Omni-Channel-Strategie & mehr

Die Digitalisierung fordert den Handel

01.07.2015 von Heinrich Vaske
Der Handel ist durch die digitale Transformation extrem gefordert. Eine Umfrage zeigt, wie groß die Sorgen sind.

Die digitale Transformation ist in aller Munde. Betroffen sind alle Branchen, doch der Handel steht unter besonderem Druck. Händler müssen eine Balance zwischen stationärem und Online-Handel finden, die Auftragsabwicklung in den Griff bekommen und dabei noch ein ansprechendes Einkaufserlebnis bieten. Insbesondere Unternehmen, die auch einen stationären Handel haben, fällt es schwer, die Prozesse sinnvoll mit denen des Online-Geschäfts zu verquicken und die Logistik zu beherrschen.

Obwohl es für den Handel überlebenswichtig ist, den Kunden Shopping-Erlebnisse auf allen Kanälen zu ermöglichen, laufen die Prozesse meistens nicht rund. Komplexität und Kosten sind die größten Probleme.
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Viel Aufwand durch Multi-Channel-Ansätze

Einer weltweiten Umfrage zufolge sehen es 35 Prozent der CEOs von Handelskonzernen als größte Herausforderung, ihre Kunden in einer "Multi-Channel-Welt" über alle Kanäle hinweg anzusprechen und zu bedienen. Kaum weniger (34 Prozent) sorgen sich um die Zukunft ihrer Ladenketten und sehen hier in den Prozessanpassungen eine besondere Herausforderung.

33 Prozent fürchten die Kosten, die entstehen, weil Kunden besondere Anforderungen an ein "Omni-Channel-Fulfillment" stellen. Erwartet werden kurzfristige Lieferungen zu kleinen Kosten, was besondere Herausforderungen an Infrastruktur und Logistik bedeutet. Das Beispiel von Amazon.com, das mit hauchdünnen Gewinnmargen operiert und dabei nicht einmal ein Ladengeschäft am Bein hat, spricht Bände.

Die drei größten Herausforderungen durch den Omni-Channel-Handel bestehen darin,

Die Umfrage wurde weltweit von PwC vorgenommen, Auftraggeber war der auf Handelslösungen spezialisierte Softwareanbieter JDA Software. Befragt wurden 410 CEOs und Top-Führungskräfte in Nord- und Mittelamerika, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, China, Japan und Australien. Drei Viertel der Antworten kamen aus den 1.000 weltweit größten Handelsunternehmen.

Priorität auf neue Kundenservices und Fulfillment

Gefragt nach den drei wichtigsten Maßnahmen, um innerhalb der nächsten zwölf Monate die Geschäftsprozesse zu verbessern, wollen 57 Prozent in neue Kundenservices und 56 Prozent in die Auftragsabwicklung investieren. 53 Prozent planen, die Flächen ihrer stationären Läden umzugestalten oder zu reduzieren, um der Expansion im Online-Handel mehr Aufmerksamkeit und finanzielle Mittel widmen zu können.

Damit Kunden nicht aus dem Online-Shop flüchten - drei Tipps
3. Individuell statt Standard
Nicht jeder Shop-Besucher gleicht dem anderen. Halten Sie verschiedene Exit-Intent-Popups vor und spielen Sie diese userabhängig aus.
2. Der Kunde ist König
Überlassen Sie dem Nutzer die Kontrolle. Das heißt: Zeigen Sie offensichtlich, wo der User das Fenster wieder schließen kann oder bieten Sie einen amüsant gestalteten "Nein, danke"-Button an.
1. Weniger ist mehr
Senden Sie EINE klare Botschaft und machen Sie auf den ersten Blick deutlich, was der Nutzer davon hat, wenn er klickt oder seine E-Mail-Adresse eingibt.

So umfassend die Aufgaben bei der Omni-Channel-Transformation auch sind, die Entscheider im Handel quälen noch weitere Sorgen. Vielen setzt der harte Wettbewerb durch neue Player auf dem Markt zu. Außerdem befürchten zwei Drittel, dass sie sich online wie stationär mit Services wie Same Day oder Next Day Delivery verzetteln werden. 40 Prozent fürchten sogar, "stark betroffen" zu sein. Hinzu kommen nicht beeinflussbare Faktoren wie volatile Material- und Energiekosten (38 Prozent) sowie Währungsschwankungen (40 Prozent).

Obwohl es für den Handel überlebenswichtig ist, den Kunden Shopping-Erlebnisse auf allen Kanälen zu ermöglichen, laufen die Prozesse meistens nicht rund. Das sieht man auch daran, dass die wenigsten Konzerne in der Lage sind, Gewinne auszuweisen. Nur 16 Prozent aller Befragten (und nur 19 Prozent der 250 größten Unternehmen) erreichen die Gewinnzone im Omni-Channel-Handel.

