Eigentlich hätte unter den Teilnehmern des COMPUTERWOCHE-Roundtable - Cloud-Telefonie- und IP-Telefonie-Anbieter - Goldgräberstimmung herrschen müssen: Die Telekom will bis Jahresende 22 Prozent ihrer Geschäftskunden weg von ISDN auf All IP migrieren und eine Cloud-Telefonie-Lösung wird sie wohl erst zur IFA 2016 anbieten können. "Nein, eine Goldgräberstimmung gibt es noch nicht", so Carl Mühlner, Geschäftsführer beim Systemhaus Damovo, "der Anwendermarkt erfordert zunehmend IT-Agilität, grundsätzlich ja eine Domäne von Cloud-Lösungen. Daher sind im Zuge von Managed-Cloud-Projekten teilweise auch Telefonie-Lösungen gefragt. Hier kann man tatsächlich schon jetzt den einen oder anderen Nugget finden."
Deutlich mehr Nuggets hat dagegen schon Jürgen Städing, Geschäftsführer bei nfon, gefunden: "Wir sehen eine deutlich gestiegene Nachfrage nach Cloud-Telefonie, gerade auch bei Großkunden." Vor allem Unternehmen mit mehreren verzweigten Standorten seien für eine Cloud-Lösung offen. Für die Cloud spricht laut Städing etwa ein höherer Servicelevel. Ferner benötige der Anwender weniger Servicetechniker. Allerdings räumt Städing ein, dass es gerade für größere Unternehmen auch Herausforderungen bei der Migration geben könne, etwa die Umstellung älterer Alarmmeldeanlagen, Aufzugssteuerungen, Notmeldeanlagen etc. Die Cloud-Telefonie könne auch diese Anforderungen erfüllen. Allerdings seien nicht alle Anbieter dazu in der Lage und man müsse schon genauer hinschauen.
Klassisches TK-Netz ist 2018 Tod
Ein anderes Problemfeld, das einer Goldgräberstimmung entgegensteht, sieht Thomas Weiß, Geschäftsführer bei Teamfon. Er beobachtet in größeren Unternehmen noch immer, wie sich TK-Mitarbeiter und IT-Abteilung bekämpfen. Deshalb werde dann eine Cloud-Entscheidung oft nur von der IT getragen. Grundsätzlich waren sich aber alle Teilnehmer einig, dass die Cloud-Telefonie im Markt angekommen sei - auch wenn keine Goldgräberstimmung herrsche, würden sie ihre Umsatzziele erreichen. Unisono erhofft man sich einen Push für das Thema Cloud-Telefonie, wenn die Telekom mit Blick auf den Ausstieg aus dem klassischen TK-Netz im Jahr 2018 nun All IP stärker bewirbt.
Zum Video: "Die Cloud-Telefonie ist bereits heute die bessere Alternative"
Eine echte Goldgräberstimmung erwartet etwa Arnold Stender, Geschäftsführer der QSC-Tochter tengo, erst dann, wenn die Kunden aktiv bei ihren Systemhäusern Cloud-Lösungen nachfragen. Derzeit würden gerade die Mittelständler mit bis zu 500 Mitarbeitern noch sehr stark klassische TK-Lösungen nachfragen. Joao Gonzaga, CTO bei Swyx, ist überzeugt, dass die "Marktreife der Cloud-Telefonie" bereits erreicht ist und der Durchbruch bereits stattfindet. Das passiert weniger punktuell und eruptiv als tatsächlich kontinuierlich und auf mehreren Ebenen. "Die Umstellung auf ALL IP durch die Deutsche Telekom trägt natürlich dazu bei, dass dieses Thema in technischer Hinsicht wie auch in Sachen Marketing forciert wird. Damit geht auch eine stärkere Wahrnehmung von ALL IP durch den Mittelstand einher. Fragen wie - was bringt mir als Endkunden die Umstellung auf IP-Telefonie und welche Vor- und Nachteilen birgt sie? werden immer präsenter. Umso dringlicher also, dass wir als Hersteller, aber auch die Carrier und Provider schnell die richtigen Antworten finden und geben." "Zudem," fügt der SWYX-CTO an, "müssen wir klar kommunizieren, dass dieser Umstieg nicht in erster Linie der Verlust einer sowieso veralteten, wartungsintensiven Technik ist, sondern dass IP-Telefonie bzw. ALL IP ja Investitionsschutz, Zukunftssicherheit, Kostensenkung, Steigerung der Effizienz, High-Definition-Voice, etc. bedeuten."
