Future Thinking Kongress

Das Rechenzentrum der Zukunft

09.06.2015 von Harald Lutz
Das Data Center ohne Kühlsystem, der automatisierte Betrieb ohne Techniker, insgesamt weniger einzelne Infrastrukturkomponenten – das sind nur einige der Modelle für das Rechenzentrum der Zukunft. Möglich ist (fast) alles. Über allem steht die Prämisse: Weniger Energieverbrauch, weniger Kosten.
 
  • Das Zukunftsthema "Einhausung" beschäftigt die RZ-Experten - die Luft wird gezielt in die Server hinein und hinaus geleitet, die Temperatur im Serverraum schrittweise erhöht.
  • Besonders mittelständische Anwender setzen zunehmend auf Container-Lösungen -also industrialisierte und standardisierte Rechenzentren. Das begrenzt Planungs- und Finanzierungsaufwand.
  • Neben der weiter steigenden Nutzung von Cloud-Services und Virtualisierungstechniken spielt auch die weitergehende Miniaturisierung der RZ-Komponenten eine wichtige Rolle.

Die Rechenzentren-Szene in Deutschland ist in puncto Energieverbrauch in den vergangenen Jahren bereits effizienter geworden. Dennoch zeigten sich Experten auf dem jüngst in Darmstadt bereits zum sechsten Mal ausgerichteten Future Thinking-Kongress davon überzeugt, dass das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht ist. Werden vorhandene und bald marktreife Konzepte und Techniken umgesetzt, lassen sich wohl noch weitere 50 Prozent der heute weitgehend sinnlos in Kühlsystemen verblasenen Energie einsparen.

Im Data Center der Zukunft (hier ein Symbolfoto aus einem der zahlreichen Google-Rechenzentren) wird weniger bis gar nicht gekühlt, automatisierter und höchsteffizient gerechnet.
Foto: Google

"Wir haben erreicht, dass das Thema Energie­effizienz in den Köpfen der Ver­antwortlichen mittlerweile mehr oder weniger fest veran­kert ist und auch bei Bau- oder Kaufent­schei­dun­gen Einzug gefunden hat", betont Ul­rich Terrahe, Geschäftsführer der dc-ce Re­chenzen­tren-Beratung in Frankfurt am Main, treibende Kraft und Organi­sator von "Future Thinking".

Zum fünf­ten Mal wurde im Rahmen der Rechenzen­trum-Kon­gress-Messe der Deut­sche Re­chenzen­trumspreis ver­geben. Terrahe: "Damit schaffen wir Anreize, sich über Effizienz­stei­gerung Gedanken zu machen, und wol­len inno­vative Forschungen und Projekte auch beloh­nen." Ausgezeich­net wurde unter anderem das Pro­jekt "Data­center Power Plant: Rechenzentren als Rück­grat der Ener­giewende" von Dr. Ralph Hinte­mann vom Border­step Institut.

Angefangen bei einfachen Serverschränken und Serverräumen über kleine und mittlere Rechenzentren bis hin zu Großrechenzentren mit über 5.000 Quadratme­tern Fläche gibt es dem Borderstep Institut zufolge insgesamt rund 50.000 Unternehmensrechenzentren aller Kategorien in Deutschland.

Luftzuführung optimieren und Tempe­ratu­ren hochschieben

War vor zehn Jahren ein Rechenzentrum noch relativ hetero­gen mit frei in den Raum ge­stellten Datenschränken / Racks aufgebaut, ist seit einigen Jahren technologisch das Thema Einhausung en vogue. Im Gegen­satz zu der anfangs betriebenen, sehr ineffizienten Me­thode der planlos hineingepumpten kalten Luft wird mit dem Konzept der Einhausung ver­sucht, die Luft ganz gezielt zu den Rechnern und auch wieder von ihnen abzuführen. Ter­rahe: "Dieses System sorgt gleichzeitig dafür, dass sich kalte und warme Luft nicht mehr vermischen können."

Ulrich Terrahe sieht die deutsche RZ-Branche auf einem guten Weg.
Foto: Future Thinking

State of the Art ist es dem Rechenzentrum-Ex­perten zufolge heute, noch darüber hinauszu­gehen und die Temperaturen im Serverraum schrittweise zu erhöhen. Allgemeine Faust­formel: Ein Wär­megrad ergibt zwischen zwei und vier Pro­zent Energieeffizienzsteigerung. Von ehe­mals eis­kalten Zulufttemperaturen von 11/12 Grad über 16/17 Grad als langjährigen Standard werden die Rechenzentrums-Server heute pro­blemlos be­reits mit 20 bis 22 Grad gekühlt. Innovative Raumlufttem­peraturen liegen dagegen mitt­lerweile bei 23/24 Grad. Terrahe: "Ganz Mu­tige gehen mit der Zuluft­temperatur sogar noch höher."

