foto von Lenna Sjööblom - der "Miss November 1972" im Playboy.
Man sagte, dass alles, was im Internet einmal veröffentlich wurde, dort für immer weiterlebt. Das Foto von Lenna überdauerte sogar das ARPANet und gehörte bis heute zum festen Bilderbestand im Forschungsabteilungen und natürlich des Internets.