Die Gesundheitsreform als Einstieg in den totalitären Wohlfahrtsstaat ?

15.01.2007 von Fiala 
PM Dr. Johannes Fiala und Dipl.-Math. Peter A. Schramm über die Versicherungspflicht für alle.

Wer als LKW-Fahrer nachts 13 Stunden am Steuer sitzt, wird ja sofort aus dem Verkehr gezogen, wenn er nicht vorher schon im Straßengraben aufgewacht ist. Der erneute Kompromiss zur Gesundheitsreform dürfte wohl auf ähnliche Weise mit vergleichbarem Ergebnis zustande gekommen sein.

Pflichtkrankenversicherung für alle (als Einstieg in die allgemeine Bürgerversicherung) soll nun die Bedenken der Privaten Krankenversicherung (PKV) zerstreuen, dass der Basistarif nur selektiv von Nichtversicherten erst bei eingetretener Krankheit abgeschlossen wird. Bei solchen Verschlimmbesserungen sollte man sich als PKV-Verband überlegen, ob man Meckern noch riskieren darf. Es wird ja auch niemand mehr über Kopfschmerz klagen, wenn als adäquate Lösung das Fallbeil droht.

Vor allem die Pflichtversicherung für alle erscheint verfassungsrechtlich erst recht bedenklich. Schließlich wird die Privatautonomie des Bürgers mehr als notwendig beschnitten. Es bedeutet ja nicht nur Sozialversicherung, sondern je nach Kundenkreis ggf. private Krankenversicherung - voraussichtlich kann man es sich eben nicht einfach aussuchen. Das wäre - nicht nur in der Sozialversicherung - erstmalig.

Wenn dies zulässig wäre, dann könnte man auch die Altersvorsorge in der sozialen oder privaten Rentenversicherung verpflichtend machen, sogar jegliche alternative Form wie die berufsständischen Versorgungswerke abschaffen. Auch hier würden Verfassungsrechtler an der Erforderlichkeit und an der Geeignetheit zweifeln.

Was heißt denn "für alle": Alle in Deutschland Wohnenden, alle Deutschen, alle Erwerbstätigen und ihre Angehörigen, wirklich alle oder wenigstens alle, denen die deutsche Justiz habhaft werden kann? Darf man dann ohne Nachweise der Krankenversicherung gar nicht mehr nach Deutschland einreisen?

Beim ausländischen Aupair-Mädchen ist die Pflichtkrankenversicherung bereits seit Jahrzehnten faktische Realität - dem Leistungsniveau entsprechend beträgt die Prämie ab 22 Euro/Monat. Der Basistarif aber auf hohem Leistungsniveau der gesetzlichen Krankenversicherung für alle würde bis zu ca. 530 Euro monatlich kosten dürfen.

Oder erhält man keinen Ausweis mehr, keine Arbeitsgenehmigung, keine Gewerbeanmeldung, oder erhält ein Bussgeld - und wenn man dies nicht bezahlt, eine Gefängniszelle, wenn man seiner Versicherungspflicht nicht ausreichend nachkommt? Wird dem Anwalt die Rechtsanwaltszulassung entzogen, wenn er ohne Krankenversicherung ist oder muss der private Bauherr prüfen, ob der Bauunternehmer auch krankenversichert ist? Darf man seine Krankenversicherung nicht mehr kündigen und auch der Krankenversicherer nicht kündigen, wenn man die Beiträge nicht bezahlt? In der privaten Pflegepflichtversicherung z. B. darf der Krankenversicherer heute schon auch nicht kündigen, wenn nur diese nicht bezahlt wird - die Fehlbeträge werden dann innerhalb der PKV ausgeglichen.

Es gibt z. B. so genannte Heilfürsorgeberechtigte, die - von Polizei, Feuerwehr oder Bundeswehr - im Krankheitsfall voll versorgt werden - diese haben heute gar keine Krankenversicherung.

Die Krankenversorgung der Bundesbahnbeamten (KVB) und die Postbeamtenkrankenkasse sind weder soziale Krankenkassen noch private Versicherungsunternehmen - die dort gegen Krankheit Abgesicherten benötigen aber weder eine gesetzliche noch eine private Krankenversicherung. Auch das "Werk gegenseitiger Hilfe im Verein Pfälzischer Pfarrerinnen und Pfarrer e.V.", der berufsständischen Vereinigung der Pfarrerinnen und Pfarrer der Ev. Kirche der Pfalz, ist eine soziale Selbsthilfeeinrichtung, die weder unter gesetzliche noch private Krankenversicherung fällt - ähnliche Einrichtungen kommen auch sonst vor. Das Versicherungsaufsichtsgesetz stellt diese ausdrücklich von der Versicherungsaufsicht frei.

Welche alternativen Absicherungen gegen den Krankheitsfall bleiben also künftig noch zulässig und führen dazu, dass die Betreffenden von der neu eingeführten allgemeinen Krankenversicherungspflicht unberührt bleiben?