Profitabel arbeiten die wenigsten

Profitabilität ist die größte Herausforderung, denn die Kosten steigen schneller als der Umsatz. 67 Prozent der Befragten geben an, dass der finanzielle Aufwand für die Abwicklung von Omni-Channel-Bestellungen größer werde. Gefragt nach den Kostentreibern, nennen 71 Prozent das Handling von Online-Retouren oder Rückläufern im Laden. Kaum weniger (67 Prozent) beklagen hohe Kosten für den Direktversand und 59 Prozent den Versand an ein Ladengeschäft für Click&Collect-Services. Die Korrelation zwischen den Herausforderungen im Omni-Channel und der mangelnden Profitabilität zeigt, wie groß die Not ist.

Ein Beispiel konkretisiert, was diese Zahlen im Hinblick auf profitable Prozesse bedeuten. Jennifer, Mutter dreier Kinder aus München, entdeckt einen schicken Pullover auf ihrem Smartphone, während sie in ihrem Auto wartet. Ihr gefällt auch die kostenlose Lieferung innerhalb von zwei Werktagen, die der Händler verspricht, und sie bestellt sofort. Der Händler muss nun die Optionen abwägen, wie er den Pullover innerhalb dieses Zeitfensters so profitabel wie möglich zu Jennifer bringt.

Zuerst lokalisiert er sechs Pullover in der gewünschten Größe und Farbe in einem Geschäft in Regensburg. Doch der Händler vor Ort weiß durch geeignete Vorhersagelösungen, dass sein Laden am Wochenende stark frequentiert sein wird. Eine Bestandsverringerung würde sich negativ auf den dortigen Umsatz auswirken.

Als nächstes findet der Händler die Ware in einem Distribution Center in Polen. Aber die Servicevereinbarungen mit dem zuständigen Logistikdienstleister würden die Lieferung in zwei Tagen so verteuern, dass der Verkauf nicht profitabel umgesetzt werden könnte. Zu guter Letzt stellt der Händler fest, dass der Hersteller des Pullovers aus Hamburg einen Zwei-Tages-Versand als Promo-Aktion anbietet und entscheidet, das Kleidungsstück von dort aus direkt zu versenden. Es ist die beste und profitabelste Option und erfüllt die Lieferzusage. Nur wenn der Händler über ein integriertes System für die Auftragsabwicklung verfügt, wird er diese und weitere Möglichkeiten schnell oder sogar automatisch evaluieren und umsetzen können.

Die gnadenlosen Killerphrasen der Kunden

"Das ist aber alles andere als ein Schnäppchen!"

"Letzlich entscheidet der Preis, ob wir zusammenkommen!"

"Sie sind mindesten 20 Prozent teurer als der Wettbewerb!"

"Jetzt packen Sie die alle einfach mal aus. Dann können wir morgen über günstige Ausstellungsstücke reden."

"Ein Bekannter hat vielleicht die Hälfte dafür bezahlt."

"Wie ist denn der Preis, wenn Sie die "vergoldete" Verpackung weglassen?"

"Das ist doch eh ein Auslaufmodell."

"Sie wissen doch so gut wie ich, dass nach einem halben Jahr der Preis um die Hälfte runtergeht."

"Das gibt es doch bestimmt gebraucht wesentlich günstiger, oder?"

"Sie haben ein Geschäft – ich habe hunderte."

"Jetzt versuchen Sie es bitte nochmal mit Kopfrechnen."

"Hallo? Ich möchte nicht gleich den ganzen Laden kaufen!"

"Holen Sie mir mal den Chef ran!"

"Was muss denn passieren, damit Sie mit dem Preis runtergehen?"

"Über den Wartungsvertrag reden wir dann morgen."

"Das ist jetzt nicht Ihr Ernst, oder?"

"Ich kaufe doch schon so lange bei Ihnen ein."

"Sie wollen doch auch mal einen Großauftrag von uns bekommen, oder?"

"Ich wette, dass Ihr Kollege dort drüben wesentlich billiger ist."

"Sie kennen wohl geizhals.at nicht, was?"

"Und ich dachte immer, Sie hätten die besten Preise weit und breit."

"Da kann ich ja gleich in der Apotheke einkaufen."

"Ist doch nicht mein Problem, wenn Sie zu teuer einkaufen!"

"Jetzt kommen Sie mir nicht wieder mit Ihren Mondpreisen!"

"Für so was habe ich noch nie mehr bezahlt."

"Warum kostet das denn soviel? Das kommt doch eh alles aus China."

"Bei meinem Umsatz mit Ihnen müssen fünf Prozent Rabatt locker drin sein!"

"Der Preis muss schon knackig sein, wenn Sie im Rennen bleiben wollen."

"Ich empfehle nur jene weiter, die mir einen guten Preis machen."

"Sie wollen doch Folgegeschäfte mit mir machen, oder?"

"Jetzt nennen Sie mir einfach mal den Projektpreis dafür."

"Dafür verdienen Sie doch an allem anderen sehr gut."

"Im Internet habe ich das viel billiger gesehen!"

"Wie sagt man so schön: A bisserl was geht immer!"

"Wollen Sie mich nun als Kunden oder nicht?"

"Welche günstigeren Alternativen haben Sie denn?"

