Zwar gelten die Deutschen als sesshaft und heimatverbunden, dennoch sind sie im europäischen Vergleich am flexibelsten, was die berufsbedingte Mobilität angeht. So ist jeder zweite deutsche Berufstätige schon einmal aus beruflichen Gründen umgezogen oder pendelt täglich über weite Entfernungen. Jeder fünfte Vollzeiterwerbstätige ist derzeit aus beruflichen Gründen mehr oder minder freiwillig mobil. Das ergab die europäische Studie zu Ursachen, Verbreitung und Folgen von berufsbedingter räumlicher Mobilität "Job Mobilities and Family Live in Europe", die von der Universität Mainz koordiniert wird. In Deutschland, Belgien, Frankreich, Polen, Spanien und der Schweiz wurden dazu insgesamt 7.150 Personen im Alter von 25 bis 54 Jahren befragt. "Das Feld in Europa ist dabei relativ dicht beieinander. Deutschland sticht aber bei den Vollzeiterwerbstätigen mit einem Anteil von 20 Prozent Mobilen heraus", sagt der Mainzer Soziologe Detlev Lück.
Den größten Anteil der mobilen Arbeitsbevölkerung machen den Mainzer Wissenschaftlern zufolge die Berufspendler aus, gefolgt von Übernachtern, die mindestens 60 Nächte im Jahr außer Haus verbringen. Für den Arbeitsplatz umzuziehen ist dagegen für die wenigstens ein Thema. Im Hinblick auf das Mobilitätsverhalten würden sich aber deutliche Unterschiede je nach Alter und Ausbildung und zwischen den Geschlechtern zeigen, sagt Lück. So sind ältere Arbeitnehmer und Nicht-Akademiker nur ungern zum Umzug bereit und pendeln eher. Bei Betrachtung der beiden Geschlechter zeigte sich, dass Männer im Allgemeinen doppelt so mobil sind wie Frauen, die es ohnehin sehr schwer hätten Mobilitätszwang und Kinderwunsch unter einen Hut zu bringen. "Mobilität scheint sich bei Frauen nicht mit der Familienplanung zu vertragen. Sie müssen sich offenbar entscheiden", meint Lück. Die Soziologen fürchten daher, dass Mütter auf dem Arbeitsmarkt so leichter das Nachsehen haben könnten. "Zudem haben wir Anzeichen dafür, dass der Kinderwunsch häufig aufgeschoben wird."
Das Mobilsein scheint für die deutschen Berufstätigen in den vergangenen Jahrzehnten aber zur Normalität geworden zu sein. "Wir gehen davon aus, dass Mobilität heute nicht mehr überwiegend zu einem Karrierefortschritt führt. Sie dient eher dazu Arbeitslosigkeit und sozialen Abstieg zu vermeiden", erklärt Lück. Menschen, die nicht in der Lage seien diesen Anforderungen zu entsprechen, könnten demnach leicht ins Hintertreffen geraten. Das beträfe dann immerhin rund ein Viertel der Arbeitnehmer. Auch wenn Mobilität zum Berufsalltag gehört, sind dennoch nicht alle Betroffenen damit zufrieden. So betrachtet nur ein Drittel der Mobilen die eigene Mobilität als Chance, 55 Prozent sehen sie eher als notwendiges Übel, während zwölf Prozent die Mobilität gar als Zwang ansehen. "Je unfreiwilliger Menschen die Mobilität wählen, umso eher sind sie auch anfällig für erhöhte Stressbelastung. Das kann dann in der Folge auch zu psychischen Belastungen und Erkrankungen führen", ergänzt Lück.
Das zunehmende Mobilitätsgeschehen sehen die Wissenschaftler sowohl in der wirtschaftlichen Entwicklung wie auch im Wandel der Geschlechterrollen begründet. "Es gibt immer mehr Jobs im Dienstleistungsbereich und in wissensbasierten Tätigkeiten. In diesen Wachstumsbranchen ist generell mehr Mobilität gefragt", erklärt Lück. Außerdem nehme die Beschäftigungsdauer mit den befristeten Arbeitsverhältnissen stetig ab. Zum anderen gebe es durch Veränderungen von Partnerschaft und Frauenrolle mehr Paare, in denen beide Partner berufstätig sind. Die Mobilität sei dann einfach eine Lösungsstrategie, wenn einer der beiden Partner nicht am gemeinsamen Wohnort Arbeit findet. Aus diesen Gründen sei auch die weitere Zunahme der Mobilitätsraten in der Zukunft sehr wahrscheinlich. (pte/mf)