Die digitale Transformation ist in aller Munde. Betroffen sind alle Branchen, doch der Handel steht unter besonderem Druck. Händler müssen eine Balance zwischen stationärem und Online-Handel finden, die Auftragsabwicklung in den Griff bekommen und dabei noch ein ansprechendes Einkaufserlebnis bieten. Insbesondere Unternehmen, die auch einen stationären Handel haben, fällt es schwer, die Prozesse sinnvoll mit denen des Online-Geschäfts zu verquicken und die Logistik zu beherrschen.
Viel Aufwand durch Multi-Channel-Ansätze
Einer weltweiten Umfrage zufolge sehen es 35 Prozent der CEOs von Handelskonzernen als größte Herausforderung, ihre Kunden in einer "Multi-Channel-Welt" über alle Kanäle hinweg anzusprechen und zu bedienen. Kaum weniger (34 Prozent) sorgen sich um die Zukunft ihrer Ladenketten und sehen hier in den Prozessanpassungen eine besondere Herausforderung.
33 Prozent fürchten die Kosten, die entstehen, weil Kunden besondere Anforderungen an ein "Omni-Channel-Fulfillment" stellen. Erwartet werden kurzfristige Lieferungen zu kleinen Kosten, was besondere Herausforderungen an Infrastruktur und Logistik bedeutet. Das Beispiel von Amazon.com, das mit hauchdünnen Gewinnmargen operiert und dabei nicht einmal ein Ladengeschäft am Bein hat, spricht Bände.
Die drei größten Herausforderungen durch den Omni-Channel-Handel bestehen darin,
Kunden eine lückenlose und abgestimmte Einkaufserfahrung über alle Kanäle zu bieten,
sich zu überlegen, welche Rolle der stationäre Laden im Handelsprozess spielen soll, und
die Komplexität und die hohen Kosten in der Auftragsabwicklung (Fulfillment) in den Griff zu bekommen.
Die Umfrage wurde weltweit von PwC vorgenommen, Auftraggeber war der auf Handelslösungen spezialisierte Softwareanbieter JDA Software. Befragt wurden 410 CEOs und Top-Führungskräfte in Nord- und Mittelamerika, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, China, Japan und Australien. Drei Viertel der Antworten kamen aus den 1.000 weltweit größten Handelsunternehmen.
Priorität auf neue Kundenservices und Fulfillment
Gefragt nach den drei wichtigsten Maßnahmen, um innerhalb der nächsten zwölf Monate die Geschäftsprozesse zu verbessern, wollen 57 Prozent in neue Kundenservices und 56 Prozent in die Auftragsabwicklung investieren. 53 Prozent planen, die Flächen ihrer stationären Läden umzugestalten oder zu reduzieren, um der Expansion im Online-Handel mehr Aufmerksamkeit und finanzielle Mittel widmen zu können.
So umfassend die Aufgaben bei der Omni-Channel-Transformation auch sind, die Entscheider im Handel quälen noch weitere Sorgen. Vielen setzt der harte Wettbewerb durch neue Player auf dem Markt zu. Außerdem befürchten zwei Drittel, dass sie sich online wie stationär mit Services wie Same Day oder Next Day Delivery verzetteln werden. 40 Prozent fürchten sogar, "stark betroffen" zu sein. Hinzu kommen nicht beeinflussbare Faktoren wie volatile Material- und Energiekosten (38 Prozent) sowie Währungsschwankungen (40 Prozent).
Obwohl es für den Handel überlebenswichtig ist, den Kunden Shopping-Erlebnisse auf allen Kanälen zu ermöglichen, laufen die Prozesse meistens nicht rund. Das sieht man auch daran, dass die wenigsten Konzerne in der Lage sind, Gewinne auszuweisen. Nur 16 Prozent aller Befragten (und nur 19 Prozent der 250 größten Unternehmen) erreichen die Gewinnzone im Omni-Channel-Handel.
Profitabel arbeiten die wenigsten
Profitabilität ist die größte Herausforderung, denn die Kosten steigen schneller als der Umsatz. 67 Prozent der Befragten geben an, dass der finanzielle Aufwand für die Abwicklung von Omni-Channel-Bestellungen größer werde. Gefragt nach den Kostentreibern, nennen 71 Prozent das Handling von Online-Retouren oder Rückläufern im Laden. Kaum weniger (67 Prozent) beklagen hohe Kosten für den Direktversand und 59 Prozent den Versand an ein Ladengeschäft für Click&Collect-Services. Die Korrelation zwischen den Herausforderungen im Omni-Channel und der mangelnden Profitabilität zeigt, wie groß die Not ist.
Ein Beispiel konkretisiert, was diese Zahlen im Hinblick auf profitable Prozesse bedeuten. Jennifer, Mutter dreier Kinder aus München, entdeckt einen schicken Pullover auf ihrem Smartphone, während sie in ihrem Auto wartet. Ihr gefällt auch die kostenlose Lieferung innerhalb von zwei Werktagen, die der Händler verspricht, und sie bestellt sofort. Der Händler muss nun die Optionen abwägen, wie er den Pullover innerhalb dieses Zeitfensters so profitabel wie möglich zu Jennifer bringt.