Sodann stellt sich die Frage, ob denn auch der Umfang des Pflicht-Krankenversicherungsschutzes vorgeschrieben wird. Eine Pflicht ohne jeden vorgeschriebenen Mindestumfang würde ja praktisch ins Leere laufen - daher ist z. B. in der KFZ-Haftpflichtversicherung auch ein gesetzlicher Mindestumfang verbindlich vorgeschrieben, ohne den kein KFZ zugelassen oder sogar zwangsweise stillgelegt wird. Wenn man künftig auch nur eine Krankenversicherung in dem Umfang abschließen muss, die der Art nach der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht, dann reichen z. B. nur ambulante Leistungen mit 20.000 Euro Selbstbehalt und ggf. mit weiteren Ausschlüssen oder ein Krankentagegeld von 5 Euro - für den heutigen Arbeitgeberzuschuss (der gerade nicht auch noch auf eine Vergleichbarkeit mit der GKV der Höhe nach abstellt) wäre dies jedenfalls ausreichend. Wenn aber der Mindestumfang vorgeschrieben wird, dann ergeben sich weitere verfassungsrechtliche Bedenken - wie sie ebenso ja auch bereits gegen den über ein absolutes Mindestmass hinausgehenden Basistarif geäußert wurden.

Der Verfassungsrechtler wird sich jeden Pflicht-Leistungsbaustein ansehen, und für jeden wird sich die Frage des Übermaßverbotes stellen, und zwar aus der Sicht des Bürgers: "Politik für 82 Millionen Menschen" bedeutet auch ein bemerkenswertes Potential für den Weg bis zum Verfassungsgericht. Bereits eine Klage nur in einer Instanz genügt, um das Verfahren auszusetzen, und das Verfassungsgericht anzurufen, wenn der Richter die gesetzliche Regelung für nicht verfassungskonform hält.

Oder reicht z. B. auch eine private Krankenversicherung, die nur 50 oder 70 Prozent der Kosten erstattet, um der künftigen Versicherungspflicht nachzukommen? Soll evtl. eine 100prozentige Absicherung und dies auch noch über vorgeschriebene umfassende Leistungsbereiche vorgeschrieben werden? Dann müssten vielleicht sogar viele heute privat Krankenversicherte Ihre Versicherung teuer aufstocken, denen bisher ein geringerer Schutz genügt.

Ist aber Zahnersatz, der selbst auch in Luxusausführung nur 20.000 Euro (vergleichbar auch lediglich dem Preis eines einfachen Neuwagens) kostet, wirklich ein von niemandem finanzierbares existentielles Lebensrisiko, gegen das sich jeder zwangsweise versichern müsste? Selbst die gesetzliche Krankenversicherung zahlt hier ja nur einen prozentualen Zuschuss, der auch noch von der wirtschaftlichsten Kassenausführung ausgeht. Ärzte benötigen wegen der Behandlung durch Kollegen nicht unbedingt einen Schutz gegen ambulante Arzthonorare und Apotheker keinen gegen Arzneimittelkosten, Zahnärzte keinen gegen Zahnbehandlungskosten oder Zahnersatz - wie man an entsprechenden PKV-Angeboten erkennt. Und für die Brille hat der Gesetzgeber bereits festgestellt, dass jeder sie gut selbst bezahlen kann, und sie deshalb aus dem Leistungskatalog der GKV weitestgehend herausgenommen.

Des weiteren gibt es die Beihilfe - Beihilfeberechtigte benötigen ohnehin nur einen ergänzenden Schutz maximal in Höhe des Betrages, der die prozentuale Erstattung (z. B. 50 Prozent, 70 Prozent oder bei Kindern 80 Prozent) der Beihilfe übersteigt. Bisher ist es allgemeine Rechtsmeinung, dem Beamten stünde frei, wie er sich darüber hinaus absichert, also z. B. auch durch eigenes Vermögen statt zusätzlicher privater Versicherung. Soll er nun verpflichtet werden, die gesamte Differenz zu 100 Prozent privat abzusichern?

Auch hierin kann auf Seiten der PKV-Versicherer ein verfassungsrechtlich nicht mehr tolerierbares Sonderopfer liegen, denn die Pflicht heute nicht mehr in der PKV versicherbare Kunden in entsprechende Tarife aufnehmen zu müssen, bedeuteten oftmals sichere Verluste für den Versicherer - und damit dürfte die Grenze der Sozialbindung des Eigentums längst überschritten sein. Aber auch klagefreudige Beamten werden einer solchen Entmündigung - wie allerdings erfolglos schon bei der zwangsweisen Einführung der Pflegepflichtversicherung - ggf. bis vor das Bundesverfassungsgericht entgegentreten.

Die Versicherten der KVB (Krankenversorgung der Bundesbahnbeamten) erhalten von dort teilweise 100 Prozent, teilweise nur 90 Prozent mit weiteren Beschränkungen. Die meisten dort Versicherten haben und brauchen keine zusätzliche private Absicherung - soll sich dies ändern oder sind teilweise nur 90 Prozent weiterhin ausreichend?