Städing zufolge gibt es noch einen anderen Grund, warum an einer Cloud-Lösung kein Weg vorbei führt. Wenn die Telekom bis 2018 ihre zwei Millionen Geschäftskunden auf All IP migrieren will, dann müsse sie pro Monat fast 70.000 Anwender umstellen. Mit klassischer Anlagentechnik sei das wohl kaum zu bewältigen, nachdem die TK-Servicetechniker im Zuge verschiedener Restrukturierungsmaßnahmen sowohl bei Carriern als auch Herstellern abgebaut wurden. "Das kann nur funktionieren, wenn die entsprechenden Prozesse für die Cloud aufgesetzt sind und der Anwender per Mausklick migriert werden kann", argumentiert Städing. Allerdings ist dabei für Mühlner eine wichtige Voraussetzung zu erfüllen: "Alle Beteiligten müssen in der Lage sein, eine Cloud-Lösung zu integrieren - speziell mit anderen Cloud aber auch Legacy-Anwendungen. Solange diese Integrationsarbeit nicht zum Standardrepertoire gehört, wird es schwierig, die Anwender von der Cloud-Telefonie zu überzeugen."
QSC-Manager Stender sieht noch ein anderes Problemfeld. Seiner Erfahrung zufolge wollen die klassischen TK-Lösungsanbieter noch immer am liebsten traditionelle Telefonanlagen vermarkten, anstatt auf die Cloud zu setzen. Dennoch könne auf diese TK-Partner in der All-IP Welt nicht verzichtet werden, da die IT nicht den 100 Prozent-Service-Level der TK-Welt kenne. "Wenn hier und da mal ein Datenpaket verschluckt wird, so toleriert die IT-Welt das, wenn aber ein Knacken oder Rauschen beim Telefonieren, auftritt, dann ist das etwas ganz Anderes", bekräftigt Mühlner.
Insgesamt, so waren sich die Diskutanten einig, sind die deutschen Anwender in Sachen Cloud-Telefonie beziehungsweise Cloud im Vergleich zu ihren europäischen Nachbarn eher zurückhaltend. Ein Grund hierfür könnte der schlechte Internet-Access der deutschen Unternehmen sein. Häufig würde die gesamte IP-Kommunikation über einen einfachen Anschluss - nicht selten ein Consumer-Produkt - abgewickelt. Erschwerend komme hinzu, dass in den meisten Firmen kein redundanter Internet-Anschluss vorhanden sei. Im Fehlerfalle liege dann die komplette Kommunikation darnieder. Allerdings treffe die Schuld die Anwender nicht alleine. Diese müssten zwar erstmal eine Service-fähigkeit für ihre Unternehmen erstellen, ebenso seien aber die Carrier gefordert. Diese, so bemängelten die Diskussionsteilnehmer, würden viel zu wenig redundante Internet-Access-Angebote offerieren.
Mit Cloud-Telefonie sparen
Uneinigkeit herrschte dagegen am COMPUTERWOCHE-Roundtable, als die finanzielle Seite der Cloud-Telefonie zur Sprache kam. Während die einen davor warnten, dass größere Migrationsprojekte aufgrund der Kosten - etwa für Legacy-Systeme - schnell nur noch schwer abzubilden seien, lobte der CPO der Nfon AG, Jürgen Städing, das Sparpotenzial der Cloud-Telefonie. So spare ein Nfon-Anwender mit der Cloud-Lösung 80 Prozent der Kosten im Vergleich zu einer klassischen Telefonie-Lösung.