Zuerst lokalisiert er sechs Pullover in der gewünschten Größe und Farbe in einem Geschäft in Regensburg. Doch der Händler vor Ort weiß durch geeignete Vorhersagelösungen, dass sein Laden am Wochenende stark frequentiert sein wird. Eine Bestandsverringerung würde sich negativ auf den dortigen Umsatz auswirken.
Als nächstes findet der Händler die Ware in einem Distribution Center in Polen. Aber die Servicevereinbarungen mit dem zuständigen Logistikdienstleister würden die Lieferung in zwei Tagen so verteuern, dass der Verkauf nicht profitabel umgesetzt werden könnte. Zu guter Letzt stellt der Händler fest, dass der Hersteller des Pullovers aus Hamburg einen Zwei-Tages-Versand als Promo-Aktion anbietet und entscheidet, das Kleidungsstück von dort aus direkt zu versenden. Es ist die beste und profitabelste Option und erfüllt die Lieferzusage. Nur wenn der Händler über ein integriertes System für die Auftragsabwicklung verfügt, wird er diese und weitere Möglichkeiten schnell oder sogar automatisch evaluieren und umsetzen können.
Nur nicht den Anschluss verlieren
Einkäufe wie in diesem Beispiel gibt es jeden Tag zu Tausenden über alle Produktkategorien hinweg. Händler und Hersteller von Konsumgütern sind dabei, ihren Kunden den Einkauf über verschiedene Kanäle hinweg zu ermöglichen. Aber Komplexität und Kosten im Fulfillment sind hartnäckige Gegner.
Hinzu kommt der Zwang, die Augen für Veränderungen offen zu halten und innovativ zu sein. 71 Prozent sagen, dass dies eine ihrer wichtigsten oder gar die wichtigste Aufgabe sei. Unter den 250 größten Händlern aus der Befragung setzen 34 Prozent das Thema Innovation auf Platz eins. Diese Führungskräfte stellen dementsprechend Budgets dafür bereit. Sie investieren durchschnittlich 29 Prozent der Mittel für 2015 in die Verbesserung ihres Omni-Channel Fulfillment - 61 Prozent mehr als 2014.
Die große Mehrheit von 88 Prozent will vorrangig in den Bereich Transport und Logistik investieren. Es geht darum, die Probleme zu beseitigen, die Rücksendungen und Rückläufer betreffen, aber auch den Direktversand an Kunden und den Transport in die stationären Läden für Click&Collect-Services.
Sortiment und Warenbestand
Der nächste Punkt auf der To-Do-Liste ist für 85 Prozent eine "fundierte Prozessumsetzung": Dabei geht es darum, den Kunden das richtige Sortiment und den richtigen Warenbestand anbieten zu können. Hohe Verfügbarkeit bei vollständiger Kostenkontrolle ist das Ziel. CEOs sehen in der Warenplanung, einem transparenten Warenbestand, der Produktpositionierung, dem Regalflächen- und Bestands-Management sowie der flexiblen Umsetzung der Fulfillment-Optionen die wichtigsten Aufgaben, die sie momentan nicht erfüllen können. Es klafft eine Lücke zwischen Planung und Umsetzung, die es im Omni-Channel unbedingt zu schließen gilt. Dabei wissen die befragten Führungskräfte, dass es eine Kluft zwischen den Kundenerwartungen und ihrem aktuellen Angebot gibt, die sie überbrücken müssen. Und sie investieren 2015 signifikant in diesen Bereich.
Gefragt nach Angeboten, die nötig wären, um die Kundenerwartungen im Omni-Channel zu erfüllen, gab es zwei Spitzenreiter: Versandoptionen wie Next-Day- oder Crowd-Sourcing-Delivery (36 Prozent) und ein unkomplizierter Verfügbarkeits-Check für Waren im Laden oder Webstore (34 Prozent). Nur rund ein Viertel der Befragten behaupten, diese Erwartungen bereits erfüllen zu können. Und selbst wenn das der Fall ist, ist erst eine Hürde von mehreren genommen. Jetzt folgt die wirtschaftlich rentable Umsetzung. Wie erwähnt ist dazu momentan nur einer von fünf CEOs in der Lage.
E-Commerce-Leiter in der Pflicht
Auf die Frage, welche Führungsposition in den nächsten drei bis fünf Jahren die Omni-Channel-Strategie und die Investitionen verantwortet, zeigt sich eine gleichmäßige Verteilung auf alle Positionen. 27 Prozent glauben, dass der Leiter E-Commerce/Digital die Verantwortung trägt, da Omni-Channel-Strategien ihre Wurzeln im Online-Business haben. 26 Prozent finden, der Supply-Chain-Verantwortliche sei in der Pflicht. Weitere 25 Prozent meinen, darum müsse sich der CEO selbst kümmern.
Bei allen Problemen, die Omni-Channel-Strategien mit sich bringen, gibt es auch eine gute Nachricht: Die Führungskräfte wissen um die Herausforderungen und wollen – bestärkt durch die steigenden Umsatzerwartungen dieses Jahr - investieren, um sie anzugehen.