Von Wolfgang Leierseder
Gerüchte begleiten das Gemeinschaftsunternehmen von Nokia und Siemens, den TK-Ausrüster Nokia Siemens Networks NSN, seit dem Start im April 2007. Jetzt kochen die Gerüchte , genährt durch das "Wall Street Journal", wieder mal hoch. Investoren wie Bain Capital, Silver Lake Partners oder Blackstone werden mit NSN in Verbindung gebracht. Seltsamerweise aber nicht der indische Mischkonzern Tata.
Gewiss: Der Markt für Telekommunikationsausrüster ist seit Jahren für so gut wie alle traditionellen europäischen oder amerikanischen Wettbewerber deprimierend. Einige Gründe liegen auf der Hand: Die TK-Ausrüster leiden unter den historisch aufgebauten Überkapazitäten der Carrier, dem Preisverfall für TK-Netzeinrichtungen und dem anhaltenden Wettbewerb unter den traditionellen und den neuen TK-Ausrüstern wie Cisco und Juniper Networks, der selbst gutwillige Betrachter des Marktes schaudern macht. Des Weiteren stöhnen sie unter der bis heute auf sich warten lassenden Umstellung der sowieso nur teilweise vorhandenen 3G-Netze auf dienstleistungsorientierte, sogenannte 4G-Netze (auch unter LTE, Long-Term-Evolution, firmierend), schwer verständlichen bis untauglichen Mobilfunkangeboten so gut wie aller Service Provider, die auf keinen Fall die Bereitschaft der Kunden nach mehr Ausgaben in sowieso gesättigten Märkten stimulieren können, sowie der geringen Kaufkraft in neuen, noch zu erschließenden Märkten.
Insofern erscheint es wenig verwunderlich, dass das im April 2007 gestartete Gemeinschaftsunternehmen NSN von Beginn an mehr von Entlassungen, permanenten Sparmaßnahmen und Restrukturierungen sowie einer Unmenge von Verkaufsgerüchten begleitet wird denn mit noch so bescheidenen Gewinnmeldungen auf sich aufmerksam machen kann.
2007 bis 2010 - eine kurze Chronologie
April 2007: 9.000 der rund 60.000 weltweit Beschäftigten sollen binnen drei Jahren entlassen werden.
Oktober 2007: Siemens-Chef Peter Löscher denkt öffentlich darüber nach, NSN ganz zu veräußern. Er sei "absolut unzufrieden" über die Entwicklung des Joint Ventures.
2008: NSN verkauft das Produktionswerk in Durach (Bayern), kappt Entwicklungskapazitäten und hat mit dem schwedischen Marktführer Ericsson, aber auch den chinesischen Rivalen Huawei und ZTE sowie Cisco und Juniper um Aufträge zu kämpfen. Vor allem die Chinesen sichern sich im mehr Marktanteile, naheliegenderweise vor allem in Asien, aber auch zunehmend in Europa, Afrika und Lateinamerika.
Die klassischen Carrier zögern weiterhin, massiv in den Ausbau ihrer neuen Netze zu investieren. Als sich im Herbst 2008 die Finanzkrise abzeichnet, müssen sich die TK-Ausrüster von der Hoffnung günstiger Investitionsbedingungen definitiv verabschieden. Im Gegenteil: Der siechende kanadische TK-Ausrüster Nortel taumelt Anfang 2009 in die Insolvenz und verkauft sich seitdem in Stücken an die Konkurrenz: Wobei NSN im Bieterverfahren um die wichtige Mobilfunksparte der Kandier leer ausgeht. Diese schnappt sich der schwedische Konkurrent Ericsson im Juli 2009.
2009: Bei der NSN, die in immerhin 150 Ländern mit den Bereichen Radio Access, Broadband Access, Service Core & Applications, IP/Transport, Operations sowie Business Software und Services vertreten ist und eigenen Angaben zufolge mit rund 600 Kunden, darunter 75 der größten Netzwerkbetreiber, im Geschäft ist, brennt es lichterloh. Umsätze und Erlöse sind eingebrochen. Das Unternehmen sieht sich massiver Kritik ausgesetzt. Seit dem 1. Oktober 2009 ersetzt Rajeev Suri den bisherigen CEO Simon Beresford-Wylie.
Zuvor hatte NSN einige Tätigkeitsfelder samt Mitarbeiter ausgegliedert. Unter anderem an IBM, und die Abteilung "Intelligence Solutions" per 31. März 2009 an den Münchener Finanzinvestor Perusa Partners Fund 1 LP verkauft. Der neue Name dieser Firma: Trovicor.
Intern hatte NSN die Zahl der Entlassungen in Deutschland von 2.900 auf 2.290 senken müssen. Trotz der Entlassungen, von rund 6.00 Mirbeitern ist die Rede, nicht zuletzt wegen der mit den Gewerkschaften vereinbarten Beschäftungsgesellschaften, steigen die Restrukturierungskosten bei gleichzeitigem Beinahekollaps der Weltwirtschaft.