Letztlich, so war sich die Runde dann einig, gebe es keine pauschalen Aussagen in Sachen Kosten und durchaus Fälle, in denen sich die Cloud nicht rechne. Viel hänge dabei davon ab, wie weit ein Unternehmen mit seiner IP-Infrastruktur ist. Dennoch ist Peter Nowack, General Manager von BroadSoft Deutschland, überzeugt, "dass die Cloud bereits heute die bessere Alternative ist. Ein CIO, der sich nicht mit diesem Wandel befasst, sollte möglichst schnell umdenken, um den Anschluss nicht zu verlieren." QSC-Manager Stender sieht zudem in der Cloud-Telefonie die flexiblere Lösung, die besser an die Bedürfnisse eines Unternehmens angepasst werden kann. Uwe Hollbach, Solution Architect & Business Development bei Alcatel-Lucent, spricht hier konkret die Verknüpfung der Telefonie mit vorhandenen Applikationen an, "die Cloud-TK-Anlage sollte offene Schnittstellen anbieten, um zum Beispiel ein CRM-System wie Salesforce damit zu integrieren." Eine andere Option sei die Fixed-Mobile-Integration über Standards, wie WebRTC. Wer die Cloud so als Kommunikationsplattform nutzen will, sollte mit Blick auf die Interoperabilität darauf achten, dass die Schnittstellen auf entsprechenden Standards basieren, die bereits im Carrier-Umfeld existieren. Ein weiteres Argument Pro Cloud-Telefonie bringt QSC-Manager Stender zur Sprache. Unternehmen mit mehreren Standorten brauchen bei der Cloud-Telefonie nicht mehr an jedem Standort eine TK-Anlage, sondern können eine zentrale Lösung in der Cloud nutzen.
Marco Kappler, Leiter Starface Academy, ist überzeugt, dass solche Aspekte jüngere Mitarbeiter in den Unternehmen kaum interessieren. Diese wollten lediglich ihren Gesprächspartner erreichen, egal ob per Chat, Mail oder Telefon, wobei viele aus der Generation Y nur noch das Smartphone nutzen würden. Mit der Generation Y erlebte Kappler noch eine Überraschung: Eine Fachabteilung, die eigenständig beim Cloud-Provider ein entsprechendes Telefonie-Angebot orderte und dann begann, mit einem eigenen Rufnummernblock zu arbeiten. "Und der Rest des Unternehmens wunderte sich, warum es diese Mitarbeiter nicht mehr erreichte", erzählt Kappler weiter.
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So krass haben es die anderen Teilnehmer der Runde zwar noch nicht erlebt, aber Stender räumt ein, dass die Flexibilitätserwartung der Generation Y deutlich höher sei als von der IT bislang vorgelebt: "Diese Mitarbeiter denken nicht in Projektzeiträumen von bis zu 2 Jahren, sondern erwarten neue Services morgen oder übermorgen." Ein Punkt, der den Cloud-Anbietern in die Hände spielen könnte. Grundsätzlich rät Kappler den Unternehmen, sehr wachsam zu sein, da hier die Gefahr lauere, dass ihre Compliance grundsätzlich mit Cloud-Angeboten unterlaufen werde, wenn die IT nicht rechtzeitig und schnell auf die Bedürfnisse der Anwender reagiere.