Die Wirklichkeit hinkt dem heute bereits tech­nisch Möglichen jedoch noch weit hinterher: Lediglich 20 bis 30 Prozent der deutschen Rechen­zentrumsbetreiber verfolgen bereits Kon­zepte und Lö­sungen zum "Hochschieben der Temperaturen". Dennoch werden die Optimierung der Luftführung und die Angleichung der Temperaturen in den nächsten Jahren den Weg zum anerkann­ten Standard finden, zeigt sich der Rechenzentrum-Experte optimistisch. Ter­rahe: "Die Ein­hau­sungslö­sung ist heute in den meisten Köp­fen fest verankert und in der Pra­xis zu 50 Pro­zent umgesetzt. Jetzt machen die Betreiber ihre Erfahrun­gen damit und wer­den sich all­mählich auch trauen, die Tempe­ratu­ren im Rechenzen­trum anzuhe­ben."

Marktreife Technologien wie effizientere USV-Anlagen oder ausgeklü­gelte Klima-Käl­tekonzepte stehen bereits heute zur Verfü­gung. Weitere Effizienzsteigerungen werden durch Innovationen in naher und mittlerer Zu­kunft möglich.

Blicke auf und in Rechenzentren von Google



























































Infrastruktur und IT wachsen zusam­men

Als einen der mittelfristigen Trends haben die Experten die Einebnung der noch überwiegend vorherrschenden Trennung zwi­schen Infrastruktur wie Klimatisierung, Strom­versorgung und IT selbst ausge­macht. "Die Branche fängt an, beides integral zu sehen", analysiert Terrahe. Für ge­nau diesen Ansatz wurde das Projekt "Tempe­ratursensor-Matrix für DCIM" von Fujitsu Technology, ausgezeich­net. Der Preisträger unter­scheidet in seinem Forschungsprojekt nicht mehr zwi­schen Kli­matisierung des Raums und der Ser­ver. "Bei­des wächst inei­nander. Solche Ge­samt­systeme werden in na­her Zukunft kom­men", zeigt sich der Veran­stalter überzeugt.

Rechenzentren aus dem Container

"Die Standardisierung der Server-Infrastruktur ist an und für sich größer als in der Automo­bilindustrie, trotzdem sehen viele Rechenzen­tren innen heute noch komplett anders aus", bricht auch Alexander Hauser, Geschäftsführer der e3-Com­puting in Frankfurt am Main, eine Lanze für mehr in­dustrialisierte und stan­dardi­sierte Rechenzen­trum-Pro­dukte. Verschiedene Hersteller böten bereits heute interessante Contai­ner-Lösungen, primär mit Fokus auf den Mittelstand. "Kurz- und mittelfristig stehen die Unternehmen vor der Not­wen­digkeit, ihre Rechenzentren zu moderni­sieren oder komplett neu zu bauen", schluss­folgert Bernd Hanstein, Produktmana­ger IT bei Rittal. Investitionen in moderne Re­chen­zentren trü­gen dazu bei, die laufenden Be­triebskosten zu senken und die eigene Wett­bewerbsstärke zu erhöhen. Hanstein: "Gleich­zeitig könnten Unternehmen so schneller auf geänderte Marktanforderungen reagieren."

Die Teilnehmer des Future Thinking Kongresses in Darmstadt diskutierten nicht nur zwischen den Vorträgen über die aktuellen RZ-Trends.
Foto: Future Thinking / Christian Lauf / lauf-werk.info

Das Funktionsprinzip: Bei Container-Rechen­zen­tren wird kein separa­ter Raum mehr für IT und Server zur Verfügung gestellt, sondern nur noch eine fertige Box mit bereits inte­grierter IT auf­gestellt. Langwierige Planungs­pro­zesse und die Kosten eines Neubaus können so opti­miert, Vorteile in der Supply-Chain besser ausge­nutzt werden.

Virtuelle Infrastrukturen geerdet

Gibt es in zehn Jahren überhaupt noch ein Unternehmensrechenzentrum im klassischen Sinn oder mana­gen virtuelle Maschinen in virtuellen Netzen die Daten an irgendwelchen Standorten? Auch diese Frage wurde auf dem Darmstädter Rechenzentrum-Kongress auf den Podien und unter den Fachbesuchern heiß diskutiert.

