Wir schreiben das Jahr 2002: Tom Cruise alias Chief Officer John Anderton geht an einem mehrere Quadratmeter großen durchsichtigen Display entlang und vergrößert durch Berührung mit seinen beiden Händen die darauf abgebildeten Elemente, um sie anschließend, ebenfalls durch Berührung, neu anzuordnen. Das ist die Zukunft, in der im Jahr 2054 noch nicht verübte Verbrechen schon im Vorfeld bekämpft werden.
Ortswechsel: Im gleichen Jahr - aber im wirklichen Leben - tragen die ersten Early Adopter ihren Tablet PC auf dem Arm durch die Gegend und tippen sich mit einem Stift unter Microsofts Windows XP Tablet PC Edition durch die Anwendungen. Einigen wenigen ist es sogar vergönnt, mit der Handschriftenerkennung brauchbare Ergebnisse zu erzielen.
Fast genau fünf Jahre später sitzen in vielen deutschen Besprechungsräumen Menschen, die mit dem Finger über das Display ihres Handys hin- und herflitschen. Bilder werden mit den Fingern groß- und kleingezoomt und Widgets auf die gleiche Weise hin- und hergeschoben. Die Business-Welt ist im Minority-Report-Fieber: Das iPhone-Display reagiert auf Berührung.
Dann geht es Schlag auf Schlag: Im November 2008 geht Hewlett-Packard mit den ersten "HP TouchSmart"-Modellen an den Start. Ein PC, der sich aufgrund einer neuen HP-TouchSmart-Software-Suite auch teilweise mit den Fingern steuern lässt.
Und dann kam Windows 7 ...
Wo Multitouch zum Einsatz kommen kann
Barbara D´Introno, Head of Product Marketing Clients bei Fujitsu, sieht für die Touchscreen-Technologie in mobilen Geräten eine große Zukunft: "Multiple-Touch ist eine humane Schnittstelle zum PC. Aus diesem Grund sind alle Arten von Anwendungen, die bisher mit Keyboard, Maus oder Stift möglich waren, auch mit Multiple-Touch umsetzbar. Der Vorteil von Multiple-Touch ist jedoch, dass die Anwendungen wesentlich intuitiver und somit effizienter umgesetzt werden können. Speziell das Arbeiten mit den Tablet PCs zum Beispiel im Stehen und Gehen wird durch die neue Multiple-Touch-Technologie erleichtert."
Hewlett-Packard, dessen erster All-in-One-PC auf der CES 2008 für Staunen sorgte, fühlt sich im Touchscreen-Segment schon zu Hause: "Primär richtet sich diese Technologie an Endkonsumenten. Die Möglichkeit, Applikationen direkt mit den Fingern am Bildschirm steuern zu können, sorgt für eine einfachere Bedienung und lässt neue Designansätze zu. Die Multitouch-Geräte sind elegant, funktional, komfortabel und hochwertig. Diese Attribute tragen auch dazu bei, dass Produkte mit Multitouch-Funktion immer häufiger im professionellen Bereich eingesetzt werden, ob für Showrooms, in Hotels, Flughäfen oder auf Messen. Die Nachfrage ist sehr groß", sagt Ingo Gassmann, Direktor Category Management Personal Systems Group bei HP Deutschland.
Ein Hype sieht anders aus
Neue Anwendungsmöglichkeiten sollen neue Kundengruppen erreichen. Aber welche Anwendungsmöglichkeiten werden das sein? "Die Touch- beziehungsweise Multitouch-Funktion bietet sich zum einen für eine einfache, schnelle Steuerung eines PCs an. Zum anderen eignet sie sich insbesondere auch für Bildbearbeitung, Präsentationen und Anwendungen am POS (Point of Sales).
Mit einer zunehmenden Verbreitung von Touch im Markt werden zudem weitere, neue Anwendungsfelder entstehen", sagt Jörg Wissing, Product Manager Eee Family bei der Asus Computer GmbH. Der Asus-Manager glaubt auch, dass durch Windows 7 in diesem Jahr in Deutschland verstärkt Geräte mit Multitouch Funktion auf dem Markt zu finden sein werden. Viele Anwender seien ja bereits von anderen Produkten mit der Touch-Funktion vertraut, sodass man hier grundsätzlich eine steigende Nachfrage erwarten könne.
Eher verhalten äußert sich dagegen Toshiba, wenn es um den zeitnahen Einsatz von Touchscreen-Notebooks im B2B-Segment geht: "MultiTouch ist eine interessante Erweiterung, auch für mobile Geräte. Aufgrund des erhöhten Preises für die Displays und des allgemeinen Markttrends, dass Kunden immer günstigere Geräte erwarten, sehen wir für 2010 eine eher zögerliche Integration dieser Displays. Generell ist die Touch-Funktionalität aber eher im B2C-Bereich gefragt als im B2B-Segment", sagt Ulrich Jäger, Product- & Business Development Manager bei der Toshiba Europe GmbH.
Von einem Multitouch-Hype im mobilen Segment kann also nicht die Rede sein. Windows 7 bietet den Hardwareherstellern mit der Touchscreen-Unterstützung neue Möglichkeiten. Doch wenn die Softwarehersteller nicht mitspielen, wird es, was die Fingersteuerung eines PCs betrifft, bei den in Windows vorhandenen Consumer-Anwendungen bleiben. "Wir sehen den Markt für Geräte mit Windows 7 und Multitouch-Funktion für das erste Halbjahr 2010 weiterhin mit Fokus auf den Bereich der All-In-One-Desktop-PCs. Darüber hinaus beobachten wir das Marktumfeld sowie die Akzeptanz der Funktionalität bei den Nutzern jedoch aufmerksam", äußert sich Stefan Holländer, Marketing Director Consumer Business zu diesem Thema.
Was sich also für Consumer derzeit zum neuen Erlebnis-Computing entwickelt, hat bei den Business-Kunden noch nicht Einzug gehalten. Ein paar nette Gimmicks, die sich auf dem Windows-7-Desktop an den Zeigefinger hängen und neu platzieren lassen, machen noch keine Business-Anwendung. Jetzt sind die einzelnen Softwarehersteller gefordert, ihre Lösungen - wo dies sinnvoll ist - touchscreen-fähig zu machen. Denn die bisher von den Hardwareherstellern propagierten Anwendungsbeispiele taugen in einem B2B-Kundengespräch nur bedingt: "Die Multitouch-Funktion ist immer dann sinnvoll, wenn es um die Navigation durch Dokumente, Webseiten oder Grafiken geht. Das Vor- und Zurückblättern sowie das Scrollen durch lange Webseiten oder Dokumente sind mit der Multitouch-Funktion sehr einfach. Zudem eignet sich Multitouch sehr gut für das Zoomen oder Routieren von Bildern", sagt Marcus Reuber, Client Technology Consultant.
Volker Fassbender, Brand-Manager ThinkPads bei Lenovo, nennt als Anwendungsbeispiele touch-fähige Eingabegeräte für Testreihen oder Bestandsaufnahmen. Aber auch er hofft auf weitere Angebote: "Sobald es mehr Anwendungen für Multitouch-Systeme geben wird, werden damit auch weitere Kundengruppen erschlossen werden können."
Für die rund 2,6 Millionen deutschen Kinobesucher des Minority Reports könnte der Traum eines Arbeitsplatzes, ähnlich dem von Chief Officer John Anderton, Wirklichkeit werden: Sie bedienen ihre mobilen Geräte mit den Fingern über das Display. Und was die passenden Softwareapplikationen anbelangt - dazu haben wir ja noch Zeit bis zum Jahr 2054. (bw)