"Für Service zahle ich prinzipiell nichts."

"Hopp oder topp – mehr zahle ich nicht."

"Ich weiß genau, dass Sie da immer noch gut daran verdienen."

"Reden wir nicht lange rum: Was ist Ihr bester Preis?"

"Ich bin ganz Ohr, was Ihr Entgegenkommen anbelangt."

"Sie sind doch sicherlich an einer längerfristigen Zusammenarbeit interessiert, oder?"

"Rechnen Sie bitte nochmal mit spitzem Stift nach."

"Das liegt weit über meinem Budget."

"Ihr Angebot liegt weit über dem der anderen."

"Ich bin sicher, dass das nicht Ihr letztes Wort war."

"Ohne ein Entgegenkommen wird das nichts mit uns!"

"Warum sind Sie eigentlich so viel teurer als andere?"

"Was kostet es, wenn ich 300 Stück abnehme?" (wohlwissend, dass der Bedarf bei zwei Stück liegt)

"Sehen Sie, mir ist das letztlich doch eh egal, von wem ich das kaufe."

"Das kann ich woanders viel billiger kaufen!"

Nur nicht den Anschluss verlieren

Einkäufe wie in diesem Beispiel gibt es jeden Tag zu Tausenden über alle Produktkategorien hinweg. Händler und Hersteller von Konsumgütern sind dabei, ihren Kunden den Einkauf über verschiedene Kanäle hinweg zu ermöglichen. Aber Komplexität und Kosten im Fulfillment sind hartnäckige Gegner.

Hinzu kommt der Zwang, die Augen für Veränderungen offen zu halten und innovativ zu sein. 71 Prozent sagen, dass dies eine ihrer wichtigsten oder gar die wichtigste Aufgabe sei. Unter den 250 größten Händlern aus der Befragung setzen 34 Prozent das Thema Innovation auf Platz eins. Diese Führungskräfte stellen dementsprechend Budgets dafür bereit. Sie investieren durchschnittlich 29 Prozent der Mittel für 2015 in die Verbesserung ihres Omni-Channel Fulfillment - 61 Prozent mehr als 2014.

Die große Mehrheit von 88 Prozent will vorrangig in den Bereich Transport und Logistik investieren. Es geht darum, die Probleme zu beseitigen, die Rücksendungen und Rückläufer betreffen, aber auch den Direktversand an Kunden und den Transport in die stationären Läden für Click&Collect-Services.

Sortiment und Warenbestand

Der nächste Punkt auf der To-Do-Liste ist für 85 Prozent eine "fundierte Prozessumsetzung": Dabei geht es darum, den Kunden das richtige Sortiment und den richtigen Warenbestand anbieten zu können. Hohe Verfügbarkeit bei vollständiger Kostenkontrolle ist das Ziel. CEOs sehen in der Warenplanung, einem transparenten Warenbestand, der Produktpositionierung, dem Regalflächen- und Bestands-Management sowie der flexiblen Umsetzung der Fulfillment-Optionen die wichtigsten Aufgaben, die sie momentan nicht erfüllen können. Es klafft eine Lücke zwischen Planung und Umsetzung, die es im Omni-Channel unbedingt zu schließen gilt. Dabei wissen die befragten Führungskräfte, dass es eine Kluft zwischen den Kundenerwartungen und ihrem aktuellen Angebot gibt, die sie überbrücken müssen. Und sie investieren 2015 signifikant in diesen Bereich.

Gefragt nach Angeboten, die nötig wären, um die Kundenerwartungen im Omni-Channel zu erfüllen, gab es zwei Spitzenreiter: Versandoptionen wie Next-Day- oder Crowd-Sourcing-Delivery (36 Prozent) und ein unkomplizierter Verfügbarkeits-Check für Waren im Laden oder Webstore (34 Prozent). Nur rund ein Viertel der Befragten behaupten, diese Erwartungen bereits erfüllen zu können. Und selbst wenn das der Fall ist, ist erst eine Hürde von mehreren genommen. Jetzt folgt die wirtschaftlich rentable Umsetzung. Wie erwähnt ist dazu momentan nur einer von fünf CEOs in der Lage.

E-Commerce-Leiter in der Pflicht

Auf die Frage, welche Führungsposition in den nächsten drei bis fünf Jahren die Omni-Channel-Strategie und die Investitionen verantwortet, zeigt sich eine gleichmäßige Verteilung auf alle Positionen. 27 Prozent glauben, dass der Leiter E-Commerce/Digital die Verantwortung trägt, da Omni-Channel-Strategien ihre Wurzeln im Online-Business haben. 26 Prozent finden, der Supply-Chain-Verantwortliche sei in der Pflicht. Weitere 25 Prozent meinen, darum müsse sich der CEO selbst kümmern.

Bei allen Problemen, die Omni-Channel-Strategien mit sich bringen, gibt es auch eine gute Nachricht: Die Führungskräfte wissen um die Herausforderungen und wollen – bestärkt durch die steigenden Umsatzerwartungen dieses Jahr - investieren, um sie anzugehen.