Die Muttergesellschaften schreiben im Herbst 2009 für NSN knapp eine Milliarde Euro ab, und wer den beiden Unternehmen genau zuhört, bemerkt, dass sie über deren Verkauf intensiver denn je nachdenken. Allerdings haben sie 2007 in den Verträgen festgeschrieben, das Gemeinschaftsunternehmen bis 2013 halten zu wollen. Es sei denn, es würde sich jemand für NSN interessieren.
Das tut aber niemand, obwohl Siemens erneut sehr deutlich macht, NSN gehöre nicht mehr zu dem "Kerngeschäft". Nokia setzt dem hinzu, es unterstütze "weiterhin Maßnahmen zur Performancesteigerung" - ein kaum verhüllter Wink an potentielle Interessenten, die Versuche des in Teilen wieder mal neuen Managements, NSN verkaufsreif zu machen, ernst zu nehmen.
2010: Im Frühjahr 2010 meldet NSN Deutschland Kurzarbeit an. Intern debattieren Mitarbeiter offen darüber, wie lange es die Firma noch geben werde. Derweil bessert NSN ihr Angebot für die Nortel-Abteilung optische und Carrier-Netzwerke auf rund 810 Millionen Dollar auf - damit will sie den fast schon sicheren Verkauf der Sparte an den amerikanischen Konkurrenten Ciena in letzter Minute verhindern. Auch dieser Versuch scheitert; Ciena gewinnt den Bieterkampf, obwohl NSN mit Hilfe des Finanzinvestors One Equity Partner und zuletzt sogar Huaweis eine waghalsige Offerte vorgelegt hat.
Branchenbeobachter kommen zu dem Schluss, dass NSN nun eine neue Strategie verfolgt: Das Unternehmen soll mit Hilfe von Zukäufen und durch den Einstieg von Investoren so groß gemacht werden, dass es für einen Börsengang in Frage kommt. Dass sich durch diesen Siemens und Nokia ihres Tochterunternehmes, vielleicht sogar gewinnbringend, zu entledigen trachten, liegt auf der Hand.
Der momentane Stand
Während sich trotz der Krise Griechenlands die EU und die Weltwirtschaft allmählich wieder erholen beziehungsweise gewichtige Anzeichen dafür sprechen, prüfen Siemens und Nokia weiterhin, was mit der NSN, weiterhin geplagt von Managementwechseln, einem noch nicht verarbeitenden kleineren Skandals wegen Lieferungen an den Iran und nicht endender heftiger Kritik durch die Gewerkschaften, anzufangen sei.
Siemens geht in Deckung: Die Münchener versichern, die Sanierung des TK-Ausrüsters könne noch zwei Jahre dauern. Und sie denken weiterhin über einen Börsengang nach. Der von Siemens ebenfalls in Erwägung gezogene Versuch, Nokia zu einem Kauf zu überreden, wird von den Finnen derweil abschlägig beschieden, wie Branchenkenner berichten.
Nokia favorisiert vielmehr den Börsengang an der amerikanischen Nasdaq. Allerdings ahnen beide Unternehmen, dass das Gemeinschaftsunternehmen, obwohl nominell ein Schwergewicht unter den TK-Anbietern, von potentiellen Investoren für zu leicht befunden werden könnte.
Aufkommenden Gerüchten, die beiden chinesischen Konkurrenten könnten ein Interesse an einer NSN-Beteiligung haben, treten weder Siemens noch Nokia entgegen. Sie überlassen Marktbeobachtern und Analysten, sich in Spekulationen zu ergehen.
Angesichts der Schwierigkeiten, die sich auf den Eintritt der Chinesen unweigerlich in den USA, aber auch Europa auftürmen würden, etwa im Bereich Datensicherheit und Schutz von Kerntechnologien, winken Branchenkenner ab. Allerdings lassen sie die mitklingende, jedoch nicht offen ausgesprochene Frage unbeantwortet, warum sich die aufstrebenden Chinesen überhaupt einen Klotz wie NSN antun sollten.
Für alle Fälle bekräftigt Siemens-Vorstand Peter Löscher, Siemens werde sich aus Gemeinschaftsfirmen wie NSN verabschieden. Er wendet die bekannte Formulierung an, "NSN ist für uns kein Kerngeschäft".