Beihilfe gibt es nicht nur für Beamte, sondern jeder Arbeitgeber ist frei - und dies wird auch praktiziert - seinen (z. B. auch den nicht pflichtversicherten) Arbeitnehmern eine Beihilfe im Krankheitsfall - z. B. nach dem Vorbild der Beamtenbeihilfe - zuzusagen. Dies ist ausdrücklich nach dem SGB V zum Beispiel für Lehrer an Privatschulen vorgesehen und wird auch in weitem Umfang praktiziert und sogar vom Staat im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen Finanzierung von Privatschulen gefördert. Die Abschaffung dieser Möglichkeit, für Lehrer an zunehmend gefragteren Privatschulen vergleichbare Bedingungen wie für Lehrer an öffentlichen Schulen zu ermöglichen, würde u. U. sogar in die verfassungsrechtlich ausdrücklich vorgeschriebene Existenzberechtigung dieser Schulformen eingreifen. Sollen nun auch die - von manchen Politikern u. U. unbeliebten - Privatschulen zurückgedrängt werden, indem es für sie schwieriger gemacht wird, geeignete Lehrkräfte zu dem öffentlichen Dienst vergleichbaren Bedingungen anzustellen?

Sollen solche Möglichkeiten liberalerer freiwilliger Vorsorge für den Krankheitsfall abgeschafft werden oder sollen die Beihilfeberechtigten, die möglicherweise dadurch ja bereits ausreichend abgesichert sind - ebenfalls zu einer privaten oder sozialen Pflichtversicherung in einem vorgeschriebenen Umfang gezwungen werden?

Es drängt sich geradezu der Verdacht auf, dass für die PKV hier als Ersatz für verlorengegangene Marktchancen neue Pfründe gesichert werden sollen, indem zusätzliche bisher anderweitig abgesicherte Personenkreise zu einer privaten Krankenversicherung gezwungen werden - zulasten bisher verbreiteter liberaler anderer Absicherungsformen. Soll die PKV auf diese Weise anderweitig für verlorengehende Kunden entschädigt werden? Des weiteren wäre es ein zusätzlicher Vorteil für die privaten Krankenversicherungsunternehmen, wenn jeder Versicherte zudem noch zu einem im Einzelfall gar nicht benötigten umfangreichen Mindestumfang seiner Versicherung gezwungen wird - z. B. prozentuale und absolute Selbstbehalte oder der Verzicht auf bestimmte Leistungen nur noch in geringem Ausmaß zulässig wären. Die zusätzliche Beitragseinnahme daraus könnte den Rückgang der Neuzugänge durch die verschärften Anforderungen an die Versicherungsfreiheit in der GKV ausgleichen - die völlige Versicherungsfreiheit würde ohnehin abgeschafft.

Dessen ungeachtet rechnen Experten damit, dass sich mancher PKV-Anbieter aus wirtschaftlichen Gründen wird gezwungen sehen, den Rückzug anzutreten.

So stellen sich weitreichende praktische Umsetzungsfragen und verfassungsrechtliche Bedenken. Berührt sind beispielsweise die Fragen nach der Gleichbehandlung und die Grenzen zulässiger Enteignung. Solange die Gesundheitsreform einzig Regelungen für private und die gesetzliche Krankenversicherungen schaffen sollte, konnten diese nun auftretenden Fragen außen vor bleiben. Eine Versicherungspflicht "für Alle" - und dies nur in der gesetzlichen oder der privaten Krankenversicherung - tangiert jedoch weite Bereiche heute bestehender Modelle außerhalb dieser beiden Versicherungsformen, die nun nicht einfach zugunsten der gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung abgeschafft werden können, ohne neue verfassungsrechtliche Bedenken aufzuwerfen.

Man kann beinahe vermuten, dass die private Versicherungswirtschaft - die auch bereits eine für Jeden gesetzlich verpflichtende private Altersvorsorge gefordert hat - einen staatlichen Zwang - womöglich mit Bußgeld, Ausschreibung zur Fahndung und Gefängnisandrohung unterlegt - zum Abschluss privater Versicherungsverträge sogar als wünschenswert sieht - ein Weg in den totalitären Wohlfahrtsstaat (in den dann auch Privatversicherer sich einbinden lassen, um zu überleben). Dass die Wirtschaft bei solchen politischen Entwicklungen durch gewährte Vorteile gewonnen wird, hat man auch früher bereits erlebt. Vielleicht wird dann ja irgendwann zur Sicherung des sozialen totalitären Wohlfahrtsstaates die Dreikindfamilie vorgeschrieben und werden als krankhaft asozial abgestempelte Singles zur Besserung in stacheldraht- und elektrozaungesicherte Familienertüchtigungslager eingewiesen? (Peter Schramm/Johannes Fiala/mf)

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