Verschiedener Meinung war die Runde in Bezug auf die Ausfallsicherheit der Cloud-Telefonie. Während die einen - etwa mit Blick auf einen Stromausfall - einräumen, dass eine mit ISDN vergleichbare Ausfallsicherheit zu vertretbaren Kosten nicht realisierbar sei, sehen andere kein Problem. Sie argumentieren, dass eine solche Ausfallsicherheit überhaupt nicht mehr erforderlich sei, denn im Notfall greife die Generation Y einfach zum Smartphone. Grundsätzlich rät Mühlner hier der Branche, weder etwas zu beschönigen, noch ihr Licht unter den Scheffel zu stellen. Beide Verhaltensweisen könnten den noch jungen Markt zerstören. Mit Blick auf die Erfahrungen aus diversen IT-Projekten stellt er fest, dass heute in Sachen IP- und Cloud-Ausfallsicherheit bereits viel gemacht werden könne, nur müsse dies bei Projektausschreibungen berücksichtigt werden und habe seinen Preis.
Für andere ist diese Diskussion wiederum eher akademischer Natur, da das Aus für ISDN seitens der Telekom besiegelt sei. Entscheidender sei vielmehr die Frage on premise versus Cloud - also eigene TK-Anlage versus virtuelle PBX. Hier spricht für Teamfon-Manager Weiß alles für die Cloud, "denn es sei nur an das berühmte Putzfrauen-Beispiel erinnert, die im Gebäude einen Stecker zieht, weil sie staubsaugen will". Deshalb müsse dem Anwender klar sein, dass er on premise nie das gleiche Sicherheitsniveau wie in der Cloud erreichen könne.
Die Mär vom sicheren ISDN
In das gleiche Horn stößt auch Städing. "Zumal das Thema Internet/IP-Access sowohl für die Cloud-Telefonie als auch für die TK-Anlage on premise gilt, denn die benötigt einen SIP-Trunk." Gleichzeitig spricht Städing noch einen anderen Punkt an: Da für die Cloud-Telefonie-Anbieter die Bestimmungen des TKG (Telekommunikationsgesetz) etc. gelten, müssten diese viel strengere Regularien und Bestimmungen erfüllen als sie der Betreiber einer on-premise-Anlage erreichen können. Denn: Cloud-Anbieter sind sogenannte Telekommunikationsdienstleister die von der Bundesnetzagentur entsprechend überwacht würden.
Gleichzeitig warnten die Diskutanten vor dem weit verbreiteten Trugschluss, das ISDN viel sicherer als die IP-basierte Cloud-Telefonie sei. "Bei ISDN hatte ich immer die Möglichkeit, direkt am Stecker - egal, ob im Keller oder am Verteiler - Telefonate abzuhören", führt etwa Stender aus. Ferner biete die Cloud-Telefonie per se eine höhere Sicherheit als eine on- premise-Lösung, da die Rechenzentren der Anbieter in Deutschland stehen und damit die relativ strengen deutschen Rechtsvorschriften gelten. Hundertprozentige Abhörsicherheit werde es aber nie geben, denn die Anbieter seien schon per Gesetz dazu verpflichtet Schnittstellen zum Abhören für die legal interception vorzuhalten. Ansonsten kann per IP durchaus sicher telefoniert werden, denn zahlreiche Unternehmen bieten wie David Son, Geschäftsführer von Wirecloud, eigene Verschlüsselungsverfahren an, damit Unternehmen untereinander sicher telefonieren können. Allerdings werde dieses Feature von den Anwendern zwar oft auf dem Papier gefordert, schlussendlich fehle dann aber die Bereitschaft dafür zu bezahlen.
Letztlich fordert Mühlner, Angriffspunkte klar zu analysieren und zu kontrollieren, denn in einer All-IP-Welt genüge eine Schwachstelle, um das Gesamtsystem zu diskreditieren - und dies könne eben auch die TK-Anlage sein. Gleichzeitig beklagten die Teilnehmer eine gewisse Doppelmoral der Anwender: So werde von den Cloud-Betreibern höchste Sicherheit und Abhörschutz gefordert, während die Generation Y, diplomatisch ausgedrückt, nicht unbedingt durch besonderes Sicherheitsbewusstsein auffalle.