Den Ansätzen der Software-Industrie wie bei­spielsweise von VMware, nach und nach alle Aspekte eines Rechenzentrums wie Rechen­leistung, Prozessorleistung, Netzwerk und Speicher (Storage/Platten) zu virtualisie­ren, wurde im Kongresszentrum Darmstadtium ein allgemeingül­tiges Naturgesetz gegenüberge­stellt: Daten können letztend­lich nicht allein in einer virtu­ellen Welt vorgehalten werden; es muss im­mer auch ein physisches Element ge­ben. Mi­chael Würth, Leiter Rechenzentrums-Infrastruktur bei der SAP, präzisiert: "Ich glaube nicht, dass wir in zehn Jahren eine komplett andere Rechenzentrums-Land­schaft haben werden als heute. Die Annahme, dass sich die Daten virtu­ell in der Cloud ver­teilen, bedeutet für mich, dass Daten gegebenen­falls verteilt in unterschiedlichen Rechenzentren liegen."

Über die bereits aufgezeigten Trends hinaus wird auch im Rechenzen­trum-Umfeld eine immer weitere Verkleinerung der Technik Einzug halten: Auf immer weniger Raum wird zunehmend mehr Rechen- und Speicherkapa­zität zur Ver­fügung gestellt, heutige Handy-Technologie auf die Server übertragen etc. Bereits auf dem Kongress im vergangenen Jahr prä­sentiert wurden Hochleistungsserver mit 50 bis 70 Chips auf einer Einheit. Sie ver­brauchen ver­dichtet, also auf eine kleinere Flä­che kom­primiert, die gleiche Ener­gie wie früher fünf bis acht Intel- oder AMD-Chips. Auch die Wär­meab­gabe der neuesten Server­generation ist weit geringer.

Weitere Zukunftsszenarien

In puncto Virtualisierung wird, auf zehn Jahre hin gesehen, eine Misch­form als gängige Re­chenzentrum-Praxis wahrscheinlich. Klaus Jansen aus dem VMware-Vertrieb betont: "Das Verhältnis zwischen Workflow und Diens­ten im eigenen Rechenzentrum wird sich mas­siv in Richtung Work­flow aus einer Public Cloud verschieben." Dabei müsse aber zentral eine strin­gente Verwaltung über den Work­flow gelegt wer­den, die auch über den Ver­bleib der einzel­nen Maschi­nen im Bilde ist.

Alles im Blick für die RZ-Zukunft? Auch moderne 3D-Brillen konnten im Rahmen des Kongresses ausprobiert werden - deren Einsatz im RZ der Zukunft ist schließlich nicht abwegig, Stichwort Wartung.
Foto: Future Thinking / Christian Lauf / lauf-werk.info

"Was sich vor allem verändert, ist die Gestalt eines Rechenzentrums. Die Leistungsdichte bei den Servern wird noch mehr zunehmen, das Thema Speicher viel stärker in den Vor­dergrund treten, weil die Daten­mengen im­mens anwachsen", prognostiziert Veran­stalter Terrahe: "Es wird auch weiterhin die großen Kästen geben. Aber sie werden von innen an­ders aussehen als heute."

Vieles spricht der versammelten "Future Thinking"-Expertenrunde zufolge dafür, dass es mittelfristig beide Welten parallel geben wird - sowohl das herkömmli­che indi­viduelle Rechenzentrum als auch die neu auf­kommen­den, zusammensteckbaren Mo­dule und Con­tainer. Zudem werden immer mehr Rechenzentren von Ener­gieversorgern und Mittelständlern in klei­neren oder mittelgroßen Städten gebaut.

Last, but not least bleibt die Energieeffizienz stets im Fokus: Moderne Rechenzentren sind bereits heute indirekt große Energiespeicher. Terrahe: "USV-Dieselanlagen usw. könnten daher in Zeiten der Ener­giewende bei Schwachwind oder unzureichender Sonnen­einstrahlung Ener­gie in das Stromnetz-Netz einspeisen - eine Dynamik, die aktuell sehr stark dis­kutiert wird."

Im Folgenden stellen wir Ihnen übersichtlich noch einmal alle Trends für das "Rechenzentrum der Zukunft" vor.

Allgemeine RZ-Trends

RZ-Trends in der Umsetzung

RZ-Trends für die fernere Zukunft