Doch NSN bleibt nicht untätig: Mitte Juli gibt sie bekannt, nach monatelangen Verhandlungen das Mobilfunk-Netzwerkgeschäft des krisengeschüttelten amerikanischen TK- und Handy-Konzerns Motorola für 1,2 Milliarden Dollar zu kaufen. Die Patente, die Motorola für die Netzwerktechnologien GSM (Global System for Mobile Communications), CDMA (Code-Division Multiple Access), Wideband CDMA, WiMax und LTE (Long-Term Evolution) besitzt, bleiben jedoch bei den Amerikanern. Zwar können sie ab sofort von beiden Unternehmen genutzt werden, doch wie NSN-CEO Rajeev Suri bei einer Pressekonferenz unterstreicht, gehe es bei diesem Kauf vor allem um Kunden. Diese sind 50, zum Teil neue Carrier, darunter die amerikanische Verizon Wireless, China Mobile und die weltweit tätige Vodafone. Wie NSN den Kauf finanzieren will, wird im Detail nicht bekannt gegeben.
Eine Woche darauf gibt NSN bekannt, sie habe in den USA einen milliardenschweren Auftrag an Land gezogen. Sie sei von dem Hedge-Fond Harbinger Capital beauftragt worden, für rund sieben Milliarden Dollar ein neues landesweites Mobilfunknetz mit der LTE-Technik aufzubauen. Es werde rund acht Jahre dauern, bis das Netz in Betrieb gehen könne und Service Providern ermögliche, es zu mieten. Der nicht näher spezifizierten Planung zufolge soll es bereits im Jahr 2015 92 Prozent der amerikanischen Bevölkerung erreichen können.
Spekulationen und eine Möglichkeit
Doch damit, so scheint es, ist NSN an der Grenze ihrer finanziellen Möglichkeiten angelangt. Nicht nur, weil das defizitäre Unternehmen nicht hoffen kann, aus dem laufenden Erlösen die Kaufsumme für Motorolas Mobilfunkabteilung finanzieren zu können, sondern auch, weil sie in erhebliche Vorleistungen gehen muss, um das verlangte LTE-Netz aufbauen zu können. Und angesichts der Konkurrenten in den USA, etwa Verizon und AT&T, der komplexen Vorgaben amerikanischer Regulierungsbehörden und des gewiss sich weiterhin fortschreibenden Preiskampfes bei den bestehenden Netzen ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich NSN um das Einsammeln weiteren Kapitals bemühen muss.
Genau darüber verhandelt NSN den neuesten Gerüchten zufolge bereits mit einigen Investoren. Die Beteiligungsfirmen Silver Lake Partners, TPG, Blackstone, Bain Capital und KKR werden vom "Wall Street Journal" genannt, jedoch nur soweit, als NSN mit diesen "informelle Gespräche" führe. Nun könnten diese zum Ziel führen, doch bekanntlich erlaubt das Geschäftsmodell dieser Firmen nicht, über viele Jahre ihre Beteiligung aufrecht zu erhalten. Ein rascher Börsengang wäre dann das Ziel, doch ist dieser, wie bereits gesagt, mit unübersehbaren "Wenns und Aber" versehen.
Eine theoretisch mögliche, vielleicht interessante, jedoch bis heute von Beobachtern nicht in Betracht gezogene Möglichkeit stünde NSN aber vielleicht doch offen. Diese besteht darin, mit dem indischen Konzern Tata, weltweit bekannt geworden durch sein Billigauto "Tata Nano", über eine Beteiligung zu verhandeln.
Dafür könnten folgende Faktoren sprechen: Gegenwärtig reglementiert die indische Regierung die Importe von TK-Netzausrüstungen rigoros. Die Regierung argumentiert selbstbewusst mit nationalen Interessen - schließlich gehört der heimische Markt zu den größten, noch nicht gesättigten und deshalb als Hoffnungsträger gehandelten TK-Märkten der Welt. Diesen wolle man schützen, sprich für indische TK-Ausrüster und Carrier reservieren.
Allerdings dürfte die indische Telefongesellschaft ITI India zu klein sein, um diesen Markt, ein "nationales Projekt", erschließen zu können.
Tata allerdings schon. Zudem ist das Unternehmen, seit 2002 im Besitz des indischen Telekommunikationsunternehmen VSNL, des Weiteren im Besitz der Tata Teleservices Limited, daran interessiert, diesen Markt zu erschließen und, darüber hinaus, sein TK-Geschäft weltweit auszuweiten.
Eine "indische NSN" könnte dafür sorgen. Sie hätte einen ungehinderten Zugang zu dem indischen TK-Markt, das notwendige Know how - und zudem wäre Tata schlagartig weltweit vertreten. Siemens und Nokia aber wären ihr Sorgenkind elegant los…
Im Übrigen arbeiten NSN und Tata Teleservices Limited seit Dezember vorigen Jahres zusammen. Das indische Unternehmen hat rund 90 Mitarbeiter von NSN übernommen und bietet nunmehr Dienstleistungen für Forschung und Entwicklung des Gemeinschaftsunternehmens an.
Es könnte also gut sein, dass über eine Beteiligung von Tata an NSN bereits ernsthaft nachgedacht wird. In Mitarbeiterkreisen von NSN wird das jedenfalls bereits getan.(wl)